Schweitzer Fachinformationen
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Er war anders als die anderen Männer. Er bedrängte sie nicht. Sie musste keine Angst haben, plötzlich von ihm berührt zu werden. Vielleicht schaffte sie es deshalb, wie unabsichtlich seine Hand zu nehmen und ganz sanft zu halten.
Sie schlenderten auf den Kruse-Speicher zu wie ein Liebespärchen.
Alles war mit einem Mal locker und leicht.
Sie hatten im vierten Stock zwei Apartments nebeneinander. Jedes mit eigenem Balkon und Blick in den Hafen. Die Schiffe lagen so nah, es war, als könne man sie anfassen, wenn man nur die Hand ausstreckte.
Sie liebte die Geräusche im Hafen, genau wie er. Jeder konnte auf seinem Balkon sitzen, und sie guckten zu, wie die Schiffe be- und entladen wurden. Es war schön, anderen bei der Arbeit zuzusehen und dabei selbst nichts zu tun, sondern nur ganz still zu sitzen und Kaffee zu trinken.
Er mochte lieber Tee.
Sie hatte ihm Tee von Onno Behrends besorgt. Das war echter Ostfriesentee aus Norden, der ältesten ostfriesischen Stadt, wie er gern betonte. Er war ja ein echter Ostfriese, und zwar aus Norden.
Er sollte sich doch wohlfühlen, selbst hier in Wismar. Die Stadt lag zwar nicht an der Nord-, sondern an der Ostsee, aber wenigstens war Wismar eine alte Hansestadt. In Ostfriesland konnte Tobias Henner sich nicht sehen lassen. Offiziell galt er nämlich als tot. Seine Sehnsucht, zurück nach Norden zu gehen, war sehr groß. Susi hoffte aber, das Flair der Hafenstadt könne ihm übers Heimweh hinweghelfen.
Von Balkon zu Balkon warfen sie sich gern verführerische Blicke zu. Sie kamen sich dabei vor wie die zwei Königskinder, die nicht zueinanderfinden konnten.
Die Entfernung und die frische Luft gaben ihr Sicherheit. Sie konnte seinen Ostfriesentee riechen und er ihren Kaffee. So vergingen die Stunden.
Eigentlich war jedes Apartment groß genug für ein Pärchen, sogar für ein, zwei Kinder wäre noch Platz gewesen. Es gab eine richtige Küche. Ein großes Wohnzimmer mit hohen Decken und ein Schlafzimmer mit bequemen Betten, viel besser als in der Psychiatrie in Düsseldorf.
Als Tobias ihr geholfen hatte, von dort zu fliehen, beeindruckte es Susi besonders, dass er bereits falsche Papiere für sie und sich selbst besorgt hatte. Ausweis. Führerschein. Krankenkassenkarten. Sogar Kreditkarten besaßen sie.
Susi hieß jetzt offiziell Sigrid Hill. Er Amadeus Bach.
Sie hatte Mühe, sich beide Namen zu merken. In der Öffentlichkeit sprachen sie sich mit Du an. Ließen Vornamen weg. Wenn sie sich mal irgendwo vorstellen mussten, konzentrierte Susi sich sehr, um nicht den falschen Namen zu sagen.
Beim ersten Mal, als sie ein Auto mieteten und sie als zweite Fahrerin eingetragen werden sollte, wäre es beinahe schiefgegangen. Nach ihrem Namen gefragt, kaute sie auf der Unterlippe herum und dachte wohl einen Moment zu lange nach, ob sie Sigrid, Susanne oder Sigrun hieß.
Er fand es lustig und scherzte mit dem Autovermieter: »Meine Frau verträgt morgens noch keinen Wein.« Dann hatten beide Männer laut gelacht.
Hier in Wismar hatte Tobias darauf bestanden, dass sie ihr eigenes Reich bekam. Sie sollte sich frei fühlen und nie wieder mit anderen ein Zimmer teilen müssen. Er war eben ein Gentleman.
Jetzt gingen sie im alten Hafen spazieren. Sie liefen auf den ehemaligen Kornspeicher zu, wo es unten einen Laden gab, der Pommesbude hieß, und daneben die Schokoladen-Manufaktur, wo es auch köstlichen Kakao gab.
Susi hätte hier eigentlich täglich essen können und gar nichts anderes gebraucht als die guten Pommes mit superfruchtigen und scharfen Soßen. Pommes Schranke. Rot-Weiß. Was brauchte der Mensch mehr?
Aber ab und zu wollte Tobias die Küche benutzen und Fischstäbchen braten. Er war ein Fischstäbchen-Gourmet, kannte alle Sorten und mischte die besten zu einem Fischstäbchen-Salat. Er baute Häuser damit. Autos, Schiffe oder eine Eisenbahn. Er benutzte Fischstäbchen wie heiße Legosteine.
Im Grunde war er ein Künstler. Ein Fischstäbchen-Künstler.
Es war schön, sich an der Hand zu halten. Gar nicht komisch oder kompliziert. Es kribbelte ein bisschen. Von den Fingern durch den Arm lief etwas in ihre Schulter, von da aus in ihren Hals, und sie hatte das Gefühl, ihr Herz würde hüpfen, weil Liebestropfen hineinregneten.
Sie hopste an seiner Hand auf und ab. Sollten die Leute doch gucken.
Ja, sie war glücklich!
Nein, sie nahm keine Medikamente mehr. Sie wusste, dass sie die eigentlich brauchte, aber man konnte sie nicht einfach so kaufen. Die Pillen mussten schon von einem Arzt verschrieben werden. Sie ging aber zu keinem Doktor. Sie war doch nicht blöde und ließ sich wieder einfangen .
