Schweitzer Fachinformationen
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Kommissar Rotfux kuschelte mit seinem Dackel Oskar auf dem weichen Berberteppich, den er von einer Reise nach Marokko mitgebracht hatte. Er streichelte dem Hund über den Rücken, kraulte ihn hinter den Ohren und verstrubbelte ihm seinen hellen, flauschigen Bart, der sich vom dunkleren, saufarbigen Fell abhob. Durch das große Wohnzimmerfenster waren der Main und die Uferpromenade zu sehen. Einige Aschaffenburger genossen noch ihren Abendspaziergang, teilweise mit Hund an der Leine oder mit Partnerin am Arm.
»Ach, Oskar«, seufzte der Kommissar, »heute würde ich am liebsten nicht mehr an die Hochschule gehen, sondern gemütlich bei dir bleiben.«
Der Rauhaardackel legte seinen Kopf flach auf den Teppich und sah Rotfux schräg von unten mit seinen dunkelbraunen Augen an. Was er mir wohl sagen will, fragte sich Rotfux. Er hing sehr an dem Hund, ganz besonders, seit ihn seine Freundin Caroline verlassen hatte. Der Dackel gab ihm das Gefühl, nicht allein zu sein. Er begleitete ihn tagsüber ins Kommissariat, ging mit ihm nach dem Dienst spazieren und nachts schlief er in seinem Körbchen direkt neben dem Bett von Kommissar Rotfux. Caroline mochte den Dackel auch. Aber dann hatte sie sich einem anderen an den Hals geworfen, einem Professor für Rechnungswesen der Hochschule. Zuerst merkte es Rotfux gar nicht. Irgendwann fiel ihm auf, dass Caroline seltener bei ihm übernachtete. Er dachte, sie hätte viel Arbeit, müsste sich intensiver auf ihre Lehrtätigkeit an der Hochschule vorbereiten. Bis sie ihm eines Tages unter Tränen gestand, sie habe sich in einen anderen verliebt. Rotfux konnte es zuerst gar nicht glauben. Sie waren fast drei Jahre zusammen gewesen, hatten über Kinder gesprochen, sich die Zukunft ausgemalt. Gut, er musste zugeben, dass Caroline hauptsächlich über Kinder gesprochen hatte und er sich damit noch Zeit lassen wollte. Vielleicht war das sein Fehler gewesen, vielleicht hätte er stärker auf ihre Wünsche eingehen sollen, aber das war nun ohnehin zu spät. Er spürte die Wärme des Dackels an seinem Bein und fühlte eine tiefe Geborgenheit durch die Anwesenheit des Hundes.
»Du bist mein Bester! Gut, dass wir zusammenhalten«, sagte Rotfux leise und kraulte ihn an der Brust zwischen den vorderen Beinchen. Der Dackel streckte sich und rollte sich zufrieden auf dem flauschigen Berberteppich zusammen.
Es behagte Rotfux absolut nicht, noch an die Hochschule zu müssen. Doch der Präsident der Hochschule hatte ihn höchstpersönlich zu einer Podiumsdiskussion eingeladen, zum Thema »Ausbeutung in der Textilindustrie«. Er kannte den Präsidenten und konnte ihm schlecht etwas abschlagen. Außerdem war dieses Thema im Grunde von dienstlichem Interesse, denn Aschaffenburg und seine Umgebung bildeten ein Zentrum der deutschen Textilindustrie, auch wenn inzwischen überwiegend im Ausland produziert wurde. Deshalb gab es schon mehrfach Aktionen gegen Bekleidungshersteller, ganz besonders nach der schrecklichen Tragödie, die sich 2013 in Bangladesch abgespielt hatte. Seitdem griffen immer wieder Greenpeace-Aktivisten und andere Gruppierungen Bekleidungsproduzenten und -händler an und warfen ihnen vor, daran mit schuld zu sein.
Kommissar Rotfux gab sich einen Ruck, machte sich kurz frisch, zog Jackett und Krawatte an und verabschiedete sich von seinem Dackel.
»Oskar, bleib«, sagte er, »komme wieder.«
Diese Sätze kannte der Hund und wusste, dass sein Herrchen wiederkommen würde. So konnte ihn Rotfux problemlos mehrere Stunden alleine lassen, ohne dass er bellte. Die Aula der Hochschule war schon gut gefüllt, als Rotfux dort eintraf. Er ging durch den Mittelgang nach vorne und begrüßte den Präsidenten.
»Schön, dass Sie es möglich machen konnten, Herr Kommissar«, freute der sich. Er war wie immer schick gekleidet und seine kurzen dunklen Haare und die markante Nase gaben ihm etwas Nachdrückliches.
»Das Thema >Ausbeutung in der Textilindustrie< interessiert mich. Bin gespannt, was es Neues gibt«, antwortete Rotfux.
»Wir haben in der ersten Reihe für Sie reserviert. Frau Berendt wird Ihnen den Platz zeigen.«
Er begrüßte die Sekretärin des Präsidenten, die ihn zu seinem Platz führte. Rotfux wollte sich gerade setzen, als er drei Stühle rechts von sich Caroline mit ihrem Neuen sah. Das hat mir gerade noch gefehlt, zum Glück sitzen sie nicht direkt neben mir, dachte er. Er zwang sich, zu Caroline zu gehen, gab ihr kurz die Hand, wünschte einen schönen Abend und ging dann wieder zu seinem Platz. Ihren neuen Freund hatte er geflissentlich übersehen. Mit dem wollte er nun wirklich nichts zu tun haben. Neben Rotfux saß eine flotte Professorin, wie er an ihrem Namensschild erkannte. Sie war noch jung, vielleicht knapp über 30, und als sie hörte, dass Rotfux Kommissar war, wurde sie ziemlich gesprächig. Klar, Rotfux war mit seinen 46 Jahren einer der begehrtesten Junggesellen Aschaffenburgs, auch wenn er momentan die Trennung von Caroline noch nicht ganz überwunden hatte.
