Schweitzer Fachinformationen
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Der Magier reckt eine Hand gen Himmel, die andere weist zur Erde. Eine mächtige Verbindung zwischen den Welten, vor ihm liegt alles, was er für sein Werk braucht. Etwas sehr Bedeutsames nimmt seinen Lauf. Rings um ihn herum beginnen seltsame Blumen zu sprießen.
Man bringt mich in einen kleinen beigefarbenen Umkleideraum, und hier sehe ich sie wieder, diesmal im Spiegel.
Sie ist ungefähr eins achtzig groß. Ich löse das Seidentuch, und ihr Haar fällt mir auf die Schultern wie ein platinblonder Wasserfall. Jede ihrer perfekten Locken fühlt sich spröde an. Ich öffne den Bademantel. Darunter kommt Lulabelles Körper zum Vorschein, nackt und makellos. Ich drehe mich und betrachte sie aus verschiedenen Blickwinkeln. Die Beugung ihrer Knie, die dünnen Knochen ihrer Fuß- und Handgelenke zeugen von großer Kompetenz: Sie sieht aus, als hätte ein erfahrenes und detailverliebtes Expertenteam sie entworfen. Ich rieche an der Innenseite meines Handgelenks.
Die Haut ist völlig geruchslos und leicht feucht.
Ihr Körper ist nicht vollständig. Einige Elemente fehlen.
Meine Handflächen sind so glatt wie die eines Babys. Sogar glatter. Jemand hat mir mal gesagt - nein, jemand hat es Lulabelle gesagt -, man solle sich stets bewusst sein, dass Porträts keine Menschen sind. Daher haben sie keine Handlinien oder Fingerabdrücke. Für den allgemeinen Seelenfrieden.
Ich rufe mir das in Erinnerung, beuge mich dicht vor den Spiegel und kneife mich fest in die Wange. Es tut weh, erzeugt aber keine Rötung.
Ich bin bloß die Kopie des Originals. Obwohl der kopierte Text auf Entfernung wie echte Handschrift aussieht, erkennt man den Unterschied bei näherer Betrachtung.
Der Wikinger wartet geduldig in der Ecke, bis ich meine Begutachtung beendet habe. Er hat den Blick abgewandt, betrachtet ein kleines Gemälde. Ich sehe ihn im Spiegel und frage mich, ob er mir ein wenig Privatsphäre geben will oder nur gelangweilt ist. Vielleicht macht er es ja auch aus Loyalität zu Lulabelle. Vermutlich ist es ihm unangenehm, den eigenen Boss nackt zu sehen. Oder er hat sie schon viel zu oft so gesehen. Zwölfmal, um genau zu sein. Sein dunkler Anzug verwehrt mir die Sicht auf das Gemälde. Ich stelle mir vor, es zeigt eine windgepeitschte Küste.
»Was jetzt?«, frage ich schließlich, und er deutet stumm zu einem Stuhl, auf dem ein Stapel gefalteter Kleidung liegt.
»Ein Polohemd?«, frage ich kritisch, als ich die Sachen durchwühle. »Khakihose? Wieso soll ich Turnschuhe tragen?«
»Sie schützen deine Füße«, sagt er teilnahmslos. »Falls du rennen musst.«
Ich blicke finster drein und ziehe sie an. Als ich wieder in den Spiegel schaue, sieht Lulabelle nicht länger aus wie ein sexy Filmstar, sondern wie jemand, der zweckmäßige Schuhe trägt.
»Hier.« Der Wikinger reicht mir einen Hut und eine Wraparound-Sonnenbrille. »Setz die auf. Bind dein Haar hoch.«
»Ist das meine Verkleidung?«, frage ich. Eigentlich will ich »Kostüm« sagen, aber ich darf nicht vergessen, dass ich keine Schauspielerin mehr bin.
»Deine Augen brauchen Zeit, um sich anzupassen.«
Das ergibt Sinn. Im Tank war es sicher dunkel.
