Schweitzer Fachinformationen
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Im gebirgigen Südwesten Chinas verlassen fünfzehn asiatische Elefanten ihr Revier und beginnen eine Wanderung nach Norden. Niemand weiß, wohin die Tiere unterwegs sind. Die Bilder der wandernden Giganten gehen um die Welt. Die anfängliche Faszination schlägt in Entsetzen um, als die Elefanten auf ihrer Route Häuser zerstören und Menschen angreifen. Der schwedische Zoologe Peter Danielsson erkennt darin ein Alarmzeichen, doch seine Warnungen bleiben ungehört. Stattdessen wird eine Großwildjagd organisiert, um dem Spuk ein Ende zu machen. Bis plötzlich überall auf der Welt Tiere beginnen, sich bedrohlich zu verhalten ...
Der Tag, an dem das Dorf Shuanxi zerstört wurde, begann mit einem Fest.
Shenmi trat aus dem Haus, um die Laterne über der Tür anzuzünden. Sie war die Letzte, die anderen Dorfbewohner hatten ihre Lichter schon Stunden zuvor aufgesteckt, da war es noch gar nicht richtig dunkel gewesen; einige hatten sogar schon am Morgen mit den Vorbereitungen für das Mondfest begonnen. Dabei war es doch dazu da, den aufgehenden Vollmond in diesem September willkommen zu heißen, ihn mit den Laternen anzulocken, damit er sein Licht über den Feldern ausgoss. Nur der vom Mondlicht gesegnete Reis versprach eine gute Ernte.
Shenmi lächelte. Sie konnte die Ungeduld der Bauern verstehen. Immerhin lag das letzte Mondfest schon vier Jahre zurück - Jahre, in denen es so wenig geregnet hatte wie nie zuvor in der Provinz Yunnan. Die Reispflanzen waren verkümmert. Wegen der Dürre und Missernten hatten drei der neun Familien aus Shuanxi inzwischen aufgegeben, hatten ihre Höfe verlassen und waren nach Kunming gezogen, um sich in der Stadt als Tagelöhner zu verdingen. Die anderen hatten durchgehalten, darunter Shenmi und ihr Vater, und in diesem Jahr war ihre Hartnäckigkeit belohnt worden.
Der Regen war zurückgekehrt. So viel Wasser war auf die Felder gefallen, dass man meinen konnte, die Natur wollte in kürzester Zeit nachholen, was sie zuvor versäumt hatte. Auf den Terrassen, die an den Hängen der Hügel angelegt waren, leuchtete der Reis in Smaragdgrün. Der Regen lief über die Ränder der Geländestufen und verwandelte das Land in ein Wasserspiel.
Jetzt hing der Himmel voller Kürbisse. Gelb, rot und rund schmückten Laternen die einzige Straße im Dorf. Auf das Seidenpapier waren schwarze Drachen getuscht, die Beherrscher des Wassers, und mit kunstvollen Schriftzeichen der Name des Ortes. Shuanxi bedeutete »doppeltes Glück«.
Shenmi holte die Schachtel mit den Zündhölzern unter ihrer Schärpe hervor. Mit einem letzten Blick zum Himmel vergewisserte sie sich, dass es an diesem Abend keinen Regen geben würde, dass kein Guss die Lichter würde verlöschen lassen. Merkwürdig: Erst wünschte man sich das Wasser herbei, dann hoffte man darauf, dass es trocken blieb. Sie schüttelte den Kopf. Der Mensch ist ein merkwürdiges Tier.
Ein Schrei ließ Shenmi innehalten. Sie legte den Kopf schief und lauschte. Irgendetwas streunte durch die Nacht. Allerdings hatte sie in ihren siebzehn Lebensjahren noch nie ein Tier so rufen hören, weder die Stumpfnasenaffen noch die Schwarzhalskraniche klangen so, auch nicht der Kleine Panda, wenn er nach einer Partnerin suchte. Shenmi wartete, aber der Laut wiederholte sich nicht.
