Schweitzer Fachinformationen
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Konnte man sich auf den Tod vorbereiten? War es möglich, ihn zu steuern oder gar zu manipulieren? Nein. Auf keinen Fall. Er kam, wann es ihm passte, schlug in den unmöglichsten Momenten zu. Manchmal mitten ins Gesicht. Er machte, was er wollte und wie es ihm beliebte. Und dann verschwand er wieder, auf ganz leisen Sohlen. So als hätte es ihn nie gegeben. Als hätte die Person, die mit ihm Bekanntschaft machte und Freundschaft schloss, nie existiert.
So wie vor einer Woche. Karolina hatte gerade den Koffer vom Dachboden geholt, um ihn auszulüften. Schließlich sollte ihre Kleidung nicht staubig und abgestanden riechen, wenn sie in Italien ankam. Mailand war eine Weltstadt der Mode, auf keinen Fall konnte sie dort nach Mottenkugeln duftend aufschlagen. Vermutlich würde man die Nase rümpfen und sie am Zoll direkt wieder Richtung Nürnberg schicken. Also lüftete der Koffer auf der Dachterrasse, obwohl es Dezember war, und Schneeflocken sammelten sich im Innenraum. Sie hätte ihn auf den Kopf stellen müssen, wurde ihr jetzt klar. Im Moment suchte sie schon mal ihre Garderobe heraus, die mit ihr die Reise antreten würde. Viel war es nicht, denn sie hatte eine richtige Shoppingtour geplant, da brauchte sie Platz im Koffer - für die Rückfahrt.
Gerade als sie die Nylonstrümpfe auf Laufmaschen kontrollierte, klingelte ihr Handy und schreckte sie aus ihren Samt-und-Seide-Träumen auf.
Dieser Anruf bewirkte, dass ihre Träume von Mailand sich verflüchtigten wie Zuckerwatte im Regen, wie Seifenblasen, die einfach in der Luft zerplatzten.
Die Anruferin war Luise Aigner gewesen, die Großmutter ihrer besten Freundin Frieda. Seitdem war nichts mehr wie vorher. Mottenkugeln, Mailand und schicke Klamotten spielten keine Rolle mehr. Ihre Reise nicht und selbst das Schicksal nicht. Alles war vergessen, denn der Schmerz, den dieser Anruf hervorrief, hatte alles pulverisiert und Karolinas Glauben an die Menschheit ins Wanken gebracht. Frieda war gestorben. Einfach so, ohne sich zu verabschieden, ohne dass Karolina noch einmal mit ihr sprechen konnte. Ein schlechtes Gewissen machte sich in ihr breit. Sie hatte in der letzten Zeit zwei Mal ein Treffen abgesagt, weil die Arbeit sie so sehr in Beschlag genommen hatte. Eine Arbeit, die ihr immer weniger gefiel. Dabei war Frieda ihr doch so wichtig gewesen. Nun war der Moment vertan, es ihr noch einmal zu sagen. Ihr schlechtes Gewissen fraß beinahe ihre Seele auf.
*
Der kalte Wind wehte Karolina ins Gesicht, als sie einen Strauß weißer Rosen in das offene Grab auf Friedas Sarg warf. Weiße Rosen - die Blumen der ewigen Treue, für Beerdigungen gerne gewählt ... und Friedas Lieblingsblumen.
So habe ich schon mal die passenden Blumen bei mir, wenn mir etwas passiert, hatte Frieda immer gescherzt, wenn sie sich einen Strauß weißer Rosen gekauft hatte und Karolina ihr erklärte, dass diese Farbe bei Blumen als Trauerfarbe galt. Bei Freesien und Chrysanthemen war es ebenso. Karolina liebte Blumen und bezog wöchentlich einen frischen Strauß über einen Abodienst. Der Strauß enthielt immer eine Steckanleitung sowie eine Infokarte mit Tipps zur Pflege, Herkunft und Verwendung der jeweiligen Pflanzen.
Doch Frieda ließ sich nicht beirren. Sie liebte weiße Blumen, egal, welches Symbol dahinterstand. Sie hatten gelegentlich herzhaft über ihren Scherz gelacht. Das würden sie nun nie wieder gemeinsam tun, denn Frieda war nicht mehr da. Von einer Sekunde auf die andere einfach so aus dem Leben gerissen. Ohne dass sie vorher noch mal miteinander gesprochen hatten und ohne dass sie sich voneinander verabschieden konnten. Ihre beste Freundin seit Schultagen war nur zweiunddreißig Jahre alt geworden und an einem Schlaganfall gestorben. Und nun wurde sie tatsächlich mit ihren Lieblingsblumen begraben. Das hätte ihr sicherlich gefallen, dieses Meer an weißen Blumen, das sich um ihr Grab versammelt hatte. Gebunden in Kränzen, Gestecke mit weiß-schwarzen Schleifen versehen. In ewiger Verbundenheit, deine liebste Freundin Karo, stand auf der Schleife des Kranzes, den Karolina geordert hatte. Und es entsprach der Wahrheit.
»Du wirst mir fehlen, Friedchen«, murmelte Karolina, als sie die Blumen betrachtete, die auf dem Sarg landeten.
