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Im Geburtsjahr Selma Lagerlöfs 1858 kam Kronprinz Gustav - der spätere König Gustav V. - zur Welt, er war der Sohn König Oscars II., der später Selma Lagerlöfs erste große Auslandsreise finanzierte und dem sie in Nils Holgersson ein Denkmal setzte: Der Held des Romans begegnet dem Monarchen im Stockholmer Freilichtmuseum Skansen. - Im selben Jahr 1858 wurde die Göteborgs-Posten, eine der noch existierenden großen schwedischen Tageszeitungen, gegründet. Weiterhin durften ab diesem Jahr ledige Frauen mit 25 bei Gericht die Mündigkeit beantragen, wurden aber, sollten sie heiraten, wieder unmündig. Die körperliche Züchtigung mündiger Hausangestellter wurde verboten. Knechte unter 18 sowie Mägde und Dienstmädchen unter 16 durften jedoch weiterhin geschlagen werden - ein Gesetz, das bis 1920 galt.
Das 19. Jahrhundert war eine Zeit des Umbruchs. Mit Jean Baptiste Bernadotte, einem Offizier Napoleons, war in Schweden eine neue Dynastie gegründet worden. Als König Karl Johan hatte er 1818 den Thron bestiegen, aber gleichzeitig waren Macht und Einfluss des Königshauses und Adels geschwunden. Die Napoleonischen Kriege hatten zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse geführt: Schweden hatte 1812 Finnland an den russischen Zaren verloren, und die von Gustav II. Adolf begründete Zeit Schwedens als Großmacht war damit endgültig vorbei. Das mit Frankreich und Napoleon verbündete Dänemark hatte zwar beim Frieden von Kiel Norwegen an Schweden verloren, aber die Norweger erkannten den schwedischen König nur als Regenten an und hatten sich 1814 eine überaus freiheitliche Verfassung gegeben. Dieser Teilgewinn Norwegens konnte den Verlust der Provinzen östlich der Ostsee nicht wettmachen. Nach 1814 war eine Zeit der Restauration eingetreten, in Schweden aber auch eine Zeit des Niedergangs: Der Absatz von Rüstungsgütern war eingebrochen. Das hatte die Eisenhütten und Schmieden in ganz Schweden und damit auch in Värmland, der wasser- und waldreichen Provinz an der norwegischen Grenze, getroffen.
Ganz Schweden war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von der Auswanderung nach Amerika betroffen, auch Värmland, wo vor allem die Värmlandfinnen auswanderten, insgesamt etwa 80 000 Menschen. Die Bevölkerungszahl dieses Landstrichs fiel von 1865 bis 1910 von 189 000 auf 146 000.8
In Värmland wird - damals viel mehr als heute - ein Dialekt gesprochen, der stark vom Schwedischen der Hauptstadt abweicht und gewisse Ähnlichkeiten mit dem Norwegischen aufweist. Selma Lagerlöf wird sich gelegentlich im Entwurfsstadium ihrer Werke dieses Dialekts bedienen. Im Unterschied zur Schriftsprache wiesen die Verben keine Pluralformen auf. Um 1950 verschwanden sie im Schwedischen auch aus der Schriftsprache und damit ganz. Selma Lagerlöf sollte noch, als sie bereits Lehrerin und gefeierte Schriftstellerin war, Probleme mit der Orthografie haben und ließ ihre Texte stets von Freundinnen durchsehen. Das schrieb sie ihrer unzureichenden und unsystematischen Schulbildung zu. Dazu trug aber auch bei, dass in ihre Lebenszeit die Rechtschreibreform, die Vereinheitlichung der Schriftsprache, in Schweden fiel. In stark abgeschwächter Form verwendete sie das Värmländische später in ihren Schriften in wörtlicher Rede. - Weiter im Norden, an der Grenze von Värmland zu Dalarna, in den >Finnskogarna< (Finnenwäldern), die von finnischen Einwanderern zum Teil gerodet und urbar gemacht wurden, sprach man im 19. Jahrhundert noch Finnisch.
Selma Lagerlöf kam an einem ungemütlichen Novemberabend 1858 auf dem Gut Mårbacka als fünftes (viertes noch lebendes) Kind zur Welt. Eine Schwester, Johanna Maria, war 1854 dreijährig gestorben.9 Der Älteste, Daniel, geboren 1850, lebte bei den Großeltern mütterlicherseits in Filipstad. Er war begabt und besuchte in dieser Kleinstadt die Schule. Seinem jüngeren Bruder Johan (*1854) fiel das Lernen hingegen schwerer, obwohl auch er mit zwanzig in Karlstad das Abitur ablegte.10 Eine Schwester, Anna, war zwei Jahre älter als sie, und vier Jahre nach Selma kam Gerda zur Welt, die zeitlebens ihre Vertraute sein sollte.
