Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Das Bellen von Severos Hund riss Martin aus seinem traumlosen Schlaf. Als er sich mühsam vom Boden erhob, schmerzte jeder Knochen von der unbequemen Bettstatt. Lustlos richtete er Hemd und Hose. Er hatte sich am Vorabend nicht erst die Mühe gemacht, sich zu entkleiden.
Im Haus klapperte jemand mit Geschirr. Bei dem Gedanken an den Italiener sank Martins Laune weiter. Die Diskussion um Philipps Tod war für ihn noch nicht abgeschlossen. Früher oder später würde er sie wieder eröffnen, das hatte Martin im Keller der Medizinischen Fakultät deutlich gespürt.
Da Severo wohl in der Küche beschäftigt war, bot sich Martin eine günstige Gelegenheit, unbemerkt Behandlungszimmer und Haus zu verlassen. Auf Zehenspitzen schlich er sich aus dem Raum, schaffte es jedoch nur bis zur Haustür. Gerade wollte er seine Hand auf die Klinke legen, als er den Chirurgen hinter sich fragen hörte, wo er denn hinwolle.
»Zu den Bürgermeistern«, erwiderte Martin knapp. Bemüht, seine Enttäuschung zu verbergen, drehte er sich zu Severo um.
»Ohne vorher etwas zu essen? Die Herren sind ganz sicher noch nicht im Rathaus. Setzt Euch also ruhig hin und nehmt von der Grütze, die ich gekocht habe.« Mit einer Geste, die keinen Widerspruch duldete, wies der Schwarzhaarige auf den Küchentisch. »Wahrscheinlich seid Ihr Besseres gewohnt, aber solange ich Euch beherberge, müsst Ihr damit vorliebnehmen.«
Wortlos machte Martin kehrt. »Solange ich nicht vergiftet werde, soll es mir recht sein«, murmelte er beim Betreten der Küche.
»Was habt Ihr gesagt? Ich habe Euch nicht recht verstanden?«
»Es war nichts weiter«, wiegelte Martin ab und setzte sich mit säuerlicher Miene an den Tisch. Mit dem Holzlöffel nahm er aus der irdenen Schüssel von der dunklen Grütze. Sie schmeckte widerlich. Trotzdem schluckte er die Masse tapfer hinunter. Ganz sicher hatte der Mistkerl sie absichtlich anbrennen lassen.
»Wo wollt Ihr Eure Suche beginnen?«, erkundigte sich Severo, der an der Wand lehnte und ihn nicht aus den Augen ließ.
Martins Hand mit dem Löffel verharrte kurz vor dem Mund. Was ging es den Chirurgen an, wie er seine Ermittlungen gestaltete? Meinte er etwa, Martin würde alles mit ihm abstimmen, ja sogar um Rat fragen?
»Das werdet Ihr nachher schon sehen!« Er stockte einen Moment. »Oder wollt Ihr mich etwa nicht begleiten?«
»Meine Zeit ist zu kostbar, um Euch hinterherzulaufen. Ich muss mich um meine Patienten kümmern. Außerdem braucht Ihr mich wohl kaum, immerhin seid Ihr der so sehr herbeigesehnte herzogliche Ermittler.«
Obwohl ihn Severos Spitze unangenehm berührte, kam Martin nicht umhin, innerlich zu frohlocken. So konnte er ihm wenigstens tagsüber aus dem Weg gehen.
»Wie Ihr meint, es ist Eure Entscheidung.« Um des Friedens willen erzählte er von seinen Absichten. »Bogislaws Wunsch folgend mache ich zunächst den Bürgermeistern meine Aufwartung. Danach ist ein Besuch beim Vogt wohl unausweichlich, bevor ich mich in der Schänke umsehe und im Hafen Erkundigungen über den Toten einziehe. Von dort begebe ich mich zur Witwe. Ich halte es für wichtig, herauszufinden, weshalb sich der Tote in der Schänke aufhielt. Das Haus ist kein Ort für Männer des Rates. Und Conrad Schwerdt scheint nicht der einzige ungewöhnliche Besucher gewesen zu sein. Wisst Ihr mehr über die plötzliche Beliebtheit des Wirtshauses?«
Der Chirurg zuckte mit den Schultern. »Nur das, was man so aufschnappt. Gelegentlich soll dort jemand erscheinen, der gegen den Rat hetzt. Ich habe diesen Mann aber bis heute weder gesehen noch gehört.«
»Und der Rat unternimmt nichts dagegen?«
»Angeblich versucht der Vogt, ihn dingfest zu machen – bisher erfolglos.«
»Handelt es sich um einen Wanderprediger?«
»Nein, dieser Mann stachelt einfach die Unzufriedenheit der Menschen an.«
»Ich dachte, Ihr hättet ihn nicht gehört?«
Schnippisch erwiderte Severo: »Habe ich auch nicht. Vielmehr gehe ich mit offenen Augen und Ohren durch die Stadt. Das solltet Ihr ebenfalls tun, wenn Ihr den Mörder finden wollt.«
»Habt Dank, ich werde Euren Rat beherzigen. Wollt Ihr mich heute Abend nicht in die Hafenklause begleiten, vielleicht sehen wir diesen Redner?«
Martin hatte die Frage lediglich gestellt, weil er die Antwort bereits wusste. Die Geste des Chirurgen zeigte, was er von dem Vorschlag hielt.
