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Denn niemand kennt sich, insofern er nur selbst und nicht auch zugleich ein anderer ist.
Novalis
Sagen Sie mir, wer ist dieses leblose Gespenst, das mich jeden Abend stundenlang anstarrt und dann lautlos verschwindet?
E.T.A. Hoffmann: Meister Floh
Der Name weniger europäischer Autoren hat einen Widerhall gefunden, der sich mit dem E.T.A. Hoffmanns vergleichen ließe, und doch sind auch wenige so verkannt worden wie er. Ein großer Teil seines Erfolges beruht auf einem Missverständnis, und die Legenden, die man um den Dichter gesponnen hat, stehen an Plumpheit und Trivialität in nichts hinter denen zurück, die sich um Villon, Chopin oder Modigliani gerankt haben. Die Rosstäuscher bemächtigen sich zuweilen eines Künstlers, um ihn zu verfälschen, ehe sie ihn an die Spießer verhökern, deren Sinn nach billigem Vergnügen steht, und namentlich an jene, denen die wahren oder erfundenen Laster des Mannes unter dem Deckmantel falscher Toleranz Ausschweifungen zu bewundern erlauben, die sie heimlich selbst gar zu gern begangen hätten. Ein mittelmäßiger Geist liebt nichts so sehr wie das Sensationelle.
Es kommt auch vor, dass der Künstler zu Lebzeiten aus kindlicher Verschmitztheit, aus Sarkasmus oder auch bloß aus morbider Neugier, zu sehen, wieweit Dummheit gehen kann, den Bürgerschreck zu spielen versucht. Die von Hoffmann selbst angezettelten Mystifikationen haben schließlich zum Gedudel Offenbachs und zum Technicolor-Film geführt. Die Sache nahm Dimensionen an, die der Dichter nicht voraussehen konnte. Das Absurde hat sich nachteilig ausgewirkt, ist in Bumerangwirkung auf sein Werk zurückgefallen und hat sein Genie mit Elementen umgeben, die eine ganz falsche und verwässerte Vorstellung davon geben. Noch schwerer wiegt aber: Leute, die sich seines literarischen Wertes durchaus bewusst sind, können doch manchmal Mühe haben, ein unbewusstes Vorurteil zu überwinden, denn unwillkürlich lassen sie sich kurze Augenblicke lang von einem Schlackendepot beeinflussen, dessen Aberwitz sie zwar durchschauen, das aber trotzdem den Blick auf das in mehr als einer Hinsicht außerordentliche künstlerische Opus trübt. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, weswegen manche deutschen Literaturkenner in E.T.A. Hoffmann einen nur zweitrangigen Dichter sehen, während er in Wirklichkeit ein blendender Neuerer gewesen ist.
Zu seinem Verständnis ist es unerlässlich, sein Werk in seiner Gesamtheit zu lesen, die Abfälle mit dem gleichen Interesse wie die Perlen zu betrachten, und sich nicht von einer präfabrizierten Auswahl verlocken zu lassen, die meist in der Absicht getroffen worden ist, dem Publikumsgeschmack entgegenzukommen und die Legende zu stützen oder aufzufrischen.
Es ist in meinem Leben etwas recht Charakteristisches, daß immer das geschieht, was ich gar nicht erwartete, sei es nun Böses oder Gutes, und daß ich stets das zu tun gezwungen werde, was meinem eigentlichen tieferen Prinzip widerstrebt.
Der ein Dichter des Absonderlichen werden sollte, wurde in Königsberg im Land des Bernsteins geboren. Die Familie entstammte altem polnischem Adel, dem Haus Bagiensky, und empfing ungarische Einsprengsel, ehe sie in den deutschen Zweig der Hoffmann einmündete. Einige Biographen haben sogar behauptet, Hoffmann habe Zigeunerblut gehabt, eine ebenso verführerische wie willkürliche Annahme, die sich auf keines der uns bis heute vorliegenden Dokumente stützen kann. Zur Familie zählten vor allem Juristen, und der Vater des Dichters war Rechtsanwalt beim Königsberger Gericht. Er hatte seine Cousine Luise Albertine Dörffer geheiratet, die ihm drei Kinder gebar, von denen das erste im frühen Kindesalter starb. Als am 24. Januar 1776 das jüngste zur Welt kam, gab man ihm die Vornamen Ernst Theodor Wilhelm. Später sollte der Dichter den letzten davon zu Ehren Mozarts, dessen begeisterter Bewunderer er wurde, gegen Amadeus austauschen.
Das Kind war erblich schwer belastet. Der Vater war ein sehr begabter, origineller, impulsiver, launenhafter Mann und ein notorischer Säufer; die Mutter eine Hysterikerin, die ständig von Weinkrämpfen befallen wurde, eine fanatisch auf Ordnung bedachte Hausfrau und dem «Was-sagen-die-Leute-dazu?» sklavisch unterworfen. Ihre unaufhörlichen Jeremiaden hatten die Geduld des Advokaten auf eine so harte Probe gestellt, dass er die Gelegenheit seiner Berufung an das Gericht in Insterburg dazu benutzte, seiner quengelnden Gefährtin mit den allzu sauber gebürsteten Kleidern und der von Tränen ewig geröteten Nase endgültig zu entfliehen. Er erreichte die Scheidung, und das Gericht auferlegte ihm die Sorge für seinen Sohn Karl, während der kleine Ernst der Mutter zugesprochen wurde. Das Kind war damals vier Jahre alt, und die beiden Brüder nahmen in der Folge keinerlei Kontakt miteinander auf. Der einzige auf uns gekommene Brief ist vom 10. Juli 1817; Ernst macht darin eine Anspielung auf ihren Viola di Gamba spielenden Vater und auf einen rot lackierten Flügel. Vielleicht seine früheste Erinnerung.
