Schweitzer Fachinformationen
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Aufhören zu wissen
Als Polizeireporterin stelle ich mir seit vielen Jahren die Frage, welcher gewaltsame Tod die wenigsten Schmerzen verursacht. Erhängen dauert lange, erwürgt zu werden muss grauenhaft sein und die Vorstellung, einen Schlag auf den Kopf zu bekommen, sodass die Hirnschale zertrümmert wird, treibt mir kalte Schauer in die Seele.
Das alles traf auf Marina Schrott nicht zu. Sie wurde aus dem Wasser des Phoenix-Sees gezogen und nach einer ersten Leichenschau wurde Tod durch Ertrinken festgestellt. Es gibt viele Beschreibungen und Expertenmeinungen zum Ertrinkungstod. Auch Schriftsteller haben sich mit dem Thema befasst. Jack London zum Beispiel schilderte die Empfindungen eines Ertrinkenden so:
Der Druck auf seine Trommelfelle war eine Pein, und in seinem Kopfe summte es. Sein Wille brach und mit einem mächtigen explosiven Stoß entwich die Luft aus seiner Lunge. Dann kamen Qual und Würgen und ein furchtbares, erstickendes Gefühl. Die Hände begannen krampfhaft und schwach zu schlagen. Er schien matt in einer See von Traumgesichtern zu treiben. Farben und Glanz umgaben und badeten und durchdrangen ihn. In seinem Gehirn war plötzlich ein helles weißes Licht. Dann ein lang anhaltendes Dröhnen, und ihm schien, als falle er eine gewaltige und unendliche Treppe hinab. Und irgendwo an ihrem Fuß fiel er ins Dunkel. Und in dem Augenblick, da er es wusste, hörte er auf, zu wissen.
»Wir müssen los, Grappa«, erinnerte mich Wayne Pöppelbaum an den nächsten Termin. »Oder willst du Bärchen Biber nicht beim ersten Schaulaufen erleben?«
»Das lass ich mir doch nicht entgehen«, antwortete ich und klickte das London-Zitat weg.
Gemeinsam schlenderten wir Richtung Konferenzraum. Volles Haus - auch Verleger Hans Damm war aufgelaufen, um den kommissarischen Leiter des Bierstädter Tageblattes offiziell einzuführen.
Damm sah angeschlagen aus. Wir alle wussten, dass er gerade jede Menge Probleme hatte. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen ihn wegen massiver Steuerhinterziehung - ein Thema, das im Tageblatt natürlich nicht erwähnt, aber von der Konkurrenz - besonders den Wirtschaftsmagazinen - schadenfroh aufgegriffen wurde.
»Wetten, dass der sich demnächst ins Private zurückzieht?«, raunte mir Pöppelbaum zu. »Man munkelt, dass er sein Vermögen seiner Frau überschrieben hat. Laut Wirtschaftswoche sollen es um die sechshundert Millionen Euro sein.«
»Und das haben wir für ihn erarbeitet?«, fragte ich.
»Nee. Er hält noch Beteiligungen an zahlreichen Firmen. Hauptsächlich Billigklamottenläden und Bordellbetriebe.«
»Du bist ja gut informiert«, meinte ich. »Aber schön, dass wir uns um ihn keine Sorgen machen müssen. Ich werde ihn vermissen, falls er den Verlag verlässt. Die Besuche in seinem Büro sind immer sehr . skurril.«
»Du meinst den ausgestopften Löwenkopf an der Wand?«
»Genau. Der Bürostuhl mit den Elefantenstoßzähnen ist auch nicht ohne.«
Im Konferenzraum thronte Bärchen Biber neben Damm. Der kleine Schleimer hatte sich in Schale geworfen: schwarzer Anzug, weißes Hemd und eine gepunktete Fliege. Damm dagegen trug den üblichen gemäßigten Großwildjägerlook: khakifarbenes Hemd, Weste mit Patronentaschen und eine Hose in Tarnfarben.
