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Auf die Woge von Gefühlen, die sie überschwemmte, als sie ihn dort stehen sah, wie aus ihren Gedanken entsprungen, war Charlotte nicht vorbereitet.
Die Liebe, die sie einst für diesen Mann empfunden hatte - eine tiefe, verzweifelte Liebe, nun schon so lange begraben -, kehrte machtvoll zurück, gewaltig wie ein Monsun in Singapur.
»Hallo, Liebes«, hatte er gesagt, und ihr Herz setzte für einen Moment aus. Er nannte sie »Liebes«. Aber dann fiel ihr ein, daß die Ladeninhaber in London, wenn sie einem das Wechselgeld zurückgaben, auch immer sagten: »Hier, Liebes.«
Sie mußte mit aller Kraft an sich halten, um sich nicht in seine Arme zu werfen. Beim Anblick des vertrauten Lächelns fand sie sich jäh in die Zeit zurückversetzt, als sein Mund den ihren zum ersten Mal berührt hatte. Sie und Jonathan hatten in seinem Geheimversteck gesessen, und er hatte geweint. Als sie ihn mit den Worten »Mach dir keine Sorgen, Johnny« getröstet und ihn ungeschickt umarmt hatte, hatten ihre Lippen sich irgendwie getroffen. In dieser Sekunde hatte die fünfzehnjährige Charlotte zwei schmale hohe Kerzen vor sich gesehen, wie Fackeln, die sich zueinander neigten, bis sie zu einer einzigen Flamme verschmolzen, heiß und verzehrend.
Nach diesem jugendlichen Kuß voller Leidenschaft hatten sie und Jonathan sich atemlos voneinander gelöst, weil sie beide die Grenze erkannt hatten, an der sie standen, und sich davor fürchteten. Aber Charlotte hatte das Gefühl gehabt, nur noch die Hälfte dessen zu sein, was sie Augenblicke zuvor noch gewesen war. Es war, als hätte erst Johnny sie zu einem Ganzen gemacht. Ohne ihn würde sie sich nie wieder als Ganzes fühlen.
Und auch Johnny hatte es so empfunden. Er hatte es nicht gesagt, weil Johnny nie fähig gewesen war, seine Gefühle in Worte zu fassen. Aber seine Augen sagten alles. Sie wußten es beide. Charlotte und Jonathan waren verwandte Seelen, und in ihrer Welt konnte es nie andere Menschen geben.
»Ich weiß, ich hätte erst anrufen sollen, ob du meine Hilfe überhaupt willst«, sagte er mit einem dunklen, schwermütigen Blick, der sie an die Leidenschaft vergangener Zeiten erinnerte. »Aber ich dachte, vielleicht lehnst du meine Hilfe ab, und dann hätte ich trotzdem kommen müssen, und es wäre alles ganz peinlich gewesen.«
Er ist sehr britisch geworden, dachte Charlotte. Als ob er es bewußt darauf angelegt hatte. Sie erinnerte sich daran, wie er sich gegen die Versuche seines Vaters gewehrt hatte, ihn zu einem richtigen Amerikaner zu machen, obwohl Jonathan Sutherland rein technisch gesehen Amerikaner war - so stand es in seiner Geburtsurkunde. Ihr fiel ein, daß es das erste war, was sie über ihn erfahren hatte: daß sein Herz nicht für diesen Erdteil schlug. Deshalb hatte sie sich in ihn verliebt.
»Woher wußtest du, daß ich Hilfe brauche?«
Jonathan schloß die Tür hinter sich, zog den nassen Regenmantel aus und antwortete: »Ich gucke Fernsehen. Als ich von den Todesfällen hörte, habe ich ein paar Telefongespräche geführt.« Ein kurzes, schiefes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Ich habe immer noch Freunde bei der Agentur. In den ersten beiden Fällen scheint die Verpackung nicht beschädigt gewesen zu sein, bevor die Opfer sie öffneten. Eine vorläufige Grobanalyse der unverdauten Produkte ergab, daß der gesamte Inhalt der Packungen verändert worden war, nicht nur das, was die Opfer zu sich genommen hatten. Ich betrachte das als deutlichen Hinweis dafür, daß die Produkte bereits hier im Werk manipuliert worden sind. Nun weiß ich zufällig«, er stellte seine schwarze Nylonreisetasche auf ihren Schreibtisch und öffnete den Reißverschluß eines Seitenfachs, »daß die chemische Verarbeitung und Herstellung hier bei Harmony vollständig computerisiert ist .«
»Du hast deine Hausaufgaben gemacht«, sagte sie, verblüfft, wie sehr er immer noch die Fähigkeit besaß, die Dinge in die Hand zu nehmen - ein richtiger Mann.
»Darum werden wir den Täter, oder zumindest seine Spuren, irgendwo in eurem Datensystem finden. Und da ich zufällig der absolut beste Computerdetektiv auf diesem Erdball bin .«
»Kannst du es besser als ein Team von Bundesagenten?«
Jonathan lachte auf. »Die Kerle können nicht mal eine Festplatte von einer Schallplatte unterscheiden. Also gut. Was kannst du mir noch über den Fall erzählen?«
Sie sah seinen herausfordernden Blick und verstand, daß es bei Jonathans Erscheinen hier um weit mehr ging als um die Suche nach einem Killer. Jonathan hatte sechsundzwanzig Jahre Geschichte mitgebracht - ihre gemeinsame Geschichte. Charlotte spürte die plötzliche Angst, daß sie im Begriff waren, ein sehr gefährliches Raubtier von der Kette zu lassen.
