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München, 1945: Claire kehrt kurz nach Kriegsende mit ihren beiden Töchtern Viktoria und Mabelle in die Villa Rabenfels zurück. Das Herrenhaus steht noch, doch die Näherei liegt in Schutt und Asche. Die Familie steht vor dem Nichts: Helmut ist im Krieg gefallen, Richard wird noch vermisst, und die einzige Einnahmequelle ist zerstört. Claire verfällt in eine tiefe Depression, und die ganze Verantwortung liegt nun auf Viktorias Schultern. Da erinnert sich Viktoria an ihr Talent, elegante, außergewöhnliche Kleider zu entwerfen. Tatsächlich gelingt es ihr, ihre Familie mit dem Verkauf handgefertigter Modellkleider zu ernähren.
In diesen schweren Zeiten trifft die junge Frau auf einen Kriegsrückkehrer, der hungrig und einsam durch die Stadt irrt. Sie nimmt ihn mit nach Rabenfels. Schon bald merkt Viktoria, dass sie Gefühle für den mysteriösen Fremden entwickelt hat, doch dieser verlässt die Villa nach einer gemeinsam verbrachten Gewitternacht. Wird sie ihn jemals wiedersehen?
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Villa Rabenfels, Juni 1945
Nach fast zwölfstündigem Fußmarsch, unterbrochen nur von drei kurzen Pausen unter tropfenden Straßenbäumen, erreichten sie den See. Mittlerweile war es so dunkel, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Es gab keinen Mond und keine Sterne, nur einen tiefschwarzen Himmel, aus dem der Regen mit gleichmäßigem Rauschen auf sie herabfiel.
Claire war so müde, dass sie sich am liebsten am Straßenrand zusammengerollt hätte. Sie wollte einfach nur schlafen und nie wieder aufwachen. Dieses Gefühl verfolgte sie seit Monaten, und an diesem Abend war es besonders stark.
»Könnt ihr sehen, ob es noch da ist? Bitte, bitte, lass unser Haus noch stehen!« Die helle, aufgeregte Stimme ihrer Jüngsten drang durch die Nebel in ihrem Kopf nur langsam in ihr Bewusstsein vor. Sie bemerkte, dass der Weg unter ihren Füßen aufwärts führte, und blieb stehen.
»Komm, Mama. Wir sind gleich da.« Viktoria zog an ihrem Arm, sodass sie sich widerwillig in Bewegung setzen musste.
»Ich kann immer noch nichts erkennen«, jammerte Mabelle. »Wenn es nur nicht so dunkel wäre.«
»Wir sind gleich da«, wiederholte Viktoria, um sie zu beruhigen. »Ich bin nicht sicher, aber das da oben sieht aus wie dunkle Mauern. Wie unser Haus.«
Mabelle stieß einen Jubelschrei aus und stürmte fast im Laufschritt den Hügel hinauf. Woher nur nahm sie nach dem Gewaltmarsch noch die Kraft dazu? Normalerweise mochte es ihre schöne, zarte Jüngste eher bequem. Selbst Spaziergänge bei schönem Wetter durften nicht zu weit sein. Ganz anders als ihre Schwester, die fast den ganzen Tag in Bewegung war und niemals müde zu werden schien. Ohne Viktoria, die sie ständig angetrieben und ermutigt hatte, wären sie jetzt wahrscheinlich nicht einmal in der Nähe des Sees. Was sie selbst anging, hätte sie sich ohne Viktorias Drängen nicht einmal aufraffen können, den Bauernhof zu verlassen, der ihnen während der vergangenen Monate Unterschlupf geboten hatte.
Während ihre beiden Töchter vor ihr durch die Dunkelheit eilten, blieb Claire ein weiteres Mal stehen. Bis jetzt war die Rückkehr in die Villa Rabenfels nur eine vage Vorstellung für sie gewesen. Zwischen ihr und ihrem Zuhause hatte sich ein tagelanger Fußmarsch erstreckt. Und dann war da noch die Möglichkeit gewesen, dass die Villa nicht mehr stand. Doch nun erkannte auch sie die Mauern oben auf dem Hügel, und von dem Moment, in dem sie die vertraute Eingangshalle betreten würde, trennten sie nur noch Minuten. Ihre Kehle wurde eng, und sie bekam kaum noch Luft.
