Schweitzer Fachinformationen
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Draußen im Wald und mitten im Leben Bärige Statur, grüner Filzhut, ein Bart wie ein Waldschrat und ein Eichhörnchen auf der Schulter - Wolfgang Schreil ist eine eindrucksvolle Erscheinung. Vor allem aber verkörpert er den Inbegriff des Aussteigertums. Als Woid Woife lebt er in Bodenmais im Bayerischen Wald. Sein Zuhause: ein alter Bauwagen zwischen Bäumen und Unterholz, dekoriert mit Bussardkrallen und Falkenfedern. Auf selbstgezimmerten Regalen stapeln sich Naturbücher und hausgemachter Bärwurz. Vor der Tür eine Bank und eine Gießkanne als Dusche, mehr braucht Woife nicht. Und obwohl er sich nicht als Einsiedler betrachtet, leisten ihm die Tiere im Wald öfter Gesellschaft als die Menschen. Mein Leben als Aussteiger am Großen Arber »Das Schönste wäre, ihr lerntet den Wald lieben wie ich. Denn eines ist klar: Das, was man liebt, das achtet man und macht es nicht kaputt.« Wolfgang versteht das Ökosystem Wald und seine Bewohner wie kein zweiter. Er weiß, warum der Specht keine Gehirnerschütterung bekommt und warum vegan lebende Vogeleltern ihre Jungen nie fleischlos ernähren würden. Auf Erlebniswanderungen begeistert er auch andere für die Natur. In »Mein Leben im Wald« erzählt er, wie er seine Karriere als Kraftsportler an den Nagel hängte, um der Wildnis der Städte zu entkommen: - Aus dem Rampenlicht in die Stille des Waldes: die außergewöhnliche Geschichte eines Aussteigers - Leben im Einklang mit der Natur fernab von der Hektik des Stadtalltags - Den Wald verstehen, lieben, schützen: eine Übung in Achtsamkeit Mein Leben im Wald ist die Geschichte eines Mannes, der reicher nicht sein könnte, obwohl er ohne jeden Luxus lebt. Lassen Sie sich anstecken von der Liebe zur Natur!
Eigentlich hätte es mich gar nicht geben sollen. Nur dank meiner Mutter und ihres Vertrauens in die Natur kam ich am 4. September 1975 um 20:05 Uhr im Krankenhaus Zwiesel, Zimmer 373, auf die Welt. 3150 Gramm schwer, 50 Zentimeter groß und kerngesund. Die Ärzte hatten meiner Mutter zur Abtreibung geraten, als der »Unfall«, also ich, diagnostiziert wurde. Sie war damals 42 Jahre alt, hatte nach meinen beiden Geschwistern keinen Nachwuchs mehr geplant. Die Zeiten, in denen Promi-Frauen dank ihrer Reproduktionsmediziner noch mit fünfzig schwanger werden, waren längst nicht da. Damals galten Dreißigjährige als spätgebärend. »Das Risiko ist zu hoch, Frau Schreil«, sagten die Mediziner über das Kind in Mamas Bauch. »Ich glaube an dich!«, sagte meine Mama zum ungeborenen kleinen Wolfgang. Ein Eingriff in die Pläne der Natur, das kam für sie nicht infrage.
»Ich glaube an dich!« Wie oft hat sie das später noch zu mir gesagt, obwohl ich in der Schule nicht viel zustande gebracht hatte und meine Ausbildung zum schlechtesten Kfz-Mechaniker der Welt mit Ach und Krach beendete. Ich war nie gut in Dingen, die mich nicht wirklich interessiert haben. Einmal brachte mir das Christkind ein Puzzle. »Mama, das ist kaputt!«, rief ich enttäuscht. Ich verstand nicht, warum ich mir die Mühe machen sollte, es zusammenzusetzen, wo doch das fertige Bild vorne auf der Schachtel war. Ich schnitt es aus und hängte es an die Wand in meinem Kinderzimmer. Ja, so war ich.
