Schweitzer Fachinformationen
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Montag, 1. August. Ich erwachte mit unerwartet klarem Kopf, trotz der am Vorabend genossenen Mengen an Alkohol. Voller Entschlossenheit ging ich hinunter in den Rezeptionsbereich, um nach den englischsprachigen Morgenzeitungen zu schauen. Aber die Story hatte es weder auf die Titelseiten geschafft, noch wurde im Innenteil darüber berichtet. Es schien keinen zu interessieren, und ich konnte nicht verstehen warum.
Aber dann fiel mir der japanische Sinn für Anstand ein, für das, was sich geziemt. Investigativer Journalismus, Facta einmal ausgenommen, schien hier wie mit einem Bann belegt, fast so als ob illegale Geschäftspraktiken am besten unkommentiert blieben.
Wir nahmen einen Mietwagen zurück in die Stadt, um sicher zu sein, dass ich noch vor Beginn des Geschäftstages im Büro war. Bevor wir Shinjuku erreichten, setzte ich meine Freunde ab, mit denen ich an den heißen Quellen gewesen war, und wir vereinbarten, in engem Kontakt zu bleiben und uns gegenseitig auf dem Laufenden zu halten, bei Bedarf stündlich. Als ich den 15. Stock erreichte, empfing Michiko mich mit meinem normalen Büro-Frühstück: Caffè Latte und ein Croissant mit Rührei. Die tägliche Routine ging einfach weiter, ohne jeden Hinweis, dass etwas außerhalb der Norm liegen könnte – Business as usual. Zur Mittagszeit konnte ich es dann nicht mehr aushalten. Ich musste einfach mit irgendjemandem reden und bestellte zwei japanische Kollegen in mein Büro, von denen ich wusste, dass ich ihnen trauen konnte.
„Haben Sie das hier gesehen?“, erkundigte ich mich und hielt das Magazin hoch. Mit eingeschüchtertem Gesichtsausdruck gaben beide zu, dass sie es kannten. Sie seien aber instruiert worden, es mir nicht zu sagen.
„Von wem?“, fragte ich.
„Von Kikukawa-San.“
In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Die Antwort meiner Vertrauten war zutiefst beunruhigend gewesen. Während ich mich im Bett wälzte, beschloss ich, Kikukawa am nächsten Tag zur Rede zu stellen. Schließlich hatte auch ich meinen Sinn für Anstand, für Richtig und Falsch, und ich verspürte die Pflicht zu handeln. Wir konnten hier doch nicht einfach nur herumsitzen und Facta ignorieren. Irgendwer musste doch etwas tun.
Am Dienstag hatte ich um acht Uhr morgens ein Treffen mit dem Vorstandsvorsitzenden eines großen nationalen Kamera-Einzelhändlers, um den allein Kikukawa und ich uns kümmerten. Ich traf in meiner schwarzen Lexus-Limousine vor dem Büro des Kunden ein, Kikukawa in seiner: Wir stellten den Pomp unserer geballten Macht zur Schau. Es war nur ein flüchtiges Treffen, das mit geübter Routine über die Bühne ging. Unser verehrter Gastgeber wusste nichts von eventuellen Missstimmungen zwischen seinen Besuchern und bedachte uns am Ende des Gesprächs mit Geschenken. Das Überreichen von Zeichen der Wertschätzung ist in Japan gängige Praxis, ein Teil der Geschäftskultur. Er schenkte uns Eintrittskarten für ein anstehendes wichtiges Baseballspiel, zwei für mich, zwei für Kikukawa. Das Vielen Dank hatte noch kaum meine Lippen verlassen, als Kikukawa schon mit einer Geschwindigkeit vorschnellte, die ich ihm mit seinen 70 Jahren gar nicht zugetraut hätte, und mir die zwei Tickets aus der Hand nahm.
„Er wird die nicht brauchen, weil Michael Baseball nicht mag“, erklärte er dem Vorstandschef. „Er ist Brite, er sieht lieber Fußball.“ Meine zwei Tickets gesellten sich zu seinen und alle vier verschwanden in der Brusttasche seiner Anzugjacke. Diese Unhöflichkeit ärgerte mich. Beim Abschied erwiderte der Einzelhandelsboss Kikukawas knappes Lächeln mit seinem eigenen. Als wir das Gebäude verließen, rechnete ich ein wenig damit, dass Kikukawa nun vorschlagen würde, wir sollten zusammen einen Kaffee trinken gehen, um über die Enthüllungen des Facta-Artikels zu sprechen.
Das tat er aber nicht. Unsicher, wie ich jetzt richtig vorgehen sollte, in einer Situation, in der man plötzlich alle um einen herum der Verschwörung verdächtigt, rief ich von meinem Auto aus Michiko an, um sie zu bitten, ein dringendes Treffen mit Kikukawa und seiner „rechten Hand“, Senior Vice-President Hisashi Mori, zu vereinbaren. Innerhalb von zehn Minuten rief sie zurück und erklärte mir: „Michael, Mr Kikukawas Sekretärin hat mir gesagt, er sei heute sehr beschäftigt und könne sich höchstens zum Mittagessen mit dir treffen.“
Ich betrat den Konferenzraum. Da saßen die beiden Männer bereits, in der düsteren Umgebung beigefarbener Wände und dunklen Holzes. Wie ein Relikt aus den 70er-Jahren strahlte dieser Raum mit seinen zugezogenen Fenstern, die wohl zu viel natürliche Lichtzufuhr verhindern sollten, eine schwere und bedrückende Atmosphäre aus. Ich hatte diesen Raum noch nie gemocht.