Angeblich gefährdete sie ohne die Tabletten sich und andere. Aber das stimmte nicht. Nur weil sie sich ein paar Typen mit dem Taschenmesser vom Leib gehalten hatte, war sie doch nicht gefährlich! Die hatten ihr hinterhergepfiffen, und der Große, dem sie mit ein paar Schnitten das Gesicht verschönert hatte, der hatte ihr auf den Arsch geschlagen und gefragt: »Na, du Dreilochstute, wie wäre es mit uns beiden? Bist du das Senftöpfchen, in das ich mein Würstchen stecke?«
Typen gab es!
Seine Freunde hatten vor Gericht behauptet, er habe das gar nicht gesagt.
Klar. Die hielten natürlich zusammen . Und vielleicht hatte er es ja auch wirklich nicht gesagt, sondern nur gedacht. Aber das war genauso schlimm.
Sie konnte manchmal in den Augen der Männer sehen, was sie dachten. Sie konnte sogar ihre Stimmen im Kopf hören. Selbst wenn sie die Lippen fest zusammenpressten, um ihre schlimmen Gedanken nicht herauszulassen - sie konnte sie hören.
Zum Glück war Tobias da ganz anders. Mit ihm konnte sie »Mühle« und »Dame« spielen. Nächtelang. Er ließ sie nicht gewinnen. Sie war einfach besser als er.
Wenn er sie beim Mogeln erwischte, dann wurde er nicht sauer. Im Gegenteil. Er forderte sie auf, es noch einmal zu machen, aber diesmal besser.
»Ich habe mich mein ganzes Leben durchgeschummelt. Es ist eine gute Methode, um dem Irrsinn der Welt zu entkommen. Wer fair spielt, verliert sowieso. Der Ehrliche ist meist der Dumme. Es kommt darauf an, die anderen geschickt zu täuschen. Ablenkung ist das Erfolgsgeheimnis. Wenn man es klug anstellt, kann man die Aufmerksamkeit der Menschen lenken.«
Das hatte sie sich gemerkt. Und es stimmte. Jetzt zum Beispiel, wie die Männer guckten, weil sie ihren kurzen Rock trug, der unten ein bisschen flatterte, wenn der Wind kam oder sie mit den Hüften wackelte. Sie sahen nichts anderes mehr, nur noch ihre Beine. Sie waren abgelenkt. Jeder Taschendieb hätte ihnen leicht die Portemonnaies stehlen können.
Sie zog Tobias zur Pommesbude. Er wollte eigentlich lieber Fischstäbchen, aber um ihr einen Gefallen zu tun, gab er nach.
Er tat viel nur aus Liebe zu ihr. So war das, wenn man einen Freund hatte. Ein richtig Verliebter aß auch schon mal Pommes Schranke statt Fischstäbchen. Zumal es hier ja echt die besten Pommes gab.
Mit den Ellbogen auf einen Stehtisch gestützt, aßen sie die heißen Kartoffelstäbchen natürlich mit den Fingern. Genussvoll zog sie eins erst durch die rote Soße, dann durch die Mayo.
Da platzte es einfach so aus ihr heraus: »Wenn wir heiraten, dann feiern wir hier.«
Sie erschrak über ihre eigenen unüberlegten Worte. Eigentlich wollte sie doch nur sagen, dass es ihrer Meinung nach ewig so weitergehen konnte. Einfach in den Tag hineinleben, den Schiffen zugucken und Pommes essen.
Er lachte: »Klar. Wo denn sonst?«
»Willst du«, fragte sie vorsichtig, »weitermachen?«
»Womit?«
»Na ja .« Sie flüsterte: »Du bist der Weihnachtsmann-Killer.«
Er grinste: »Der ist in der Nordsee auf seinem Boot in die Luft geflogen.«
Er machte eine große Bewegung. Dabei segelten Pommes vom Tisch, was die lauernden Möwen als Aufforderung verstanden.
Bei ihm war sie nie sicher, ob er so etwas absichtlich machte. Es sollte für die Leute aussehen wie ein Versehen, weil man Möwen ja nicht füttern durfte. Aber er tat gern verbotene Dinge. Und er fütterte gern Möwen.
Es machte einfach viel mehr Spaß, gemeinsam Verbotenes zu tun.
Sie warf den Möwen ein Kartoffelstäbchen zu. Geschickt schnappte eine es in der Luft.
»Ich habe in deinem Zimmer einen selbstgemachten Adventskalender gesehen.«
»Das ist kein Adventskalender«, erwiderte er, »das ist eine Todesliste. Die muss ich noch abarbeiten. Das bin ich mir selber schuldig.«
»Gibt es so etwas? Dass man sich selbst etwas schuldet? Hast du es dir denn bei dir selbst geliehen?«
Er staunte sie an. »Du kannst Fragen stellen .«
»Ich will noch mehr Pommes!«
Für eine so zierliche Person hatte sie einen erstaunlichen Appetit. Er wusste nicht, wo sie all die Kalorien ließ.
Nach der zweiten Portion Pommes gab es in der Schokoladen-Manufaktur für sie noch einen Kakao mit weißer Schokolade und für ihn einen Kaffee mit schwarzer Schokolade. Sie beugte sich über den Tisch zu ihm vor und verpasste ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Er ließ es erfreut geschehen.
Sie sahen sich in die Augen, und sie fragte: »Sollen wir uns heute mal lieben? Ich meine, so richtig . Wie echte Liebespaare . So mit Knutschen und Anfassen und allem?«
»Wenn ich es überleb«, wollte er sagen und fand das auch witzig. Aber dann schwieg er doch lieber, um sie nicht zu verärgern.
Eigentlich hatte er es so, wie es bisher war, ganz klasse gefunden. Er hoffte, dass es jetzt nicht kompliziert werden würde. Der Versuch, das...
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