Als ich zum dritten Mal in den Spiegel blicke, sieht mir eine überdurchschnittlich große, kompakte Frau entgegen. Ihr Blick ist ausdruckslos. Allein der Mund verrät noch die Ähnlichkeit zu Lulabelle. Mich überkommt große Angst, dass die Zigarette gelbliche Ablagerungen auf meinen kostspielig gebleichten Zähnen hinterlassen hat. Muss ich mir darüber noch Gedanken machen? Ich trete näher an den Spiegel, um mich zu vergewissern, und im nächsten Moment ist der Wikinger an meiner Seite.
»Das reicht jetzt«, sagt er streng. »Wir müssen los.«
Als wir den Raum verlassen, sehe ich, dass das Gemälde ein großes und recht hässliches blaues Auge zeigt.
Der Wikinger legt mir seine fleischige Hand auf die Schulter und führt mich durch einige Räume und Gänge: eine Treppe hinauf, durch Türbögen, einmal sogar über einen offenen Laufsteg zwischen zwei Gebäuden. Trotz der Sonnenbrille blendet mich das Licht. Ich erhasche kurze Blicke in geschmackvolle, malvenfarbene Räume, sehe stählerne Küchentresen, Glaswände, die einen Ausblick auf säuregrüne Grasflächen bieten. Überall ist es brutal sauber, nirgends ein Anzeichen von Leben. So sauber wie eine Luftschleuse.
Der Wikinger schweigt. Vermutlich ist er an solche kurzen Hausführungen gewöhnt. Ich will ihn fragen, was die anderen gedacht haben. Ob sie auch hierbleiben wollten.
Doch ich bleibe stumm. Mein Instinkt rät mir, nicht mit Angestellten zu plaudern. Nicht weil ich unhöflich sein will, sondern weil es sehr anstrengend ist, in der eigenen Villa, in die man sich vor der Gesellschaft anderer Menschen flüchtet, ständig Smalltalk zu betreiben.
Diesen Gedanken habe ich wohl geerbt, fällt mir auf, aber er fühlt sich trotzdem passend an, so wie eine gebrauchte Jacke, die ja auch nicht weniger wärmt, weil sie zuvor einem anderen gehört hat.
In einem schrecklich hellen Aufzug fahren wir Schulter an Schulter hinab.
»Hier«, sagt er, und als ich den Kopf wende, reicht er mir einen kleinen Plastikkoffer.
Ich nehme ihn entgegen, und meine Arme sacken ein wenig ab, weil er unerwartet schwer ist. Ich öffne die beiden Riegel. Im Inneren liegt eine Pistole, eingebettet in schwarzen Schaumstoff.
Während ich die Waffe beäuge, ertönt ein leises Läuten, dann gleitet die Tür des Aufzugs auf. Vor uns liegt ein unterirdisches Parkhaus, das fast ebenso grell erleuchtet ist. Mir ist klar, das ist unser Zielort, aber keiner von uns steigt aus.
»Da ist auch ein Schalldämpfer drin«, sagt der Wikinger sanft. »Und Munition. Du weißt, wie du sie abfeuerst.«
»Ja«, höre ich mich selbst sagen. Ich glaube, ich weiß, wie das geht. Ein verruchtes Ding, diese Pistole. Eine wunderschöne Arbeit. Das Design ist so effizient, dass ich an Lulabelles Körper denken muss.
Der Wikinger sieht mich an, aber ich blicke weiterhin geradeaus.
»Porträts gehören ihrem Erschaffer, dem Original. Stell es dir wie ein Urheberrecht vor. Lulabelle hat dich autorisiert, die anderen Porträts zu beseitigen. Das ist erlaubt. Wenn du ein Porträt von Dritten ausmusterst, ist das unrechtmäßige Zerstörung von Eigentum. Wenn du einen Menschen tötest, ist das Mord. Am besten versuchst du nichts von beidem.« Seine Stimme wirkt beruhigend, fast wie ein Schlaflied. Sein Redefluss klingt rhythmisch. Vertraut. Ich frage mich, ob er diese Ansprache einstudiert hat.
