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3 Isabelle
Ich strich den engen schwarzen Rock glatt, den ich aus Vees Kleiderschrank genommen hatte, und hoffte, es würde nicht auffallen, dass ich weder in diesen Rock noch in diese Bar gehörte. Wann immer Vee mich hatte überreden wollen, mit ins The Sketch zu kommen, hatte ich gelernt oder gearbeitet. Während sie sich von reichen Männern Drinks spendieren ließ, schrieb ich Texte für die Cambridge Refugee Resettlement Campaign. Ich setzte Newsletter zusammen, die über die Integrations-Initiative in Cambridge aufklärten, und Vee flirtete mit Männern, die später mal ihre Vorgesetzten sein würden. Das Leben konnte so einfach sein, nur nicht für uns – als Frauen. Jetzt stand ich vor dem Eingang der Bar, über dem die Statue eines Windhunds senkrecht festgeschraubt war, und fragte mich, ob es das wert gewesen war. All das hier zu verpassen, für ein paar gute Zeilen im Lebenslauf. Auf der anderen Seite saß eine Person von uns nun im Gefängnis und die andere versuchte verzweifelt herauszufinden, was zur Hölle passiert war.
Schnell schob ich den Gedanken beiseite und betrat den dunklen Flur, während ich dem Türsteher zunickte. Sein roter Anzug wirkte im schwachen Schein der Straßenlaternen von draußen fast so schwarz wie der unbeleuchtete Flur, auf dessen Boden die Zeichnung eines Himmel-und-Hölle-Spiels klebte. Ich überlegte gerade, ob das einer Einladung glich, durch den Eingangsbereich zu hüpfen, als sich eine junge Frau mit elegantem, eng anliegendem Zopf in mein Blickfeld schob. Ich hob den Kopf und war beeindruckt von ihrer makellosen Erscheinung.
»Guten Abend, Miss.« Sie strahlte mich mit zahnpastaweißen Zähnen an, und ich war mir fast sicher, dass das Voraussetzung für die Bewerbung gewesen war. »Was kann ich für Sie tun?« Sie faltete die Hände locker vor ihrer Taille und lächelte mich an.
»Guten Abend.« Ich nickte und versuchte, ihre sanfte Stimme zu imitieren. Hatte Vee auch immer so kultiviert geklungen, wenn sie hier war? Mit diesem Selbstverständnis in der Stimme, das einen gar nicht zweifeln ließ, dass die Frau vor mir genau hierhin gehörte. Ganz egal, was sie außerhalb ihrer Schichten tat. Ob sie sich auch mit ihrer besten Freundin eine winzige Zweizimmerwohnung teilte, weil das Geld hinten und vorne nicht reichte?
»Ich … ehmm …« Schnell räusperte ich mich. Du gehörst hierher, Isabelle. »Ich habe für eine Person in der Bar reserviert.« Ich hob meine Mundwinkel zu einem schmalen Lächeln. Allein für die Reservierung musste ich eine belastbare Kreditkarte hinterlegen. Was man nicht alles tat, um herauszufinden, in was die beste Freundin hineingeraten war.
»Das klingt wundervoll, ein Abend allein, das muss man sich auch manchmal gönnen.« Sie klang aufrichtig, aber das lernte man bestimmt schnell, wenn der gewahrte Schein das Trinkgeld beschaffte. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen.« Noch mit ihren letzten Worten schwebte sie auf ihren High Heels davon, um die Ecke und in den Hauptraum der Bar, die ich nur aus Vees Erzählungen kannte. Ich wollte nicht hier sein, zwischen all den rosa Polstern und blauen Lichtern. Zumindest nicht allein. Nicht ohne Vee. Aber ich musste. Weil sie mir gesagt hatte, dass hier alles angefangen hatte. Die Frau, deren Namen ich immer noch nicht kannte, weil Namensschilder hier offensichtlich nicht üblich waren, brachte mich zu meinem kleinen Tisch und ließ mich allein. Ich sah mich um, ließ meinen Blick über die unzähligen kleinen Lampen schweifen, die den Raum ins perfekte Licht tauchten. Hier hatte Vee gesessen. Hätte ich sie damals begleitet, wäre das alles nicht passiert. Und jetzt saß ich hier, so naiv, dass es mir fast schon peinlich war. In der Hoffnung … ja, in der Hoffnung auf was eigentlich? Menschen zu finden, die Vee kannten, die Max kannten und dann auch noch mit mir über ihn reden wollten. Mit einer Wildfremden, die ganz offensichtlich nicht hierhergehörte.
»Ich kann Ihnen den Sign of Love empfehlen, oder, wenn es etwas fruchtiger sein darf, gerne auch der Cosmopolitalicious.« Eine neue Kellnerin reichte mir die schmale Karte und lächelte mich ebenfalls an. Service wurde hier großgeschrieben, aber bei den Preisen war das zu erwarten. Ich ließ meinen Blick erst über die Karte gleiten und sah mich dann genauer im Raum um. Überall saßen Menschen in teuren Klamotten, die sicher mehr kosteten als meine Studiengebühren, und nippten an ihren Drinks.
»Ich nehme gerne den Cosmo«, sagte ich, ohne auch nur einen weiteren Blick auf die Karte zu werfen. Schließlich war ich nicht wegen der Drinks hier. In der hinteren Ecke entdeckte ich die zwei Pokertische, von denen Vee mir erzählt hatte. Max war regelmäßig hergekommen, um mit seinen Freunden eine Runde zu spielen. Jetzt saß er nicht hier, würde es nie wieder können. Ob seine Freunde ohne ihn weiterspielten, wusste ich nicht, schließlich kannte ich keinen von ihnen. Ich kannte überhaupt niemanden.