Kurz darauf verließ Martin das Haus und machte sich über den Vilterhagen und die Knopfstraße auf den Weg zum Rathaus. Nach wenigen Schritten bildeten sich Schweißperlen auf seiner Stirn, so unerbittlich brannte die Sonne schon am frühen Vormittag. Außerdem lag ihm die Grütze wie ein Stein im Magen.
Je näher er dem Markt mit den eindrucksvollen Häusern der reichsten Greifswalder Familien kam, desto mehr fühlte er eine unerklärliche Spannung in der Luft. Der Eindruck verstärkte sich, als er den Markt überquerte und eine Hand voll Männer in zerrissenen Hosen seine Aufmerksamkeit erregte. An einem der Brunnen steckten sie verschwörerisch ihre Köpfe zusammen. Immer wieder deutete einer von ihnen mit den Fingern auf das Rathaus, als wolle er seine Kameraden von etwas überzeugen. Severos Worte über die Unzufriedenheit der Menschen kamen Martin in den Sinn. Als er die Stadt verlassen hatte, war nichts dergleichen zu spüren gewesen. Was war seither geschehen?
In diesem Moment drehte der Gestikulierende den Kopf und bemerkte Martins Interesse, das er mit einer finsteren Miene bedachte. Ertappt schaute Martin weg und setzte seinen Weg fort. Es war nicht seine Aufgabe, sich um die Ordnung in der Stadt zu kümmern. Er musste einen Mörder finden. Da er um den Auftrag nicht herumgekommen war, wollte er die leidige Sache wenigstens schnell hinter sich bringen, um bald zu den Gräbern seiner Lieben zurückzukehren. Unnötiger Ärger würde ihn nur aufhalten. Vor der schweren Eingangstür des Rathauses drehte er sich noch einmal neugierig um, sah die Männer jedoch nicht mehr. Kraftvoll stieß er die Tür auf.
Im Inneren traf er auf einen Ratsschreiber. Offenbar hatte der Rektor Wort gehalten und Martins Erscheinen angekündigt. Als er seinen Namen nannte, führte der Schreiber ihn in den oberen Stock, wo er ihn vor einer breiten Tür warten hieß. Anschließend verschwand der Schreiber durch eben diese. Missmutig setzte sich Martin auf die Holzbank an der Wand gegenüber. Natürlich wusste er, wie wichtig es war, den Bürgermeistern seine Aufwartung zu machen. Herzog und Rektor hätten es nicht ausdrücklich zu erwähnen brauchen. Fast sein ganzes Leben hatte er in Greifswald verbracht und kannte den Argwohn der Patrizier gegenüber allem, was den Hauch eines Einmischens in städtische Angelegenheiten in sich barg. Seit Greifswald das Lübische Recht verliehen bekommen hatte und wehrhaft gemacht worden war, bestimmte allein der Rat über das Wohl und Wehe – im Einklang mit den Interessen des Hansebundes, dem die Stadt seit langer Zeit angehörte. Es nützte also nichts, innerlich über die verlorene Zeit zu fluchen. Wollte er sich ungehindert in der Stadt bewegen, musste er sich mit dem Warten abfinden. Wenigstens war es im Rathaus angenehm kühl. Er streckte die Beine aus und machte es sich halbwegs bequem.
Endlich öffnete sich die Tür wieder und der Ratsschreiber bedeutete ihm mit einer einladenden Geste, einzutreten. Bilder ernst blickender Männer in Festkleidern zierten die getäfelten Wände. An einem langen Tisch saßen die drei Bürgermeister, die Martin schon auf verschiedenen festlichen Anlässen in der Stadt gesehen hatte. Trotz der sommerlichen Hitze trugen Johann Erich II., Burchardt Bertkow und Wedego Lotze der Würde ihres Amtes entsprechend reich verzierte Röcke über ihren weißen Hemden und dem schwarzen Beinkleid.
Burchardt Bertkow nickte seinen beiden Amtskollegen zu, bevor er freundlich begann. »Er ist also der Mann, den der Herzog auf Bitten der Universität geschickt hat, um den Tod von Conrad Schwerdt zu untersuchen?«
»Ja, meine Herren«, antwortete Martin bemüht demütig und überreichte Bogislaws Schreiben. Bürgermeister Bertkow erbrach das Siegel und entfaltete das Pergament. Nacheinander lasen die Männer den Brief.
»Der Herzog empfiehlt Ihn auf das Wärmste. Nun, wir werden sehen, ob Er etwas anderes herausfindet als der Vogt. Kennt Er sich in Greifswald aus?«, wollte Bürgermeister Johann Erich II. wissen.
»Ja, meine Herren. Ich wurde in Greifswald geboren. Lange Zeit habe ich in der Schreibstube des alten Klaas gearbeitet, bevor mich Professor Lazar als Sekretär in seine Dienste...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.