Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Die wissenschaftliche Aufdeckung der Grundlagen der Entstehung und der Kontrolle des motorischen Verhaltens - worum handelt es sich, wenn sich Menschen bewegen - interessiert seit mehr als 2.000 Jahren unter vielschichtigen Perspektiven und wechselnden Welt-, Menschen- und Wissensbildern die Philosophie, Psychologie, Biologie, Medizin, Neurologie, Biomechanik, Informatik, Arbeitswissenschaft und nicht zuletzt die Bewegungswissenschaft. An der komplizierten Suche nach der bewegungskoordinierenden Instanz beteiligen sich neben Bewegungswissenschaftlern vor allem Biologen, Neurologen und Psychologen. In jüngster Zeit untersuchen Wissenschaftler der künstlichen Intelligenz und der Robotik die zentralnervöse Autonomie des motorischen Verhaltens. Das Hauptaugenmerk gilt der Entwicklung leistungsfähiger Steuerungsprogramme für in alltäglichen Situationen eigenständig handelnde künstliche Wesen. Die Medizin und die Arbeitswissenschaft betrachten alltags- und berufsbezogene Bewegungen in erster Linie hinsichtlich des ökonomischen und präzisen Zusammenwirkens der körperinternen motorischen Kontrollprozesse und der muskulären Ausführungsorgane. Die Biomechanik analysiert motorische Leistungen auf der Grundlage biologischer und physikalisch-mechanischer Befunde und Untersuchungsmethoden.
Die Geschichte der Bewegungswissenschaft - von der griechischen Antike bis zum 21. Jahrhundert - lässt, wenn nicht alle historischen Wurzeln und Verzweigungen berücksichtigt werden, fünf aufeinander folgende gedankliche Hauptstränge erkennen:
Die Anfänge der Erforschung willkürlicher Bewegungen finden sich nach MECHLING (2003) in der klassischen griechischen Philosophie. Als die alleinige Bewegungsursache gilt bei PLATON (427-347 v. Chr.) die unsichtbare, nicht materiale "Individualseele", während dem Körper - dem "Kerker der Seele" - eine passive Rolle zukommt. Derartige idealistische, philosophisch-religiös begründete Wahrheitsansprüche über das Seele-Körper-Verhältnis halten Philosophen bis ins späte Mittelalter aufrecht.
Erste naturwissenschaftliche Bewegungsanalysen gehen auf den bekanntesten Philosophen des Mittelalters, Thomas VON AQUIN (1224-1274), zurück. Als die entscheidenden Antriebe für die physikalisch-mechanische Analyse der Bewegungsursachen gelten die Anatomie- und Bewegungsstudien des Universalgenies der Hochrenaissance, Leonardo DA VINCI (1452-1519: Bewegungsstudien von Tieren und Reitern, anatomische Studien der Skelettmuskulatur usw.), die biomechanischen Entdeckungen des Naturforschers Giovanni BORELLI (1608-1679: Hebelwirkung der Skelettmuskulatur, Bestimmung des menschlichen Körperschwerpunkts usw.; vgl. Lektion 10) und die drei Axiome über die Gesetzmäßigkeiten der Dynamik fester Körper von Isaac NEWTON (1643-1727; vgl. Lektion 10).
Die Ausdifferenzierung der Naturwissenschaften, der technologische Fortschritt und das zunehmende Interesse des Sports an wissenschaftlichen Kenntnissen über die Körperhaltung, Bewegung und Motorik des Menschen fördern zu Beginn des 20. Jahrhunderts die neuzeitliche, naturwissenschaftlich ausgerichtete Bewegungsforschung. Eine hohe Präferenz erlangen äußere biomechanische Messverfahren zur Analyse des zeitlich-räumlichen Verlaufs der Ortsveränderung des menschlichen Körpers (z. B. Fotografie, Bildreihen, Lichtspuraufnahmen; MUYBRDGE, 1887; BRAUNE & FISCHER, 1904, 1987) und die auf das Körperinnere ausgerichteten elektrophysiologischen Untersuchungsmethoden (Elektromyografie: WACHOLDER, 1928, vgl. Lektion 11; Elektroenzephalografie: BERGER, 1938, 1991). Bereits in den Anfängen der wissenschaftlichen Bewegungsforschung erfahren die einseitig ausgerichteten physikalisch-mechanischen Vorstellungen über die motorische Kontrolle scharfe Kritik von Seiten erkenntnistheoretischer, den Ganzheitscharakter menschlicher Bewegungen betonender Erklärungsansätze (vgl. EHRENFELS, 1890; KÖHLER, 1921).
Einen bedeutsamen Einfluss auf die empirische Bewegungsforschung nimmt ab den 50er Jahren der kybernetische Erklärungsansatz des russischen Physiologen und Biomechanikers Nikolai BERNSTEIN (1896-1966; 1988). Neu ist die konsequente Verbindung des physiologischen, biomechanischen und psychologischen Wissens über die Bewegungskoordination. Motorische Verhaltensweisen entstehen nicht allein durch die physiologische Abfolge von Muskelaktionen, sondern durch einen ganzheitlich selbst organisierten Kontrollprozess.
