Schweitzer Fachinformationen
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Samstagnachmittag
Rita sieht, wie der Temperaturanzeiger in den roten Bereich klettert. Der Wagen, der, den sie nicht kaufen wollte, der laut Berndt jedoch der beste war, den sie sich leisten konnten, rattert mit Höchstgeschwindigkeit - bescheidenen hundert Stundenkilometer - dahin. Die Klimaanlage hat schon bei ihrer Abfahrt in Sydney den Geist aufgegeben, und die Belüftungsanlage bläst ihr so viel heiße Luft auf die Arme und ins Gesicht, dass sie sich fühlt wie in einem Umluftofen. Es ist 12.30 Uhr, laut Thermometer am Armaturenbrett beträgt die Außentemperatur 41 °C.
Die Straße erstreckt sich meilenweit in gerader Linie, sie flirrt in der Hitze wie öliges Wasser. Zu beiden Seiten befinden sich flache Ebenen mit blassgrünem, sonnengebleichtem Spinifex, endlos und leer. Ab und zu erscheint ein Baum im grellen Licht, versunken in einem Meer aus Gras. Im flimmernden Hitzedunst sieht es so aus, als würde er über der Erde schweben. Ritas Sonnenbrille, die ihr im Geschäft so großartig gestanden hat, ist nicht ausgerichtet auf die intensive Sonne - sie spürt, dass Kopfschmerzen aufziehen. Neben ihr schläft Berndt, den Kopf gegen das Fenster gelehnt, den Mund geöffnet.
Ein rotes Licht blinkt am Armaturenbrett auf, und der Temperaturanzeiger kriecht immer weiter in den roten Bereich. Sie nimmt den Fuß ein wenig vom Gas und verringert die Geschwindigkeit auf achtzig Stundenkilometer. Es war ein Fehler, das Auto zu kaufen, aber dank Berndts Beharrlichkeit sitzt sie am Steuer eines fünfzehn Jahre alten, schrottreifen Ford Fiesta, der zu alt und unbequem für diese lange Reise ist. Bis hierher zu kommen, hat länger gedauert als erwartet und war ziemlich anstrengend. Die Straßen sind schlecht. Einspurig in beide Richtungen, holprig und mit Kiesrändern. Wenn riesige Lastwagen mit drei oder vier Anhängern vorbeidonnern, spritzen Kieselsteine gegen die Windschutzscheibe, was unter Umständen tödlich sein kann. Die Scheibe des Fiestas ist bereits mit einem Spinnennetz aus Rissen überzogen, seit sie einem der Trucks zu dicht aufgefahren sind.
Sie vermisst Sydney jetzt schon. Sechs Monate hatten sie in dem Hostel verbracht und einen tollen Freundeskreis gefunden, lauter junge, freie Leute, die einfach nur Spaß haben wollen. Keine langweiligen Diskussionen über die Zukunft, kein Stress wegen der beruflichen Karriere oder der Lebensplanung. Das hatte Zeit bis später - im Augenblick war das das Leben, das sie sich erträumt hatte. Sie hatte einen guten Job bei der Modekette Sportsgirl gehabt und tolle Rabatte auf die Kleidung bekommen. Sie hatten viele Partys geschmissen, nächtelang in den Bars und Nachtclubs der Stadt gefeiert oder im Hostel, wo sie tranken, redeten und lachten. Sogar im Winter war es in Sydney mild, verglichen mit Berlin, und sie hatten lange, sonnige Tage am Strand und die Wochenenden in den Blue Mountains verbracht, hatten sogar einige Trips nach Neuseeland und auf die Fidschi-Inseln unternommen.
Und dann hatte Berndt vor ein paar Wochen einen barschen älteren Deutschen kennengelernt, der für ein paar Tage im Hostel abgestiegen war. Rita erinnert sich, wie er sich über ihre Version des Rucksackreisens lustig gemacht hat: »Ihr sitzt alle hier rum, trinkt eure Flat Whites und Cocktails und macht eure Instagram-Fotos. Ihr seht doch gar nichts Echtes! Das ist kein Reisen, das ist nur Posen.«
Vielleicht gefällt es mir zu posen, hatte sie gedacht und sein Gerede als selbstgerechtes Geschwafel abgetan, aber Berndt hatten seine Worte getroffen. Er will ein Traveller sein, ein richtiges Abenteuer erleben. Ihnen war immer klar gewesen, dass sie drei Monate im ländlichen Australien würden arbeiten müssen, um ihr Visum verlängern und ein weiteres Jahr das entspannte Strandleben in Sydney genießen zu können. Das war von Anfang an so ausgemacht gewesen, und sie freute sich sogar darauf. Doch es bestand kein Grund zur Eile, und alle hatten ihnen geraten, auf den australischen Winter zu warten, da das Outback im Sommer ein Inferno von Hitze und Staub ist.
Doch nach den herablassenden Bemerkungen dachte Berndt an nichts anderes, als ins Landesinnere zu fahren. Sie liebten schließlich die Hitze, behauptete er. Hatte sie ihm nicht erzählt, dass auch sie jeden Sommer an die Strände von Portugal und Spanien gereist war? Er schlug sogar das Angebot aus, auf einem Weingut etwas außerhalb von Sydney zu arbeiten. Das sei zu vertrautes Terrain, befand er. Er wollte im echten Australien arbeiten, im Outback, und er hatte ganze Tage damit zugebracht, sie zu überzeugen, dass dies eine gute Idee sei. Die Erinnerungen an ihre drei Monate als Cowgirl und Cowboy würden ihnen Kraft geben, wenn sie wieder zu Hause waren und irgendwelchen langweiligen Jobs nachgingen. Und so sind sie jetzt hier, in diesem beschissenen Kleinwagen, meilenweit von jeglicher Zivilisation entfernt. Keine Sportsgirl-Filiale, keine Margaritas, kein Strand.