Sie riss das Zündholz an, hütete die kleine Flamme in der hohlen Hand und reckte sich, um das Licht in der Laterne zu entfachen, doch sie reichte nicht an den Docht heran. Selbst wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte und das Zündholz am äußersten Ende hielt, fehlte eine Handbreit. Shenmi presste die Lippen zusammen. Sie war klein und leicht, ihre Füße von der Landarbeit kräftig. Eine ganze Weile konnte sie auf den Zehen balancieren, dabei sogar ein wenig hüpfen. Die Laterne mit der Kerze hing trotzdem zu weit oben.
Das Zündholz erlosch. Shenmi sank auf die Fersen zurück und stieß die Luft aus. Wie um sie zu verhöhnen, erklang Musik aus der Versammlungshalle, dem größten Gebäude des Dorfes. Nun würde sie zu spät kommen. Wäre sie doch nicht so vorsichtig gewesen! Es gab keinen Regen. Der Vollmond schien ihr ins Gesicht. Es war ihr, als spürte sie sein Licht auf den Wangen und der Stirn. Komm, schien er ihr zuzurufen, singe, tanze, iss und trinke.
Das wollte sie ja! Aber nicht, bevor die Laterne vor ihrem Haus leuchtete.
Eine Brise kam auf. Die roten und gelben Lichter entlang der Straße schaukelten - die Drachen tanzten im Takt der Musik. Der Rhythmus von Trommeln war von der Versammlungshalle her zu hören, dazu erklang die aufpeitschende Melodie einer Bambusflöte. Mehrere Menschen im Dorf spielten dieses traditionelle Instrument, aber Shenmi erkannte den Stil ihres Vaters sofort. Niemand spielte die Shakuhachi so wie er.
Sie seufzte. Ihrem Vater wäre es leichtgefallen, das Licht über der Tür zu entzünden. Er war hochgewachsen und hatte die Laterne ohne große Mühe dort angebracht, aber Shenmi hatte ihn fortgeschickt, und nun war auch die Gelegenheit verstrichen, ihn aus der Halle zu holen.
Pah! Sie würde es auch ohne ihn schaffen! Sorgte sie nicht für ihn und den Haushalt, seit ihre Mutter vor acht Jahren gestorben war? Dabei half ihr schließlich auch keiner. Also zog sie das nächste Zündholz aus der Schachtel und sprach ein kleines Gebet darüber. Dann warf sie einen finsteren Blick zur Laterne hinauf. Wenn es ihr jetzt nicht gelang, würde sie . würde sie . Was konnte sie schon tun? Sie war nur ein Hani-Bauernmädchen.
Es fiel Shenmi schwer, die Haarnadel aus ihrer kunstvoll gesteckten Frisur zu ziehen. Eine Stunde hatte sie vor dem Spiegel verbracht, um ihr kräftiges schwarzes Haar zu drei perfekten Knoten zu winden - in solchen Momenten vermisste sie ihre Mutter besonders. Wohl oder übel musste sie ihren Kopfschmuck opfern. Sie riss sich ein Haar aus und band damit das Zündholz an die Haarnadel. Dann entzündete sie es, hielt die Konstruktion in die Höhe und stellte befriedigt fest, dass sie den Docht der Kerze mit diesem Trick erreichen konnte.
Im nächsten Moment wurde sie an den Hüften gepackt und in die Höhe gehoben. Die Flamme stieß gegen die Laterne, das Zündholz stach durch das Seidenpapier und setzte es in Brand.
»Loslassen!«, rief sie. Noch bevor ihre Füße den Boden berührten, wusste sie, wer sie da rücklings überfallen hatte. Sie fuhr herum. »Hani Tao!« Die Empörung in ihrer Stimme war so hell und voll wie der Mond. »Was fällt dir ein? Schau, was du angerichtet hast!«
Zwischen ihr und dem jungen Mann schwebten glühende Papierfetzen zu Boden. Shenmi trat sie aus. So böse, wie sie es mit ihrem rundlichen Gesicht vermochte, funkelte sie ihr Gegenüber an. Tao war groß, so groß, dass er den Kopf beugen musste, wenn er eines der Häuser betrat. Niemand sonst im Dorf hatte so breite Schultern und so große Hände. Dennoch hatte Shenmi keine Mühe, jetzt Taos Finger von ihrer Taille zu streifen. Mehr Anstrengung kostete es sie, nicht die Beherrschung zu verlieren, als sie Taos Lächeln sah. Seine Zähne blitzten im Mondlicht, und seine tiefen braunen Augen funkelten freudig und erwartungsvoll.