Den Abend ihrer Geburt beschreibt Selma Lagerlöf anschaulich in der 1908 verfassten Erzählung »Två spådomar«11 (Zwei Prophezeiungen):
»Man kann sich leicht vorstellen, dass es am 20. November 1858 auf dem alten Hof Mårbacka unruhig und mühsam zuging. Ein Kind wurde an diesem Tag recht spät am Abend geboren, und so etwas führt immer zu Unruhe und Unordnung, selbst an einem Ort, an dem man die Gewohnheit hat, das Leben ruhig zu nehmen und nicht mehr Aufhebens von einer Sache zu machen, als sie wirklich wert ist.«
Selma Lagerlöfs Vater Erik Gustav (1819-1885) hatte erst die militärische Laufbahn eingeschlagen und war beim >Värmlands Fältjägarregemente< (Feldjägerregiment) in Trossnäs bei Karlstad Offizier geworden und bis zum Rang eines Leutnants aufgestiegen. Im Jahr 1852 nahm er seinen Abschied, um den väterlichen Hof Mårbacka zu übernehmen. Er blieb dem Militär jedoch weiterhin als >Mönsterskrivare< (Musterungssekretär) verbunden und war als solcher häufig auf Reisen, um Steuern für das Militär einzutreiben. Bereits sein Vater war Regimentsschreiber gewesen, eine besser besoldete Stellung, die nach seinem Tod auf vier Musterungssekretäre aufgeteilt wurde. Die Besoldung seines Sohnes war also wesentlich geringer.
Die acht Jahre jüngere Kaufmannstochter Elisabet Lovisa (Louise) Wallroth (1827-1915) aus Filipstad im Osten der Provinz Värmland hatte er bereits 1849 geheiratet. Sie war eine gute Partie. Louises Vater, Carl Johan Wallroth, war auch Besitzer von Gårdsjö Bruk, einer Eisenhütte mit Sägewerk, Ziegelei und Mühle, eine halbe Stunde zu Fuß von Mårbacka entfernt, ebenfalls im Fryksdalen gelegen. So hatte sich das junge Paar kennengelernt: Der Gutsbesitzersohn begegnete der ältesten Tochter des >Brukspatron<, des Besitzers der benachbarten Eisenhütte. Die ersten drei Ehejahre verbrachte das Paar auf Gårdsjö Bruk, dann starb Erik Gustavs Vater, der Sohn quittierte den Militärdienst und die Familie übersiedelte nach Mårbacka.
Das Gut war abgelegen: Es gab keine befestigten Landstraßen, im Frühjahr zur Schneeschmelze war das Durchkommen schwierig, die eingleisige Eisenbahn, >Frykdalsbanan<, die diesen Teil Värmlands erschließt, wurde erst 1915 fertiggestellt. Im Sommer verkehrte auf dem See ein Dampfer, der auch die Post brachte.
Mårbacka, Gemälde von Selma Lagerlöfs Onkel Kristofer Wallroth
Mårbacka war nicht nur abgelegen, sondern auch klein. Ein Gemälde von Selma Lagerlöfs Onkel, dem Kunstmaler Kristofer12 Wallroth, das heute in der Diele von Mårbacka hängt, zeigt uns ein bescheidenes, sechs Fenster breites rot gestrichenes Holzhaus. Für den zweiten Band von Selma Lagerlöfs Memoiren Aus meinen Kindertagen zeichnete Gutsinspektor Raoul Kajland einen Grundriss13: Im Erdgeschoss liegen die Küche, die erst von der Großmutter väterlicherseits und der Tante Lovisa Lagerlöf (1824-1907) bewohnte Kammer hinter der Küche, das Ess- und Wohnzimmer (der >Saal<), der (kleinere) Salon sowie das Schlafzimmer der Eltern. Das Kinderzimmer ist ein Giebelzimmer und nur über einen dunklen Speicher zu erreichen. Für große Einladungen fehlte der Platz. Glücklicherweise lag das wichtigste Ereignis des Jahres, der Geburtstag des Vaters, am 17. August, im Spätsommer, und konnte im Freien gefeiert werden.
Grundriss des Gutshauses Mårbacka von Raoul Kajland
Wie die Zimmer in Selma Lagerlöfs Kindheit genau eingerichtet waren, ist bekannt, da nach dem Tod Erik Gustavs ein Nachlassverzeichnis erstellt wurde. Im >Saal<, dem Wohnzimmer, stehen demnach unter anderem eine Couch mit Kissen, zwölf Stühle, ein Schaukelstuhl sowie der runde Esstisch. Eine Lithografie, deren Wert 1885 auf drei Kronen veranschlagt wird, zeigt den Dichter Carl Michael Bellman.14
Die meistgelesene Beschreibung Mårbackas findet sich in Selma Lagerlöfs Roman Nils Holgerssons wunderbare Reise mit den Wildgänsen von 1906-07. Im 49. Kapitel trifft die Autorin auf dem Gut mit dem Helden des Romans zusammen, der sich bereits auf der Rückreise aus Lappland befindet. Nils wird von dem Waldkauz bedrängt, der auf dem Speicher des Haupthauses wohnt, und von der Autorin gerettet. Selma Lagerlöf beschreibt das Anwesen und das Leben auf dem Gut im Jahreslauf zur Zeit ihrer Kindheit.
Auch in Selma Lagerlöfs erstem Roman, ihrem Hauptwerk, Gösta Berlings Saga von 1891 taucht Mårbacka unter dem Namen Lövdala im Kapitel »Liljecronas Heimat« als Nebenschauplatz auf. Und in dem Roman Liljecronas...
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