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«MIT DEM MORGENURIN», sagte Mr. Hooke bei der Sitzung der Royal Society am 15. Juli 1678, «habe ich heute einen Stein ausgeschieden, welcher jenem, den uns Sir William Throgmorton gütigst für das Kabinett überlassen hat, vielleicht in Größe und Gewicht ein wenig nachsteht, nicht aber in allgemeiner Merkwürdigkeit.»
Josiah Blane, der Stenograph, nahm dies zu Protokoll. Er schrieb es in die Experimentalkladde und nicht in die Vermischten Bemerkungen, obschon Mr. Hooke den Stein nicht herzeigte. Er würde noch nach ihm schicken, dessen war sich Josiah gewiss, und dann wäre der Stein ein Ding und kein Wort mehr und gehörte somit in die empirischen Vermerke.
«Ich wüsste gerne», sagte Dr. Croune versonnen, «woher der Schleim der Aale kommt.»
«In Kensington», sagte Mr. Aubrey, «wo einer im Pranger stand, leckten Hunde von seinem putriden Eiter und starben, und einem Mann, der die Schuhe eines Toten auftrug, faulten die Füße ab. Quid mirum, nicht wahr, und zum Wohl!»
Mr. Aubrey hob sein Glas. Er trank Wein, als Einziger, und er trug Rot, Feuerrot, wie ein junger Stutzer. Voriges Jahr hatte er Josiahs Horoskop gestellt und gesagt, er habe Geistesgaben. Dann hatte er ihm gezeigt, wie man mit der rechten Hand schreibt und mit der linken zeichnet. Einer mit Geistesgaben müsse vieles auf einmal tun. Mr. Aubrey konnte sogar reiten und zeichnen zugleich, und dabei noch denken und sprechen und trinken. Josiah schrieb die Sache mit dem Eiter nieder und zeichnete dabei, mit der Linken, Mr. Hooke. Er zeichnete ihn in ein Koordinatensystem, damit sein schiefer Wuchs besser zur Geltung kam. Seit er sich mit Mr. Newton über die Lichtbrechung gestritten hatte, wurde Mr. Hooke immer schiefer. Er trug schon keine Perücke mehr, weil sie rutschte. Er trug sein eigenes Haar, braun, lang und fettig. Sein Kopf war zu groß, sein Mund zu klein, seine Knochen drückten von innen gegen die Haut wie bei den morschen indianischen Affen, die im Kabinett ihrer Beschriftung harrten.
Mr. Hooke wusste alles. Mr. Hooke war die Royal Society. Die Royal Society war Mr. Hooke. Bisweilen träumte Josiah, Mr. Hooke verdopple und potenziere sich, bis lauter Hookes das Sitzungszimmer füllten, Allwissen und Affenknochen unendlich gespiegelt, als blicke Josiah durch das Prismenauge der Gemeinen Stubenfliege, wie es dargestellt war auf Mr. Hookes mikroskopischen Tafeln.
«Die Aufklärung der Herkunft des Schleimes an Aalen», bemerkte Dr. Croune, «läge mir durchaus am Herzen.»
Josiah Blane setzte den Schleim der Aale auf die Liste der Disputanda und zeichnete gleichzeitig ein wenig schmeichelhaftes Membrum zwischen die Beine des Mr. Hooke. Josiah bewohnte eine Kammer, die Wand an Wand mit Mr. Hookes Schlafzimmer lag, oben im Ostflügel des Gresham College. Dort wurde er stets Zeuge von Mr. Hookes Erfreuungen. Bis zu drei Erfreuungen pro Nacht gelangen Mr. Hooke, mit Doll, seiner Magd, oder Grace, seiner Nichte. Letzte Woche hatte sich Mr. Hooke eine Totgeburt aus Blackfriars kommen lassen, wegen Gaumenspalte und doppelten Rückgrats. Die lag nun im Kabinett und stank. Josiah hätte sie gerne präpariert. Vielleicht wäre es ihm gelungen. Vielleicht zufriedenstellend. Vielleicht gut. Vielleicht hätte Mr. Hooke genickt. Vielleicht hätte er «brav» gesagt. Josiah Blane traute sich nicht zu fragen, ob er die Totgeburt aus Blackfriars präparieren dürfe.
