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Imperia lächelte.
Dann wandte sie sich ab - langsam. Und während ihre Blicke über die Stadt und über den Bodensee vor Konstanz schweiften, ließ sie keinen Zweifel daran, dass sie gehörig beschäftigt war.
Immerhin musste die Statue sich binnen vier Minuten einmal um die eigene Achse drehen, dabei die ein- und ausfahrenden Schiffe grüßen, sich von zahlreichen Touristen bestaunen und fotografieren lassen und zudem die beiden schrumpeligen, splitternackten Zwerge auf ihren weit ausgestreckten Handflächen balancieren.
Wahrhaftig, es war kein leichtes Leben als Wahrzeichen einer Stadt - und sie hatte diese Stellung nun bereits seit vielen Jahren inne. In dieser Zeit war sie bewundert, aber auch verachtet und beleidigt worden. Weiß Gott, sie konnte sich noch sehr gut an das Theater erinnern, das es gegeben hatte, damals, im April 1993, als man sie an der Einfahrt des Konstanzer Hafens aufgestellt hatte
.
Alles begann mit dem alten Molenturm am Kopf des Außenpiers.
Er wurde 1842 errichtet, wobei als Sockel die Pegelmessstation diente, die bereits aus dem Jahre 1816 stammte und damit die älteste in Baden-Württemberg war. 1890 wurde der Molenturm wieder abgerissen - bis auf die Pegelmessstation. Auf ihr wurde nun ein Stahlgestell errichtet, das der Schifffahrt als Bake diente.
Zu Beginn der 1990er-Jahre fingen der Konstanzer Fremdenverkehrsverein, die Bodensee-Schiffsbetriebe und einige Geschäftsleute der Stadt an, darüber nachzudenken, ob man dieses schlichte Seezeichen nicht gegen ein interessanteres und beeindruckenderes Bauwerk austauschen könne. Es sollte von touristischem Reiz sein - so wie die Freiheitsstatue in New York zum Beispiel oder die Christo Redentor-Figur in Rio de Janeiro -, nur eben »ein paar Nummern« kleiner und auf Konstanzer Verhältnisse zugeschnitten. Historisch gesehen war das Konstanzer Konzil, das von 1414
bis 1418 abgehalten wurde, eines der spektakulärsten Ereignisse, das die Stadt in ihrer Geschichte erlebt hatte. Möglicherweise konnte die geplante Statue ja Bezug darauf nehmen? Der römisch-deutsche König Sigismund als »Konzilmacher« wäre vielleicht passend oder der Reformator Jan Hus und sein Mitstreiter Hieronymus von Prag, die beide während des Konzils als Ketzer verbrannt worden waren ...
In Konstanz wurde noch hin und her überlegt, als irgendjemand erzählte, dass irgendwer den Vorsitzenden des Fremdenverkehrsvereins gemeinsam mit dem Bildhauer Peter Lenk am Pegel turm der Hafenmole gesehen habe, beide mit einem Zollstock hantierend. Sofort begann es in der Gerüchteküche zu brodeln, denn immerhin war Peter Lenk in Konstanz kein Unbekannter. Erst vor Kurzem hatte man den von ihm erschaffenen »Konstanzer Triumph bogen« auf dem Mittelstreifen der Straße »Untere Laube« errichtet - mit vier Pfeilern, zu deren Füßen jeweils ein Brunnenbassin arrangiert war. Der »Laube-Brunnen«, wie das Kunstwerk gemeinhin genannt wurde, karikierte das Geschehen auf der verkehrsreichen Straße auf skurrile Weise - und war von Anfang an höchst umstritten. Denn Putten mit Gasmasken, Säuglinge mit Steuerrädern, spuckende Rocker, eine dralle Nackte, die von fetten Erdferkeln mit Menschengesichtern angegeifert wurde, und der historische Kutschenunfall eines Papstes, in Begleitung zweier Huren, schienen nicht jedermanns Humor zu treffen. Die Reaktionen reichten jedenfalls von grandioser Begeisterung bis hin zu unverhohlenem Abscheu - ein Empfinden, das auch die Kirche teilte. Der Brunnen polarisierte, daher hatten sich die Stadtmütter und -väter darauf geeinigt, dass es kein weiteres Kunstwerk Peter Lenks in Konstanz geben sollte. Und nun wurde eben dieser Bildhauer am Pegelturm der Hafenmole gesehen? Den Spekulationen waren Tür und Tor weit geöffnet, und vorsorglich sprachen sich Gemeinderat und Kirche gegenüber dem Oberbürgermeister gegen eine weitere Skandalfigur aus der Werkstatt Peter Lenks aus - ohne zu wissen, was überhaupt geplant war.
