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Und dann sind da jene Zufälle und Koinzidenzen, die ganz locker daherkommen, als wäre es nichts, als geschehe alles einfach so, in schöner entspannter Gleichgültigkeit. Was man auch so lange glauben möchte, bis es nicht mehr geht, weil sich etwas bewegt, regt, man ins Grübeln, vielleicht ins Gleiten kommt. Und wenn alles sich zuspitzt und immer heftiger wird, der Wind von hinten und von vorne zugleich weht, dann gerät man in einen unbekannten, einen ganz anderen Zustand, man ist eingebunden in die Geburt von etwas Neuem, das auch das Alte sein könnte in neuer Gestalt: der katholische Glaube zum Beispiel. So hat im alten Europa die Gegenreformation funktioniert. Dem großen Gegendruck aus Wittenberg und Genf und Zürich, der Internalisierung von Verhaltensregeln, der Propaganda der Askese antwortet Rom mit der Aufrüstung des schönen Scheins, der Berührbarkeit des Heiligen, der großen Form. Das Konzil von Trient schrieb das Drehbuch für eine neue Verzauberung und machte selbst vor Ort den Anfang, ausgestattet mit Cleverness und großtheatralem Vermögen, mit histrionischen Deklamationen, sophistischen Schlichen, erotischen Voluten, strenger Pädagogik und bezauberndem Überfluss. Der Papst und seine Jesuiten, das ganze kernbarocke Konsortium, brachte sich auch auf den ästhetischen Stand einer Einlösung göttlicher Vorsehung. Da konnten Luthers geniale Propagandisten aus der Malerdynastie der Cranachs so viele goldene Kelche, Ketten und Mitren im See versenken, wie dieser fassen konnte, den verklemmt erregten Zuschauern des gemalten Schiffbruchs, den protestantisch schwarzen Raben in ihren wasserdichten Booten fehlte ganz einfach der Glanz im Gefieder, der Gesang der Paradiesvögel.
Bei mir war es kein Jesuit, es war ein Franziskaner. Es war kein Mann des scharfen Wortes, er war ein Mann des sanften Gemüts, der sich meiner längst schon ungläubigen Seele und auch noch meiner austrittsorientierten institutionenbezogenen Überlegung annahm, unwissend natürlich, einfach so da seiend als ein runder brauner, jovialer, Arien singender und pfeifender und Pfeife schmauchender Franziskaner im Habit. Pfaffe mit Pfeife, wie mein Vater gesagt hätte, oder besser: Pfaff met Pief. Robert Jauch sein Name, Vetter des Entertainers und Gelegenheitsmäzens Günther Jauch. Er war arm wie Franziskus, versteht sich, und nahm intensiv Anteil am Geschick des Weinbergs seines Vetters bei Trier, weil dieser Weinberg für ihn die Familiengeschichte der Jauchs, Hügel, Reben und gottgefällige Früchte, bedeutet, in nuce das Blut des Herrn, all diese Dimensionen vereinend: ein Berg des Heils, in dessen Betracht die Differenz von Fernsehstudio und Klosterklause sich unerheblich ausnimmt.
Folgendes ereignete sich in der Phase meiner Überlegung, einer der reichsten Erzdiözesen der Welt, der kölnischen nämlich, und damit der Weltkirche ganz den Rücken zu kehren: Ich war in Jerusalem eingeladen, einen Vortrag über neue deutsche Literatur zu halten. Ich hatte an einem drückend heißen Tag die Altstadt besucht, hatte über den Ölberg geblickt, war den Passionsweg gegangen, mit Nahost-Politik im sinnierenden Kopf, wo gemäß lokalem Sozialzwang historische Tiefenerinnerung zu herrschen hatte, und war schließlich in Christi Grabeskirche geraten. Durch diesen Ort könnte die Achse der Welt verlaufen, denke ich mit geschlossenen Augen. Als ich die Augen wieder öffne, gewahre ich ein architektonisches Zwittergebilde, dessen düstere Unförmigkeit seiner religiösen Zentralität Hohn spricht, halb Innen-, halb Außenarchitektur, das unförmige Residuum einer religiös verirrten Vorzeit, die Hülle des Grabes Christi. Ich spreche von der Grabkapelle, der seltsam gehörnten kleineren Kapelle, der Ädikula, innerer Teil der Grabeskirche, selbst wiederum die eigentliche Grabkammer umschließend. Ein mit sinnlosem kaminartigem Turmaufbau versehenes Dampfbügeleisen, das nicht einmal durch seine potenzierte, täglich mit Singen und Beten unterhaltene Heiligkeit aus der Zone ästhetischer Grottigkeit herausragt. Weltliche Stimmen flüstern es immer lauter: Hinter dem Höchsten selbst steht immer noch die schöne Unterscheidung zwischen schön und hässlich.
Eine gewisse Erschütterung durch das schmerzliche Erlebnis dieser Hässlichkeit an einem hartnäckig behaupteten Ort der Wahrheit und der Seelenschönheit war geblieben, hing mir noch in den dünnen sommerlichen Kleidern, als ich in der Jerusalemer Neustadt über die Sokolov Street zum Goethe-Institut ging. Eigentlich wollte ich im Hotel nebenan kurz duschen, als ich einen ganz anders gekleideten kräftigen, rundlichen, rotwangigen Herrn über die Freifläche rauschen sah. Zu Hause hätte mich der Anblick kurz verblüfft und an ein Früher erinnert, gleich eine ganze versunkene Epoche evoziert, hier trug er sich sofort in eine ganz und gar anachronistische Gegenwart ein. Hier in Jerusalem ist der Mönch native, hier bin ich als Zivilist mit Van Laack Hemd und Calvin Klein Hose die theatralisch falsch drapierte, die historisch flache Gestalt. Man muss nur durch Mea Shearim spazieren, um das im Zweifel laut zu spüren. Oder zur Hadji nach Mekka fahren. Es gibt auf der Welt noch Orte mit Kollektiven, Millionen zählend, die unsereinen quasi im Vorübergehen als säkulares fashion victim, als ewig overdressten Gläubigen und also Schuldner einer abundanten Individualreligion entlarven.
