Schweitzer Fachinformationen
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»Natasha, Natasha Elisabeth!« Ich zucke zusammen. Meinen vollen Namen habe ich schon immer gehasst. Niemand nennt mich so. Zumindest niemand aus meinem alten Leben. Für alle bin ich nur Sasha. Warum meine Eltern ausgerechnet die Vornamen meiner beiden Großmütter gewählt haben, ist mir echt ein Rätsel. Die eine lebt in einer Kommune in San Francisco, die andere hat nichts mehr mit ihrem Sohn zu tun haben wollen, nachdem er mit Anfang zwanzig dieses Westküstenhippiemädchen (meine Mom) nicht nur geheiratet, sondern zuvor auch noch geschwängert hat. Ein Skandal in der Bostoner High Society, wie Dad immer mit stolzem Grinsen erzählte. Ob das heute noch gilt, finde ich wahrscheinlich ziemlich schnell raus, denn das nächste Jahr werde ich bei der Familie meines Vaters leben.
»Natasha! Hier sind wir!«
Und dieses Jahr beginnt genau: jetzt.
Mit klopfendem Herzen drehte ich mich um. Zwischen all den Wartenden entdecke ich meine Tante. Ihr braunes, kinnlanges Haar sitzt perfekt, das cremefarbene Twinset und die Chino in Taube sind leger, aber trotzdem schick. Ich grinse schief und winke. Dabei fällt mein Blick auf das superschlanke, große, blonde Mädchen, das genervt Kaugummi kauend neben ihr steht - das ist dann wohl meine Cousine Charlotte.
»Hi, Tante Laura, danke, dass ihr mich abholt.«
»Wo ist denn dein Gepäck? Sag bloß nicht, deine Koffer sind verloren gegangen.«
»Nein, keine Sorgen, ich hab alles.«
»Nur so wenig? Na ja, vielleicht kann dir Charlotte ja was leihen. Oder Charly, ihr müsstet doch in etwa dieselbe Größe .?«
Das entrüstete Schnauben meiner Cousine ist ziemlich deutlich. Klar, sie hat recht. Sie ist sicher zehn Zentimeter größer als ich, zwei Kleidergrößen dünner und offensichtlich so gar nicht erfreut, mich kennenzulernen. Heimlich hatte ich gehofft, dass wir Freundinnen werden. Charlotte und ich im Pyjama beim Serienmarathon mit Extra-Käse-Pizza, beim Secondhandshopping oder dabei, neue Cupcake-Rezepte auszuprobieren. Im Moment wirkt sie allerdings nicht wie ein Ersatz für Lucy, meine beste Freundin, die ich drei Zeitzonen und über dreitausend Meilen zurückgelassen habe.
»Sash, wer sehen will, muss die Augen schließen«, schaltet sich die Stimme meiner Mutter ein. Ich stöhne auf. »Aber manchmal erkennt man eine blöde Kuh auch blind«, murmele ich und schiebe mich hinter den beiden her durch die Menge Richtung Ausgang. Als sich die Glasschiebetür öffnet, schlägt mir kalte Luft entgegen, so eisig ist es in Santa Barbara nicht mal im Winter.
Zehn Minuten später sitzen wir in Tante Lauras Minivan und fahren los. Dieselben Schnellstraßen wie in L.A., nur ohne Palmen. Plötzlich spüre ich, wie müde ich bin. Natürlich habe ich Mom gezwungen, extra früh zu Hause aufzubrechen, damit ich ja nicht zu spät komme, nur um dann doch wieder zwei Stunden zu früh am Gate rumzusitzen. Ich greife in meine riesige Umhängetasche und wühle nach dem kleinen Zipperbeutel, in dem ich Pass, Flugtickets und meine Reise-To-do-Liste verstaut habe. Auch für Moms Reise nach London habe ich eine Liste gemacht. Hoffentlich vergisst sie nicht, sie mitzunehmen, zuzutrauen wär's ihr, so chaotisch, wie sie ist. Ob sie ohne mich überhaupt pünktlich sein kann? Bei der Vorstellung, wie meine Mutter, die sonst immer alles auf die letzte Minute erledigt, wegen meines Zeitplans viel zu früh am Flughafen sitzt, ungeduldig ihre wilden Locken um den Finger dreht und versucht, sich auf ihr Buch zu konzentrieren, muss ich unwillkürlich lachen. »Zu viele Leute, Sash, unter Beobachtung kann ich nicht lesen, da tanzen mir die Buchstaben weg!«, höre ich sie sagen. Im Gegensatz zu Mom kann ich immer, immer, immer lesen. Ich brauche das, sonst werde ich nervös. Und wenn ich nervös bin, zähle ich Buchstaben, einfach, um ein bisschen Ordnung in die Dinge zu bringen.
Aus dem Augenwinkel schiele ich zu Charlotte auf dem Vordersitz. Sie hat Kopfhörer in den Ohren und die Augen geschlossen. Warum ist sie überhaupt mitgekommen, wenn sie keine Lust hat, mich kennenzulernen?