Sie hatte recht mit dem Auto, doch es war falsch gewesen, darauf zu bestehen, dass sie heute noch weiterfuhren. Berndt hatte in Caloodie bleiben wollen, in der Kleinstadt, in der sie die gestrige Nacht verbracht hatten. Dies sei das echte Australien, hatte er behauptet, genau das, wonach er suchte, seit sie Sydney verlassen hatten. Rita hatte das Wild-West-Feeling ebenfalls gefallen, als sie gestern Nachmittag angekommen waren - die breiten leeren Straßen, die Männer mit ihren Cowboy-Hüten, das Hotel mit der Veranda, die auf die Hauptstraße hinausging. Doch gestern Abend im Pub des Federal Hotel hatte sie sich nicht willkommen gefühlt.
Sie bestellten ein paar Drinks und etwas zu essen. Der Gastraum war angenehm klimatisiert und so kühl, dass sie Gänsehaut an den nackten Armen und Beinen bekam und der allgegenwärtige Schweiß in ihrem Nacken, auf dem Rücken und den Oberschenkeln trocknete. Das Steak und die Pommes, die sie bestellten, waren salzig und schmeckten ausgezeichnet, das Bier war so kalt, dass außen am Glas Kondenswasser hinabrann.
An der großen, u-förmigen Bar saßen nicht viele Leute für einen Freitagabend, doch möglicherweise war hier nie sehr viel mehr los. Mehrere Männer hockten allein am Tresen, außerdem einige Zweier- und Dreiergrüppchen. Bis auf die kleinen Kinder einer Familie im Gastraum waren sie die einzigen Gäste unter dreißig, und sie war die einzige Frau an der Bar. Sie spürte die Augen der Männer auf sich, ein paar von ihnen schienen sie mit dreisten Blicken auszuziehen. Berndt beschloss, sich mit einem Typen neben ihm anzufreunden, aber in ihren Ohren klang seine gedehnte australische Sprechweise sarkastisch. Sie bemerkte, wie eines der Männergrüppchen sie beobachtete und sich lachend abwandte. Es war die Art Pub, die man in jeder Kleinstadt fand - alles andere als cool, ein bisschen trostlos und wenig einladend, sodass sie keinerlei Bedürfnis verspürte, ihren Aufenthalt hier zu verlängern.
Doch heute Morgen behauptete Berndt plötzlich, er sei erschöpft von der tagelangen Fahrerei, und er wolle sich etwas ausruhen, bevor sie mit dem Job anfingen. Einfach einen Tag nur im Bett liegen, die klimatisierte Kühle genießen und vielleicht ein wenig die Stadt erkunden. Möglicherweise konnten sie ja irgendwo schwimmen gehen.
Die Rinderfarm sollte ruhig noch ein bisschen auf sie warten, bestimmt konnten sie die Zeit hinten anhängen. »Es ist Samstag«, hatte er gesagt. »Wenn wir morgen eintreffen, fangen wir einfach am Montag an. Gib zu, das macht Sinn.« Doch sie konnte die Tatsache nicht einfach so verdrängen, dass sie bereits einen Tag zu spät dran waren. Sie hatten dem Besitzer der Farm geschrieben, dass sie am Freitagabend eintreffen würden, doch sie hatten die Distanzen und die Geschwindigkeit, mit der sie vorankommen würden, unterschätzt. Sie durften nicht noch einen Tag später kommen.
Babs würde ihr beipflichten, denkt sie jetzt. Ihre ältere Schwester passt immer auf sie auf, aber sie weiß, dass Babs sie für ein bisschen leichtfertig hält, nur weil sie die Schule nicht sonderlich ernst genommen hat und mit dreizehn noch nicht wusste, was sie später beruflich gern machen würde. Trotzdem teilt sie Babs' Gene - und sie möchte einen guten ersten Eindruck machen. Jetzt allerdings sieht es so aus, als würde der Wagen nicht mehr lange durchhalten.
»Berndt.« Sie streckt die Hand aus und schüttelt ihn.
Er wacht auf und sieht sie blinzelnd an.
»Ich denke, wir sollten links ranfahren. Der Temperaturanzeiger ist ziemlich weit oben im roten Bereich, und dieses rote Lämpchen blinkt auch schon seit ein paar Minuten.«
Er greift nach der Wasserflasche im Fußraum und trinkt einen Schluck. »Igitt. Heißes Wasser mit Plastikgeschmack.« Berndt schneidet eine Grimasse, dann lehnt er sich zu ihr und wirft einen Blick auf die Armaturenanzeige. »Das ist nicht gut. Ja, ich denke, wir sollten anhalten, damit der Motor abkühlen kann.«
Er sagt nicht: »Es wäre besser gewesen, wir wären nicht weitergefahren«, was sie vermutlich getan hätte, wäre die Situation umgekehrt gewesen, und sie legt die Hand auf sein Bein.
»Tut mir leid«, sagt sie.
Er nimmt ihre Hand, führt sie an seine Lippen und drückt einen flüchtigen Kuss darauf. »Nein, du hast recht, Babe, wir müssen da hin. Lass uns nach einem Schattenfleckchen suchen, wo wir anhalten können.«
»Ich glaube kaum, dass wir irgendwo Schatten finden. Es gibt hier nirgendwo Bäume!« Rita spürt, wie sich ihr Magen vor Furcht verknotet. »Wir dürfen hier auf keinen Fall liegen bleiben. Seit wir losgefahren sind, habe ich kein anderes Fahrzeug gesehen. Es ist tierisch heiß, und wir...
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