»Mein Gott«, flüsterte ich und rieb mir einmal übers Gesicht. »Shit«, schob ich direkt hinterher und zog mein Handy aus der Tasche, weil ich mir sicher war, den dunklen Lidschatten verschmiert zu haben, den ich mir ebenfalls von Vee geklaut hatte. Ich checkte mein Make-up von allen Seiten, gab aber schnell auf, weil ich in diesem Licht sowieso keine Details erkannte. Aber wenn ich das nicht konnte, würde es immerhin auch sonst niemandem auffallen. Die freundliche Kellnerin stellte meinen Drink vor mir ab und lächelte mich wieder an. Sah man mir meine Verzweiflung so deutlich an, oder war sie dazu verpflichtet, jedes Mal zu lächeln, wenn sie mich bediente?
»Danke«, sagte ich ruhig und griff nach dem dünnen Stiel des Glases. O Gott, gab es eigentlich auch Regeln, wie man verschiedene Drinks hielt so wie bei Rot- und Weißwein?
»Ich bin übrigens Jill, wenn du etwas brauchst, melde dich gerne bei mir.« Jill nickte und verschwand dann wieder hinter dem Bartresen.
Man musste mir die Verzweiflung wohl ansehen. Ich atmete tief ein, hielt für wenige Herzschläge die Luft an und ließ sie stoßartig entweichen. Was hatte ich erwartet? Es war nicht meine Welt, nicht mal ansatzweise, aber ich saß hier, mitten im Sketch, mit einem Drink in der Hand, der nach zu viel Zucker und ein bisschen Verzweiflung schmeckte. Ich hatte einen Plan – oder redete mir ein, dass ich einen hatte. Eine Liste in meinen Notizen, die ich abarbeiten würde.
Beobachten. Rausfinden, wo man ansetzen konnte. Menschen finden, die Max kannten. Systematisch vorgehen. Dann konnte nichts schiefgehen. Oder zumindest nicht alles.
Ich sah vorbei an den kleinen Grüppchen, Gestalten, die in plüschigen Sesseln versunken waren, bis mein Blick an einem Pokertisch hängen blieb. Männer in perfekt geschnittenen Anzügen, Karten in der Hand, gedämpfte Stimmen, aber eindeutig selbstbewusst mit diesem schmierigen Grinsen auf den Lippen. Frauen saßen daneben, jede ein Kunstwerk für sich, als wären sie Teil der Dekoration. Ich konnte nicht sagen, ob sie gelangweilt oder fasziniert waren – wahrscheinlich beides. Das hier war ihre Welt, nicht meine. Alles an ihnen schien mühelos, wie sie die Beine übereinanderschlugen, wie sie lachten, wie sie redeten, ohne dass es bedeutungsvoll klang. Und ich? Ich fühlte mich wie eine Fremde, die zufällig durch die Tür gestolpert war. Etwas zu viel Schatten zwischen all dem Glanz.
Ich griff nach meinem Glas, um irgendetwas zu tun, und überlegte fieberhaft, wie ich ein Gespräch anfangen könnte, ohne wie eine komplette Außenseiterin zu wirken. Vielleicht etwas Banales, ein Kommentar über den Pokertisch? Nein, zu durchsichtig. Vielleicht einen der Kellner fragen, ob er mir … was genau? Aber bevor ich mich entscheiden konnte, spürte ich, dass jemand mich ansah.
Wie von selbst fand ich ihn. Ein Mann am Rand des Tisches, leicht zurückgelehnt, eine Zigarette zwischen den Fingern, obwohl ich sicher war, dass hier nicht geraucht werden durfte. Er sah mich direkt an, ein bisschen zu intensiv, ein bisschen zu lange. Instinktiv wollte ich den Blick abwenden, mich hinter meinem viel zu kleinen Glas verstecken und so tun, als hätte ich es nicht bemerkt.
Was würde Vee tun?
Ich kannte die Antwort. Ich hielt den Blickkontakt, zwang mich dazu, obwohl mein Herz einen unangenehm schnellen Rhythmus gefunden hatte.
Das würde Vee auch tun, dachte ich. Sie hätte nicht weggesehen. Sie hätte zurückgeschaut, ihn herausgefordert, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Vielleicht würde sie ihm sogar zuzwinkern? Wie machte man das überhaupt, damit es sexy aussah? Mein aufgeregter Atem war mir plötzlich viel präsenter, jede Bewegung meines Körpers fühlte sich zu groß an, als wäre ich mir meiner selbst viel zu sehr bewusst. Ich befeuchtete nervös meine Lippen, woraufhin sein Blick nach unten schnellte. Er zog eine Augenbraue hoch, kaum merklich, und dann erhob er sich. Mein Herz schlug schneller. Noch schneller. Er kam auf mich zu, mit dieser selbstbewussten Langsamkeit, die ich immer schon faszinierend und beängstigend fand. Und während er näher kam, zwang ich mich, ruhig zu bleiben, obwohl meine Gedanken schon längst chaotisch durch Szenarien jagten. Shit, Shit, Shit!
Was, wenn er mich ansprach? Ich würde es gleich herausfinden. Ein Rückzieher kam jetzt nicht mehr in Frage.
»Hi.« Ich zuckte leicht zusammen, als die raue Stimme meine Gedanken unterbrach. Langsam schaute ich an dem dunklen Anzug hoch, ließ meinen Blick über volle Lippen und markante Wangenknochen hinwegwandern, bis er auf helle Augen...
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