Auf dem langen Tisch stand vor ihnen eine wunderbare Sushi-Platte; an dem Platz, der eindeutig mir zugedacht war, stand nur ein traurig aussehendes Thunfisch-Sandwich, etwa von der Sorte, wie man es an einem Vorortbahnhof am Kiosk finden würde. Ich liebte Sushi, wie die beiden ganz genau wussten. Das war schon mehr als ein Wink mit dem Zaunpfahl. Egal, ich hatte eh keinen großen Hunger. Irgendein Spiel wurde hier gespielt, und niemand wollte mir die Regeln erklären. Die würde ich im Laufe des Spiels selber herausfinden müssen.
Ich wurde zunächst einigermaßen herzlich willkommen geheißen, aber die gute Stimmung kippte schon nach einer Minute, als ich nach freundlicher Erwiderung der Begrüßung die Facta-Ausgabe vor mir auf den Tisch legte, mit ihrer Headline „Gewaltige versteckte Verluste durch abenteuerliche Übernahme“. Ich hielt das Heft in die Höhe und begann: „Diese Geschichte hier, auf die mich verschiedene Leute aufmerksam gemacht haben, macht mir richtig Sorgen. Wie Sie wissen, habe ich hier vor Ort neben einigen Freunden auch etliche Kontakte in gehobenen Geschäftskreisen und der Botschaft.“ Mit dieser Bemerkung wollte ich nur die Hintergründe verwischen und hoffte, die Frage zu vermeiden, wer mich denn auf die Enthüllungen des Magazins aufmerksam gemacht hätte. Ich wollte keineswegs etwa selbst um den heißen Brei herumreden. Kikukawa sagte nichts, wohl spürend, dass ich gerade erst angefangen hatte. Ich verweilte bei der Überschrift und blätterte dann, ohne etwas zu sagen, aber mit einigen hörbaren Seufzern, langsam durch den Artikel zu Olympus. Der ausführliche Sonderbericht zeigte das Bild eines besonders finster blickenden Kikukawa, das ihn, wie ich fand, aussehen ließ wie Doctor Evil. Ich zeigte auf das Diagramm, das die seltsamen und verschlungenen Pfade dieser Übernahmen nachzeichnete. Es gab auch das Foto eines Schildes vor dem Gebäude, das die Zentralen der drei „Micky-Maus“-Gesellschaften beherbergte, und das die Logos der Unternehmen sowie das Olympus-Logo gemeinsam zeigte. Mit ausgesucht ruhiger Stimme fragte ich: „Warum hat mir niemand davon erzählt?“ Nach einer Pause fuhr ich fort: „Die Anschuldigungen hier drin sind wirklich ernst.“
Bemüht freundlich antwortete Kikukawa: „Michael, ich habe die Mitarbeiter in der Führungsetage gebeten, Ihnen nichts davon zu erzählen.“ „Aber warum, Tom?“, fragte ich. „Weil Sie der hart arbeitende Vorstandsvorsitzende sind und viel zu beschäftigt, um mit solchen internen Angelegenheiten belästigt zu werden“, antwortete er.
Das war nicht, was ich hören wollte. Erneut tief seufzend sagte ich: „Tom, ich muss mit allen kommunizieren, die Interesse an unserem Unternehmen haben. Ich bin gerade erst zurück von unserer Investor-Relations-Kampagne, bin dabei in New York, Boston, Paris und London gewesen und habe mich mit unseren Investoren in Übersee und potenziellen neuen Investoren getroffen. Dasselbe habe ich auch hier in Japan gemacht.“ Kikukawa neigte seinen Kopf und schaute verwirrt und besorgt. Ich fuhr fort: Als Vorstandsvorsitzender des Unternehmens hätte ich über so etwas doch wohl zumindest kurz informiert werden müssen, oder? Das sind doch immerhin ausgesprochen schwere Anschuldigungen.“ Es entstand unbehagliche Stille, dann fragte ich mit tonloser Stimme: „Sind sie wahr?“
Kikukawa nickte: „Einige davon, ja.“
„Welche sind denn wahr, Tom?“
„Nun ja“, antwortete er, ein Musterbeispiel für ausweichendes Verhalten, „wir haben in der Tat einige Rückstellungen vorgenommen. Es gab einige Abschreibungen auf die Übernahmen.“
Das war alles höchst unpräzise.
Ich beobachtete, wie sein Gesicht, eingerahmt von der dicken Brille, die ihm schwer auf der Nase ruhte, einen aussichtslosen Kampf um die Aufrechterhaltung eines Lächelns führte. Die Wachsamkeit in seinen Augen entsprach der Spannung im Raum. Ich drängte auf weitere Einzelheiten. Es kamen keine.
Ich wandte meinen Blick Mori zu, dessen Gesicht unter den dicken schwarzen Augenbrauen und dem weichen weißen Haarschopf ausdruckslos war. Mori starrte wie gelähmt vor sich hin.
Das führte zu nichts. Ich beharrte darauf, dass ich mehr erfahren müsse, und erklärte mich einverstanden, mich nach einer zehnminütigen Toilettenpause...
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