Nach der Trennung zog Luise zu ihrer Mutter. Vermutlich schöpfte sie aus dem Scheitern ihrer Ehe Stoff für ihr Lamentieren. Der kleine Ernst musste ihr damals wohl das Publikum abgeben, und wahrscheinlich hat er sich später daran erinnert, als er die Szene schilderte, in der Kater Murr seiner Katzenmutter begegnet, die in weinerlichem, theatralischem und vehementem Ton alle Klischees mütterlicher Hingabe und Opferfreudigkeit herleiert.
Eine seltsame Kindheit war es gewiss, die E.T.A. Hoffmann in dem weiträumigen grauen Haus in der Poststraße erlebte, dessen Garten an den eines Mädchenpensionats stieß. Man stelle sich einen behäbigen Wohnsitz im alten Preußen gegen Ende des 18. Jahrhunderts vor, mit den bebilderten Kachelöfen, dem Cembalo und der Harfe in ihrer bunt bedruckten Kattunhülle, dem gravitätischen Ticktack einer Intarsien-Uhr, der Nüchternheit der Rohrstühle und der grau gestrichenen Fußböden, der eisigen Sauberkeit und der lastenden Langeweile. Langeweile, aber keine Stille, denn von Zeit zu Zeit gellt das Geheul einer Wahnsinnigen durchs Haus, lässt die Großmutter zusammenfahren, entlockt Luise wieder Tränen und berührt mit unauslöschlichen Zeichen, einem Schauer des Grauens und der Lust, den schmächtigen Knaben mit den zu großen Augen. Diese Irre, deren Schreie die Kindheit des Dichters durchhallen, bewohnt im oberen Stock eine Wohnung, die sie mit ihrem Sohn Zacharias Werner teilt; sie hält ihn übrigens für den Gottessohn und erzieht ihn so, wie eine derartige Stellung es erfordert. Zacharias ist sechs Jahre älter als Ernst, und in den Tagen der Kindheit haben sie keinerlei Beziehung zueinander gefunden.
Später sollte E.T.A. Hoffmann in Warschau dem Dichter Zacharias Werner wiederbegegnen, einem verworrenen und mystischen Geist, einem bizarren und liederlichen Mann, der für ihn eine bloße Bekanntschaft, aber niemals ein Freund war. An Hippel schrieb er über ihn: W. ist mir ein trauriger Beweis, wie die herrlichsten Anlagen durch eine alberne Erziehung ertötet werden können, und wie die regste Phantasie kriechen lernen muß, wenn sie von niedrigen Umgebungen heruntergezogen wird. Nichtsdestoweniger haben die überhitzten und überladenen Dramen von Zacharias Werner einen unleugbaren Einfluss auf das romantische Theater in Deutschland ausgeübt. Hier interessiert er uns nur insofern, als Hoffmann trotz kritischem Geist und beißendem Humor ihn überschätzt zu haben scheint; er räumt ihm in den Dialogen, die die Serapions-Brüder einrahmen, ziemlich viel Platz ein, aber auch hier verraten die Betrachtungen über «Das Kreuz an der Ostsee» oder über «Die Mutter der Makabäer» eigentlich ein doch nur ziemlich spezielles und begrenztes Interesse. In seinen Briefen geht Hoffmann allerdings sehr viel strenger mit ihm um. Dagegen sind die Parallelen zwischen dem Fall Werner und dem Fall Hoffmann außerordentlich instruktiv, und sie können Letzterem kaum entgangen sein. Zum Beispiel:
Man sagt, daß der Hysterismus der Mütter sich zwar nicht auf die Söhne vererbe, in ihnen aber eine vorzüglich lebendige, ja ganz exzentrische Phantasie erzeuge, und es ist einer unter uns, glaube ich, an dem sich die Richtigkeit dieses Satzes bewährt hat. Wie mag es nun mit der Wirkung des hellen Wahnsinns der Mutter auf die Söhne sein, die ihn auch, wenigstens der Regel nach, nicht erben? - Ich meine nicht, jenen kindischen albernen Wahnsinn der Weiber, der bisweilen als Folge des gänzlich geschwächten Nervensystems eintritt, ich habe vielmehr jenen abnormen Seelenzustand im Sinn, in dem das psychische Prinzip, durch das Glühfeuer überreizter Phantasie zum Sublimat verflüchtigt, ein Gift worden, das die Lebensgeister angreift, so daß sie zum Tode erkranken und der Mensch in dem Delirium dieser Krankheit den Traum eines anderen Seins für das wache Leben selbst nimmt.
Der letzte Satz dieses Abschnitts gilt durchaus auch für Hoffmann selbst, ebenso übrigens wie die Seiten, die im Original auf diese Stelle folgen. Er entwickelt darin die Theorie einer Ansteckung des Wahnsinns, der die hypersensiblen Söhne hysterischer Mütter unterlägen. Und man spürt darin auch eine tiefe und verschämte Sympathie Hoffmanns für den unseligen Werner, bei dem er jene Auflösung der Persönlichkeit und des Lebensgefühls erkannt zu haben scheint, wie sie einer der hervorstechenden Züge seiner eigenen Existenz sein sollten.
In dem Haus in der Poststraße, durch das Kälte und Wahnsinn schweifen, findet der kleine Ernst wenig Zerstreuung. Wenn er nicht...
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