Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
1
DOMINANZ IN TRADITIONELLER AUTORITÄT
Ich komme zu früh zum Termin mit dem CEO. Der scheint sichtlich erfreut, sogar erleichtert und winkt mich zu der kleinen Gruppe heran, mit der er sich in der Sitzecke seines Büros im Gespräch befindet. Beim Näherkommen sehe ich zwei Mittzwanziger, die - sehr professionell in Anzug mit T-Shirt gekleidet - einen exzellenten Eindruck machen. Die Jahrespraktikanten aus einem Hochschulprojekt, so erfahre ich, geben ein kurzes Review zu ihrer Zeit im Konzern.
Ich werde hinzugebeten und erlebe das laufende Gespräch jedoch alles andere als professionell: Einer der jungen Männer bedankt sich beim CEO für das angenehme Gespräch und schließt im gleichen Satz noch an, dass er natürlich auch weiterhin mittwochs um 15 Uhr zum Yoga gehen wird, auch wenn er festangestellt sei. Der zweite greift das auf und fügt hinzu, dass er ab dem nächsten Monatsersten mit seiner Freundin auf Strom verzichten werde, Planungszeitraum: ein Jahr. Der CEO ist überrascht, bedankt sich für die Information und erhält die Antwort »kein Problem«. Dann sind die beiden draußen.
Mein Kunde atmet tief durch und schaut mich dann fragend an: Was um Himmels willen soll er dazu sagen?
In der darauffolgenden Session war nicht das ursprünglich geplante strategische Thema Gegenstand unseres Dialogs, sondern ein Blick auf die geschilderte Begegnung und damit auch auf die generellen Veränderungen in der Tonalität und dem Inhalt von Gesprächen. Was sagt die geschilderte Sequenz über die Haltung des CEO, über die Veränderungen der Arbeitsethik in der Gegenwart und über die GenZ7 aus?
Die Durchsetzung von Interessen »von unten«
In einem ersten Schritt fragte sich der CEO selbst, wie er zukünftig mit »Zumutungen« wie dem Yoga-Kurs oder dem Stromspar-Vorhaben umgehen könnte. Bislang war ihm so etwas noch nicht vorgekommen: die Ansprache privater Belange durch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus anderen Führungsteams bei ihm und erst recht nicht seine indirekte Zustimmung zu diesen Anliegen, die er im Nachhinein als schmerzhaft erlebte.
Er hatte als ranghöchster Vorgesetzter die Anfragen weder abgewehrt noch an die direkte Führungskraft verwiesen, sondern ihnen durch sein Schweigen quasi zugestimmt. Seine erste Erklärung für sein Verhalten: Die Themen hätten ihn »kalt erwischt«, also überrumpelt, und ihm im ersten Moment die Sprache verschlagen. Er war bislang noch nie mit Anliegen konfrontiert worden, für die nach korrektem Prozedere doch eigentlich der disziplinarische Vorgesetzte zuständig war.
Diese Zuständigkeit war im Konzern selbstverständlich und Gemeingut, entsprach sie doch der gelebten Hierarchie. Doch jetzt schien das nicht mehr zu gelten. Wie anders konnte sich der CEO erklären, dass ihm solche Fakten wie »Yoga am Mittwoch« oder »Alltag ohne Strom« zugemutet wurden?
Im zweiten Schritt erkannte er, dass ihm hier die soziale Beweglichkeit gefehlt hatte. Mit etwas mehr Flexibilität hätte er seine Irritation formuliert und dafür gesorgt, dass das Thema an geeigneter Stelle und mit den jeweils zuständigen Vorgesetzten diskutiert wird. Vielleicht war dies »das Neue«: Grenzen setzen müssen und sich verwahren?!
Genau das wäre tatsächlich das Gebot der Stunde gewesen. Anders gesagt: das Selbstverständliche ansprechen, ja überhaupt erst einmal ausdrücken. Stattdessen hatte er nicht die passenden Worte gefunden, vielmehr durch seine Sprachlosigkeit Zustimmung suggeriert.
Dominanz quasi »von unten«. Hier wurde - vermutlich unbewusst und (im Falle der beiden jungen Mitarbeiter) instinktiv die Gunst der Situation nutzend - sozial unscharf agiert. Von beiden Seiten. Mit dem Ergebnis, dass Unklarheit über vermeintliche Spielräume bei den einen, Irritation und Verwirrung beim CEO herrschte.
Hatte er die Wirkung seiner Autorität, die seiner Rolle und seiner hierarchischen Position im Unternehmen entsprang, überschätzt und musste sich nun mit neuen, bislang unbekannten Grauzonen befassen? Und worin bestand denn eigentlich seine Autorität?
Autorität als ideologisch aufgeladener Begriff
Genau zu diesem Thema hat Hannah Arendt schon 1955 in ihrem Essay »Was ist Autorität?«8 die generell herrschende Begriffsverwirrung dargelegt. Sie konstatiert dabei auf der einen Seite einen modernen Autoritätsverlust, auf der anderen Seite schreckt sie vor einer Definition zurück. Ihr erscheint es nützlich, sich mit dem zu befassen, was Autorität eben nicht ist und noch nie war.
