Schweitzer Fachinformationen
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Als unsere Vorfahren in den Südosten Oklahomas kamen, sahen sie als Erstes die wunderschönen bewaldeten Winding Stair Mountains. Sie sind unser Plymouth Rock, unser Mississippi River, unsere Rocky Mountains, unser Pazifik.
Ron Glenn, Winding Stair Mountain Wilderness bill, Nr. 2571, Kongressanhörung, 1988
Liebe Val,
ich will kein Blatt vor den Mund nehmen. Träume sind etwas Wunderbares, nur muss eine alleinerziehende Mutter praktisch denken. Bitte sag mir, dass es nicht zu spät ist, zu deiner alten Stelle im Arch in St. Louis zurückzukehren?
Hast du den Verstand verloren? Talihina, Oklahoma? Ohne Brille finde ich dieses Kaff noch nicht mal auf der Karte. Kein Wunder, dass du uns nicht vorgewarnt hast. Übrigens fragt Kenneth schon nach dir. Er dachte, aus euch könnte mehr werden als nur Freunde. Mit Trauer kenne ich mich aus, Liebes, aber sehen wir den Tatsachen doch mal ins Auge: Würdest du wieder heiraten, hättest du all die Geldsorgen nicht. Wenn du Kenneth nicht anrufst und Klarheit schaffst, verrate ich ihm Adresse, wo ich diese Karte hinschicke.
Pack Charlie ins Auto und fahr nach Hause. Ich weiß, dass du immer schon ein Freigeist warst, aber es ist an der Zeit, endlich erwachsen zu werden.
Gram
Ich lese die Postkarte zum dritten Mal, seit ich sie auf dem Weg zur Arbeit aus dem Briefkasten geholt habe, dann lasse ich den Blick über das atemberaubende Tal unter dem Emerald-Vista-Aussichtspunkt schweifen und überlege, wie tief ich in Schwierigkeiten stecke. Meine Großmutter hat über fünfzig Jahre Englisch an der Highschool unterrichtet und schreibt grundsätzlich in grammatikalisch korrekten Sätzen.
Die Adresse, wo ich diese Karte hinschicke.
Sie ist wütend. Diese Karte soll mich aufrütteln und es funktioniert. Mir einen kleinen Schreck einjagen. Auch das hat geklappt.
Ich befinde mich im südöstlichen Oklahoma, wo die Landschaft nach Regenfällen in tiefe morgendliche Schatten getaucht ist und der Dunst wie eine dicke Decke über allem liegt. Es herrscht eine gespenstische Atmosphäre der Zeitlosigkeit - ein perfekter Ort für eine Frau und einen siebenjährigen Jungen, um von der Bildfläche zu verschwinden.
Eine Brise kommt auf, wirbelt die Seiten des Ordners auf, den ich aus meinem Rucksack genommen habe, um die Postkarte herauszuholen. Der Broschürenentwurf und ein halbes Dutzend Edelpapiermuster trudeln auf den Asphalt. Ich sollte sie auffangen, doch stattdessen stehe ich stocksteif da, während meine Gedanken zu dem fröhlich gelben Haus schweifen, das die einzige annehmbare Tagesbetreuung für Kids beherbergt.
Los, geh ihn abholen, sage ich mir. Hol ihn ab, pack eure Sachen in den Wagen und fahr los. Das ist doch Irrsinn. All das ist blanker Irrsinn.
Stattdessen hole ich tief Luft. Die Morgenluft fühlt sich schwerer, grüner und wärmer an, als ich es für Mai kenne. Sie riecht nach Sommer. Nach Sommer, Erde, feuchtem Stein und Fichtenkiefer und auf eine so verlockende Weise anders als die Luft in St. Louis, dass mein Herz schneller schlägt.
Seine Sehnsucht nach rauer Natur habe ich ebenso geerbt wie die graugrünen Augen meines Vaters und sein dickes kastanienbraunes Haar. Er hat diese Leidenschaft in mir entfacht, bevor ein Einsatz in Vietnam das stillschweigende Ende der zehnjährigen Ehe meiner Eltern eingeläutet hat und die tiefste Provinz der einzige Ort war, an dem er Frieden finden konnte. Um überhaupt Zeit mit ihm verbringen zu können, musste ich ihn in die Wälder begleiten, deshalb fuhr mich meine Großmutter so oft wie möglich aus den Vororten von Kansas City in den Shawnee-Nationalforst, wo ihr einziger Sohn, der noch am Leben war, als Führer von Wander- und Floßtouren arbeitete. Meine Großmutter sorgte dafür, dass diese Aufenthalte für mich ein Geschenk und nicht eine Last waren und ich sie wirklich genoss.
Wenn also jemand verstehen können sollte, dass ich im frisch geschaffenen Horsethief-Trail-Nationalpark in den Winding Stair Mountains arbeiten möchte, dann doch meine Großmutter. Nun jedoch frage ich mich, ob es für sie so ist, als wiederhole sich die Geschichte - der nächste Elternteil, der vor seinem Schmerz flieht, statt sich ihm zu stellen. Das nächste hilflose Kind.
Was ist dieser Umzug? Ein rücksichtsloser Fluchtversuch oder ein kluger Karriereschritt? Die Position hier entspricht einer Besoldungsstufe GS-9, wohingegen meine Tätigkeit im Arches-Nationalpark, wo ich Touristen über Rasen- und Betonflächen herumführen durfte, eher den Aufgaben einer Stufe 5 entsprach; mehr hätte ich aber nicht leisten können, als Charlie drei Jahre alt war und es plötzlich keinen Vater mehr in seinem Leben gab. Doch jetzt ist er älter. Dies hier ist meine Chance, bei der Parkpolizei wieder einzusteigen. Ich hätte nie gedacht, dass ich die Stelle in der neu gegründeten Einheit hier bekäme, und weiß nach wie vor nicht, warum sie mich genommen haben. Aber nun bin ich hier.
