Schweitzer Fachinformationen
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DREI
Das orangefarbene Zimmer
Mein Haus in Colorado steht in einer Cohousing-Siedlung. So kenne ich wenigstens die Nachbarn - das ist wichtig, weil meine gesamte Verwandtschaft in anderen Bundesstaaten lebt.
Cohousing kommt aus Dänemark. Diese Wohnform möchte das Miteinander fördern, weshalb die Häuser mit Gehwegen verbunden und die Stellplätze für die Autos etwas weiter entfernt sind. Auf dem Weg zum eigenen Haus kommt man an den Veranden der anderen vorbei, sodass man sich begegnet. Als ich aus dem Krankenhaus komme, bringen mir fünf Nachbarinnen fünf Tage lang etwas zum Abendessen.
Die Mahlzeiten sind ein Geschenk des Himmels, aber auch nach diesen fünf Tagen bin ich kaum selbstständiger. Es ist mir unangenehm, um Hilfe bitten und mich auf andere Mitglieder der Gemeinschaft verlassen zu müssen. Alle Freundinnen in der Nachbarschaft sind verheiratet, haben Kinder und wirken trotz ihres vielleicht alternativen Lebensstils ebenso eingespannt wie ihre Schwestern in den Vorstädten. Wegen der hohen Fluktuation in der Siedlung kenne ich viele Bewohner auch nicht sonderlich gut.
Die Operationswunde beginnt heftig zu schmerzen, und ich weiß nicht, an wen ich mich wenden soll. Meine Ärzte sind in Italien. In Colorado habe ich weder eine Krankenversicherung noch einen Hausarzt. Ich taste mich vorsichtig die Treppe hinunter, eine Hand auf den Bauch gepresst. Im Kühlschrank sind Möhren und Zwiebeln, die mir jemand mitgebracht hat, und im Schrank finde ich Linsen. Ich könnte eine Suppe kochen.
Ich klammere mich an die Arbeitsplatte und befehle mir durchzuatmen, während sich mein Bauch schmerzhaft zusammenkrampft. Dann wasche ich eine Möhre und beginne, sie kleinzuschneiden. Nach ein paar Minuten geben meine Beine nach, und ich verwerfe die Idee, mir eine Suppe zu kochen.
Als ich wieder im Bett liege, rufe ich bei einigen Nachbarinnen an. Ich erreiche Sita, die mit einer Amethyst BioMat Gesundheitsmatte und einem Buch von Byron Katie vorbeikommt.
In meinem Schlafzimmer im ersten Stock staut sich die Hitze des Spätaugusts und lässt das leichte Sommerkleid an meinem Körper kleben. Ich liege seitlich eingerollt auf der Gesundheitsmatte und schaue auf Sitas sonnengebräunte Beine und ihre nackten Füße.
»Die BioMat ist in solchen Fällen echt super«, sagt Sita und justiert den Verdunstungskühler am Fenster. Nach feuchtem Stroh riechende Luft strömt auf mich zu. Sita geht direkt neben meinem Kopf in die Hocke. »Hast du schon mal von Byron Katie gehört, Chandi?«
Ich hebe den Kopf, um einen Blick auf den Titel des Buches in ihrer Hand zu werfen. Lieben was ist steht in goldenen Buchstaben darauf.
»Der Schmerz ist da. Leiden ist eine freiwillige Entscheidung. Sie zeigt dir, wie es geht.«4 Sita legt das Buch aufs Bett, und ich lege meinen Kopf darauf. »Also, wenn es dir wieder besser geht .«
Ich stöhne, drücke die Hand auf den Bauch, die Wange auf den glatten Umschlag des Buches und kneife die Augen zusammen.
Jemand kommt die Treppe heraufgelaufen und ruft meinen Namen. Es ist Jill vom nördlichen Fußweg.
»Chandi!«, ruft sie und eilt ins Zimmer. Ich öffne die Augen, und sage leise: »Danke.«
Jill kniet sich neben mich, und Sita sagt: »Sie hat Schmerzen, aber sie will nicht zum Arzt.«
»Hier«, sage ich und atme ein. »Der Chirurg in Italien hat gesagt, wenn es hier weh tut, könnte es ein Narbenbruch sein.«
»Sollen wir dich in die Notaufnahme bringen?«, fragt Jill besorgt.
Ich umklammere ihre Hand. »Das halte ich nicht aus. Wegen der Flashbacks. Es wäre traumatisierend.«
»Wir müssen deinen Körper von dem Trauma befreien, meine Kleine«, sagt Sita, setzt sich neben Jill und legt eine Hand auf meinen Bauch.
»Ich bin nicht versichert«, ächze ich, »und ich habe Angst vor den Kosten.«
»Würdest du ein Schmerzmittel nehmen?«, fragt Jill.
»Ja, gut.« Mit schwacher Stimme willige ich ein.
Sie bleiben eine Weile bei mir. Sita tupft Lavendelöl auf meine Fußsohlen, und Jill hilft mir beim Aufsetzen, damit ich etwas Wasser trinken und eine Schmerztablette nehmen kann.
Sita macht ständig irgendwelche Retreats und hat einen Guru. Ich halte sie für weise. Jill ist Atmosphärenwissenschaftlerin und hat eine sehr sanfte Ausstrahlung.
Ich frage sie: »Dieser Blinddarmdurchbruch in Italien . Könnte eine Art schwärende Wunde aus meiner Ehe zu dieser inneren Explosion geführt haben?«
»Die Krankheit ist bestimmt ein Sinnbild«, erwidert Sita schnell. »Ja, das passt.« Sie nickt entschieden.