Sie wollte sagen: »Ich bin froh, daß du gekommen bist.« Aber die Worte kamen ihr nicht über die Lippen. Statt dessen erzählte sie ihm alles, was sie wußte, auch von dem Unfall in der Garage, und dann zeigte sie ihm die E-Mails.
Finster betrachtete er den Bildschirm. »Wer wußte von der Sache mit der Garage?«
»Meine Haushälterin und ihr Mann. Ich habe es auch Desmond erzählt. Aber jemand könnte uns belauscht haben. Es war bestimmt ein Unfall, Jonathan, und dieser Mensch will mir einfach nur Angst machen.«
Sein Blick war ausdruckslos. »Wozu soll diese öffentliche Erklärung dienen, die du innerhalb von zwölf Stunden abgeben sollst?«
Charlotte studierte sein Profil und erinnerte sich an eine Zeit, in der Jonathan seine große Nase peinlich gewesen war. Aber natürlich war er mit der Zeit in sie hineingewachsen und hatte zudem noch ein kräftiges Kinn und eine Stirn bekommen, die sie immer sexy gefunden hatte. Sein dunkelbraunes Haar war nach wie vor dicht und ohne jegliches graues Haar, obwohl er in Kürze vierzig werden würde. Sein Körper machte einen durchtrainierten Eindruck. »Erpressung, nehme ich an«, antwortete sie und merkte, wie das alte Verlangen in ihr aufwallte. »Eine solche Erklärung würde meine Firma ruinieren. Der Kerl hofft zweifellos, ich würde ihm anbieten, mich freizukaufen.«
»Und die Todesursache beim dritten Opfer, die Gehirnblutung . du bist sicher, daß niemand davon weiß?«
»Agent Knight hat mir gesagt, daß er diese Information zurückhalte. Ich habe nicht einmal Desmond davon erzählt. Wer also außer dem Killer könnte davon wissen?«
»Es gibt Wege, auch an geheime Informationen heranzukommen«, versetzte Jonathan nachdenklich, den Blick auf den Monitor geheftet. »So, so«, sagte er leise. »Desmond ist also immer noch in der Firma?«
»Er ist Vorstandsmitglied.« Charlotte dachte an die erbitterte Rivalität, die zwischen Jonathan und ihrem Cousin geherrscht hatte. Wie oft mußte sie damals Frieden stiften!
»Gibt es eine Möglichkeit, diese Briefe zurückzuverfolgen?« fragte sie.
»Nein. Sie sind über einen anonymen Provider gekommen. Es ist so gut wie unmöglich, ihren Weg zum Absender zurückzuverfolgen.« Er sah sich im Büro um. »Wer könnte hier hereinkommen und deinen Computer anstellen?«
»Praktisch jeder. Er braucht nur zu wissen, wo die Schlüssel liegen.«
»Wer kennt dein Paßwort?«
»Keiner außer mir, und es gibt keine Möglichkeit es herauszufinden. Ich habe es nirgends aufgeschrieben.«
Sie bemerkte, wie Jonathan aufmerksam ihr Büro musterte, als suche er nach Hinweisen und Antworten. Sie erinnerte sich daran, daß er schon immer so gewesen war und in seiner Umgebung nach Antworten gesucht hatte, die am Ende meist aus seinem eigenen Inneren kamen. Sie bemerkte, daß seine Augen auf dem geöffneten Wandsafe ruhten, worin der in Leder gebundene Gedichtband zu erkennen war. Und in seinem Blick flackerte etwas auf, was Charlotte für einen Moment erschrecken ließ: es schien ihr, als sei es tiefer Schmerz. Aber das konnte nicht sein. Sie war diejenige gewesen, der man weh getan hatte.
Sie beobachtete ihn, wie er sich mit langen, eleganten Fingern das nasse Haar zurückstrich, und dachte an den unschuldigen Anfang ihrer Liebe, damals, als sie unzertrennlich gewesen waren, zwei Kinder, die gemeinsam vom Sprungbrett hüpften oder einander umarmten, atemlos vor Lachen, Jonathans Finger um ihr Handgelenk, als er sie endlich an seinen erstaunlichen und geheimen Ort führte. Damals waren sie dreizehn gewesen, vierzehn, fünfzehn.
Für einen Augenblick wäre Charlotte an diesem stürmischen, alptraumhaften Abend, an dem das Licht flackerte und es überall nur so von Bundesagenten wimmelte, am liebsten in den Schatten der Golden-Gate-Brücke zurückgekehrt, um dort zu sitzen und die Schiffe zu zählen, während Jonathan ihr ein Armband aus Gras flocht. Aber als sie sah, wie er gekleidet war - der maßgeschneiderte Anzug aus London, das Hemd mit den französischen Manschetten und die perfekt geknotete Seidenkrawatte -, wurde sie in die schmerzhafte Wirklichkeit zurückgeholt. Was hatte sie denn erwartet - zerrissene Jeans und ein Grateful-Dead-T-Shirt? Den Jonathan gab es nicht mehr. Dieser Jonathan jetzt, wohlhabend und erfolgreich, war ein Fremder. Es würde kein Zurück mehr geben.
Er drehte sich um und wollte etwas sagen. Doch als er innehielt und sie mit ernsten Augen ansah, wußte Charlotte, daß auch er an die Vergangenheit dachte.
Er streckte den Arm aus und berührte den Anhänger ihrer Kette, der auf ihrer Brust lag. »Du trägst ihn immer noch.«
»Damit ich mich immer daran erinnere.« Jonathan war der einzige Mensch, der die Wahrheit über ihr Verschwinden in jenem Sommer kannte, damals, als sie fünfzehn gewesen war. Er war auch der einzige, der wußte, was das Medaillon enthielt.
Er...
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