»Mama?«, rief Mabelle durch die Dunkelheit. »Hast du den Schlüssel für die Vordertür?«
Sie öffnete den Mund, um zu erklären, dass sie keine Ahnung hatte, wo der Schlüssel war, brachte aber keinen Ton hervor.
»Ich habe den Ring mit allen Schlüsseln.« Das war die gut organisierte Viktoria, die zur Unterstreichung ihrer Worte den Schlüsselbund klirren ließ.
Vor sich am Rande der Auffahrt erkannte Claire in der Nähe der Hainbuchenhecke die Bank, auf der sie so oft mit Helmut gesessen hatte, wenn sie von ihrem Abendspaziergang zurückgekehrt waren. Im Sommer hatten sie von hier aus den Sonnenuntergang bewundert, im Winter die funkelnden Sterne über dem See.
Mit einem unterdrückten Schluchzen ließ sich Claire auf die Bank sinken. Es spielte keine Rolle, dass der Regen über das lackierte Holz perlte. Ihre Kleidung war ohnehin schwer vom Wasser und ihre Haut eiskalt und feucht. Wäre es nicht so gewesen, hätte es sie auch nicht interessiert.
Nie wieder, dröhnte es in ihrem Kopf. Nie wieder werde ich ihn sehen, mit ihm reden, ihn berühren. Mit klammen Fingern streichelte sie den leeren Platz an ihrer Seite. Sie konnte nicht weinen, hatte es von jenem schrecklichen Augenblick an nicht gekonnt, in dem sich die Angst, die sie seit Wochen gelähmt hatte, in eine tonnenschwere Traurigkeit verwandelt hatte. In eine nachtschwarze Trauer, die auf ihren Schultern und ihrer Brust lastete wie ein Felsen.
»Ich weiß, es ist nicht richtig, doch jetzt wünsche ich mir fast, du hättest es damals nicht aus dem Rollstuhl geschafft«, hatte sie unter Tränen gesagt, nachdem der Einberufungsbefehl gekommen war, von dem sie so sehr gehofft hatte, er würde ausbleiben.
Schließlich hatte Helmut beim Gehen ein Bein nachgezogen. Eine Spätfolge jenes schweren Unfalls mit seinem ersten Automobil, dem Steyr. Damals war er viel zu schnell die gewundene Straße entlanggerast, um bei der Geburt ihres ersten Kindes an ihrer Seite zu sein.
Richard war zur Welt gekommen, und sein Vater hatte ihn erst mehr als zwei Wochen später begrüßen können. So lange hatte Helmut nach dem Unfall im Koma gelegen. Als sich nach seinem Erwachen herausgestellt hatte, dass er seine Beine nicht bewegen konnte, war für ihn eine Welt zusammengebrochen. Er war für mehrere Monate aus Claires Leben verschwunden und erst zurückgekehrt, als er begriffen hatte, dass auch ein Mann im Rollstuhl seine Frau und sein Kind unterstützen und beschützen konnte.
Durch ungeheure Willensanstrengung und jahrelange Heilgymnastik hatte er es schließlich geschafft, zunächst an Krücken und später sogar ohne Stock zu laufen. Nur jenes leichte Hinken war ihm als Erinnerung geblieben. Eine Behinderung, die bei Ausbruch des Krieges zunächst seine Einberufung verhindert hatte. Richard, ihr Ältester und einziger Sohn, war bereits im Frühjahr 1941, kurz nach seinem achtzehnten Geburtstag, eingezogen worden. Claire hatte genügend Zeit gehabt, sich auf diesen schweren Tag vorzubereiten. Aus irgendeinem Grund schaffte sie es, sich einzureden, dass Richard unversehrt nach Hause zurückkehren würde. Er war jung und stark, klug und mutig - es würde ihm gelingen, den Krieg zu überleben.