Als hätte sie meine Gedanken gelesen, dreht sich Tante Laura zu mir um. »Natasha, wir müssen noch rasch an der Schule vorbei, Charly hat ihre Cheerleader-Uniform vergessen, und am Montag haben die Weston Dolphins das letzte Spiel der Saison.«
»Ist die Schule denn offen?«, frage ich erstaunt. »Es sind doch noch Ferien. »
»Aber ja, das Hauptgebäude, die Bibliothek und die ganzen Sportanlagen sind immer geöffnet, du wirst sehen, Weston wird dir gefallen. Deine Mom sagt, dass du Medizin studieren willst. In Yale?«
Mein Magen beginnt zu flattern. Wie selbstverständlich Tante Laura das ausspricht, Yale University, vierzehn Buchstaben, davon träume ich, seit ich denken kann. Forschen und Menschen helfen, wie mein Dad.
»Ja, ich will in Yale Medizin studieren.«
»Du scheinst ganz nach deinem Vater zu kommen!«, entgegnet sie, und plötzlich habe ich Tante Laura richtig gern.
Die Weston High, die Schule der Bostoner Elite und ab Montag auch meine, besteht aus unterschiedlich großen Backsteingebäuden, die verstreut in einem wunderschönen Park mit riesigen, alten Ahornbäumen liegen. Kieswege verbinden die einzelnen Häuser, und obwohl es der letzte Samstag vor Schulbeginn ist, ist schon richtig was los.
Charlotte hat auf Tante Lauras Vorschlag, mir doch schnell den Campus zu zeigen, nicht reagiert, sondern ist sofort aus dem Wagen gestürmt.
Eigentlich bin ich ganz froh. Jetzt meine neuen Mitschüler kennenzulernen wäre viel zu spontan für mich gewesen. Auf wichtige Ereignisse bereite ich mich gerne vor, am liebsten mit einer Eventualitätenliste. Außerdem trage ich meinen oversized Reisehoodie von Dad mit dem Stanford-Logo, und meine braunen Locken stehen wild in alle Richtungen ab. Nach dem zu urteilen, wie die Schüler, die vorbeilaufen, gekleidet sind, bin ich auffallend underdressed. Und auffallen will ich auf keinen Fall.
»Natasha, ich gehe mal schnell ins Sekretariat, die Unterlagen für die Elternsprecherwahl abgeben«, unterbricht Tante Laura meine Gedanken. »Du bist sicher, dass du nicht mitkommen willst? Verstehe ich, war ja auch ein langer Flug. Hier, ich lass dir die Schlüssel da!« Und dann ist es still im Auto. Ich schließe die Augen und verfasse im Kopf eine Liste mit den Dingen, die ich noch vor Schulbeginn erledigen will. Am Montag fängt mein Senior Year an. Am Montag stelle ich die Weichen für Yale. Am Montag bin ich das erste Mal in meinem Leben an einem Ort, an dem ich niemanden kenne. Und am Montag fliegt Mom für neun Monate nach England. Mein Magen zieht sich zusammen, jetzt spüre ich die Entfernung ganz deutlich. Seit Dads Tod vor drei Jahren sind wir unzertrennlich. Und jetzt?
»Jetzt verwirklichst du deinen Traum, Sash!«, würde Lucy sagen. Sie ist ein Kämpferherz. Mit ihr kann ich alles: an Wunder glauben und nach den Sternen greifen. Und das werde ich auch tun. Schließlich war es meine Idee. Mom nimmt das Angebot für eine Ausstellung in der renommierten White Cube Gallery in London an, ich lerne endlich die Familie meines Vaters kennen und bereite mich an einer der renommiertesten Schulen der Ostküste auf die Universität vor.
»Ich bin stolz auf dich, mein Mädchen«, hat mir Mom am Flughafen zugeflüstert. »Und Dad wäre es auch.«
In meinem Augenwinkel beginnt es zu pochen, ein untrügliches Zeichen für Tränen, die rauswollen. Schnell blinzele ich. Jetzt hilft eigentlich nur noch eins: Kaffee. Und wenn ich doch kurz aussteige? Mein Blick fällt auf ein Coffeecar, das in der Sonne glitzert.
Als ich vor dem kleinen Wagen stehe, steigt mir ein köstlicher Duft in die Nase. Wahnsinn, die mahlen hier den Kaffee frisch! Kein Vergleich mit der dünnen Automatenbrühe in meiner alten Schule.
»Hi, wie geht's? Was möchtest du haben?«
Der Verkäufer ist etwas älter als ich, neunzehn, zwanzig vielleicht, trägt seine schwarzen Locken superkurz und strahlt mich mit blitzenden Augen an. Fasziniert starre ich auf die Glasflaschen vor ihm - acht verschiedene Flavours! In einer Schule!
»Ich . ich weiß nicht.«
»Du bist neu hier, stimmt's? Die meisten Schüler haben schon ihre Standardkombi. Wie wär's, soll ich dir was empfehlen?« Einen Moment lang hält er inne, er scheint tatsächlich nachzudenken. Das gefällt mir, er nimmt Kaffee genauso ernst wie ich.
»Ich glaube, du brauchst etwas, das dich wach macht, aber mit ein bisschen Süße - du siehst traurig aus.«
Er bedient die Mahlmaschine, und das laut krachende Geräusch verhindert, dass ich antworten muss. Dankbar lächele ich ihn an.
»Bitte schön, einen Americano mit wenig Milch und Vanilleflavour. Und: Der erste Kaffee geht immer auf mich. Ich bin übrigens Trey.«
»Sasha«, nuschele ich, während ich einen tiefen Schluck nehme.
»Etwa ein bisschen kaffeesüchtig?«
Jetzt muss ich lachen. »Ich bestehe aus Kaffee!«
»Dann sehen wir uns ja häufiger,...
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