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Acht Jahre später Alderney, 25. August 2019, Gegenwart
Die Sterne spiegelten sich im Wasser der Saye Bay und ich betrachtete den Horizont. In spätestens einer Stunde würde lilafarbenes Licht über die scharfe Kante des Meeres kriechen und der neue Tag würde anbrechen. Die düstere Stimmung, die mich schon umgeben hatte, bevor ich zum Joggen aufgebrochen war, lastete immer noch auf mir. Hoffentlich würde der Morgen Erleichterung bringen. Melancholie und Traurigkeit waren ganz normale Begleiterscheinungen, wenn man versuchte, seine Seelenmagie in sich zu verschließen, aber gewöhnlich half mir das Laufen, diese Probleme in den Griff zu bekommen. Die Magie baute sich durch die gleichmäßigen Bewegungen ab. Heute Nacht krallte sie sich allerdings an mir fest. Meine Finger- und Zehenspitzen kribbelten wie verrückt, und wenn ich nichts dagegen unternahm, würde sie wie ein Funkenregen aus mir heraussprühen. Ein etwas befremdlicher Anblick für normale Menschen, aber zum Glück gingen die nicht mitten in der Nacht laufen. Ein Frösteln überzog meine Arme, obwohl es erstaunlich warm für Ende August war, und die Härchen an meinem Körper stellten sich auf wie kleine Blitzableiter. Noch so ein Vorbote. Mit den Händen rieb ich über meine Arme, um die Spannungen wegzustreichen. »Ich kann das kontrollieren«, flüsterte ich leise in den Wind. »Ich kriege das in den Griff.« Aber der Wind und ich wussten es besser, und ich bildete mir ein, ihn leise lachen zu hören. Wäre ich ein gewöhnliches Mädchen, läge ich jetzt in meinem Bett. Wie sehr ich mir das wünschte! Ich war müde. Müde, all dieser Versuche, meinem Schicksal zu entfliehen.
Leider war Schlafen heute Nacht keine Option, denn in dem kleinen, schmalen Haus, das ich mit Granny und Meggie, der jüngsten Novizin des Zirkels der Seelenmagierinnen, bewohnte, planten dessen Mitglieder die Feierlichkeiten für Mabon.
Ich wollte damit nichts zu tun haben. Ich hatte weder Interesse an heidnischen Riten noch Lust, mich an der Diskussion zu beteiligen, ob wir das Fest dieses Mal im Jahre 1083, 1756 oder sonst wann begehen wollten, denn ich würde sowieso nirgendwo mit hingehen. Ich hasste Zeitenwandern. Mir reichte es schon, dass ich ständig damit beschäftigt war, ungeplante Sprünge zu verhindern, da wechselte ich nicht auch noch freiwillig die Zeit.
Keine meiner Schwestern aus dem Zirkel verstand das. Wie auch, schließlich war ich die einzige Seelenmagierin, der beim Zeitenwandern so übel wurde, dass ich mich übergeben musste. Mein sonst so robuster Magen spielte dabei völlig verrückt, und es war nicht lustig, in einer fremden Zeit zu landen und mich direkt vor jemandes Füße zu übergeben.
Ich seufzte und atmete gleichmäßig ein und aus. Die geballte Energie all der Magierinnen, die aus so vielen Jahrhunderten zu Besuch gekommen waren, machte mich unruhig, und der Versuch, meine eigene abzubauen, misslang deswegen gründlich. Seit Stunden rannte ich kreuz und quer über die Insel. Ergebnislos, wie ich jetzt feststellen musste. Die Seelenenergie in mir schien nur noch an Kraft zu gewinnen. Ich wusste nicht, was ich noch tun sollte, um sie loszuwerden. Es war zum Verzweifeln.
In der Vergangenheit hatte ich bereits unterschiedliche Techniken ausprobiert. Keine von ihnen hatte dauerhaft funktioniert. Dabei war ich so perfekt ausgebildet, wie man es sich für eine Magierin nur wünschen konnte. Nach der Primary School war ich von den Freundinnen meiner Großmutter unterrichtet worden.
Sie hatten dafür gesorgt, dass ich jede mögliche Verteidigungstechnik beherrschte, die Reife einer Seele erkannte, Seelenlose erlösen konnte, fließend Französisch sprach und über jedes noch so winzige Ereignis der Weltgeschichte Bescheid wusste. Ich kannte sogar den verdammten Codex des Zirkels auswendig, in dem die Rechte und Pflichten der Seelenmagie niedergeschrieben waren. Nichts, was in einem normalen Leben sonderlich nützlich war, aber unabdingbar für eine Magierin.
Zwei elementare Dinge hatte ich jedoch leider nie gelernt, und das war meine Magie zu beherrschen und sie in mir zu verschließen und gesittet in der Zeit zu springen. Granny konnte sich nicht erklären, weshalb mir diese Dinge nicht gelangen, obwohl ich mich wirklich bemühte. Aber mein Unvermögen bestärkte mich nur in dem Vorsatz, meine seelenmagischen Kräfte in diesem Leben nicht zu benutzen. Niemand konnte mich zwingen, meiner Bestimmung zu folgen. Denn jede Seele hatte das Recht, ihr Schicksal selbst zu wählen. Ich hob meine Hand in den Himmel und betrachtete das sanfte Flimmern auf meiner Haut. Resigniert wischte ich den Schimmer ab, und er verwandelte sich in winzige Staubpartikel, die wie Glühwürmchen davonflogen. Das war nicht gut. Gar nicht gut.