Die BERNSTEIN-Perspektive beeinflusst in starkem Maße den Begründer der Wissenschaft und der Lehre sportmotorischer Fertigkeiten, Kurt MEINEL (1898-1973). In der deutschen Sportwissenschaft weit verbreitet sind seine morphologisch-pädagogischen Beurteilungen des motorischen Verhaltens (z. B. Bewegungsrhythmus, Bewegungskopplung, Bewegungspräzision, Bewegungskonstanz; vgl. Kap. 2), die chronologische Bewegungsstrukturierung (Zweiphasigkeit: zyklische Bewegungen; Dreiphasigkeit: azyklische Bewegungen; vgl. Kap. 2) und die dreiphasige Systematisierung sportmotorischer Lernprozesse (MEINEL, 1960; MEINEL & SCHNABEL, 1998; Grobkoordination, Feinkoordination, Stabilisierung der Feinkoordination).
In den 70er Jahren gewinnen in der Bewegungsforschung die im angloamerikanischen Sprachraum formulierten Informationsverarbeitungsansätze (motor approaches) an Bedeutung. Nach ihren theorieübergreifenden Grundüberlegungen kontrollieren zentralnervös gespeicherte Gedächtnisinhalte die motorischen Willkürhandlungen. Besonders klare, empirisch überprüfbare Annahmen über die Mechanismen, die Funktionsprozesse und die Gesetzmäßigkeiten der Bewegungskontrolle beinhaltet die Theorie generalisierter motorischer Programme von SCHMIDT (1975, 1976, 1988; vgl. Lektion 6). In den letzten 20 Jahren diskutieren Motorikforscher vermehrt alternative Erklärungsansätze wie die ökologischen Handlungstheorien, den Konnektionismus oder die Modularitätshypothese (vgl. Lektion 6).
Das Hauptanliegen der Lektion 1 gilt der Kennzeichnung der sportbezogenen Bewegungswissenschaft. Was bedeutet Bewegung und Motorik? Inwieweit und vor allem wie kann die Motorik beeinflusst werden? Wie lassen sich motorische Handlungen systematisieren? Wie definiert die Bewegungswissenschaft das motorische Lernen? Welchen Gegenstandsfeldern, Problembereichen, Zielstellungen und Aufgaben wendet sich die Bewegungswissenschaft des Sports zu? Welche konzeptionellen Betrachtungsweisen favorisiert die sportwissenschaftliche Bewegungsforschung? Wie sollte ihre zukünftige Forschungsstrategie aussehen?
Kapitel 2 geht zunächst auf die Bedeutung und die Reichweite zentraler Begriffe der Bewegungswissenschaft des Sports ein: Bewegungslehre, Bewegungswissenschaft, Bewegung, menschliche Bewegung, Motorik und Motorikmerkmale. Erläutert wird, was motorische Fertigkeiten und Fähigkeiten, offene und geschlossene Fertigkeiten, qualitative und quantitative Bewegungsmerkmale voneinander unterscheidet und welche allgemein anerkannten Strukturierungskonzepte sportmotorischer Fertigkeiten vorliegen. Abschließend zeigt Kapitel 2 auf, was das motorische Lernen von der biologischen Adaptation, der Prägung, der Reifung und der Habituation abgrenzt.
Die wichtigen Gegenstandsfelder, Zielstellungen und Aufgaben der sportbezogenen Bewegungswissenschaft beschreibt Kapitel 3. Im Mittelpunkt des Kapitels 4 steht die Charakterisierung der allgemein anerkannten Forschungs- und Lehrkonzeptionen von ROTH und WILLIMCZIK (1999), MEINEL & SCHNABEL (1998), GÖHNER (1999) und LOOSCH (1999). Kapitel 5 fasst nochmals die zentralen Problembereiche und Aufgabenstellungen der Bewegungswissenschaft des Sports zusammen und skizziert verschiedene Lösungsvorschläge für die Zusammenarbeit der bewegungswissenschaftlichen Teildisziplinen.
In sportwissenschaftlichen Veröffentlichungen finden sich neben den Bezeichnungen Bewegungswissenschaft und Bewegungslehre synonym die Begriffe Sportmotorik, Kinesiologie oder Sport Kinetics zur Kennzeichnung derjenigen Teildisziplinen der Sportwissenschaft, die sich mit den Phänomenen der Körperhaltung, der Bewegung, der Motorik und des motorischen Lernens beschäftigen. Vielfach werden die Begriffe Bewegungswissenschaft und Bewegungslehre in den Prüfungs- und Studienordnungen...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.
Dateiformat: PDFKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Das Dateiformat PDF zeigt auf jeder Hardware eine Buchseite stets identisch an. Daher ist eine PDF auch für ein komplexes Layout geeignet, wie es bei Lehr- und Fachbüchern verwendet wird (Bilder, Tabellen, Spalten, Fußnoten). Bei kleinen Displays von E-Readern oder Smartphones sind PDF leider eher nervig, weil zu viel Scrollen notwendig ist. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.