Schweitzer Fachinformationen
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1998 ist in der Bundesrepublik Deutschland erstmals eine amtierende Regierung vollständig abgewählt worden – dies hatte es seit ihrer Gründung 1949 noch nie gegeben. Bisher war zumindest ein Koalitionspartner auch in der neuen Regierung vertreten gewesen. Schon für die Zeitgenossen bedeutete der rot-grüne Machtwechsel unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer einen tiefen Einschnitt. Das Hoffen der einen entsprach dem Bangen der anderen. Doch bald sollte sich erweisen, wie gravierend der Umbruch, der weit über den nationalen Rahmen hinausreichte, tatsächlich war. Rot-Grün wurde, halb freiwillig, meist jedoch gezwungenermaßen, zur ersten «globalen» Regierung in Deutschland. Schon seit dem Ende der 1970er Jahre verdichteten sich etliche globale Ereignisse. Doch führte dieser Globalisierungsschub im Wesentlichen nur zu neuen Wahrnehmungsmustern.[1] Um die Jahrtausendwende herum gerieten jedoch nationale Angelegenheiten immer stärker ins Hintertreffen oder waren alleine nicht mehr zu lösen – die Welt veränderte sich schneller als zuvor. Existenzielle globale Probleme wie Krieg und Frieden, Weltklima oder Finanzkrisen schoben sich nach vorne und erforderten ein weltweites gemeinsames Agieren. Die Bedeutung von nationalen Grenzen schwand, wohingegen globale Bezugspunkte zunahmen. Die Globalisierung drang in vielfältigen Formen in die Lebenswelt der Menschen ein, sie spielte sich nicht nur in der Ökonomie ab. Eine sich ständig beschleunigende Globalisierung hieß vor allem, dass kein Konflikt auf der Welt so fern war, um Deutschland und die Deutschen unberührt zu lassen. Neue Fragen des 21. Jahrhunderts brachen mit Wucht herein. Dieses Buch will erklären, wie die unterschiedlichen Entwicklungsstränge, die diese Zeiten anders sein ließen als vorhergehende, zusammengelaufen sind.
In der Rückschau lässt sich die Zeit am Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert als eine Scharnierzeit beschreiben, in der Tabus gebrochen wurden und große Veränderungen in der Bundesrepublik in Gang kamen. Es waren Jahre des Umbruchs, und Deutschland befand sich mitten in einer Welt des Wandels und veränderte sich darin selbst. Zur alles überwölbenden Grundtendenz der Globalisierung traten vier weitere bewegende Kräfte und Tendenzen der Zeit hinzu. Das erste und wichtigste weitere Kräftefeld, das diese Jahre durchzog, umfasste Fragen von Krieg und Frieden – vom Kosovo-Krieg über den Krieg in Afghanistan bis zum Irak-Krieg. Der internationale Terrorismus, der in den Anschlägen des 11. September 2001 in den USA gipfelte, wirkte auf die äußeren und die inneren Angelegenheiten der Staaten gleichermaßen zurück. Auch die Einstellungen und Vorstellungen der Menschen waren zeitweilig von einer Kultur der Angst geprägt und gravierenden Wandlungsprozessen unterworfen. Darin eingelagert veränderte sich – als zweites Feld – das Gesicht Europas. Der Untergang des Kommunismus hallte nach, Freiheitsgewinn und neues Risiko gingen dabei Hand in Hand.[2] Das Ende der Zweiteilung der Welt und des Kalten Krieges sowie die Revolution der Staatenwelt führten zu einer Rückkehr und Verwandlung Europas von historischem Ausmaß innerhalb eines nur sehr kurzen Zeitraums. Schon angesichts dieser Entwicklungen war eine «Schönwetterregierung» in der Bundesrepublik nicht möglich, wenngleich die Handelnden im Überschwang des Wahlsieges von 1998 zunächst davon ausgehen mochten. Vielmehr mussten deutsche Sonderrollen, die noch aus der Zeit der Teilung bestanden, mitunter schonungslos verabschiedet und neue Gleise in weitgehend unbekanntes Terrain verlegt werden.
Die rot-grüne Zeit kennzeichneten darüber hinaus turbulente und verwirrend hektische Jahre auf einem ganz anderen, dritten Gebiet: Die westlichen Sozialstaaten, allen voran Deutschland, waren in die Krise geraten; sie sahen sich dabei jedoch nicht mehr nur nationalstaatlichen Problemen unterworfen, sondern die von außen kommenden Kräfte und der Wettbewerb mit aufstrebenden Ökonomien wurden zunehmend stärker. Darüber hinaus verbanden sich diese älteren Probleme mit neuen Menschheitsfragen, etwa dem Klimawandel und dem Schutz der Umwelt. Beides zog zunehmend politische und gesellschaftliche Polarisierungen nach sich. Der Pulsschlag der Politik erhöhte sich merklich, und die bisherige ruhige Stabilität der Republik wich einer neuen Unruhe, aber auch größerer Beweglichkeit, nicht zuletzt angesichts solcher globaler Spannungslagen. Schließlich und viertens war das gesellschaftliche Klima 1998 zwar reformfreudig wie schon lange nicht mehr, doch über die Inhalte von Reformen wurde erbittert gestritten. Bisweilen nahm dieser Streit kulturkämpferische Formen an, wobei es eine wesentliche Rolle spielte, dass die 68er-Generation 1998 an die Macht kam, was auf beiden Seiten – derjenigen der Befürworter und derjenigen der vehementen Kritiker von 68 – zu reflexhaften Reaktionen führte. Insgesamt gesehen waren die Jahre zwischen 1998 und 2005 Schlüsseljahre für die weitere Entwicklung des Landes, das stärker als zuvor seiner globalen Verflechtungen gewahr wurde, sich unter dem Druck gesellschaftlicher Modernisierung befand und einen politischen Generationenwechsel durchlebte.
