Schweitzer Fachinformationen
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Dunst füllte das kleine Blockhaus aus. Wie ein Weichzeichner verwischte er die Konturen der Wände, des Beckens mit den glühenden Steinen darin und der stufenförmig angelegten Holzbänke, so dass wir im Nichts zu schweben schienen. Von ganz realen Frauen, die mitten im Leben stehen, waren wir zu schemenhaften Traumgestalten geworden.
Nach dem Aufguss mit Orangenöl wurde die feuchte Hitze fast unerträglich. Ich holte flach durch den Mund Luft, um meine Atemwege zu schonen. Bald war die Temperatur besser auszuhalten. Mein Organismus reagierte; der Schweiß rann mir aus allen Poren und kühlte wohltuend die Haut. Ich lehnte den Kopf an die Holzwand der Sauna, die meine Eltern vor etlichen Jahren an die Stelle des alten Ziegenstalls hatten bauen lassen, und betrachtete die geröteten Gesichter meiner beiden Schwestern.
Heike saß mir gegenüber auf der obersten Ebene. Ihre kurzgeschnittenen, grauen Haare standen verschwitzt vom Kopf ab. Die wasserblauen Augen ließen sich nur erahnen, ebenso die Lachfalten in ihrem runden Gesicht. Sie hatte ihr Handtuch fest um Hüfte und Brust geschlungen. Sich uns in dieser räumlichen Enge hüllenlos zu präsentieren wäre ihr unangenehm gewesen.
Johanna war viel hemmungsloser und saß nackt im Schneidersitz eine Etage tiefer auf ihrem Badelaken. Mit ihren sechsundfünfzig Jahren war sie drei Jahre älter als Heike, und es ließ sie immer noch kalt, was andere von ihr hielten. Sie hatte ihr kastanienrot gefärbtes Haar aus der Stirn gestrichen; in einer dichten, welligen Masse floss es ihr den Rücken hinunter. Die Augen hatte sie geschlossen, so dass ich ihre Gesichtszüge ungeniert mustern konnte: die gefurchte Stirn, die dunklen, geschwungenen Augenbrauen, die Adlernase und die vollen Lippen. Mit den Jahren war Johanna etwas weicher um Bauch, Hüften und Oberschenkel geworden, aber sie hatte nach wie vor eine schlanke Figur, und weder die kleinen Dellen noch die Besenreiser an den Oberschenkeln schienen sie zu kümmern.
Ich fand sie wunderschön. In meinen Augen war sie die Attraktivste von uns dreien, sogar von uns vieren, wie ich von alten Fotoalben her wusste. Mein Blick wanderte wieder zu Heike, die ihn lächelnd erwiderte. Auch sie war eine hübsche Frau, deren Natürlichkeit und Wärme von innen heraus strahlten, und ihr Lachen war hinreißend.
Dass ich als Achtundzwanzigjährige und Nachkömmling der Familie einen jugendlicheren Körper als meine älteren Schwestern hatte, lag auf der Hand, aber schöner fühlte ich mich deshalb nicht. Ich war weder schlank wie Johanna noch mollig wie Heike, sondern irgendetwas dazwischen. Mein hellbraunes, halblanges Haar war bei weitem nicht so spektakulär wie Johannas volle Mähne, aber auch nicht fein und fedrig wie das von Heike. Mein Gesicht hatte sanftere Linien als Johannas und war doch herber als Heikes. Manchmal erschien es mir, als wäre ich allein dazu geboren worden, einen Ausgleich zwischen den beiden zu schaffen - und um eine Lücke zu schließen. Ersteres war geglückt, Letzteres unmöglich.
Ich ertappte mich dabei, wie ich ständig Vergleiche zwischen uns Schwestern zog, ein untrügliches Zeichen dafür, dass ich mich bereits den alten Familienmustern ergab. Ich war zu Hause angekommen.
»Na, springen wir noch in den Teich?«, unterbrach Heike meine Gedankengänge, und ich nickte.
»Klar.« Johanna stand auf. »Los, raus in die Winterluft!«
Und schon schlüpften wir in die Badelatschen und rannten über die Streuobstwiese hinter unserem Elternhaus. Es war ein kalter Spätnachmittag im Januar; der Frost knisterte unter den Füßen.
Schnell wurden die bleichen Gestalten meiner Schwestern von der Dunkelheit verschluckt. Heike sprang als Erste in den Teich, dicht gefolgt von Johanna. Ich durchbrach zuletzt die Wasseroberfläche. Bald strampelten wir quietschend und prustend zwischen Schilf und Entengrütze umher, mit hochroten Köpfen und wild pochenden Herzen. Lange hielten wir die Eiseskälte aber nicht aus. Doch während Johanna und Heike schleunigst zwischen den Gerippen der Bäume zu dem kleinen Blockhaus zurückliefen, um sich unter der Dusche im Vorraum aufzuwärmen und erneut in die Hitze der Sauna zu flüchten, hielt ich einen Moment inne und ließ den Blick über den Garten schweifen.
Allzu viel konnte ich im Zwielicht nicht erkennen, aber es genügte mir zu wissen, dass hinter der Wiese mit den knorrigen Obstbäumen auch die mächtige Rotbuche, die Kastanie, die Fichten und die Blumenrabatten mit den Rhododendren und dem Hibiskus da waren. Auf der rückwärtigen Seite der Sauna machte ich weiter hinten die Umrisse des ehemaligen Bahnwärterhauses aus, in dem wir aufgewachsen waren und meine Eltern noch heute lebten. Direkt links neben dem gepflasterten Vorhof stand der uralte Apfelbaum, der inzwischen kaum noch trug und in dessen Rinde die Initialen HF eingeritzt waren. Auf der anderen Seite des Gebäudes grenzten Brombeerbüsche und ein windschiefer Lattenzaun den Garten von den Bahngleisen ab, die keine zehn Meter entfernt an unserem Wohnzimmer vorbeiführten.