»Heute ist Mondfest«, sagte er mit Bestimmtheit und klang dabei so, als halte er sich für den Erfinder des Fests, vielleicht sogar für den Vater des Mondes selbst.
Shenmi wusste, worauf Tao hinauswollte, doch sie beschloss, nicht darauf einzugehen. Sie wich einen Schritt zurück und zeigte auf die verkohlten und zertretenen Papierfetzen. »Wie soll ich denn nun die Drachen ehren?«
Er schaute zu dem Drahtgeflecht über der Tür, lediglich ein Gerippe war von der Laterne übrig geblieben. »Ich wollte dir doch nur helfen, das Licht anzuzünden. Du sahst so klein und hilflos aus.«
»Ich brauche deine Hilfe nicht, Hani Tao. Und das Mondfest ist für mich vorbei.«
Ihre Worte wischten das Lächeln aus seinem Gesicht. »Vorbei? Aber wir waren doch verabredet.«
Seine Enttäuschung drang durch ihren Zorn und versetzte ihr einen Stich. Seit Jahren, seit sie Kinder waren, wurde sie von Tao umworben. Bei den Hani-Bauern war es üblich, dass sich junge Paare während des Mondfestes verlobten. Nach altem Glauben übertrug sich dann die Fruchtbarkeit der Felder auf die Braut und versprach reichen Kindersegen. In den vergangenen Jahren hatte Shenmi Tao hingehalten, hatte angeführt, dass ihre Verbindung unter keinem guten Stern stehe, wenn es keinen Regen gab, wenn der Reis nicht wuchs. Erst dann, wenn die Drachen zurückkehrten, werde es so weit sein. Und das war nun der Fall.
Ein flaues Gefühl breitete sich in ihr aus. Angst. Vor einer Veränderung in ihrem Leben. Davor, was der riesige Tao mit ihr anstellen mochte. Davor, dass sie sich fortan um zwei Männer würde kümmern müssen - und in der Folge auch noch um Kinder. Der Gedanke ließ sie erschauern. Andererseits war das der Weg, den jedes Hani-Mädchen ging. Ihre Mutter hatte ihn beschritten und ihre Großmutter, ihre Nachbarinnen und die Frauen in den umliegenden Dörfern. Shenmi war sich ihrer Pflicht bewusst. Außerdem gab Tao einen ganz passablen Gatten ab. Er trank nicht, war gut zu seinem Vieh und arbeitete hart.
Sie schaute ihn lange an. Sie konnte dafür sorgen, dass er sich davonschlich wie ein geprügelter Hund. Das wäre so leicht. Shenmi scharrte mit den Zehen durch die Reste des Seidenpapiers. »Triff mich nach dem Tanz im Reisfeld meines Vaters. Beim Schrein des Jadekaisers.« Das Lächeln kehrte auf Taos Gesicht zurück. Shenmi zögerte. Hatte sie es ihm zu leicht gemacht? Das ließ sich ändern. »Bis dahin sorgst du für eine neue Laterne, ich erwarte nichts weniger als die größte und schönste des Dorfes.« Damit ließ sie ihn stehen und lief auf die Versammlungshalle zu. Die Musik klang verführerisch. Shenmi wollte tanzen.
*
In diesem Jahr feierten die Bewohner von Shuanxi, als wären sie selbst die Drachen. Jedenfalls konnte sich Shenmi an kein Mondfest erinnern, bei dem die Stimmung so ausgelassen gewesen war und sogar die alte Helian Cui mit dem Gehstock den Takt zur Musik geklopft hatte - ihre miesepetrige Miene legte sie dabei allerdings nicht ab. Shenmi ließ sich von den Klängen davontragen. Sie tanzte mit jedem Mann des Dorfes, und als der letzte von ihnen sie küssen wollte,...
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