Schweitzer Fachinformationen
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Zwei
Die Familie Eisenstat fuhr einen eleganten, kantigen, nach Motoröl riechenden Volvo. Und als sollte weiter unterstrichen werden, dass es sich um ein elterliches Auto handelte, lagen eine offene, wellige Scientific-American-Ausgabe und ein in der Hülle steckender lila Taschenschirm auf der Rückbank. Zees Eltern, beide Richter im neunten Gerichtsbezirk von Westchester County, hatten ihrer Tochter eingeschärft, keine Freunde an das Steuer des Volvos zu lassen. »Außenstehende sind nicht mitversichert«, hatten sie gesagt. »Du bist die Einzige, die fahren darf.« Zee hatte diese Warnung in den Wind geschlagen und Greer, inzwischen ihre beste Freundin am College, das Auto geliehen. Und so fuhr Greer an einem Freitagnachmittag im Februar zum dritten Mal nach Princeton, um Cory zu besuchen.
Greer ging bald selbstbewusst über den wie auf Hochglanz polierten Campus. Sie hatte einen Rucksack mit Lernstoff, sah also aus, als würde sie in Princeton studieren, ein Gedanke, der für einen Schub komplizierter Gefühle sorgte. Kurz darauf sah sie Cory, er beugte sich aus dem Fenster und winkte ihr zu wie ein gefangener Prinz. Er sprang die Treppen hinunter und riss die Tür auf, und Greer schmiegte sich an seine baumlange, magere Gestalt.
Seine Zimmertür öffnete sich zu einem noch wilderen Chaos als üblich. Klamotten, Bücher, DVDs, leere Bierflaschen, Hockeyschläger, eine Stereoanlage, alles lag in schönster Unordnung auf dem Fußboden. »Wurde eingebrochen?«, fragte Greer.
»Wenn, dann hätte der Einbrecher Steers' sauteuren Mist übersehen.« Cory wies auf die Lautsprecher von Klipsch, einer als Abstellfläche für Bierflaschen zweckentfremdet. Daneben lag ein einsamer Air Jordan 4 Thunder, zu klein, um Cory zu gehören. Sie legten sich gemeinsam auf sein Bett, mitten auf das Wirrwarr der morgens gemachten Wäsche, die nach den vielen Stunden wundersamerweise immer noch einen Rest der Großtrocknerwärme abgab. »Steers leiht mir oft Klamotten für Partys«, erzählte Cory. »Natürlich passt mir nichts. Ich bin einfach zu groß.«
»Ist es dir noch peinlich?«, fragte Greer.
»So groß zu sein?«
»Nein. In Princeton zu studieren.«
»Tja, ich werde immer der Typ mit einer Putzfrau als Mutter und einem Polsterer als Vater bleiben.«
»Damit bist du hier sicher nicht allein«, meinte sie.
»Nein, natürlich nicht. Es gibt ein Mädchen aus Harlem, das mal in einem Obdachlosenheim gelebt hat. Ein Junge ist in China auf einem Hausboot aufgewachsen und unterrichtet jetzt als Hiwi multivariable Infinitesimalrechnung. Ich erlebe trotzdem peinliche Momente. Etwa mit meinem >heimlichen Christkind<, Clove Wilberson.«
»Was ist das denn für ein Name?«
»Na, ihr Name. Sie fand es unfassbar, dass ich noch nie einen Frack getragen habe. Ist nicht ganz einfach hier. Alle sind nett, aber ich trete immer wieder in soziale Fettnäpfchen. Sei froh, dass du in Ryland bist.«
Sie sah ihn an. »Im Ernst?«
Er in Princeton, sie in Ryland - das war immer noch ein heikles Thema. Und sie war immer noch stinksauer auf ihre Eltern, die für ihre Verbannung nach Ryland verantwortlich waren. In letzter Zeit hatten sich ihre Gefühle jedoch verändert - sowohl im Hinblick auf das College als auch auf ihr Inneres, dieses kleine Reich, das man sein Leben lang mit sich herumtrug und aus dem man das Beste machen musste, weil man es nicht verlassen konnte. Greer war noch klein gewesen, da hatte sie bemerkt, dass sie die Seiten ihrer Nase sehen konnte. Eine beunruhigende Erkenntnis. Ihre Nase war absolut in Ordnung, aber Greer wusste, dass diese für immer ein Teil ihres Blickes auf die Welt sein würde. Greer hatte damals kapiert, dass man weder dem eigenen Körper noch der Art entrinnen konnte, auf die man sich selbst wahrnahm.
Anfangs hatte sie sich am College einsam, wütend und verloren gefühlt. In letzter Zeit aber war der Campus lichter und freundlicher geworden. Manche Gespräche und Veranstaltungen, teils sogar schlichte Spaziergänge mit Freunden in die Stadt, fand sie aufregend. Greer überlegte, was sie während des Wochenendbesuches in Princeton verpasste; sie war davon überzeugt, dass ihr irgendetwas entging. Sie schmollte und grollte nicht mehr. Saß nicht mehr voller Verzweiflung im Gemeinschaftsraum des Woolley. Sogar der Junge aus dem Iran hatte sich eingefädelt, indem er dem Modellraketen-Club beigetreten war; die anderen Mitglieder dieser fröhlichen, bunt zusammengewürfelten Truppe kamen oft mit Sperrholz und Antrieben im Woolley vorbei und zerrten ihn aus seiner Bude. Er trauerte seiner fernen Familie seltener nach und verbrachte dafür mehr Zeit in dieser dynamischen Welt.