Die Strecke war inzwischen sehr befahren. In meiner Kindheit hatten nur wenige Personen- und Güterzüge am Tag die ländliche Ruhe gestört. Heute sauste hier tagsüber alle zwanzig Minuten die S-Bahn entlang, von Düsseldorf bis Mönchengladbach und umgekehrt, nachts immer noch in stündlichen Abständen. An den regelmäßig wiederkehrenden Lärm war ich seit vielen Jahren gewöhnt. Ich hörte ihn kaum noch.
Das alte Backsteinhaus mit seinem großen Garten lag wie eine grüne fruchtbare Insel zwischen den zurzeit winterlich kahlen Äckern und Feldern, die sich auf der einen Seite nach Büttgen hin, zur anderen bis zu den Ortschaften Vorst und Kleinenbroich ausdehnten.
Hier war ich groß geworden; ich kannte jeden Winkel und Strauch. Diese Gewissheit ließ ein Gefühl des Wohlbehagens und der Geborgenheit in mir aufsteigen. Schon lange vor meiner Geburt hatte meine Familie in dem Haus an den Schienen gelebt. Das flache weite Land, durchzogen von geteerten Feldwegen und der Bahnlinie, war mir ebenso vertraut wie die einsame Lage des Häuschens.
Als Jugendliche hatte ich seine Abgeschiedenheit verflucht und mit fünfzehn so schnell wie möglich den Mofaführerschein gemacht, um mich mit meinen Freunden in Büttgen auf dem Rathausplatz treffen zu können.
Inzwischen wusste ich die Idylle zu schätzen und kam hierher, sooft es die Arbeit erlaubte. Von Düsseldorf aus war es nicht weit, knapp zwanzig Minuten Fahrt über Autobahn und Landstraße. Heike hatte es sogar noch näher. Sie wohnte nur ein paar Kilometer weiter in Kleinenbroich. Johanna dagegen musste von Berlin aus etliche Stunden bis nach Hause auf sich nehmen. Sie besuchte meine Eltern dementsprechend selten, aber wohl auch aus anderen Gründen. Ihr Verhältnis zu unserer Mutter war mir immer etwas kühl vorgekommen.
Als ich merkte, dass ich mittlerweile mit den Zähnen klapperte, eilte ich den beiden schnell in die Sauna nach. Der Kälteschock hatte uns belebt. Jetzt schwiegen wir nicht mehr wohlig wie beim ersten Saunagang, sondern tauschten uns über alles Mögliche aus: über unsere Männer, den Arbeitsalltag, Johanna und Heike über ihre inzwischen schon erwachsenen Kinder. Heikes Zwillinge Katharina und Fabian waren sehr mit ihrem BWL-Studium in Düsseldorf beschäftigt, und Johannas zweiter Sohn Christopher steckte mitten in den Chemie-Masterprüfungen. Sein großer Bruder Bastian war genauso alt wie ich und gerade mit seiner Freundin zusammengezogen.
Es war ungefähr zwei Jahre her, dass wir drei das letzte Mal beisammen gewesen waren, bei Tante Claras fünfundsiebzigstem Geburtstag. Damals hatten wir unsere Männer und Heike und Johanna auch ihre Kinder dabeigehabt, und wir konnten uns nicht in dem Maße aufeinander konzentrieren wie heute. Es war schön, endlich mal wieder in aller Ruhe miteinander zu plaudern.
»Sollten wir uns nicht langsam anziehen und reingehen?«, überlegte Heike auf einmal mit gerunzelter Stirn. »Mama und Papa fragen sich bestimmt schon, wo wir bleiben.«
»Ach was.« Johanna winkte ab. »Sauna dauert eben. Das wissen sie doch.«
Ich nickte und schaute aus dem Fenster, von dessen Scheibe das Kondenswasser rann, hinaus in den dunklen Garten. Zufrieden seufzte ich auf. Ich fand es wunderbar, dass wir fünf - unsere Eltern und wir drei Töchter - endlich wieder vereint waren. Anlass war der bevorstehende achtzigste Geburtstag unseres Vaters. Er hatte sich eine Feier im kleinen Kreis gewünscht, außer uns dreien würden noch mein Onkel Wolfgang und Tante Clara mit meinen beiden Cousins kommen. Dabei wollte Papa es eigentlich bewenden lassen, aber Mama hatte ihn dazu gedrängt, zusätzlich noch seine zwei ehemaligen Geschäftspartner mit ihren Gattinnen einzuladen, bei deren letzten runden Geburtstagen sie selber Gäste gewesen waren. Die Feier würde am Sonntag stattfinden. Zwei Tage lang hatten wir unsere Eltern ganz für uns.
»Also, ich geh jetzt rüber«, wieder war es Heike, die keine Ruhe mehr hatte, »um Mama beim Tischdecken zu helfen.« Wie so oft siegte ihr Pflichtbewusstsein über den Genuss. Das Handtuch über der Brust festhaltend, kletterte sie hinunter auf den Fliesenboden und verließ die kleine Sauna. Kurz darauf hörte ich die Dusche rauschen.
»Sie hat Hummeln im Hintern, wie immer.« Johanna grinste und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. »Ich hab es nicht so eilig. Und du, Britta?«
»Ich bleibe auch noch ein bisschen.« Ich machte mich auf der Holzbank lang und ließ die Wärme durch die Haut in die Knochen dringen. Gerade wollte ich die Augen schließen, als Johanna leise...
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