Und dann, Jahre später, als die Ostfront wie ein gefräßiges Monster zigtausende Soldaten in den Tod riss, wurden alle Männer eingezogen, die zwei Beine und zwei Arme besaßen, die sie irgendwie benutzen konnten. Helmut erhielt den gefürchteten Brief im Sommer 1944.
Im Nachhinein schien es Claire, als hätte sie schon in jenem Moment, in dem sie Helmut am Zug zum Abschied geküsst hatte, gewusst, dass es der letzte Kuss sein würde.
Von jenem Augenblick an hatte sie stündlich auf die Hiobsbotschaft gewartet. Sie fuhr jedes Mal zusammen, wenn es an der Tür läutete, und wenn sie vom Fenster aus sah, wie der Postbote auf seinem Fahrrad den Hügel zur Villa hinauffuhr, begann ihr Herz zu rasen. Selbst das Klingeln des Telefons versetzte sie in Panik, obwohl sie wusste, dass die wirklich schlimmen Mitteilungen niemals fernmündlich gemacht wurden.
Als es schließlich geschah, traf es sie in einem der wenigen Augenblicke, in denen sie nicht damit rechnete. Sie war im Park hinter der Villa damit beschäftigt, Astern zu schneiden und zu dicken Sträußen für die Halle und das Speisezimmer zu binden. Zunächst hatte sie nach Helmuts Abreise die Gewohnheit aufgegeben, vom Frühling bis in den Herbst jeden Samstag und Mittwoch frische Blumen ins Haus zu holen. Es erschien ihr sinnlos, weil er die bunten Blüten nicht sehen konnte. Viktoria übernahm daraufhin stillschweigend die Aufgabe, das Haus mit Blumen zu schmücken.
»Wir dürfen nicht im Trübsinn versinken«, erklärte sie mit fester Stimme, als Claire ihr dabei zusah, wie sie in die Mitte eines großen Margeritenstraußes eine einzelne rote Rose schob. »Alles soll so sein wie immer. Stell dir vor, Papa oder Richard kommen auf Heimaturlaub, und wir sitzen abends ohne Blumen und Kerzen bei Tisch.«
Daraufhin hatte Claire genickt, ihr die Blumenschere aus der Hand genommen und die übrigen Bouquets selbst zusammengestellt. Seltsamerweise war die Zeit, die sie jede Woche mit dem Schneiden und Arrangieren der Blumen verbrachte, von diesem Tag an eine Atempause für sie. In diesen Minuten gelang es ihr, sich vorzustellen, dass sich die Tür öffnete, Helmut ins Zimmer trat und die schönen Sträuße bewunderte.
Selbst als an jenem strahlenden Septembertag der NSDAP-Ortsgruppenleiter in Begleitung seines Sekretärs die Terrasse überquerte und die Stufen hinunter in den Park nahm, dauerte es einige Momente, bis die Kälte von ihren Füßen aufstieg. Sekunden später presste eine eisige Faust ihr Herz zusammen, und ihr stockte der Atem.
Leonore, die die Gäste zu ihr geführt hatte, war mit wenigen Schritten an ihrer Seite und stützte sie. Seit der Einberufung des Butlers war sie für das Öffnen der Tür und das Bedienen bei Tisch zuständig. Zunächst hatten sie versucht, Lohmann zurückzuholen, der vor einigen Jahren in Rente gegangen war, doch er lebte inzwischen bei seiner Tochter in Frankfurt. Ohnehin hatte Claire es von Anfang an recht angenehm gefunden, statt des steifen Butlers die junge, umsichtige Frau in ihrer Nähe zu haben. Doch an diesem Tag spielte auch das keine Rolle. Claire war innerlich wie erstarrt, während sie die Hand an ihrem Arm spürte, die sie zum Pavillon führte. Dort sank sie stumm auf den Stuhl, den jemand ihr von...
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