»Mein Mädchen«, schluchzte Luise neben ihr auf. »Wie konnte das nur geschehen? Ich hätte besser auf sie achten müssen.«
Behutsam legte Karolina den Arm um Friedas Großmutter und drückte die kleine Frau an sich. Frieda war bei Luise aufgewachsen, da ihre Mutter, Marion, ebenfalls früh verstorben war, bei einem Verkehrsunfall. Seit Karolina denken konnte, hatte es immer nur Luise und Frieda gegeben - und eine Zeit lang auch Karolina, bis diese zum Studium nach München gegangen war. Einen Großteil ihrer Kindheit und Jugendzeit hatte sie zusammen mit Frieda bei Luise verbracht. Sie war ihre Ersatzoma, und so würde es immer bleiben.
»Warum verlassen mich denn alle, die ich liebe?« Luises Augen waren rot gerändert, Tränenspuren waren auf der Wange sichtbar.
Karolina hatte keine Antwort auf ihre Frage. Natürlich nicht. »Das ist das Leben, Luise. Man muss es nehmen, wie es kommt, man darf nur nicht aufgeben. Für Frieda kam das nicht infrage. Deshalb ist Resignieren auch keine Option für uns beide. Sie wird immer bei uns sein.« Karolina hielt Luise weiterhin fest im Arm.
Die sanfte, warmherzige Luise sah sie mit ihren großen braunen Augen an. Eindringlich. Mochte sie älter sein, als Karolina sie in Erinnerung hatte, ihr Haar mittlerweile weißgrau, aber ihre lebhaften Augen schimmerten immer noch in einem warmen Braun. »Jetzt bin ich ganz allein. Ich habe keine Ahnung, wie ich das alles bewältigen soll.«
Freunde und Kollegen von Frieda kondolierten ihr, schritten an ihnen vorbei. Auch Nachbarn waren gekommen.
»Luise, es tut mir so leid.«
»Was für eine Tragödie.«
»Wir fühlen mit Ihnen, Frau Aigner.«
»Luise, wie geht es dir, mein Mädchen?« Ein älterer Mann mit weiß gestutztem Bart nahm die alte Dame in die Arme und drückte sie an seine breite Brust. Er schien ein wenig älter als Luise zu sein, vermutlich Ende siebzig, und nickte Karolina zu.
»Ach, Konrad. Wie schön, dass du da bist. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll.«
»Ich komme dich besuchen, sobald ich Zeit finde. Es geht immer weiter, wir werden auch das überstehen, meine Liebe«, erklärte er und machte Platz für den nächsten Trauergast.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Luise. Ich habe Frieda sehr gern gehabt.«
Luise blickte auf. »Du? Was machst du hier? Du hast doch nur mit ihr gestritten. Ich möchte nicht, dass du hier an ihrem Grab stehst.« Luises Augen füllten sich erneut mit Tränen.
Karolina blickte erschrocken auf, so harte Worte war sie von Luise nicht gewohnt. Sie war doch sonst immer so eine liebe und ruhige Frau. Was war denn nur los?
»Komm, lass uns gehen.« Ein weiterer Mann zog den Angesprochenen am Ärmel, und gemeinsam traten sie den Rückzug an.
»Wer war das denn?«, wollte Karolina wissen, die den Mann durch den Tränenschleier in ihren Augen nur schemenhaft erkennen konnte.
»Ach, der hat seinen Stand gegenüber auf dem Christkindlesmarkt. Er hat ständig mit Frieda gestritten. Ich weiß gar nicht, was er hier überhaupt will.«
Karolina blickte den beiden Männern nach, die mit hängenden Köpfen und langsamen Schritten den Friedhof in Richtung Hauptausgang verließen. Sie wurden von dem älteren Herrn begleitet, der Luise getröstet hatte.
Luises Reaktion überraschte Karolina trotz ihrer Trauer. So kannte sie die ältere Frau gar nicht. Hart und unnachgiebig? Nein, das war nicht ihre Luise. Sie hatte ein großes Herz und half, wo sie nur konnte. War immer für alle da. Sie war nicht die Frau, die eine Beileidsbekundung ablehnte, und doch hatte sie es gerade getan.
Frieda hatte schon früh in einem Testament verfügt, dass es nach der Beerdigung kein Kaffeetrinken geben würde. Sie wollte nicht, dass man traurig dasaß und über ihren Tod sprach. Das Leben musste man feiern, und es sollte so weitergehen, als wäre nichts geschehen. Es hatte nun mal keinen Sinn, über Vergangenes Tränen zu vergießen. Da konnte ihr Karolina nur zustimmen. Aber es bedeutete auch, dass sie nun allein am offenen Grab standen, nachdem alle kondoliert hatten und gegangen waren.
»Du bist nicht allein, Luise. Ich bin doch auch noch da. Komm, wir setzen uns ein wenig.« Karolina führte Luise ein Stück weiter, wo eine Bank stand, auf der man verweilen konnte. Die Sitzgelegenheit stand unter einer wuchtigen Kastanie, die jetzt keine Blätter mehr trug. Sie wischte den Schnee von der Sitzfläche und nahm mit Luise auf der äußersten Kante Platz.
»Ich hätte mich gerne von Frieda verabschiedet. Wir hatten in der letzten Zeit nicht viel Kontakt. Seit ich aus München zurück bin, fehlte mir einfach die Zeit, um mich zu melden. Und jetzt wollte ich auch so schnell wie möglich aus Nürnberg weg, bevor mir der Weihnachtsrummel zu viel wird. Ich habe immer gedacht, dass Frieda und ich noch viele...
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