Das ist nicht egoistisch, sage ich mir, sondern notwendig. Wäre Joel hier, würde er mir raten, die Gelegenheit beim Schopf zu packen.
Allein der Gedanke erfüllt mich mit einer bittersüßen Mischung aus Wärme und Sehnsucht. Ich wünschte, er wäre hier, um diesen Anblick mit mir gemeinsam zu genießen. Joel liebte nichts mehr als einen Berg, den er noch nicht erklommen hatte.
»Hey . Ihre Sachen.« Die Stimme dringt wie aus weiter Ferne an meine Ohren. »Ranger, Sie haben Ihre Unterlagen fallen lassen.«
Ich kehre auf den Planeten Erde und den Emerald-Vista-Aussichtspunkt zurück und bin mit einem Mal nicht länger allein. Ein mageres Teenagermädchen kommt den Weg vom nahe gelegenen Campingplatz entlang und rennt über die Straße, um Jagd auf meinen Broschürenentwurf zu machen. Sie ist elf, vielleicht zwölf, nur ein paar Jahre älter als Charlie, drahtig und mit langem, dunklem Haar.
Den Ordner an meine Brust gedrückt, hebe ich die Blätter zu meinen Füßen auf. Als ich mich aufrichte, hat das Mädchen die restlichen Papiermuster eingefangen und bringt sie mir. Sie trägt abgeschnittene Jeansshorts und ein ausgewaschenes T-Shirt mit »Antlers Bearcats Baseball«-Aufdruck. Ich überlege, wo Antlers genau liegt. Ein Stück den Kiamichi River in südliche Richtung. Ich habe es auf der Karte gesehen.
»Hier bitte, Ranger«, sagt das Mädchen mit einer kindlichen Bewunderung, die mich daran erinnert, dass ich heute zum ersten Mal meine offizielle Uniform trage. Meine ersten Tage am neuen Standort vergingen qualvoll langsam. Zwei endlose Wochen, in denen ich mich abwechselnd mit den Wanderwegen und lokalen Gegebenheiten vertraut machen, öde Büroarbeiten erledigen und die Broschürentaschen an Anschlagtafeln auffüllen durfte. Heute trage ich die Uniform inklusive Rangerhut. Doch wieder hat man mir bloß langweilige Routinearbeiten aufs Auge gedrückt.
Das Mädchen mustert mich von oben bis unten. »Hey, Sie sind ja eine Rangerin!« Sie blinzelt, als wäre ein Ufo direkt vor ihr gelandet. Das ist einer der Vorteile, hochgewachsen zu sein - auf den ersten Blick gehe ich als einer der Jungs durch, obwohl die mich gleich zu Beginn zurechtgestutzt haben, dass ich definitiv keiner von ihnen bin. Ein weiblicher Park Ranger im Horsethief Trail übersteigt eindeutig ihr Vorstellungsvermögen.
Doch dieses Mädchen scheint es gut zu finden, deshalb ist es mir auf Anhieb sympathisch. »Das ist ja cool«, sagt sie.
»Danke.« Ich fächere die Papiermuster wie ein Kartenspiel auf. »Und? Hast du einen Favoriten? Ich bin gerade dabei, das Material für die offizielle Eröffnungszeremonie des Parks auszusuchen.« Noch mehr Bürokram von meinem neuen Vorgesetzten, Chief Ranger Arrington. Nehmen Sie sich doch die Zeit, sich in aller Ruhe einzuarbeiten. Fehlte nur noch, dass er mir den Kopf tätschelte.
»Sieht so aus, als wäre der Park schon geöffnet«, bemerkt das Mädchen. »Der Ausflugsbus der Kirche ist gerade auf den Campingplatz gefahren, weil irgendein Kind alles vollgekotzt hat. Zelten tut da unten zwar niemand, aber das Tor ist nicht verschlossen.«
»Die Eröffnungsfeier findet erst in anderthalb Wochen statt, aber, ja, man kann schon alles benutzen.« Viele der Naherholungsgebiete im Nationalpark stammen von vor fünfzig Jahren, Erweiterungen und Modernisierungsmaßnahmen für fünfzehn Millionen Dollar haben ihm die offizielle Benennung Horsethief-Trail-Nationalpark beschert.
»Meine Großmutter hat mir erzählt, dass die hier oben alle möglichen neuen Wanderwege anlegen und so«, plappert das Mädchen. »Sie wollte mit mir herkommen und mir alles zeigen.«
»Tolle Idee.«
»Das Problem ist bloß, dass sie gerade nicht kann.« Ein hoffnungsvoller Blick schweift zu meinem Dienstwagen. »Aber es könnte auch jemand anderes machen, weil ich den ganzen Sommer hier festsitze in dem blöden Talihina. Wo ich nie im Leben neue Freunde finden werde.«
Sie übertreibt wohl ein bisschen, trotzdem nicke ich mitfühlend. »Bestimmt bieten wir alle möglichen Aktivitäten für Teenager an, sobald wir genügend Personal haben.« Besucherprogramme fallen nicht in meinen Zuständigkeitsbereich, doch zu den kulturellen und historischen Highlights der Region zählen Erdhöhlen der prähistorischen Caddo-Mississippi-Kulturen, außerdem Steine mit Wikingerschriftzeichen, die entweder echt oder gefälscht sind, je nachdem, wen man fragt, wilde Geschichten von französischen und spanischen Schätzen, Gerüchte von versteckter Beute irgendwelcher Gesetzloser, Schauplätze aus dem...
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