Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Kompetenzbereiche
Die Handlungskompetenzen, über die pädagogische Fachkräfte verfügen müssen, um den in Kapitel 1 skizzierten Unterstützungsbedarf von Kindern mit Missbrauchserfahrungen beantworten zu können, werden im Folgenden beschrieben und den Bereichen Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen (FK, MK, SSK) zugeordnet (ausführliche Darstellung: Gebrande 2014; Gebrande / Wittmann 2013; Wittmann, 2015, 2017). Zur Illustration einzelner Kompetenzen werden in diesem Kapitel Auszüge aus den Expert:innen-Interviews sowie ergänzend ausgewählte Ergebnisse der schriftlichen Befragung des KiMsta-Projekts ( Einleitung und Anhang) zitiert.
Relevanz von Fachwissen
Fachkompetenzen sind auf allen Ebenen der Prävention von sexuellem Missbrauch wichtig, weil sie zum einen die Voraussetzung dafür darstellen, adäquate Schutzmaßnahmen zu entwickeln und zu ergreifen und zum anderen notwendig sind, um betroffene Kinder in ihrem Erleben und Verhalten zu verstehen. Reaktionen von Kindern, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, nachvollziehen zu können, reduziert die Unsicherheit im Umgang mit ihnen und erleichtert einen wertschätzenden Kontakt.
Dynamik des Missbrauchs
Grundlegendes Wissen über sexualisierte Gewalt an Kindern umfasst die Definition und das Ausmaß von sexuellem Missbrauch, die Strategien von Täter:innen sowie die Dynamik des Missbrauchsgeschehens. Pädagogische Fachkräfte sollten ein Verständnis für die Situation betroffener Kinder entwickeln, die häufig von Ohnmacht, Angst, Geheimhaltungsdruck, Schuld- und Schamgefühlen, aber auch von Ambivalenzen den Täter:innen gegenüber geprägt ist. Das Grundlagenwissen beinhaltet außerdem Kenntnisse der relevanten Regelungen des Strafrechts.
Vorwissen
Im KiMsta-Projekt wurde deutlich, dass pädagogischen Fachkräften einige grundlegende Aspekte, die sexuellen Missbrauch betreffen, bekannt sind. Ihr Wissen bezogen viele jedoch offenbar stärker über die Medien als über Ausbildung, Fortbildung oder Fachliteratur. So konnte die Mehrheit der pädagogischen Fachkräfte anhand von Beschreibungen kritischer Situationen sexuellen Missbrauch adäquat als solchen einschätzen und zeigte in den meisten der beschriebenen Situationen weder eine Tendenz zur Bagatellisierung noch Dramatisierung. Ihnen war außerdem bekannt, dass sexueller Missbrauch häufig vorkommt, dass es sowohl männliche als auch weibliche Täter:innen gibt und es sich bei den Täter:innen zumeist um Menschen handelt, die mit dem Kind bekannt oder verwandt sind (Gebrande 2014).
Kluft zwischen Theorie und Praxis
Dass trotz der vorhandenen Vorkenntnisse eine tiefere fachliche Auseinandersetzung mit dem Thema dringend notwendig ist, zeigten weitere Befunde. So hatte sich ungefähr die Hälfte aller pädagogischen Fachkräfte laut eigenen Angaben bislang noch gar nicht oder nur in geringem Umfang fachlich mit dem Thema der sexualisierten Gewalt an Kindern beschäftigt. Während der größte Teil der Befragten (84 %) in den Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen wusste, dass es in der eigenen Institution schon mindestens einmal ein Kind gab, das von sexuellem Missbrauch betroffen war, belief sich der Anteil bei den Befragten aus den Kindertagesstätten auf lediglich 20 %. Tatsächlich ist der Anteil missbrauchter Kinder in stationären Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, in denen misshandelte und missbrauchte Kinder im Vergleich zur Gesamtbevölkerung überrepräsentiert sind (Andreae de Hair et al. 2022), höher als in Kindertagesstätten. Die derart geringe Anzahl wahrgenommener Fälle in den zuletzt genannten Einrichtungen erstaunte jedoch, da deren Mitarbeiter:innen im Durchschnitt 16 Jahre Berufserfahrung hatten und das Ausmaß von sexuellem Missbrauch bei Kindern in der Bevölkerung insgesamt - im Vergleich mit repräsentativen Studien ( FK 1: Das Ausmaß von sexuellem Missbrauch) - sogar eher überschätzt wurde. So nahmen die im Rahmen des KiMsta-Projekts Befragten im Schnitt an, dass mehr als 27 % aller Mädchen und mehr als 20 % aller Jungen von sexuellem Missbrauch betroffen seien. Trotz der eigenen Überzeugung, dass eine ganz erhebliche Zahl an Kindern sexuell missbraucht wird, besteht in der Praxis also offenbar die Schwierigkeit, die Betroffenheit von Kindern im eigenen Umfeld zu bemerken bzw. betroffenen Kindern die Möglichkeit zu eröffnen, sich zu erkennen zu geben. Eine zusätzliche Schwierigkeit stellt dar, dass sexualisierte Gewalt mittlerweile zunehmend in mediatisierter Form stattfindet (UBSKM 2023), weshalb es für eine ausreichende Sensibilisierung notwendig ist, Fachkräfte nicht nur bezüglich "traditioneller" Formen sexuellen Missbrauchs, sondern auch hinsichtlich digitaler Risiken sexualisierter Gewalt weiterzubilden.