»Sie wissen es ja: Herr Schnack hat uns verlassen«, begann Damm. »In Richtung Pressestelle des Vereins für das deutsche - ich sag ja immer - HundeUNwesen .« Er lachte dröhnend.
»Ganz neuer Witz«, flüsterte Sportreporter Simon Harras.
»Aber die Arbeit muss weitergehen - das sind wir unseren Lesern schuldig. Deshalb wird Herr Biber die Redaktion kommissarisch leiten, bis wir einen geeigneten Nachfolger für Herrn Schnack gefunden haben«, machte Damm weiter. »Ich hoffe, dass Sie ihn nach Kräften unterstützen - wie Sie es bei Herrn Schnack auch getan haben.«
»Aber gerne doch«, sagte ich. »Wir alle haben Herrn Biber genauso lieb wie den Kollegen Schnack.«
Gekicher. Bärchen warf mir einen giftigen Blick zu.
»Danke, Frau Grappa, das höre ich gern«, sagte Damm und erhob sich. »Dann will ich mal nicht weiter stören. Frohes Schaffen, liebe Kollegen! Und Sie wissen ja - meine Tür steht immer offen.«
Als Damm den Raum verlassen hatte, übernahm Bärchen Biber die Leitung der Konferenz.
»Ich denke, dass ich von Ihnen keine Glückwünsche zu meiner Beförderung erwarten kann«, beugte er vor. »Ich verlange also von Ihnen keine Freundlichkeiten, sondern einfach Professionalität. Das wird ja wohl, trotz der zahlreichen Konflikte in den letzten Monaten, möglich sein.«
Er machte eine Pause. Eisiges Schweigen.
»Na gut. Wenden wir uns dem Tagesgeschäft zu«, redete er weiter. »Wie Sie bestimmt schon wissen: Es gibt eine Wasserleiche - und zwar nicht irgendeine. Marina Schrott, die Ikone der Mühseligen und Beladenen - um es mal biblisch auszudrücken.«
»Was? Diese Gutmensch-Schnepfe mit ihrer ewigen Sammelbüchse?«, schob sich unsere Redaktionssekretärin Stella in den Mittelpunkt. »Die trifft man doch bei jedem regionalen und überregionalen Anlass. Und immer hat sie ihre Tochter dabei.«
Simon Harras hatte auch etwas beizutragen: »Ist das nicht diese Schwachsinnige im Rolli? Die hab ich sogar schon im Stadion gesehen, immer Glucke Mama daneben, mit dem scharfen Blick in die Runde, ob auch jeder sieht, wie sie sich kümmert um das arme Ding.«
»Nun macht mal halblang«, mischte ich mich ein. »Die Frau ist tot, da wollen wir doch nicht mit Dreck werfen. Soweit ich weiß, hat sie für die Behinderten in Bierstadt eine Menge auf die Beine gestellt. Da durfte sie auch ein bisschen stolz sein. Weiß man denn schon Einzelheiten?«
»Die Obduktion läuft. Noch steht nicht fest, ob es ein Freitod, ein Unfall oder eine Gewalttat war. Aber die Geschichte ist auf jeden Fall allererste Sahne. Weniger unter dem Blaulicht-Aspekt, sondern als soziale Homestory. Was passiert jetzt mit der Tochter der Toten, dieser schwer behinderten jungen Frau?«
Sekretärin Sarah war ja Auge und Ohr der Redaktion am Fernsehschirm. Daher wusste sie mehr als alle anderen: »Die ist schon in allen Talkshows aufgetreten, so furchtbar behindert hat die da gar nicht gewirkt. Immerhin kann sie zusammenhängend reden, wenn sie einen guten Tag hat.«
Bärchen war noch nicht zufrieden: »Ja, aber was wird nun aus ihr? Muss sie ins Heim? Gibt es einen Vormund? Kümmert sich der Vater? Was sagt denn unsere Polizeireporterin dazu?«
»Fragen über Fragen«, stimmte ich zu. »Und eine hast du vergessen, Bärchen, nämlich: Wer erbt die vielen Hundesalons, die die Tote betrieben hat? Sie hat ja ein hübsches Vermögen angehäuft.«
»Ich verbitte mir die Anrede Bärchen, Frau Grappa!« Sein Gesicht zeigte eine hochrote Farbe.