Greer wusste, dass man es schaffen musste, die eigene Welt dynamischer zu gestalten. Manchmal schaffte man das nicht allein. Dann brauchte man jemanden, der etwas in einem sah und einen auf ganz neue Art ansprach. Die aus heiterem Himmel erschienene Faith Frank hatte diese Wirkung auf Greer gehabt, obwohl ihr das sicher nicht bewusst war. Greer fand es irgendwie ungerecht, dass Faith das nicht wusste. Sie musste ihr davon berichten, das gehörte sich eigentlich so.
Greer dachte oft daran, wie aufmerksam und geduldig und freundlich und interessiert und inspirierend Faith an jenem Abend gewesen war. Sie schwelgte immer wieder in der Vorstellung, Faith Folgendes zu schreiben:
»Sie sollten wissen, dass Ihr Besuch vieles verändert hat. Ich kann das nicht ganz erklären, aber so ist es. Ich habe mich verändert. Ich engagiere mich. Ich bin offener, habe weniger Berührungsängste. Genau genommen bin ich (um den Fachbegriff zu verwenden) glücklich.«
»Warum schreibst du ihr nicht?«, hatte Zee vor Kurzem gefragt. »Sie hat dir ihre Visitenkarte gegeben. Darauf steht ihre E-Mail-Adresse. Schick ihr doch eine kurze Nachricht.«
»Klar, das ist genau das, was sich Faith Frank heiß ersehnt - mit einer Studienanfängerin an einem lausigen College, das sie längst vergessen hat, eine Brieffreundschaft zu beginnen.«
»Vielleicht freut sie sich ja, wenn sie hört, dass es dir gut geht.«
»Nein, ich kann ihr nicht schreiben«, sagte Greer. »Sie würde sich sowieso nicht an mich erinnern, und außerdem wäre es ein Missbrauch des Privilegs, ihre E-Mail-Adresse zu haben.«
»>Das Privileg, ihre E-Mail-Adresse zu haben<«, sagte Zee. »Du müsstest dich mal hören. Das ist kein Privileg, Greer. Sie hat dir die Karte gegeben, das ist doch super. Du musst Gebrauch davon machen, finde ich.«
Greer schrieb aber nie. Gelegentlich schenkten ihr Professoren Aufmerksamkeit, aber das war nicht dasselbe. Einer von ihnen, Donald Malick, leitete das Anfänger-Kolloquium in englischer Literatur, und er notierte die Worte »Kommen Sie mal vorbei« auf der letzten Seite des Aufsatzes, in dem sie Becky Sharp aus Thackerays Jahrmarkt der Eitelkeiten als Antiheldin analysierte. Der Lehrplan hatte die Studenten mit den unterschiedlichsten Romanen konfrontiert, aber dieser hatte Greer besonders gut gefallen. Becky Sharp ging in ihrem Ehrgeiz zwar über Leichen, doch man musste ihr hoch anrechnen, dass sie zielstrebig war. Viele andere Menschen verzettelten sich in ihren Wünschen. Sie wussten nicht, was sie wollten. Becky Sharp wusste es genau. Nachdem sie ihren Aufsatz zurückbekommen hatte, suchte Greer Professor Malick in dessen Büro auf, einem Chaos gefährlich schief in den Regalen stehender Bücher.
»Exzellenter Aufsatz«, sagte er. »Das Konzept des Antihelden oder, im Falle Ihres Aufsatzes, der Antiheldin, kann nicht jeder intuitiv nachvollziehen.«
»Ich finde es interessant, dass man gern über sie liest. Denn sie ist so gar nicht liebenswert«, meinte Greer. »Die Frage, ob man liebenswert sein sollte, ist seit Neuestem ein wichtiges Thema für die Frauen«, fügte sie etwas wichtigtuerisch hinzu. Sie hatte einen Artikel darüber in Bloomer gelesen. Sie hatte die Zeitschrift abonniert und wünschte sich, diese öfter interessant zu finden; sie wollte sie toll finden, vor allem wegen Faith.
»Ich habe ein Buch über den Antihelden geschrieben«, erklärte Professor Malick, »und möchte es Ihnen leihen.« Er reckte einen Arm und ließ den Zeigefinger über die Buchrücken gleiten; das Geräusch, das dabei entstand, glich dem leisen Klimpern eines Xylofons. »Wo verbirgst du dich, Antiheld?«, fragte er. »Komme zum Vorschein und zeige dein unheroisches Gesicht. Ah! Da bist du ja.« Er riss das Buch aus dem Regal und drückte es Greer mit den Worten in die Hand: »Ihre Aufsätze, die Sie offenbar tatsächlich selbst schreiben - es geschehen noch Zeichen und Wunder -, zeugen von einem scharfen Verstand. Also dachte ich, dass Sie vielleicht für zusätzliche Lektüre offen sind.«
Doch er war ein mürrischer Mann, dessen Atem nach Lauch stank. Seine Art zu lehren und zu schreiben war kompliziert und selbstreferenziell und nicht wirklich sympathisch. Während des Unterrichts ließ sie sich zwar manchmal von Bildern aus den Romanen davontragen, nur leider oft über die Grenzen der Literatur hinaus in ganz andere Bereiche. Dann dachte sie daran, mit Cory im Bett zu sein, oder an diese oder jene abendliche Aktion mit Zee und Chloe auf dem Campus.
Greer las das Buch ihres Professors dann doch. Sie fühlte sich dazu verpflichtet, weil er es ihr gegeben hatte, so war sie nun mal gestrickt. Unglücklicherweise war es akademisches Schwarzbrot, und als sie in der Danksagung blätterte, stellte sie genervt fest, dass er seiner Frau, Melanie, dafür dankte, »das lange Manuskript klaglos für ihren hoffnungslos ungeschickten Mann abgetippt zu haben«. Er fügte hinzu: »Melanie, du bist eine Heilige, und ich stehe voller...
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