Ein Student trat ans Mikrofon, ein stattlicher junger Mann mit kurz geschnittenen schwarzen Haaren, etwa 1,90 groß, der durch seine sportliche Frisur und den durchtrainierten Körper dynamisch wirkte. Er stellte sich als Bastian Helferich, derzeitiger Leiter von Economics Aschaffenburg, vor, einer studentischen Vereinigung zur Förderung der Kooperation zwischen Hochschule und Wirtschaft. Nach einer kurzen Begrüßung und Nennung des Themas bat er die Teilnehmer der Diskussion aufs Podium:
Zuerst Samuel Schulte, einen Greenpeace-Aktivisten, fast 2 Meter groß, mit blonden lockigen Haaren, ein schlaksiger Kerl, in Jeans und Sweat-Shirt, der an der Hochschule Betriebswirtschaft studierte. Als er das Podium betrat, gab es Applaus aus dem Publikum. Einige hielten Transparente in die Höhe, auf denen >Schluss mit der Ausbeutung< oder >Weg mit der Modemafia< zu lesen war. Der scheint seine Hausmacht mitgebracht zu haben, dachte Rotfux.
»Ist ein guter Student«, flüsterte die Professorin neben ihm, »ich kenne ihn aus meinen Veranstaltungen.«
Als Nächster wurde Thomas Herder aufs Podium gebeten, ein stattlicher Mann von etwa 55 Jahren, Inhaber eines der größten Versandhäuser Deutschlands und gleichzeitig Vorsitzender der CSU in Aschaffenburg. Als er aufs Podium kam, wurde spärlicher Applaus durch Pfiffe und Buh-Rufe übertönt.
»Bitte bleibt fair«, griff sofort Bastian Helferich ein, »wir danken Ihnen sehr, Herr Herder, dass Sie gekommen sind.«
Thomas Herder nahm es gelassen.
»Ich wusste schon, dass ich mich hier in die Höhle des Löwen begebe«, lachte er.
Im flotten dunklen Anzug, mit blonden Haarlocken im Nacken wirkte er wie ein Aushängeschild der Modebranche und Rotfux fiel auf, dass ihn seine Nachbarin auffallend musterte. Nach ihm betrat Max Seidel das Podium, etwa 45 Jahre alt, ein Aktivist von den Grünen, und es gab wieder Applaus unter den Studenten. Korpulent, mit rundlichem Gesicht, Stirnglatze und Hängebacken wie ein Hamster, wirkte er nicht gerade dynamisch, schien aber als Stadtrat der Grünen für seine Meinung bekannt zu sein. Er watschelte in Gesundheitssandalen und Schlabberjeans über das Podium und setzte sich neben den gestylten Thomas Herder. Die beiden passen wie die Faust aufs Auge, dachte Rotfux. Schließlich wurde Julian Horn von der SPD aufs Podium gebeten, ein schlanker Typ mit längeren dunklen Haaren, Lederjacke, ausgewaschenen Jeans, der mit seiner Nickelbrille, welche auf seiner spitzen Nase saß, irgendwie alternativ aussah. Er gab allen Teilnehmern die Hand und setzte sich auf den letzten freien Platz neben Thomas Herder. Eine sehr interessante Gesprächsrunde haben die Studenten zusammengestellt, dachte Rotfux, und er war froh, doch zu der Veranstaltung gegangen zu sein.
»Wird sicher spannend«, flüsterte er seiner Nachbarin zu.
Nach einer Betrachtung der aktuellen Situation der Textilindustrie prallten die Meinungen hart aufeinander. Insbesondere Thomas Herder wurde von den anderen Diskutanten angegriffen.
»Sie sind verantwortlich für den Tod von Tausenden Textilarbeitern in Bangladesch, in Pakistan, in Kambodscha, in China . Es sind Fabriken eingestürzt, es hat Brände gegeben, die Arbeiter und Arbeiterinnen werden gehalten wie die Sklaven, wenn sie schwanger sind, entlässt man sie. Der bekannteste Fall ist der Einsturz des Fabrikgebäudes in Bangladesch am 24. April 2013, bei dem mehr als 1.100 Menschen getötet wurden, aber das ist nur die Spitze des Eisberges. In Pakistan hat eine Fabrik in Karatschi gebrannt und es sind 260 Arbeiter und Arbeiterinnen umgekommen. Die chinesische Textilindustrie vergiftet die Umwelt. Wollen Sie das alles nicht sehen?«, sagte Samuel Schulte von Greenpeace vorwurfsvoll.
Er hatte laut und etwas erregt gesprochen und donnernder Applaus unterstützte den Redner. Thomas Herder blieb ruhig und gefasst.
»Selbstverständlich bedauere ich all diese Vorfälle«, sagte er. »Aber mit Ihrer pauschalen Kritik machen Sie es sich etwas einfach. Sollen wir keine Textilien mehr aus diesen Ländern beziehen? In Bangladesch gibt es etwa 5.000 Textilfabriken, dort arbeiten zu 90 Prozent Frauen. Es ist ein bitterarmes Dritte-Welt-Land. Alternativen haben die Menschen dort nicht, damit verlören viele ihre einzige Erwerbsquelle.«
»Aber so kann es doch nicht weitergehen!«, mischte sich Max Seidel von den Grünen polternd ein.
»Es geht ja auch nicht so weiter«, konterte Thomas Herder. »Wir machen zum Beispiel beim Textilbündnis der Bundesregierung mit, das für bessere Arbeitsbedingungen in den Entwicklungsländern sorgen soll. Auch Adidas, H&M und viele andere...
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