«Der Trigonalaspekt zwischen Mars und Saturn begünstigt die Fäulnis», sagte Mr. Aubrey, «und ihre Konjunktion den trockenen Zerfall.»
«Mein Stein ist pfriemenförmig, fast lanzettlich», berichtete Mr. Hooke, «eine gute halbe Drachme schwer, von hellgrüner Färbung, die Oberfläche warzig und kristallin. Ich trank Meerrettich-Bier, die Entleerung war schmerzlos. Der Stein ist überaus beachtenswert.»
Josiah stenographierte, mit der Linken näherte er das Radiermesser Mr. Hookes abgebildeter Männlichkeit. Er saß allein an seinem Schreibpult. Die Herren sahen nicht, was er tat, sie prüften nur später die Reinschrift. Josiah Blane war einmal in Cambridge gewesen. Josiah Blane hatte Arzt werden wollen. Geld und Gaben reichten nicht hin. Als Protokollant der Royal Society hatte er mit jährlich zwanzig Pfund sein Auskommen, dazu Kost und Logis. Er teilte die Kammer mit den zwei Dienern, Harry und Tom. Manchmal kaufte er einen Traktat über Anatomie. Manchmal schaute er Grace Hooke hinterher. Oft zeichnete er die Konterfeis der Gentlemen am Sitzungstisch. Josiah Blane war fünfundzwanzig und sein Leben war eigentlich vorbei.
«Ich vermute», sagte Dr. Grew, «der Schleim auf Aalen wird durch ähnliche Glandulae hervorgerufen wie der Schleim in unserem Hals.»
Mr. Hooke schickte Harry hinauf zu Grace, um seinen Stein zu holen.
«Der Schleim in unserem Hals dringt nicht nach außen», stellte Mr. Colwall fest.
«Bisweilen schon», entgegnete Mr. Aubrey.
«Nicht durch die Haut, Sir», meinte Mr. Colwall.
«Der Schleim auf Aalen», erklärte Mr. Hooke, «ist eine Transpiration, welche, sobald sie sich mit Wasser oder Luft vermischt, schleimige Eigenschaften annimmt.»
«Die Haut des Aals hat in der Tat erkennbare Poren», setzte Dr. Grew hinzu.
«Nein, Sir», sagte Mr. Colwall.
«Ich sehe die Poren unter dem Mikroskop, sie sind dreieckig, ich sehe, wie sie transpirieren!»
Josiah Blane zeichnete Affenohren zwischen die perückenlosen Haare des Mr. Hooke.
«Die Haut des Aals hat keine Poren», sagte Mr. Colwall.
«Die Haut des Aals», fuhr Mr. Hooke fort, «besteht aus zwei Stoffen, von denen einer fest ist, der andere flüssig. Der feste Stoff ist gewebt aus einzelnen Fäden, locker, wie grobes Linnen. Der flüssige Stoff gewährleistet die Elastizität, ein Teil aber dringt nach außen und mischt sich mit Wasser oder Luft zu Schleim.»
«Die Haut des Aals hat keine Poren», beharrte Mr. Colwall.
«Die Poren sind dreieckig», wiederholte Dr. Grew.
«In der Vakuummaschine wird der Aal trocken», sagte Mr. Hooke.
«Und stirbt», fügte Mr. Aubrey hinzu.
«Er stirbt an Austrocknung», erklärte Mr. Hooke.
«Er stirbt, dann trocknet er», sagte Mr. Aubrey.
Mr. Colwall schickte Tom zum Markt nach einem Aal und Harry, der soeben ein samtenes Läppchen mit Mr. Hookes Stein brachte, ins Kabinett nach der Vakuummaschine.
«Zum Wohl», sagte Mr. Aubrey und leerte sein Weinglas, «des Weiteren wurde mir aus Kensington berichtet, dass ein Knabe, der seinen Daumen in das Fleisch eines Gehenkten steckte, seinen Arm an den Wundbrand verlor.»