Für andere mag ich ein sonderbares Kind gewesen sein, ein Einzelgänger, der ständig im Wald herumhing. Meine Mutter aber gab mir immer das Gefühl, dass alles, was ich tue, genau richtig ist. Sie war die Liebenswürdigkeit in Person. Nur eines machte sie wütend: Wenn jemand die Natur nicht respektierte. Ich weiß noch, ich war so sechs Jahre alt, da pflückte ich einen schönen Wiesenblumenstrauß im Glauben, ihr ein prima Geschenk zu bringen. Sie erklärte mir, dass es sie viel mehr freue, wenn sie die Blumen auf der Wiese stehen sehe. Von da an bekam sie stets Topfpflanzen von mir.
Meiner Mutter habe ich so vieles zu verdanken, vor allem meine besondere Verbindung zur Natur. Jeden Samstag ging sie mit mir in den Wald. Sie lehrte mich die Namen der Pflanzen und Tiere. Wir sammelten Heidel- und Preiselbeeren, Birkenpilze und Rotkappen und so viele gemeinsame Wald-Momente, von denen ich heute noch zehre. Sie war es, die mir beibrachte, was Liebe ist. Liebe und Respekt. »Fass mal an!«, sagte sie und zeigte auf einen moosüberwucherten Stein. »Der ist Jahrmillionen alt. Verstehst du, Woife? Alles hier im Wald hat eine Geschichte und du musst Ehrfurcht davor haben. Keine Angst, aber Ehrfurcht! Die Kreuzotter wird dich nicht beißen, solange du sie respektierst.«
Meine Mutter war vielleicht eine einfache Frau, aber unwahrscheinlich klug im Herzen. Dass sie todkrank war, verstand ich als kleiner Bub noch nicht. Sie litt unter schwerem Asthma, hatte immer wieder Erstickungsanfälle. Erst als ich einmal im Alter von vielleicht acht Jahren miterleben musste, wie sie blau anlief und um Luft rang, ahnte ich, dass Mama nicht für immer da sein wird. Die ratlosen Blicke der Ärzte ließen mich in die Küche tapsen zum Herrgottswinkel. Ich kniete unter dem Kreuz nieder und flehte: »Bitte, lieber Gott, lass meine Mama nicht sterben!« Ein bisschen Zeit mit ihr hat er mir noch gegeben. Ich vermisse sie. Jeden Tag.
Wenn ich an meine Mama denke, sehe ich sie sonntags vor unserem Häuschen in der Arberseestraße sitzen, gleich dahinter der Wald. Sie schneidet Schwammerl, es ist ein heißer Hochsommertag und es riecht nach Fichtenharz und Steinpilzen. Das waren die schönen Tage meiner Kindheit. Dann gab es die anderen. Ich war kein unbeliebtes Kind, das nicht, eher der Typ Klassenkasper. Aber ich wurde auch gehänselt. Heute würde man sagen: gemobbt. »Fetti« riefen sie mich im Freibad und auf dem Pausenhof. Meine Körperfülle war ständiger Anlass, mich mit Worten zu piesacken. Sehr oft war ich deshalb traurig. Dann verzog ich mich in den Wald. Die Einsamkeit und die Stille dort machten mir nichts aus. Im Gegenteil: Sie bedeuteten Frieden für mich. Das mag traurig klingen, wenn ein kleines Kind lieber allein ist als von Freunden umgeben, aber ich war nicht unglücklich. Die vielen Bäume und die wenigen Menschen - das war etwas, was ich von klein auf als schön empfand. Es fühlte sich wohlig an unter den dunklen grünen Wipfeln, als würde ich unter eine warme Decke kriechen.
»Menschen können furchtbar sein«, das habe ich damals oft gedacht. Mit den Tieren war das anders. Ich guckte stundenlang den Eichhörnchen zu, sie fassten Vertrauen und blickten mich keck an. Ich verstand: Die Tiere dulden mich, so wie ich bin. Die machen sich keine Gedanken darum, ob ich dick bin oder nicht. Sie wurden meine wahren Freunde und haben mich »leben und leben lassen« gelehrt.
