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Kapitel 1
Sommer 1894 Harpers Station Baylor County, Texas
Emma Chandler riss den Zettel mit der Schmähbotschaft von dem Nagel, der in der Kirchentür steckte. Sie zerknüllte das abscheuliche Ding in der Faust und stopfte es in die Rocktasche, obwohl sie es am liebsten mitten auf die Straße geschmissen, es mit fünfzig Pferden niedergetrampelt, daraufgespuckt und es anschließend in Brand gesteckt hätte, damit es als harmlose Asche vom Wind verweht würde. Wie konnte es jemand wagen, ihre Damen zu bedrohen? Dazu hatte dieser Unmensch kein Recht! "Er wird immer dreister." Die stoische Stimme ihrer Freundin durchbrach Emmas wütende Gedanken und erinnerte sie daran, dass es ihr nichts bringen würde, sich in ihre Wut hineinzusteigern. Sie musste mit kühlem Kopf agieren. Bedacht und besonnen.
"Ja, das stimmt." Emma sah sich nach dem Feigling um, obwohl sie wusste, dass sie niemanden entdecken würde. Das hatte sie noch nie. Und das war immerhin schon die dritte Botschaft innerhalb der letzten zwei Wochen. Und jedes Mal war der Ort für die Botschaft so gewählt, dass er die Gemeinschaft etwas mehr ins Herz traf. "Aber es sind nur Worte."
"Wir haben keine Garantie dafür, dass es dabei bleiben wird." Victoria Adams fasste Emmas größte Angst in Worte. "Wenn ihn seine Worte nicht weiterbringen, wird er härtere Maßnahmen ergreifen." In Toris Stimme schwang eine Sicherheit mit, als hätte sie etwas Ähnliches schon selbst erlebt. "Lass mich den Zettel sehen, Emma." Sie streckte die Hand aus.
Emma seufzte und zog ihn aus der Tasche. Sie ließ ihn in die Hand ihrer Freundin fallen und wusste, dass Tori sofort erkennen würde, dass die "härteren Maßnahmen" bereits ergriffen worden waren.
Victoria strich die Notiz glatt und überflog die knappen Zeilen. Leise flüsterte sie die Worte, die dort geschrieben standen.
"'Frauen von Harpers Station, verschwindet heute noch von hier oder ich werde euch verschwinden lassen. Das ist meine letzte Warnung!'"
"Wir müssen ein Treffen einberufen." Emma stampfte die Kirchentreppe hinunter und marschierte über den Vorplatz.
Tori folgte ihr die Treppe hinunter, blieb dann jedoch stehen. Sie lehnte sich an das Geländer und wartete darauf, dass Emma zurückkam. "Was willst du ihnen sagen?"
Die leise Frage ließ Emma innehalten. Sie wirbelte zu ihrer Freundin herum. "Ich werde nicht aufgeben, Tori. Ich werde mich nicht von einem Rüpel einschüchtern lassen!" Sie streckte die Arme in Richtung der kleinen Ansammlung von Gebäuden aus, die sich um die alte Postkutschenstation herum gruppierten, die schon vor zwanzig Jahren die ersten Siedler hierher gelockt hatte. "Harpers Station ist eine Zuflucht für Frauen, die genau dieser Art von Bedrohung entkommen wollen. Wir haben so hart dafür gearbeitet, hier alles aufzubauen, die Frauen herzubringen, ihnen ein neues Leben zu bieten. Ich werde mich nicht wie ein Mäuschen einschüchtern lassen, nur weil ein sturer, uneinsichtiger Mann seine Muskeln spielen lässt!"
Tori machte keine Anstalten, Emmas leidenschaftliche Rede zu unterbrechen. Sie sah ihre Freundin nur still an und wartete darauf, bis sie genug Dampf abgelassen hatte. Das war dann schließlich auch der Fall. Emma mochte sich zwar dagegen wehren, ihre Prinzipien über den Haufen zu werfen, doch sie würde niemals die Sicherheit ihrer Frauen aufs Spiel setzen. Niemals. Nicht einmal für das hehre Ideal, das sie hier alle zusammengeführt hatte.
Sie ging dorthin zurück, wo Tori noch immer auf sie wartete, und ließ ihre Verärgerung so weit verpuffen, dass ihre Gedanken wieder klar wurden. "Ich werde die Mütter mit Kindern ermutigen, dem Rat des Sheriffs zu folgen und - vorübergehend - in eine der Nachbarstädte zu ziehen." Emmas Schultern sanken etwas herab, als sie Tori in die Augen sah. "Das schließt auch dich mit ein." Wie sehr sie es hasste, ihre engste Freundin, die mit ihr diese Kolonie der Frauen aufgebaut hatte, wegzuschicken. Doch Tori hatte einen vierjährigen Sohn und wenn dem kleinen Lewis irgendetwas zustoßen würde . Nun, daran wollte sie nicht einmal denken.
Toris Augen verengten sich. "Ich werde nirgendwo hingehen." Die Härte in ihrer Stimme ließ keinen Raum für Widerspruch. "Ich werde dich in diesem Kampf nicht alleine lassen. Außerdem, wohin sollten wir gehen? All meine Ersparnisse stecken in meinem Laden. Ich kann wohl kaum das Geschäft mitnehmen. Und wenn ich das verliere, verliere ich alles."
"Ich werde mich für dich um alles kümmern", bot Emma an, doch ihre Freundin schnitt ihr das Wort mit einem knappen Kopfschütteln ab.