Der Zirkel existierte seit dem 12. Jahrhundert, mit achtzehn konnte eine Seelenmagierin Mitglied werden. Ich war nicht eingetreten und würde es auch zukünftig nicht tun. Da konnte Selina Montague, die Vorsitzende, sich auf den Kopf stellen. Sie hatte den Zirkel gegründet, kurz nachdem ihre Zwillingsschwester, Stella Montague, von Lazarus Rimmon gefangen genommen worden war. Er hatte damals Stellas Seele geraubt und zersplittert. Selina hatte ihn unbarmherzig gejagt, und es war ihr gelungen, Stellas Seelenstücke zu finden und vor der Dunkelheit und der Verdammnis zu retten. Zwar war Stellas Seele nie wiedergeboren worden, aber wenigstens waren die Splitter in die Ursprungsseele zurückgekehrt.
Jede einzelne Seele, die auf der Erde lebt, ist irgendwann einmal aus dieser Ursprungsseele hervorgegangen, um in einem menschlichen Körper geboren zu werden. Stirbt ein Körper, wandert die Seele weiter in ein Neugeborenes. Die Aufgabe einer Seele ist es, während ihrer verschiedenen Leben Erfahrungen zu sammeln und daran zu reifen. Erst nach eintausend gelebten Leben kehrt sie zurück, um wieder mit der Ursprungsseele zu verschmelzen und diese mit ihrem Wissen zu bereichern.
Stella hatte zwar keine tausend Leben gelebt, aber wenigstens hatten wir sie nicht an die Finsternis verloren, den Ort, an den Seelen gingen, die schwere Schuld auf sich geladen hatten, zerstört oder verflucht waren und deshalb nicht zum Ursprung zurückdurften.
Für ihren Heldenmut wurde Selina seitdem verehrt wie eine Heilige. Denn sie hatte bei dem Kampf mit Lazarus ihre eigene Seele riskiert. Um Stellas Schicksal zu entgehen, lebten Seelenmagierinnen seither in kleinen Gruppen zusammen, denn gegen die geballte Magie von mehreren von uns kam Lazarus nur sehr schwer an, und er war nach wie vor unser größter Widersacher. Jede Seele, die er und seine Jäger sich einverleibten, war für die Ursprungsseele verloren, und damit auch deren Erfahrung und Wissen. Seit Anbeginn der Zeit ist es Aufgabe der Seelenmagierinnen, dies zu verhindern.
Aus der Nähe erklang das müde Rufen eines Basstölpels und riss mich aus meinen Gedanken. Ich sollte schwimmen gehen. Vielleicht verschafften das kalte Wasser und die gleichmäßigen Schwimmzüge meiner aufgeputschten Magie ein Ventil. Hartnäckig ignorierte ich die innere Stimme, die mich warnte, etwas so Unvernünftiges zu tun. Aber ich war verzweifelt. Nachts konnte das Meer tückisch und unberechenbar sein, nur heute war ich bereit, dieses Risiko einzugehen. Ich war eine sehr gute Schwimmerin und danach würde ich mich hoffentlich besser fühlen. Ich zog den Pulli aus und schlüpfte aus meinen Leggings, watete in das kalte Nass, biss die Zähne zusammen und tauchte unter, um dann mit langen Arm- und Beinbewegungen das Wasser zu teilen. Schon nach wenigen Schwimmzügen löste sich meine Anspannung. Die aufgestaute Magie verflüchtigte sich und ließ das Wasser um mich herum in einem warmen Licht glühen. Befreit atmete ich auf, als ich spürte, wie sie aus mir herausfloss. Irgendwann legte ich mich auf den Rücken und ließ mich treiben. Es war so friedlich hier draußen, dass ich am liebsten für immer geblieben wäre. Ich schloss die Augen und genoss die Ruhe, die sich in mir ausbreitete. So lange, bis eine kräftige Welle über mich hinwegspülte. Prustend richtete ich mich auf. Der Strand war ziemlich weit weg und die Strömung hatte mich fast bis zum Ausgang der Bucht getrieben. Wenn ich aufs offene Meer hinausgezogen wurde, kam ich nicht wieder zurück. So viel stand fest. Der Wind hatte aufgefrischt und das Wasser begann sich aufs Meer zurückzuziehen. Einsetzende Ebbe und ein aufgewühltes Meer waren keine geeignete Kombination, um hier draußen zu sein. Mit kräftigen Kraulbewegungen machte ich mich auf den Rückweg. Diese Seite der Insel war für ihre heftigen Gezeitenwechsel bekannt, und auch wenn die Saye Bay geschützt lag, war ich definitiv zu weit vom Ufer entfernt. Aber sosehr ich mich auch anstrengte, immer wieder zog das Wasser mich zurück, und ich kam nur langsam und mit viel Mühe vorwärts. Meine Arme und Beine wurden müde, obwohl ich eigentlich eine sehr ausdauernde Schwimmerin war, allerdings nur, wenn ich vorher nicht zehn Meilen gejoggt war. Eine weitere Welle schwappte über mich hinweg und drückte mich nach unten. Ich schluckte Wasser und musste husten. Ich durfte auf keinen Fall ertrinken. Grandpa würde sich im Grab umdrehen. Er hatte sich viel Mühe mit meinem Schwimmtraining gegeben, weil es ihm so wichtig gewesen war, dass ich nach dem Unfall meine Angst vor dem Wasser überwand, und nun enttäuschte ich ihn mit meiner Unvorsichtigkeit. Von Osten frischte der Wind auf und die Wellen schubsten mich noch stärker herum. Ich versuchte, gleichmäßig zu kraulen, spürte aber die Erschöpfung in jedem Knochen. Also zwang ich mich, langsamer zu...
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