häufige Auswirkungen kennen und verstehen
Pädagogische Fachkräfte sollten typische Auswirkungen von sexuellem Missbrauch kennen, die geschlechtsspezifische Folgen einschließen. Sie können dann Symptome, die sie an Kindern beobachten, besser verstehen und im pädagogischen Alltag auf hilfreichere Weise damit umgehen.
"Was heißt überhaupt sexualisierte Gewalt gegen Kinder und welche möglichen Folgen gibt es? [.] Das Ziel ist es, ein Verständnis dafür zu bekommen, dass bestimmte Verhaltensweisen wie selbstverletzendes Verhalten von Kindern und Jugendlichen oder bestimmte Formen von sonstigen Verhaltensauffälligkeiten in diesem Kontext gesehen werden können. Und wenn es besser eingeordnet werden kann, dann kann auch wertschätzender damit umgegangen werden" (Expertin aus einer Fachberatungsstelle).
Einflussfaktoren
In seinen Auswirkungen ist sexualisierte Gewalt an Kindern nicht nur durch die Tatumstände des Missbrauchs beeinflusst, sondern auch dadurch, unter welchen sonstigen Lebensbedingungen die Kinder aufwachsen. Neben sexuellem Missbrauch sind sie manchmal gleichzeitig von weiteren Formen der Kindeswohlgefährdung betroffen (Amann 2023). Durch die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Arten von Kindesmisshandlung und anderen potenziellen Risikofaktoren der Entwicklung wird der größere Rahmen deutlich, in den sich sexueller Missbrauch einordnen lässt.
sexuelle Entwicklung
Um alterstypisches und abweichendes sexuelles Verhalten von Kindern unterscheiden zu können, ist es sinnvoll, dass pädagogische Fachkräfte Wissen über die sexuelle Entwicklung von Kindern erwerben. Ihnen sollte bekannt sein, wie sich kindliche Sexualität in verschiedenen Altersstufen äußert, bei welchen Verhaltensweisen es sich um zur Entwicklung gehörende Doktor- oder Körpererkundungsspiele handelt und wo sexuelle Übergriffe von Kindern und Jugendlichen an anderen Kindern und Jugendlichen anfangen. Außerdem sollten pädagogische Fachkräfte in der Lage sein, fachlich mit sexuellen Übergriffen umzugehen, was für sie oftmals jedoch sehr schwer ist.
"Also die größte Unsicherheit ist definitiv eigentlich immer die, die auftaucht, wenn Grenzüberschreitungen stattfinden in Kindertagesstätten und die finden natürlich auch von Jungs mit Missbrauchserfahrung in Reinszenierungen statt. Erst Opfer, dann Täter. [.] Da stellen sich folgende Fragen: Wie gehen wir damit um? Wie weit können wir das zulassen? Wo müssen wir intervenieren? [.] Wie kann ich klare Grenzen setzen? Wie kann ich verhindern, dass ich das übergriffige Kind durch meine Intervention beispielsweise erneut traumatisiere oder verletze? Oder dass ich nicht betroffene Kinder dadurch verunsichere, dass ich sehr rigide Grenzen setze und dann die Frage nach der Sexualität offen bleibt, zu der Kinder doch ein Recht haben?" (Experte aus einer Fachberatungsstelle).
Symptome eines Traumas kennen und verstehen
Amann (2023) konstatiert, dass Kinder in vielfältiger Hinsicht in ihrer Entwicklung beeinträchtigt sein können, den größten zerstörerischen Effekt jedoch Traumata ausüben. Pädagogische Fachkräfte müssen sich in Grundzügen damit auseinandersetzen, was ein Trauma ist und unter welchen Umständen sexueller Missbrauch zu einem Trauma führt. Trauma-Symptome sind pädagogischen Fachkräften oftmals noch fremder als Symptome, die Kinder zeigen, wenn der sexuelle Missbrauch für sie "nur" ein belastendes Lebensereignis war und deshalb nicht mit den hirnphysiologischen Veränderungen einhergeht, die ein Trauma charakterisieren ( FK...
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