"Du musst die Bank leiten. Du brauchst nicht noch eine zusätzliche Belastung. Ich werde Lewis an der kurzen Leine halten. Uns wird schon nichts passieren." Toris Hände ballten sich zu Fäusten und Emma wusste, dass sie sich nicht mehr umstimmen lassen würde.
Victoria zeigte niemals Emotionen - außer freundschaftlicher Zuneigung und der Liebe zu ihrem Sohn. Sonst nichts. Keine Angst, keinen Zorn, keine Überraschung. Nichts, was jemandem ihr gegenüber einen Vorteil verschaffen könnte. Wenn sie also so erzürnt war, dass sie ihre Fäuste ballte, mussten ihre Gefühle am Brodeln sein.
"Ich will meinem Sohn zeigen, dass man für die Dinge kämpfen muss, an die man glaubt, auch wenn es einen in Gefahr bringt. Wir verstecken uns nicht."
Eine Welt des Schmerzes steckte hinter dieser Aussage, eines Schmerzes, den Emma sich gar nicht vorstellen konnte. Tori kämpfte seit dem Tag, an dem sie entdeckt hatte, dass sie schwanger war. Ungewollt schwanger durch den Angriff eines Mannes, der überall in ihrer Heimatstadt beliebt war. Sie hatte um eine Heimat gekämpft, nachdem ihr Vater sie vor die Tür gesetzt hatte. Um den Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn. Und gegen die Angst, wieder einmal den Charakter eines Mannes falsch einzuschätzen und den gleichen Albtraum noch einmal durchleben zu müssen.
Emma trat dicht an Victoria heran und berührte ihren Arm. Da erst entspannten sich Toris Hände wieder und sie legte eine Hand auf Emmas.
"Wir halten zusammen", versprach Emma.
Tori nickte. "Ja, das tun wir."
* * *
Zwei Stunden später, kurz nach Mittag, stand Emma vorn in der Kirche, hatte sich gegen die Wand gelehnt und beobachtete, wie die Frauen langsam hereinkamen. Ihr Herz wurde schwer, als sie in die vertrauten Gesichter blickte. Wer würde weggehen? Wer würde bleiben?
Betty Cooper stampfte den Mittelgang entlang, ihre stämmige Figur und der zügige Schritt bereiteten den Weg für die vier jüngeren Frauen, die ihr folgten. Die Matrone mittleren Alters überwachte die Legehennen, die den Frauen von Harpers Station einen Großteil ihres Einkommens brachten. Sie war seit den ersten Tagen hier in Harpers Station an Emmas Seite. Verwitwet, kinderlos, doch sie hatte eines der größten Herzen, denen Emma jemals begegnet war. Sie versteckte es gut hinter ihrer schroffen Art und ihrem Beharren auf harter Arbeit, doch sie gluckte über den Frauen, als wären es ihre eigenen Küken.
Die Damen des Nähkreises, von denen einige ihre Kinder dabeihatten, redeten miteinander, während sie ihre angestammten Plätze in den mittleren Reihen auf der rechten Seite einnahmen. Sie fertigten exquisite Quiltdecken, die in Fort Worth zu Höchstpreisen verkauft wurden. Wenn die Hälfte von ihnen die Gemeinschaft verließ, wie sollten die übrigen Frauen dann noch ihre Quote erfüllen? Der Händler verlangte fünfzehn Quilts im Monat, was leicht zu bewerkstelligen war, wenn alle zehn Frauen täglich zu Nadel und Faden griffen. Aber wenn ihre Zahl auf fünf fiel .?
Grace Mallory kam durch die Tür, wie immer mit gesenktem Kopf, den Blick auf die Füße gerichtet, als sie in die hinterste Bank schlüpfte. Die stille Frau war erst seit sechs Monaten in der Stadt und blieb am liebsten für sich, doch dank ihrer Fähigkeiten als Telegrafistin hatte Harpers Station endlich einen funktionierenden Draht zur Außenwelt. Das Land hatte ihnen noch kein Postamt zugesagt, also mussten Briefe immer noch aus Seymour versandt werden, was stets mit Reisekosten verbunden war. Doch nun konnte jede der Frauen hier für weniger als einen Nickel pro Wort ein Telegramm verschicken. Falls Grace sich entscheiden sollte zu gehen, wäre das ein schwerer Verlust.
Emmas Aufmerksamkeit wanderte zu den anderen, die sich schon versammelt hatten. Diejenigen, die sich um den Gemeindegarten kümmerten und Obst und Gemüse einmachten, das dann verkauft wurde. Die Damen, die das Café führten. Die Besitzerin der Pension. Die Geburtshelferin, die als Stadtärztin arbeitete.
Und natürlich die "Tanten": Henrietta und Alberta Chandler saßen in der ersten Reihe, so entschlossen und eisern, wie sie es immer in ihrer Unterstützung gewesen waren. Tante Henrys Augen waren von einem klaren, fast kämpferischen Licht erleuchtet, als sie steif wie ein Brett in der Bank saß. Wie immer, wenn es um Frauenrechte ging, trug sie ihre Pluderhose. Tante Bertie wirkte dagegen viel weicher und weiblicher, als sie dort neben ihrer älteren Schwester saß. Sie lächelte Emma aufmunternd zu und winkte mit dem kleinen Finger.
Die Tanten hatten Emma großgezogen, seit sie acht Jahre alt gewesen war. Tante Henry hatte in ihr den Wunsch geweckt, sich gegen Ungerechtigkeiten aufzulehnen, und Tante Bertie ihr beigebracht, wie man sich von seinem Herzen...
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