Viele der Bilanzen zu Rot-Grün, die während jener Jahre oder unmittelbar nach dem Ende dieses angeblichen «Projektes» geschrieben wurden, haben solche Zwänge, Verflechtungen und Aporien noch gar nicht wahrgenommen. Stattdessen erblickten Journalisten in den rot-grünen Jahren ein «politisches Abenteuer»,[3] und etliche Sozialwissenschaftler begleiteten die Zeit mit wichtigen kleinteiligen Analysen, verloren jedoch das große Ganze aus den Augen oder vermochten es gar nicht zu sehen, besonders deshalb, weil die Quellen noch fehlten.[4]
Am Anfang jeder historischen Forschung stehen die Quellen. Empirische, auf neuem Quellenmaterial fußende Forschungen ermöglichen es, Zeitläufte neu zu deuten. Geschichtswissenschaftliche Fragestellungen können davor bewahren, politik- und sozialwissenschaftliche Thesen und Methoden, die in der Zeit selbst entstanden sind, einfach zu übernehmen und fortzuschreiben, anstatt sie in ihrer Zeitgebundenheit wahrzunehmen.[5] Basierend auf reichhaltigem, bisher unveröffentlichtem Material ist es der Anspruch der vorliegenden Untersuchung, eine erste, vollständig aus den Quellen geschöpfte Gesamtdarstellung der rot-grünen Ära vorzulegen. Sie ist wissenschaftlichen Standards verpflichtet und soll zugleich anschaulich geschrieben sein. Um diese Zeit lebendig werden zu lassen, wird ausgiebig aus den Quellen zitiert. Ziel ist es, eine eigenständige historische Perspektive auf die jüngste Vergangenheit zu entwickeln.
Abgesehen von solchen wenigen Hinweisen kann diese Einführung aus zwei Gründen knapp gehalten werden: Zum einen, da Bemerkungen zu den Quellen und zur Methode, die sich mit einem Dank an zahlreiche Personen verbinden, im Nachwort zu finden sind. Zum anderen, da die spezifischen Fragen der Untersuchung am Anfang der jeweiligen Großkapitel aufgeworfen werden: Das Buch gliedert sich chronologisch in drei Teile, und jedem Teil ist ein «Panorama» vorangestellt, in dem aus der Vogelperspektive wichtige Zeittendenzen eingefangen und die Leitfragen für den Fortgang der Darstellung benannt werden. Der erste Teil des Buches beschreibt den von einer neuen politischen Generation beabsichtigten schwungvollen Aufbruch ins 21. Jahrhundert. Rot-Grün peilte eine nachholende Modernisierung der Gesellschaft und ökologische Strukturreformen an, besonders den Ausstieg aus der Atomenergie. Ein neuer «Geist» sollte die Republik am Übergang von Bonn nach Berlin begleiten. Doch vom ersten Tag an brach sich jegliches Vorhaben an der Frage von Krieg und Frieden, an Gewalt und Zivilität, an der Verhinderung einer «humanitären Katastrophe» auf dem Balkan. Rot-Grün und die gesamte deutsche Gesellschaft wurden mit aller Wucht aus der für viele Menschen so behaglichen Nachkriegszeit herausgeschleudert.
Wer jedoch geglaubt hatte, mit dem Ende des Kosovo-Kriegs sei das Schlimmste vorüber, irrte gewaltig. Nie zuvor seit 1945 war Deutschland dermaßen mit globalen Herausforderungen konfrontiert wie nach dem Terror von 9/11. Davon handelt der zweite Teil des Buches, der den Blick auf die Terrorismusbekämpfung richtet und die Mentalitäten der Angst darstellt, die viele westliche Gesellschaften ergriff und veränderte. Dass Deutschland auch am Hindukusch verteidigt werde, stellte eine ganz neue Erfahrung dar. Die Beteiligung der Bundesrepublik am Afghanistankrieg wird ebenso geschildert wie das unerhörte deutsche «Nein» zum dritten Krieg innerhalb kürzester Zeit, dem Irak-Krieg, den die neue US-Administration unter George W. Bush unbedingt zu führen gewillt war. Dabei soll auch erläutert werden, welche Folgen dieses «Nein» für Europa und die Welt hatte.
Nach der knappen Wiederwahl agierte Rot-Grün seit der Jahreswende von 2002 zu 2003 nur mehr aus der Defensive und schien dem politischen Tod näher als dem Leben. Die Aufbruchstimmung war vollkommen verflogen. Dies ist das Thema des dritten Teils. Die meisten politischen Beobachter hatten damit gerechnet, dass Rot-Grün eine Episode bleiben würde. Doch plötzlich brachte diese...
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