«Wie lange hing er?», fragte Dr. Grew.
«Lange», entgegnete Mr. Aubrey lächelnd. «Wie möchte wohl ein Knabe frisches Fleisch mit dem Finger durchstoßen?»
Bis Tom mit dem Aal zurückkam, hatten die Herren die Experimentalkladde und die Vermischten Bemerkungen um manchen Beitrag bereichert. Nach einem kurzen Disput hatte man beschlossen, Mr. Hookes Stein nicht dem Kabinett, sondern einer chemischen Analyse zuzuführen. Man hatte ihn im Mörser zerstoßen, mit Aquafortis geschüttelt, gefiltert, das Sediment probiert, alles ohne rechtes Ergebnis. Vom Aquafortis war man zur Reinigung von Perlen gelangt, von dieser zur Herstellung rostfreier Nägel, von dort zum Schiffsbau und von jenem zu dem Vulkanausbruch, der von Teneriffa berichtet wurde. Dr. Grew und Mr. Colwall gerieten in einen Wortwechsel über die Ursachen unterirdischen Feuers. Dazwischen sprach Dr. Croune über die Formung des Kükens im Ei und den Wandel der Dichte des Wassers. Mr. Aubrey beschrieb ein Tier, das in Kensington als Bastard eines Kaninchens und eines Katers das Licht der Welt erblickt habe und seither ein etwas unentschiedenes Leben führe. Mr. Hooke wollte das Tier kaufen, Dr. Grew zweifelte dessen Existenz an, woraufhin sich Mr. Colwall erinnerte, es mit eigenen Augen gesehen zu haben bei seinem letzten Ausflug nach Kensington. Mr. Aubrey und Mr. Colwall wurden beauftragt, das Tier zu erwerben und auszustopfen, während man Mr. Hooke bat, bis zur nächsten Sitzung die Analyse seines Steins abzuschließen, was er sich ohne Murren, wenn auch ein wenig unfroh zu eigen machte, hätte er den Stein doch lieber unversehrt im Kabinett gesehen. Mr. Aubrey war bei der zweiten Flasche Wein angelangt, Dr. Croune stärkte sich mit Barbados-Likör, Mr. Colwall erläuterte die jüngste Testreihe des Florentiner Experiments und Josiah Blane zeichnete.
Er zeichnete Regale, ähnlich jenen im Kabinett, dazu Wandhaken, Tischchen, Vitrinen, alles, was man braucht in einer Naturaliensammlung, um die Objekte angenehm auszustellen. Als der Raum bestückt und nach den Regeln der Perspektive mit Fluchtpunkt und kunstfertigen Schrägen versehen war, widmete sich Josiah den Schaustücken selbst. Er zeichnete die Halswirbelsäule des Mr. Hooke, aufgestellt auf einer Konsole als Lehrstück naturwidrigen Wuchses, er zeichnete auch Mr. Hookes eifrige Männlichkeit in ein Glas mit rektifiziertem Öl, und daneben, in Wachs präpariert, Mr. Aubreys mitgenommene Leber. Von einem einzigen Haken baumelten die Schädel des Mr. Colwall und Dr. Grew, wie sie einander feindselig beäugten aus vier weiß gescheuerten Augenhöhlen. Josiah verschönerte seine Zeichnung weiter, mit Fingern, Blasen, Kniegelenken der anwesenden und auch der abwesenden Mitglieder der Royal Society, mit den Augen des Mr. Pepys und Dr. Kings geblähtem Gehirn, mit der abgezogenen Haut des jungen Earl of Fearnall, eines Mitglieds honoris causa, und mit allen gewesenen und künftigen Steinen des Mr. Hooke. Zuletzt zeichnete er sich selbst ins Museum, ausgestopft und lebensecht hingestellt an ein Pult in schreibender Haltung. Josiah protokollierte, während er zeichnete, und eben schrieb seine Rechte Dr. Grews Meinung zur Ausschmelzung von Antimon mit Eisen nieder, während er mit der...
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