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Jamies erste Schritte auf dem Küchenparkett
Während Jamie seine Ausbildung macht, ist in Großbritannien (nicht nur kulinarisch) die Hölle los: Nach der Rezession, der Thatcher-Ära, nach Deregulierung und Privatisierung erlebt das Königreich in den 1980er-Jahren einen wirtschaftlichen Aufschwung. Neben zweifelhafter Mode in Neonfarben, Yuppies und Filofax-Kalendern wird das Essen plötzlich zum Symbol für einen neuen Lifestyle. Gefühlte 90 Prozent der Briten arbeiten in der wachsenden Medienbranche und es ist sehr angesagt, die neue Lebensart nach außen zu tragen. Man leistet sich etwas: Designermöbel, Autos und vor allem Restaurantbesuche. Wer etwas auf sich hält, versteht plötzlich etwas von Wein und gutem Essen. Die Restaurants reagieren auf diesen Trend und bieten besseres Essen an: sowohl optisch als auch qualitativ und geschmacklich. Dazu brauchen sie jede Menge Köche, die dieses Essen zubereiten - eine ideale Ausgangssituation für Jungköche.
Wer ein guter Koch werden will, für den ist es unerlässlich, im Ausland zu arbeiten. Einer der Dozenten am Westminster College vermittelt Jamie einen dreimonatigen Arbeitsaufenthalt in einem Hotelrestaurant in Frankreich, dem piekfeinen Château Tilques.
Das Restaurant des traditionellen Schlosshotels hat einen ausgezeichneten Ruf, die Anlage ist traumhaft schön, und unser vielversprechender Nachwuchschef kann hier die traditionelle französische Küche kennenlernen. Zunächst aber steht ein sehr einsamer, 18-jähriger blonder Strubbelkopf in der ehrwürdigen Hotelküche und wird vom Heimweh und den anderen Jungköchen gepiesackt. Kulinarisch repräsentiert das Château das Gegenteil von dem, was Jamie in den kommenden Jahren propagieren wird: komplizierte, aufwendige Gerichte, die stundenlange Vorbereitungen erfordern. Dass die Kommunikation in der Küche auf Französisch erfolgt, macht es Jamie, der mit dem englischen Wortschatz schon so seine Probleme hat, auch nicht gerade leicht. (Man darf das so sagen; er nennt sich ja selbst »king of using words in the wrong context«). Er hat Fotos von seiner Familie, dem Pub und natürlich von Jools dabei. Mit allen telefoniert er, sooft es geht. Drei Monate können eine lange Zeit sein.21
Vermutlich fließt die Erfahrung mit der noblen französischen Küche in Jamies Entscheidung ein, wo er nach der Ausbildung arbeiten möchte. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen soll es nicht das Ritz sein und auch kein französisches Sternerestaurant. Stundenlang an der perfekten Bechamelsauce zu tüfteln liegt ihm nicht, das hat sich zweifelsfrei herausgestellt. Was Jamie fasziniert, sind die einfachen Dinge wie selbst gebackenes Brot, italienische Pasta und Gerichte mit wenigen Zutaten, die durch ihre simple Qualität überzeugen. Außerdem gibt es das perfekte Restaurant für ihn: das populäre Neal Street Restaurant.
Das Neal Street ist ein italienisches Restaurant, geführt von Antonio Carluccio, der Gastronom, Geschäftsmann und Küchenchef in einer Person ist.
Carluccio, der als junger Mann Italien verlässt und acht Jahre lang in Hamburg als Weinhändler arbeitet, kommt 1975 als Importhändler nach England. Er übernimmt zusammen mit seiner Frau das Neal Street Restaurant von seinem Schwager und macht daraus eines der erfolgreichsten italienischen Restaurants weit und breit. Die Startbedingungen sind nicht schlecht: Es gibt nur wenige Trattorien in der Gegend, und diese orientieren sich am (vermeintlichen) Geschmack der Briten - Ketchup und Mayonnaise stellen die Hauptzutaten für Saucen dar.
Carluccio setzt auf frisch zubereitete italienische Hausmannskost, und - Weinhändler hin oder her - von gutem Essen versteht er etwas. Er ist im Piemont aufgewachsen, und die dortige Küche ist für viele die beste Italiens. Besonders typisch sind Wild-, Schmor- und Pilzgerichte, die weißen Trüffel von Alba stammen aus dieser Region, genau wie der Asti Spumante mit seinem leichten Muskatgeschmack. Nicht umsonst wurde hier die Slow-Food-Bewegung gegründet: Ein Menü in einem piemontesischen Restaurant hat um die acht Gänge, es können aber auch mal doppelt so viele sein.22 Wunderbare Weine wie der Barolo, Barbera oder Barbaresco, der legendäre Grappa de Levi und beliebte Süßspeisen haben ihren Ursprung im Piemont.
Carluccio, der schon als kleiner Junge mit seinem Vater die Hügel des Piemont nach Pilzen durchsuchte, findet sogar im Londoner Umland Speisepilze, die in Großbritannien zu diesem Zeitpunkt noch völlig unbekannt sind.