Kurzum, der den Mönch markierende, den Mönch verkörpernde, also der braun und mit großer hängender Kapuze gewandete Fußgänger begann heftig zu winken, sodass ich mich unwillkürlich umdrehte, um den Adressaten der Bewegung zu entdecken. Mönch hüben, Mönch drüben, Mensch, pass auf! Doch dann klang ein Hallo Hubert! über den Platz fern der Heimat, ich hatte mich wohl verhört. Hallo Hubert! Das konnte nun beim zweiten Mal nichts und niemanden anderen meinen als mich. Und so war es. Vor mir kam schnaufend und ein wenig skeptisch strahlend jener schon benannte Robert zu stehen, Robert Jauch, wie ich Sekunden später lernte, der mich fragte, ob ich mich noch an ihn erinnere.
Das war erst sehr und dann plötzlich gar nicht mehr schwer. Dass er es war, Robert Jauch, der mir von unserer gemeinsamen Schulzeit in den ersten sechs Jahren auf dem ursprünglich jesuitischen, dann humanistischen Quirinus-Gymnasium in Neuss erzählte, in dem wir geraume Zeit dieselbe Schulbank geteilt hatten, wurde mir klar, als er zwecks Organisation des Pfeiferauchens aus den Tiefen seines Gewandes nicht nur die nötigen Utensilien hervorkramte, sondern dabei auch seinen viel zu kleinen Kleinkinderarm kurz aus dem Weg räumte, der bei der Genuss präparierenden Aktion eher störte. Wie das Ende eines Schals warf er den Arm mit Schwung von der linken Seite über die rechte Schulter. Da war plötzlich wieder das ganze Bild da. Robert mit dem immer willenlos baumelnden Conterganarm. Mir als vom Dorf kommendem Fahrschüler, so nannte man die Schüler von außerhalb, einerseits so fremd und großstädtisch überlegen wie alle anderen in der Klasse, andererseits aufgrund seines Handicaps mir näher als die anderen. Ein Angehöriger des herablassenden Neusser Bürgeradels und ein Außenseiter und Freak wie ich. Die ganze Ambivalenz war wieder da. Die Ambivalenz von vor sage und schreibe fünfundvierzig Jahren. Später hatten sich dann die Differenzen gemäßigt im täglichen Verkehr, die inneren Orientierungen waren dafür auseinandergedriftet. Weihrauch und fromme Worte bei ihm, Cannabis und Kapitalismuskritik bei mir. Lateinische Sentenzen oder frivole Sprüche auf Englisch, Engel dort, Mädchen hier, Erlösung unter den Talaren oder unter den Röcken. Es gibt so viele Wege zum Glück, die an einer gescheiten Berufsausbildung vorbeiführen. Unsere waren sehr unterschiedlich und kreuzten sich nun nach fast einem halben Jahrhundert in Jerusalem erneut. Hallo Hubert. Hallo Robert.
Der Abend wurde dann sehr schön und die Nacht, wenn auch ohne Robert, unvergesslich. Sie führte uns, eine Handvoll fremder schöner Menschen, die ich in der Nacht kennengelernt hatte, hinunter ans Tote Meer. Robert wollte partout nicht mit. Wahrscheinlich ahnte er das kommende Badevergnügen. Es war Freitagabend, Schabbat, nichts ging mehr in Jerusalem, vor allem nichts mit Trinken. So fuhren wir mit einem alten klapprigen Toyota hinunter ans Tote Meer, leicht angeheitert nach Süden wüstenwärts, nach Bier und Wein Ausschau haltend. An den Tankstellen israelische Militärs, in deren Beisein es nicht einmal heimlich alkoholische Getränke zu kaufen gab. Eine Diktatur für einen Gin Tonic. Kein Bier, keinen Wein, doch schwarzes, lockendes Wasser, mythische Brühe, die selbst für Jerusalemer noch ein Faszinosum schien. Der Weg hin zum und schließlich ins ölig schwappende, zäh klebende Meer war schwer zu gehen, zerklüftet, steinig, die Füße leicht blutig, das Wasser dann trug die nackten Körper, biss und heilte die Wunden sogleich, so sprach der gute Schmerz. Wir gingen nackt hinein, vorsichtig dahingleitend, auf der Hut vor brennenden Spritzern, und anschließend meersalzig in die Kleider zurück.
Dann ging es bergauf. Pünktlich zum Sonnenaufgang saßen wir erhöht auf einer Art Bergsporn, einem Felsen in der Oase Ein Gedi, im subtropisch aufgeheizten Wüstenkibbuz, um die Sonne in Jordanien über dem Gebirge aufgehen zu sehen, die die steilen Wände des Negev erst gleißend weiß, dann rot und immer röter aufstrahlen ließ. Tausendmal beschrieben, wie ein Siegel auf das Heilige Land, welches besagt, dass Du, der Du an diesem Ort weilst, nicht ganz von dieser Welt bist, es nie warst und nicht sein wirst. Gute Voraussetzungen für eine Bekehrung: erst sehr viel trinken, dann gar...
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