Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Ich war nur ein einfacher Anwaltsassistent, der selten Post erhielt. Doch an diesem Abend war das anders. Als ich im Dunkeln heimkam, wurde ich im Hausflur von einer fremden jungen Dame begrüßt. Hastig huschte sie dankend an mir vorbei durch die Eingangstür, die ich ihr offenhielt. Sie schien sichtlich darum bemüht, dass ich ihr hübsches Gesicht nicht sah. Weshalb war mir schleierhaft, denn sie war mir unbekannt - An eine solche Schönheit hätte ich sofort erinnert. In Gedanken noch bei der jungen Frau betrat ich aus dem Treppenhaus meine Etage, öffnete meine Wohnungstür und fand hinter ihr zwei Briefe auf dem Boden liegend. Es waren besondere Briefe, denn sie hätten unterschiedlicher nicht sein können.
Der eine aus schwerem Papier, mit Prägung und feiner Leinentextur. Ein Umschlag, dessen bloße Anschaffung den Wert der Portogebühr bei weitem übersteigen musste. Er wurde mir zugesandt vom Marigoldruh-Hospital. Ein Absender, der mir nichts sagte und mich stutzig werden ließ, denn mir war gänzlich schleierhaft, was ich mit irgendeinem Krankenhaus zu schaffen hatte. Doch weckte der andere Brief noch mehr mein Interesse. Während meine Adresse auf dem teuren Couvert des Marigoldruh in feinsäuberlicher Schrift im satten Königsblau geschrieben stand, fehlten Absender und Adresse auf diesem zweiten Umschlag vollkommen. Anders als sein Artgenosse, war er grau und knittrig, wirkte unbedeutend normal und sogar etwas zu schäbig, als dass er etwas Besonderes enthalten könnte. Doch die Tatsache, dass er vom Absender persönlich in meinen Briefschlitz gesteckt wurde, lud ihn mit Bedeutung auf. Ich rechnete mit dem Schreiben irgendeines Nachbarn, doch wurde ich, nachdem ich ihn öffnete, schnell aufgeregt, als ich am Ende des Briefes die Unterschrift meines Studienfreundes August Liebrecht las.
Das schien nicht zu ihm zu passen. August, der während des Studiums den Beinamen "Der Penible" trug, schickte mir in krakeliger Schrift verwischte Zeilen auf mehreren Seiten anderweitig beschriebenen Papiers. Die Schrift war beinahe nicht lesbar, so unordentlich war der Brief verfasst. Ich setzte mich mit meiner kleinen Schreiblampe an den Küchentisch und begann, das Gekrakel zu entziffern.
Lieber Elias,
wenn dich dieser Brief erreicht hat, bin ich unendlich froh. Es tut mir leid, lieber Freund, dass ich dir erst jetzt schreibe, doch die Vorkommnisse, über die ich dir jetzt berichten werde, hielten mich davon ab, es eher zu tun. Umso mehr schreibe ich dir nun in höchster Dringlichkeit, denn meine Meldung ist längst überfällig. Zudem war es schwierig, hier, weit draußen auf dem Land - beschränkt auf die Dunkelheit meines Zimmers -, an Utensilien zu gelangen, die es einem Blinden erlauben, zu schreiben. Ja, Elias, du liest richtig. Ich bin erblindet.
Es mag dir plötzlich erscheinen, dass ein junger und gesunder Mensch wie ich so unerwartet sein Augenlicht verliert, und lass dir von mir versichern, dass auch ich nichts von der Blindheit ahnte. Kein leises Leiden, keine schleichende Krankheit war mir bekannt, die ich vor dir geheim hielt. Der Grund dafür liegt in dem, was ich dir nun berichten werde. Der Brief ist vermutlich nur schwer lesbar, doch ich bitte dich, ihn dennoch mit großer Sorgfalt zu studieren. Ich verspreche dir, dass alles wahr ist.
Es war vor einigen Wochen, als mein Hausarzt Dr. Jesper mich wegen eines Nervenleidens, das er während einer Routineuntersuchung entdeckt haben wollte, zur weiteren Untersuchung an einen Experten verwies. Dr. Novak war sein Name und seine Wirkungsstätte, von wo aus ich dir diesen Brief schreibe, liegt weit außerhalb der Stadt auf dem Landsitz Marigoldruh. Ich war sehr verwundert, als Dr. Jesper mich drängte, seinen Kollegen aufzusuchen, denn ich fühlte mich in meiner Gesundheit keineswegs beeinträchtigt, doch er versicherte mir, dass dies nur augenscheinlich sei und sie sich bald, sollte ich keine angemessene Behandlung erhalten, zum Schlechten wenden würde.
Beunruhigt, aber dennoch skeptisch, folgte ich also seiner Weisung und schrieb mich bei Dr. Novak ein. Du weißt, wie teuer Ärzte sind, Elias. Teurer noch sind die Fachärzte, weshalb ich nicht einmal damit rechnete, auch nur einen Termin zu bekommen. Doch entgegen meiner Erwartung, fand ich mich bereits wenige Tage später in seiner Stadtpraxis wieder, die er wohl für Sprechstunden in der Stadt zu nutzen pflegte.