Folgen wir dieser kühnen Denkerin, dann wird es zunächst ziemlich verzwickt: Autorität tritt (in ihrem Verständnis) mit dem Anspruch des Gehorsams auf, schließt dabei aber gerade jeden Zwang aus. Wo Gewalt gebraucht wird, um Gehorsam zu erzeugen, hat Autorität entsprechend immer schon versagt.
Gleichzeitig ist in ihren Augen Autorität nicht vereinbar mit dem Überzeugen anderer: Der Austausch von Argumenten setzt Gleichheit voraus, ist also egalitär - Autorität wird aber als hierarchisch erlebt, als »von oben« kommend. Autorität legitimiert sich stets: Sie beruft sich auf Quellen, die außerhalb des Zugriffs derjenigen liegen, die gerade an der Macht sind oder Gewalt ausüben.
Solche Quellen könnten Naturgesetze, die Zehn Gebote oder die politische Philosophie Platons sein, aber auch durch Traditionen geheiligte Bräuche wie bei der Papstwahl. Immer geht es um Ursachen, die nicht im Einflussbereich derer liegen, denen die Autorität begegnet.
Um das Beispiel des CEOs aufzugreifen: Dieser erhält seine Legitimation durch den Aufsichtsrat und das ihm für drei oder fünf Jahre erteilte Mandat, das ihn an die Spitze der Hierarchie im Unternehmen setzt. Aber seine Autorität wurde nicht als so relevant, umfassend, hierarchisch erlebt. Erlaubten sich die Nachwuchskräfte deshalb ein die Hierarchie missachtendes, ja fast schon egalitäres Verhalten?
Konventionen greifen nicht mehr
Schauen wir noch einmal ganz genau hin: Die beiden Mitarbeiter hatten den CEO zwar nicht direkt um Erlaubnis für ihre Anliegen gebeten, aber doch ihre Themen benannt und sich so in eine Grauzone begeben: Widersprach der CEO nicht ausdrücklich, konnten sie dies als implizite Erlaubnis betrachten - und verkaufen. Korrekter Adressat ihrer Anliegen wäre der direkte Vorgesetzte gewesen, der einer Zusage des CEO vermutlich nichts entgegenzusetzen gehabt hätte. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite betrifft den Umstand, dass der CEO mit diesen für ihn offenbar ganz neuen Themen völlig unerwartet konfrontiert wurde. Eine vorgefasste Haltung zu diesen Anliegen konnte nicht vorausgesetzt werden: Wer macht sich schon als Manager Gedanken um einen stromfreien Alltag?
Dazu kam die Qualität beider Themen, die kaum einen Widerspruch zuließ, denn ließ sich überhaupt irgendwas gegen Stromfreiheit oder gegen Yoga sagen? Beides moderne Themen, Themen einer jungen Generation. Zudem, so vermutete der CEO weiter, hatte das Praktikum die jungen Leute nicht an die immer noch gültigen Konzernhierarchien herangeführt.
Eine Nachfrage bei der Personalabteilung, heute im Konzern unter dem Kürzel HR (für Human Ressources) operierend, ergab: Die eher hierarchisch funktionierenden Abteilungen hatte man bewusst gemieden, um dem Nachwuchs größtmögliche Attraktivität in niedrigschwelligen Umgebungen für das sogenannte Employer Branding zu bieten. Das hieß, die Praktika fanden durchweg unter kooperativer oder sogar agiler Führung statt. In diesem Umfeld duzten sich Kollegen, Kolleginnen und Vorgesetzte, und Letztere nahmen die jungen Leute ernst.
Das erklärte schon einiges. Darüber hinaus musste aber auch von veränderten Erfahrungswelten des Führungsnachwuchses ausgegangen werden: Wer von diesen Talenten kannte schon ein Arbeitsleben mit körperlicher Härte, prekären Löhnen und Verdrängungswettbewerb aus dem Osten Europas? Vermutlich war eher sogar vom Gegenteil auszugehen, und sie waren es von zu Hause her gewohnt, zumeist selbst im Mittelpunkt von Interesse, Fürsorge und Serviceangeboten anderer zu stehen.
Die GenZ und flache Hierarchien
Was bedeutet das für die Ansprüche der GenZ an ihre Arbeit und noch viel mehr: für ihre Vorstellungen von guter Führung? Simon Schnetzler, seit einigen Jahren als Jugendforscher etabliert, hat auch 2023 mit Kollegen eine Trendstudie erstellt und sich dabei unter anderem angeschaut, wie es um die Erwartungen der GenZ zu Führung und das Verhältnis zu ihren Vorgesetzten bestellt ist.
Dabei stellten die Forscher fest, dass der Fokus der jungen Generation klar auf »Geführtwerden« ausgerichtet ist. Während die GenZ gute Vorgesetzte und eine gute Arbeitsatmosphäre schätzt, zeigt sie weniger Interesse an Führungsverantwortung.9 Nur 47 Prozent der 14- bis 29-Jährigen legen Wert darauf, Führungsverantwortung zu übernehmen. Möglicherweise ist dafür die Altersbandbreite auch zu groß - mit 14 hatte ich persönlich deutlich andere Vorstellungen von Arbeit als mit 24 Jahren.
Die Studie ergab darüber hinaus, dass die GenZ flache Hierarchien bevorzugt und Feedback sowie Unterstützung von ihren Vorgesetzten sehr schätzt.10 Zum Vergleich: Die mittlere und ältere...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.