Das Neal Street Restaurant wird binnen kurzer Zeit ungemein populär. Unter anderen wissen so illustre Gäste wie Prince Charles, Nicole Kidman und Elton John Carluccios Konzept zu schätzen. Den ganz großen Coup aber landet Carluccio mit Carluccio's Caffè, einem wunderschönen, italienischen Laden, in dem man authentische italienische Delikatessen und Weine sowohl kaufen als auch verzehren kann. Innerhalb von zwanzig Jahren eröffnet eine ganze Reihe Carluccio's Caffès in ganz England. Daraufhin verleiht die italienische Regierung Carluccio aufgrund seiner »Dienste um das italienische Essen« den Verdienstorden der italienischen Republik. Was auch nicht zu verachten ist: Ein Unternehmen aus Dubai kauft ihm 2010 die Kette ab und macht ihn damit zum Multimillionär. Carluccio taucht außerdem in einer eigenen Fernsehreihe auf und schreibt mit großem Erfolg Kochbücher.
In Carluccios Restaurant Neal Street arbeitet sein Kumpel Gennaro Contaldo. Contaldo stammt aus einem kleinen Fischerdorf an der Amalfiküste und wanderte mit 20 Jahren nach England aus, wo er ebenfalls handelte - nicht mit Wein, sondern mit Antiquitäten. In den frühen 80ern fängt er bei Carluccio an und ist für viele Jahre dessen Chefkoch. Die beiden Autodidakten verbindet ihr Humor, die Liebe zu gutem Essen und zum italienischen Wein sowie eine bemerkenswerte südländische Sturheit - nach einem Streit werden sie zehn Jahre lang nicht mehr miteinander sprechen.
Der 19-jährige Engländer Jamie wird im Neal Street Restaurant als Pâtissier angestellt und ist somit für Desserts, Gebäck und Brot zuständig. Jamies sonnige, aufgeschlossene Art, seine Begeisterung für das Kochen und sein Eifer nehmen Gennaro gleich für ihn ein:
»So, wie ich ihn sah, dachte ich, er muss der glücklichste Mensch der Welt sein«, erinnert er sich später an diesen Moment.
Dies war nicht nur der Beginn einer langen Geschäftsbeziehung, sondern auch einer wunderbaren Freundschaft, die bis heute anhält. Morgens um vier, halb fünf, lange bevor Jamies Schicht eigentlich beginnt, steht er schon neben Gennaro in der Küche, um von ihm zu lernen. »And then I started to love him«, sagt Gennaro.23 Jamie wiederum nennt Gennaro liebevoll >London Dad<. Als Gennaro eines Tages von einem Fernsehdreh mit Carluccio zurück in die Küche kommt, um zu arbeiten, sagt Jamie: «Du siehst müde aus, Großer. Eines Tages werde ich berühmt sein, ich werde viel Geld machen und Restaurants im ganzen Land, in der ganzen Welt aufmachen, und du sollst dabei sein.«24 Wie schnell dieser Traum in Erfüllung gehen wird, ahnt zu diesem Zeitpunkt keiner der beiden.
Zufällig arbeitet zur gleichen Zeit ein junger Koch namens Tim im Neal Street Restaurant. Jamie erinnert sich an ihn: «Der Typ aus Deutschland, der jede Woche eine andere Haarfarbe hatte. Schwarz, weiß, grün, blond. Am liebsten mochte ich pink.« Dem Deutschen ist wiederum aus dieser Zeit lebhaft in Erinnerung, dass er Jamie gerne das eine oder andere Sandwich klaute - bis Jamie auf eines seiner Brote extrascharfe Chilipaste schmierte: Tims Mund brannte zwei Tage lang.25
Das eigene Essen mithilfe von geschmacklicher Schärfe zu verteidigen ist eine Spezialität von Jamie, der es auf den Tod nicht ausstehen kann, wenn ihm andere Köche etwas von der Station klauen. Tim Mälzer hatte insofern noch Glück. Wesentlich schlimmer erwischt es einen jungen Australier: Der stibitzt Kekse und Waffeln, probiert Eiscremes und löffelt ungefragt Jamies Saucen. Jamie, der Dessertkoch, püriert daher ein paar scharfe sizilianische Chilischoten zu einem Mus, das er dem Australier auf etwas Eis als »toskanisches Parfait« probieren lässt. Danach ist der Australier den Rest des Abends damit beschäftigt, mit Milch zu gurgeln, und Jamie muss seine Arbeit mit übernehmen. Dafür bleiben seine Desserts von diesem Tag an unangetastet.26 Ihre Freundschaft hält leider nicht bis heute an.
Dank seines Gehalts als angestellter Koch kann Jamie auch endlich aufhören zu pendeln und nach London ziehen. Die Küche seines Einzimmerapartments ist kleiner als einen Quadratmeter, sodass Jamie die Kochtöpfe mit einem Flaschenzug unter die Decke ziehen muss. Sie befindet sich in Hampstead - und das Beste an der Wohnung ist: Jools wohnt bei ihm. Jools arbeitet in London als Model und jobbt als Bedienung. Später wird sie bei BBC als Redaktionsassistentin arbeiten, aber Karrierepläne oder sonstige berufliche Ambitionen hat sie keine, was Jamie nicht verstehen kann. Da für ihn die Welt des Kochens so immens wichtig ist und einen großen Teil seines Lebens ausmacht, vermutet er zunächst, dass es lediglich gilt, das Richtige für sie zu finden. Er ist der Meinung, sie verpasse etwas, und er ermutigt sie, alles Mögliche auszuprobieren. Es dauert einige Zeit, bis Jamie akzeptiert, dass sie ganz...
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