»Mach ich nicht«, sage ich.
»Kannst du nicht«, korrigiert er mich und reicht mir einen kleinen Silberknopf an einer kurzen Kette.
»Was ist das?«
»Dein Schlüssel. Dein Auto steht in der dritten Parkbucht.«
Ich verliebe mich auf den ersten Blick in das Gefährt. Es ist furchtbar hässlich. Ein seelenloses weißes Monster von einem Wagen.
Er hat absolut nichts Besonderes oder Menschliches an sich. Er wirkt gefährlich wie eine Fabrik im Hochbetrieb oder ein Hai im Meer. Er scheint schnell zu sein. Ich trete ein wenig näher heran, ohne mir meine Vorsicht anmerken zu lassen. Wie ein Tier spürt der Wagen vermutlich meine Panik und greift mich dann an. Ich lege eine Hand auf die Wagenseite und stelle mir vor, das Gaspedal so weit wie möglich durchzudrücken. Male mir das Rauschen der Reifen auf der Straße unter mir aus. Denke daran, über Ampeln hinwegzurasen, die Hupe zu betätigen, und bin überrascht, wie viel Freude mir die Vorstellung macht. Ich kann mich nicht entsinnen, dass Lulabelle je schnell gefahren ist. Eigentlich erinnere ich mich nicht einmal daran, dass sie überhaupt je gefahren ist.
»Er fährt vollautomatisch«, erklärt der Wikinger und hält mir die Tür auf.
Ich klettere hinein, werfe Sonnenbrille und Pistolenkoffer auf den Beifahrersitz und betrachte die komfortable Lederverkleidung. Sie riecht wie frisch von der Fertigungsstraße, und ein warmes Gefühl der Verbundenheit durchströmt mich.
»Wie funktioniert er?«, frage ich. Es gibt keine Bedienelemente, und das Armaturenbrett aus Kastanienholz ist völlig flach.
Der Wikinger beugt sich zu mir und berührt das Armaturenbrett. Ein verborgener Spalt weitet sich und offenbart einen Bildschirm. Grüne Wörter leuchten im Dunkeln auf.
Willkommen, steht da. Wohin soll es heute gehen?
»Kann man ihn auf manuell umschalten?«, frage ich hoffnungsvoll.
»Im Notfall.« Der Wikinger drückt auf einen kleinen, verborgenen Knopf unter der Armatur.
Ein weiteres Paneel gleitet beiseite, und klickend entfaltet sich ein Lenkrad. Ich senke den Kopf und schaue in den Fußraum, wo zwei Pedale ausgefahren sind.
»Ich glaube, ich fahre selbst.« Ich schenke dem Wikinger ein Lächeln, das hoffentlich herablassend wirkt.
»Kannst du versuchen«, erwidert er. »Aber der Wagen lässt dich vielleicht nicht. Die manuelle Einstellung ist nur dazu da, dem Fahrer ein Gefühl der Sicherheit zu geben.«
»Hmpf.« Auf einmal kann ich es gar nicht erwarten loszufahren. »Wäre das alles?«
»Fast.« Zum ersten Mal bewegen sich die Barthaare um seinen Mund, als würde er lächeln. Ich werfe ihm einen alarmierten Blick zu. Zu meiner Erleichterung verändert sich seine Mimik nicht. Vielleicht hat er nur die Zähne zusammengebissen.
»Was?«, frage ich forsch. »Was ist?«
»Im Handschuhfach liegt eine Mappe. Sie enthält alle Informationen, die du brauchst, um die anderen aufzuspüren und zu entsorgen. Ich habe die erste Adresse schon einprogrammiert, alle...
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