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Der erste Schritt war getan. Es war ihm ein Leichtes gewesen, das Schloss zu öffnen. Diese Fertigkeit hatte er bisher immer verheimlicht, niemand ahnte davon. Vielleicht waren sie deshalb so nachlässig geworden. Ja, sie wussten vieles nicht über ihn und zeigten auch kein Interesse daran.
Die Verbitterung über seine Gefangenschaft hatte die Erinnerung an eine Zeit davor fast vollständig ausgelöscht. Vom ersten Tag an erwartete ihn der immer gleiche Ablauf - kein Unterschied, ob es sich um Arbeitstage, Wochenende oder Feiertage handelte. Täglich feste Mahlzeiten, kontrollierter Freigang. Der Wunsch, dem zu entrinnen, war mit jedem dieser wiederkehrenden Tagesverläufe stärker geworden. Sein Plan war gereift, als er von der Veranstaltung erfuhr. Er wusste, dass es hier einen Moment geben würde, in dem die Aufmerksamkeit gering war. Diesen Augenblick hatte er genutzt. Dass es bei seiner Flucht Opfer gegeben hatte, tat ihm leid, war aber nicht zu ändern. Er hielt sich nicht lange mit reumütigen Gedanken auf. Sein Blick schweifte über die nur spärlich beleuchteten Flure, in denen er im Notlicht gerade noch die weiteren Verliese ausmachen konnte. Die anderen schienen ihn gar nicht zu bemerken, schliefen oder taten zumindest so. Keiner schlug Alarm. Noch war er nicht ganz frei, doch er hatte seinen Plan. Wenn der Wachmann käme, würde er ihn austricksen, und mit etwas Glück würde es keine weiteren Verluste geben. Es konnte nicht mehr lange dauern, sein Zeitgefühl trog ihn selten - er brauchte keine Uhr.
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Socke tat es nur ungern, aber er musste Suleika recht geben. Seine Pfoten waren eiskalt, und so langsam begann er zu frieren. Und wo er schon mal beim »Rechtgeben« war, Mikeys Einschätzung entsprach ebenfalls der Realität. Es wär öde und langweilig hier. Das einzig Spannende war der Weg zum Messegelände gewesen. Socke hatte den Fußgängerüberweg über die Hermesallee, eine vierspurige Straße, genommen. Mit wohligem Gruseln hatte er eine ganze Weile die vielen Autos beobachtet, die direkt vor seinen Augen und doch in sicherer Entfernung unter ihm vorbeigerast waren. Autos stellten für ihn die ärgsten Feinde dar, war es doch ein solches Ungetüm gewesen, das damals seinen Unfall verursacht und ihn fast das Leben gekostet hätte. Der gelähmte Schwanz war da ein kleiner Preis im Tausch gegen die Ewigkeit gewesen.
Eine gewisse Herausforderung hatte es dann noch dargestellt, auf das eigentliche Messegelände zu kommen, das von hohen Zäunen und Mauern umgeben war. Doch der sprunggewandte und klettergeübte Kater meisterte auch dieses Hindernis. Hinter der Einfassung empfingen Socke Asphalt und Beton. Die riesigen Gebäude verfügten nur über wenige und sehr kleine Fenster, die zudem so hoch waren, dass man sie nur schwer erreichen konnte. Er versuchte es ein paarmal und riskierte einen Blick ins Innere der Hallen, aber das Ergebnis war enttäuschend. In keiner entdeckte Socke Tiere, vielleicht mal von Spinnen abgesehen. Nicht einmal eine Maus ließ sich blicken, nur leblose Gegenstände oder gähnende Leere. Seine Nase sagte ihm an der einen oder anderen Stelle der asphaltierten Wege, dass sich noch vor Kurzem Menschen dort befunden hatten, von Tieren oder gar von den Rassekatzen, die Chris beim Abendessen erwähnt hatte, fand er keine Spur.
Dabei waren es hauptsächlich diese erwähnten Rassekatzen, die Socke aufs Messegelände getrieben hatten. Der Kater hatte kaum noch eine Erinnerung an seine eigene kleine Familie, von der er nach seinem Unfall getrennt worden war. Man hatte ihn im Tierheim medizinisch versorgt und damit sein Leben gerettet, doch als er wiederhergestellt war, hatten sowohl seine Mutter als auch seine beiden Geschwister bereits ein neues Zuhause gefunden. Über seine Herkunft wusste Socke demzufolge nur das Wenige, was seine Mutter ihm vor ihrer Trennung erzählt hatte - »sein Name war Hashiro. Er kam aus gutem Hause, hat sogar bei Ausstellungen Preise gewonnen«, hatte sie über seinen Vater gesagt - und was er aus den Gesprächen der Menschen aufgeschnappt hatte. Unter anderem war ihm da eine Unterhaltung zwischen den Tierpflegern im Gedächtnis geblieben: »Bei der Narkose war er schnell weg«, wusste die dunkelhaarige Alexa über Socke zu berichten, »da muss eine Rassekatze drin sein, die Wilden brauchen immer eine höhere Dosis.« - »Ich tippe auf einen Orientalen«, war die Antwort von Arno gewesen, »er ist ziemlich gesprächig und von der langgliedrigen Statur käme es auch hin.« Was genau ein Orientale war, hatte Sockes Lieblingspfleger leider nicht ausgeführt, aber seither dachte er oft darüber nach. Wie vielen Menschen, war es auch ein Bedürfnis des Katers, seine Wurzeln zu kennen. Und so war es nicht nur die reine Neugier gewesen, die ihn heute hierher verschlagen hatte.