»Wie soll ich dich denn sonst nennen?«, lächelte ich. »Vielleicht Chef?«
Er lächelte nicht zurück. »Wie wäre es mit Herr Biber?«
»Wir waren doch schon beim Du, Herr Biber«, erinnerte ich ihn.
»Dann drehen wir die Zeit eben zurück.« Er schaute in die Kollegenrunde. Die erwartete ein gepflegtes Blutbad. »Und das gilt übrigens für alle hier. Ich bin vorübergehend Ihr Vorgesetzter und ich habe vor, dieses Amt ernsthaft und vor allem gewissenhaft im Sinne des Verlages auszuüben.«
»Dann mach das mal, Herr Biber«, sagte ich und erhob mich. »Ich kümmere mich jetzt ernst- und gewissenhaft um die Leiche aus dem Phoenix-See.«
Die Tür knallte in den Rahmen und ließ die Wand wackeln. Ich bin zu alt, um diesen aufgeblasenen Jüngling ernst zu nehmen, dachte ich und fuhr den Rechner hoch.
Tote Charity-Queen mit Anhang
Ich blätterte das Leben der Toten auf, soweit es im Internet seinen Niederschlag gefunden hatte. Persönlich hatte ich sie nie getroffen, denn ich befasste mich nicht mit sozialen Themen. Aber die tote Dame war auch kulturell aktiv gewesen. Zum Beispiel als Schirmherrin von zahlreichen Gemälde-Ausstellungen für gute Zwecke.
Meine Kollegin Mäggi Wurbel-Simonis rauschte ins Großraumbüro. Sie konnte mir vielleicht helfen.
»Tach, Mäggi«, begrüßte ich sie. »Wo warst du denn? Du hast die Inthronisierung von Bärchen verpasst.«
»Ich war beim Arzt. Heuschnupfen«, behauptete sie und stellte eine Papiertüte vom Feinkostladen auf ihrem Schreibtisch ab. »Schlimmer als Schnack kann Biber auch nicht werden«, schniefte sie.
»Sag mal, kennst du eine Marina Schrott?«, fragte ich.
»Kennen ist zu viel gesagt. Ich hab sie ab und zu auf Vernissagen getroffen«, antwortete sie. »Ich hab schon im Radio gehört, dass sie ertrunken ist. Machst du die Geschichte?«
Ich bejahte.
»Mord?«, fragte sie.
»Steht noch nicht fest. Vielleicht auch ein Unfall. Beim Schwimmen oder so.«
Sie schüttelte den Kopf. »Glaub ich nicht. Schwimmen ist im Phoenix-See verboten. Wegen der Schadstoffe im Wasser. Außerdem ist es noch zu kalt fürs Baden.«
»Was weißt du über sie?«
»Nicht viel. Lass uns in die Kantine gehen, ich brauch einen Tee«, schlug sie vor. »Mein Heuschnupfen bringt mich noch um.«
Ihr Telefon klingelte. Sie ging dran und meldete sich. Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang nicht freundlich.
»Ich kann mich auch krankschreiben lassen, bis meine Allergie vorbei ist«, schnappte Wurbelchen. »Ganz wie du willst. Und jetzt lass mich meine Arbeit machen.« Sie knallte den Hörer auf.
»Bärchen?«, fragte ich.
»Ja, er hat bemängelt, dass ich nicht in der Konferenz war. Was fällt dem denn...
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