Den verschlossenen Arztbrief Dr. Jespers, den ich seinem Kollegen übergab, hatte ich aus Neugierde bereits gelesen, als er mir nach der Routineuntersuchung für kurze Zeit gezeigt wurde. Ich verstand nichts von Medizin, konnte mir aber einige Begriffe merken, notierte sie schnell nach dem Verlassen der Praxis in meinem Heftchen und schlug sie noch am selben Abend in der Universitätsbibliothek im Medizinlexikon nach. Was ich fand, sagte mir nichts. Umso überraschter war ich von der Reaktion des Doktors, der bereits ab der ersten Seite ein großes Interesse an den Werten und Anmerkungen meines Arztes zu haben schien.
"Wie es scheint, Herr Liebrecht, erfordert Ihr Fall eine ausgedehntere Untersuchung, als Dr. Jesper sie durchführen konnte", sagte er nach der Lektüre meiner Akte.
Auf meine Frage, was genau die Befunde denn aussagten, antwortete er nur, dass er das noch nicht mit absoluter Gewissheit sagen könne und mich nicht überflüssigerweise mit voreiligen Spekulationen beunruhigen wolle. Um Gewissheit über meinen Zustand zu bekommen, empfahl er mir die Einquartierung in Marigold, seiner privaten Klinik, wo er mir, so versprach er, sicherlich helfen könne. Als ich erwiderte, dass dies sehr kostspielig klang und ich daran zweifelte, für die Kosten der Behandlung aufkommen zu können, da ich nur das schmale Auskommen eines Anwaltsgehilfen besaß, versicherte er mir, er wolle aufgrund der Ungewöhnlichkeit meines Falles von einer Bezahlung absehen. So lehrreich, wie mein Fall vielleicht sein könnte, sagte er, seien die Erkenntnisse, die er aus der Behandlung zu ziehen hoffte, mehr wert als Geld.
So bezog ich kurz darauf Quartier auf dem schönen Marigoldruh-Landsitz außerhalb der Stadt. Ein schönes, großes Bauwerk, das wohl mal das Jagdschloss irgendeines Adligen war, diente nun Dr. Novak als Behausung und Klinik. Ich bezog mein Zimmer und durfte mich sehr frei im Hause bewegen. Nur einige Bereiche, die nur für medizinisches Personal bestimmt waren, blieben für die Patienten verständlicherweise verschlossen. Schnell lernte ich auf diese Weise verschiedene Klinikbewohner kennen, die wohl ein ähnliches Nervenleiden wie ich diagnostiziert bekommen hatten, auch in etwa in meinem Alter waren und noch keine körperlichen Beschwerden an sich feststellen konnten. Meine Erkrankung schien also kein Einzelfall zu sein. Es befanden sich allerdings auch Patienten mit schweren Leiden in der Klinik, und durch Zufall lernte ich schnell einen von ihnen kennen.
In meiner ersten Woche, als mir die Räumlichkeiten des Hauses noch nicht ganz vertraut waren, betrat ich eines Abends versehentlich das falsche Zimmer. Statt meiner eigenen Tür hatte ich, ohne es zu bemerken, die eines Fremden geöffnet. Nichtsahnend trat ich in den abgedunkelten Raum ein - auch mein Zimmer hatte ich zuvor mit zugezogenen Vorhängen verlassen. Doch ehe ich wie gewohnt die Gardinen zur Seite ziehen konnte, fuhr ich zusammen, als eine Stimme mich aus dem Halbdunkel heraus ansprach. Der Bewohner des Zimmers hatte mich bemerkt. Nachdem ich mich entschuldigt und erklärt hatte, kamen wir in ein kurzes Gespräch. Elias, es war Dietrich - der Sohn deines alten Mentors, Professor Tienhoft.
Er war im Marigoldruh aufgrund einer starken Erkrankung der Sinne. Seine extreme Lichtempfindlichkeit hatte zur Folge, dass er den gesamten Tag in Dunkelheit verbrachte, sodass er es mittlerweile vorzog, am Tag zu schlafen, damit er wenigstens bei Nacht aus dem Fenster sehen konnte. Er sei hier, weil er nach langem Warten nun die Hoffnung auf Besserung durch eine Behandlungsmethode von Dr. Novak hatte. Das Schicksal meines Klinik-Kameraden berührte mich und ich war froh darüber, dass sich meine eigene Erkrankung bis dahin nicht körperlich äußerte.
Nach den ersten Untersuchungen, die schon sehr bald nach meinem Eintreffen begannen, gab Dr. Novak mir Tabletten, die meine Nerven beruhigen sollten. Als ich ihm sagte, dass ich mich aber nicht krank oder angestrengt fühlte, meinte er, dass der Mensch auch nicht alles bemerke, was dem Körper fehlte. Der Autorität des Arztes folgeleistend, nahm ich also nun die Tabletten ein, wie er es verordnet hatte. Ich fühlte mich prompt benommen, schlapp und antriebslos, so als würde sich mein Körper von nun an in einem nur halb wachen Zustand befinden. Müde und erschöpft ging ich stets früh schlafen. Diese Prozedur wiederholte sich die nächsten Tage und ich wurde immer kraftloser.
Meine Erinnerung an diese Tage ist verschwommen, doch ich glaube, es war der vierte Tag, an dem ich früh zu Bett ging und rasch in tiefen Schlaf verfiel. Doch schreckliche Eindrücke plagten mich. Ich wurde gepackt; grelles Licht; Stimmen und Trubel; alles in der Trübheit meines Schlafes. Ich musste wohl träumen, doch einen...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.