Er horchte auf. Irgendwo hörte er Stimmen. Ein Mann und eine Frau. Tonfall und Lautstärke nach zu urteilen, führten sie kein angenehmes Gespräch. Socke beschloss, in die Richtung der beiden zu gehen, und gelangte auf eine breitere Straße mit Bäumen in der Mitte. Hier hatten zumindest ein paar Hunde ihre Markierung hinterlassen, aber nichts von Bedeutung. Nur der alberne hündische Drang, sich überall zu verewigen. Socke rümpfte verächtlich die Nase. Die menschlichen Stimmen verstummten.
Zu allem Übel begann es jetzt auch noch zu schneien. Der Kater spazierte zwischen zwei Gebäuden hindurch auf der Suche nach einem trockenen Plätzchen, als er Schritte näherkommen hörte. Er drückte sich eng an die Wand. In einer tierfreien Zone wie dieser war er als Kater sicher nicht gerne gesehen. Doch die Sorge, entdeckt und verjagt zu werden, war unbegründet. Der Mann, der an ihm vorbeihastete, hatte keine Augen für seine Umgebung. Er schien ebenfalls dem Schneetreiben entfliehen zu wollen und eilte zielstrebig um die nächste Häuserecke. Socke folgte in einigem Abstand und erblickte endlich ein erleuchtetes Fenster. Der Mann verschwand im zugehörigen Gebäude, und der weißpfotige Kater schwang sich auf das Fenstersims. Hier drang etwas Wärme nach draußen und er saß einigermaßen geschützt. Er wartete, dass das Schneetreiben nachließ, und beobachtete, wie der Mann und ein weiterer sich im Inneren an einer zischenden Maschine zu schaffen machten. Das Ergebnis waren zwei Becher mit einer dampfenden braunen Brühe. Kaffee, wie Socke vermutete. Die Männer schlürften mit sichtlichem Wohlbehagen. Der Kater konnte nicht verstehen, was die Menschen an diesem Getränk fanden, aber überall wurde es konsumiert. Peter machte da keine Ausnahme, ohne seinen morgendlichen Kaffee war er nicht zu gebrauchen, wie er selber behauptete. Einmal hatte Socke versucht herauszufinden, was es mit diesem Zaubertrank auf sich hatte. In einem unbeobachteten Moment war er auf den Frühstückstisch gesprungen und hatte sich an Peters Tasse zu schaffen gemacht. Leider war der genau zu diesem Zeitpunkt in den Raum gekommen, und bei dem Versuch, den Kater zu verjagen, hatte sich ein Großteil der braunen Brühe über Socke ergossen. Der Kater schüttelte sich bei dem Gedanken daran. Das Zeug war nicht nur heiß, sondern auch bitter wie Mäusegalle. Da half es auch nicht, wenn die Menschen es mit Zucker (überhaupt nicht sein Ding) oder Milch (lecker, aber für Katzen schwer verdaulich) versetzten.
Simon Hertrich blickte von seinem Handy auf. Es hatte zu schneien angefangen. Eigentlich mochte er Schnee, doch solange er im Dienst war, galt winterliches Wetter als Störfaktor. Simon arbeitete als Straßenbahnfahrer bei den Hannoverschen Verkehrsbetrieben, und sein Beruf machte ihm großen Spaß. Nachtdienste so wie heute störten ihn nicht. Die Bezahlung war gut, und mit seinen 27 Jahren verkraftete er unterschiedliche Tagesrhythmen noch problemlos. Er wusste durchaus, dass ältere Kollegen mehr Schwierigkeiten hatten, die Nacht sozusagen zum Tag zu machen. Vor allem wechselnde Schichten gingen vielen an die Substanz. Er dagegen genoss die Nachtarbeit sogar. Vor allem am Wochenende, wenn die Nachtschwärmer unterwegs waren, gab es immer was zu sehen. Aber ein verschneiter Nachtdienst konnte Stress bedeuten. Gerade wurde über Funk ein Unfall auf der Hildesheimer Straße, Höhe Döhrener Turm, gemeldet. Das lag auf seiner Strecke. Er hoffte, dass der Straßenbahnverkehr dadurch nicht beeinträchtigt werden würde. Der Kollege, der die Meldung durchgegeben hatte, konnte dazu noch keine Aussage machen.
Um auf andere Gedanken zu kommen, widmete Simon sich wieder seinem Handy und las lächelnd die letzte Nachricht, die vor einer knappen Stunde eingetroffen war. Sabrina hatte seinem Vorschlag, sich zu treffen, zugestimmt. Sie hatten sich gestern in der Disco am Raschplatz kennengelernt. Die zierliche Blondine studierte eigentlich BWL, verdiente sich in den nächsten Tagen aber ein paar Euro als Messehostess dazu. Simon hatte sie vor einem zudringlichen Betrunkenen quasi gerettet, und so waren sie ins Gespräch gekommen. Für morgen, nein, schon heute, waren sie auf der ABF zu einem Kaffee verabredet. Da sie zurzeit beide in Messenähe arbeiteten, lag der Treffpunkt nahe. Gut gelaunt steckte er sein Mobiltelefon weg und sah in den Rückspiegel. Eine einzelne Frau näherte sich dem Bahnsteig, die Kapuze ihres roten Mantels zum Schutz gegen die Schneeböen tief ins Gesicht gezogen. Hier an der Endstation der Linie 8, der Haltestelle Messe Nord, stiegen um diese Uhrzeit selten Gäste zu. Am ehesten fanden sich zum Ende einer Messe hin, wenn die sogenannten »Standfeten« stiegen, noch späte Fahrgäste ein. Heute blieb es bei der einzelnen Dame. Simon setzte den Blinker und fuhr los.
Socke wusste nicht, wie lange er schon hier saß. Die Männer hinter der Scheibe hatten...
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