Meine Eltern haben eigentlich immer gearbeitet. Im Urlaub waren wir nie. Erzählten die anderen Kinder nach den Ferien von ihren Reisen nach Spanien und Italien, konnte ich nur mit dem Bayerischen Wald aufwarten. Aber das machte mir nichts aus. Ich kann mich kaum erinnern, dass mein Vater mal zu Hause war. Neben seinem Job an der Sesselbahn am Silberberg, einem unserer Hausberge, arbeitete er noch im örtlichen Sägewerk. Meine Mutter hatte zwei Arbeitsstellen als Putzfrau. Ich war oft allein. Schon als ganz kleiner Pimpf. Während meine Schulkameraden zusammen spielten, stromerte ich durch den Wald, trank Wasser aus einer Quelle und aß die Früchte des Waldes, die meine Mama mir als genießbar gezeigt hatte. Meine Eltern ließen mich anfangs nur in Blickweite ziehen, dann für eine Stunde. Als sie verstanden, dass ich mich zurechtfand, durfte ich den ganzen Tag raus zu meinen Bäumen und Bächlein. Ohne Handy, ohne Uhr. Niemand scherte sich etwas darum. Was für eine Freiheit! Heute wohl unvorstellbar. Natürlich kannte ich Märchen wie Hänsel und Gretel, aber ich dachte immer, das muss in einem bösen Wald ganz weit weg passiert sein, nicht in »meinem« Wald in Bodenmais.
Mit herkömmlichen Kindersichtweisen und -spielen konnte ich ohnehin nicht viel anfangen. Ich bekam einen Spielzeugbauernhof und beschwerte mich über den falschen Maßstab. Die Kuh war doch viel zu klein! Wenn im Zeichentrickfilm das starke Hühnchen den Wolf besiegte, schaltete ich aus. »Das kann gar nicht sein!«, beschwerte ich mich bei meinen Eltern über den Schmarrn im Fernsehen. Ich erinnere mich sehr gut, dass ich mich als Kind oft fragte, warum ich so anders als die anderen war. Ja, ich hatte meine Andersartigkeit erkannt, aber nicht als (m)einen Makel. Hatte ich doch meine richtige Welt, in der alles zueinanderpasste und ich hinein: den Wald. Dort spielte ich mit Zapfen und Kastanien, klebte mir Ahornsamen, im Volksmund auch »Nasenzwicker« genannt, auf die Nase und kraxelte auch einmal heimlich auf einen Jägerhochsitz.
Manchmal besuchte ich meinen Papa auf dem Silberberg bei der Arbeit. Dort gab es einen kleinen Streichelzoo mit Ziegen, Eseln und Schafen. Meine Eltern zeigten mir, wie ich sie anfassen darf. »Die Tiere sprechen sehr viel mit uns, die Leute sehen es nur oft nicht«, sagten sie mir. Ich lernte, auf die Signale der Tiere zu achten. Wenn mir der große Schafbock mit seinen imposanten Hörnern dann doch einen blauen Fleck verpasste, traute ich mich nicht, es zu Hause zu erzählen. Meine Eltern hätten gefragt: »Was hast du dem Tier getan?« und nicht umgekehrt. So wie früher stets der Lehrer recht hatte, ob es stimmte oder nicht.
Fühlte ich mich ungerecht behandelt, suchte ich Trost bei unserer Katze. Sie hieß so, wie heute höchstens noch Politikergattinnen und damals eigentlich jede Mieze: Muschi. Ich sehe sie noch vor mir liegen auf der himmelblauen Tagesdecke in meinem Kinderzimmer. Schwarz mit roten und grauen Tupfen im Fell. Ein ganz besonderes Tier. Muschi merkte immer, wenn es mir nicht gut ging. Sie war meine beste Freundin, hatte nichts Hinterlistiges. Überhaupt hat mich kein Tier je enttäuscht oder getäuscht. Bewusstes Täuschen, das gelingt nur dem Menschen. Muschi schlief bei mir im Bett, ich vergrub meine Nase in ihrem Fell und lauschte ihrem monotonen Schnurren, bis ich einschlummerte. Ihren Geruch nach Kuhstall und Heu habe ich richtig aufgesogen. Manche hätten vielleicht gesagt, dass sie stinkt. Für mich roch sie besser als jedes Parfum. Sie starb zwei Wochen nach meiner Mutter.
Als meine Schulkameraden sich langsam für Mädchen und Ausgehen interessierten, baute ich noch immer Häuser aus Ästen und Blättern im Wald. Ich war während meiner ganzen Jugend nur auf einer einzigen Party. Das war mit zwölf oder dreizehn Jahren und ich fand es so dermaßen blöd und oberflächlich, dass ich nie wieder zu einer gegangen bin. Eine Disco sah ich zum ersten Mal mit neunzehn von innen. Allerdings...
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