Jill wirft ein: »Da bin ich mir nicht so sicher. Ich glaube, manche Dinge passieren einfach.«
Dann steht Sita auf. »Ich muss Abendessen für Micah machen. Er ist diese Woche in die Schule gekommen, und ich muss ihn dazu bringen, dass er Hausaufgaben macht.«
»Ich muss auch los, Chandi«, sagt Jill. »Ich muss Abendessen für Alice kochen. Wenn es dir morgen nicht besser geht, kümmere ich mich um einen Arzttermin, in Ordnung?«
Auf halber Treppe drehen sich die beiden noch einmal um und sagen, dass ich anrufen soll, wenn es schlimmer wird.
Ich hebe eine Hand und winke schwach. »Das wird schon wieder.«
Ich liege mit dem Rücken auf der Gesundheitsmatte und schaue zur Decke. Ich prüfe beide Theorien zu meinem Blinddarmdurchbruch, weiß aber nicht, mit welcher ich mich besser fühle. Ich konzentriere mich auf das tiefe Blau der Decke. »Tibetischblau« hatte ich es beim Malen getauft. Die Farbe erinnerte mich an den besonderen Blauton, den ich damals mit einundzwanzig bei meiner ersten Nepalreise in einem tibetischen Tempel gesehen habe. Damals, lange vor meiner Ehe, als ich noch von innen heraus leuchtete.
Bilder vom Zustand des Hauses, als Darrell und ich es gekauft haben, schießen mir durch den Kopf: schmutzig weiße Wände, billiger Linoleumboden und Schichten von Dreck unter der Waschmaschine und dem Trockner, die in einem Schrank in der Küche untergebracht waren; stinkende Teppichböden mit Urinflecken in beiden Schlafzimmern im ersten Stock. Es hatte weder eine Veranda noch eine Terrasse gegeben. Aber ich hatte das Geld für eine Anzahlung, und dank dieses kostbaren Grundstocks musste ich mich mit dreiunddreißig Jahren nicht mehr länger an den grauenhaften Bieterkriegen für Mietwohnungen in Santa Cruz und dem Silicon Valley beteiligen.
Da wir uns in unserer Heimat kein Haus hatten leisten können, waren Darrell und ich der Immobilienpreise wegen nach Colorado gezogen. Ich hatte etwas Eigenkapital und einen Plan für das heruntergekommene Haus.
Von dem Geld wollte ich zehntausend Dollar in neue Böden, eine Veranda, eine Terrasse, einen neuen Anstrich und den Garten investieren. Zu verlangen, dass Darrell sich irgendwie an den Kosten beteiligte, war mir nicht in den Sinn gekommen. Es war nicht wichtig. Ich fand es aufregend, unser erstes Haus zu kaufen. Ich brannte darauf, voller Freude mit ihm die Farben auszusuchen und den Garten anzulegen. Bestimmt würde bei der Arbeit am Haus das Wir-Gefühl entstehen, das ich bei der Hochzeit so vermisst hatte.
Die Schmerzen in meinem Bauch stürmen vorwärts wie der Hurrikan, den ich einst auf dem Dach eines Hauses in Playa del Carmen vom Meer auf mich habe zukommen sehen.
Inzwischen ist es dunkel. Ich drehe mich auf die Seite und frage mich, ob die warme Gesundheitsmatte irgendeine Zauberwirkung entfaltet.
Soll ich in die Notaufnahme gehen?
Ich sehe mich im Rollstuhl durch einen Flur fahren - einen in gleißendes Weiß getauchten, desinfizierten Flur brennender Schmerzen, mit verschwommenen Gestalten in OP-Kitteln, deren Stimmen der stumme Schrei der glühenden Eruption in meinem Körper übertönt. Ich fürchte mich mehr vor den Flashbacks, die mich in der Notaufnahme erwarten, als davor, hier allein und voller Schmerzen im Dunkeln zu liegen.
Auch den Gedanken, meine Mutter anzurufen, verwerfe ich. Sie hatte mir bereits in Italien zur Seite gestanden. Als ich dort im Krankenhaus lag, war sie nach England geflogen, um wie geplant eine traurige Aufgabe zu erledigen: ihr Elternhaus in Devon leerräumen und verkaufen. Sie war dort aufgewachsen und hatte dort gelebt, bis der Krieg ausgebrochen und sie in die Vereinigten Staaten gegangen war. Sie liebte das Haus und das Land in Devon mehr als alles auf der Welt. Aber statt nach der Ankunft in England nach Devon zu fahren, war sie weiter nach Florenz geflogen, um bei mir zu sein. Dadurch war ihr nur die Hälfte der Zeit geblieben, um das Haus auszuräumen, und sie hatte gerade erst den langen Rückflug nach Kalifornien hinter sich.
Vergiss den Anruf, denke ich. Bestimmt hat sie Jetlag, und vielleicht ist sie schon im Bett.
Ich drehe mich auf die andere Seite und beobachte, wie der Saum der durchscheinenden weißen Vorhänge auf und ab flattert. Ich weiß noch, wie ich sie aufgehängt habe. Ich hatte mich so darüber gefreut, dass ich vom Bett aus das bleiche Gesicht des Mondes durch die dünnen Vorhänge sehen konnte, wenn er nachts an den Fenstern vorüberzog.
Ich denke an meine ursprüngliche Begeisterung für die Renovierungsarbeiten in unserem Haus.
»Komm, wir machen im Baumarkt einen Kurs, wie man Laminat verlegt! Das macht bestimmt Spaß! Ich habe einen Baum für den Garten gekauft! Lass ihn uns gemeinsam pflanzen!«, sagte ich voller Elan zu meinem frischgebackenen Ehemann. Aber es war, als würde ich meine Begeisterung an eine Wand werfen und zusehen, wie sie daran zerschellt und langsam herabläuft.
Eines...
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