Genau diese Ablehnung hatte der Bildhauer vorhergesehen.
Und als der Vorsitzende des Fremdenverkehrsvereins Konstanz an ihn herantrat, um mit ihm über das Projekt im Konstanzer Hafen zu sprechen, willigte Lenk zwar ein, stellte jedoch eine Bedingung: Niemand sollte die noch zu erschaffende Statue zu Gesicht bekommen, bevor sie nicht an Ort und Stelle, nämlich auf dem Pegelturm der Hafeneinfahrt, aufgestellt worden war. Diese Bedingung konnte der Vorsitzende ohne Probleme annehmen.
Schließlich wusste er, dass weder Gemeinderat noch Kirche zu diesem Thema entscheidungsbefugt waren. Der Pegelturm, auf dem die neue Hafenfigur stehen sollte, gehörte nämlich der Deutschen Bundesbahn. Und diese hatte bereits ihr Einverständnis signalisiert. Dennoch setzte sich der Oberbürgermeister mit dem Künstler in Verbindung, um den befürchteten Schaden zu begrenzen. Inständig bat er ihn darum, wenigstens keine nackte Frau als zukünftige Empfangsdame des Konstanzer Hafens aufzustellen.
Das immerhin war der Bildhauer bereit zuzusichern.
Ansonsten war die Ausfertigung der Statue ein großes Geheimnis. Und damit es auch so blieb, mietete Lenk in aller Stille die erforderlichen Räumlichkeiten in Stuttgart an, um die Figur, abgeschirmt vor neugierigen Blicken, erschaffen zu können.
Bei der Planung ließ sich der Bildhauer von einer Erzählung Honoré de Balzacs inspirieren. In der Geschichte ging es um »Die schöne Imperia«, eine Kurtisane, die laut de Balzac zur Zeit des Konzils in Konstanz geweilt hatte und mit ihrem exquisiten Aussehen, ihrem Charme, ihrer Intelligenz und ihrer Kompetenz in Sachen Liebestechniken die höchsten geistlichen und weltlichen Würdenträger für sich einzunehmen wusste:
Imperia war in der ganzen Welt bekannt als die hoffertigste und launenhafteste Kokotte, daneben galt sie für die schönste und dafür, dass keine es wie sie verstand, die Kardinäle wie die rauhen Landsknechte und Leuteschinder zu betören und einzuwickeln.
Tapfere Hauptleute, Bogenschützen und große Herren wetteiferten darin, ihr zu Diensten zu sein. Es kostete sie nur ein Wörtlein, jemanden, der ihr Ärgernis bereitet hatte, verschwinden zu lassen; ein kleiner Wink ihrer schönen Augen genügte, um ein männermordendes Blutvergießen anzurichten ... Abgesehen von den Würdenträgern der hohen Geistlichkeit, denen zu Liebe die schöne Imperia ein wenig ihre Launen zügelte, ließ sie alles Männervolk nach ihrer Pfeife tanzen, und trotzdem hingen selbst die Tugendbolde und Frömmlinge an ihr, wie an einer Klette . 1
So weit Honoré de Balzac in seinem Buch »Tolldreiste Geschichten«, in denen die erste Erzählung von der schönen Imperia handelte, die auf dem Konstanzer Konzil sogar dem Papst und dem König die Köpfe verdreht haben soll. Allerdings entsprang diese Hübschlerin nachweislich ausschließlich der Fantasie Balzacs - wobei nicht auszuschließen ist, dass der französische Schrift steller eine berühmte Kurtisane als Vorlage nahm: »Imperia la Divina« - die göttliche Imperia. Sie hatte die Elite Roms zu Beginn des 16. Jahrhunderts in ihren Bann gezogen. Sogar dem berühmten Maler Raffael soll die blonde Schönheit mehrfach Modell gestanden haben - unter anderem für seine Darstellung der Sappho im vatikanischen Palast und für das Gemälde »Triumph der Galatea«.
Die Kurtisane, die Honoré de Balzac 1832 in seiner Erzählung beschrieb, die literarische Imperia also, konnte jedoch auf keinen Fall mit der historischen »La Divina« identisch sein. Denn tatsächlich war diese zur Zeit des Konzils noch nicht einmal geboren, erblickte sie doch erst 1486 das Licht der Welt und hatte in ihrem ganzen Leben nicht einmal einen Fuß in die Stadt Konstanz gesetzt.
Peter Lenks Statue sollte also klar die literarische Imperia darstellen, wobei auch diese einen belegten historischen Kern besaß ...
Im Jahre 1378 hatte das Kardinalskollegium den Neapolitaner Bartolomeo Prignano zum Heiligen Vater gewählt, der den Papstnamen »Urban VI.« annahm. Da man mit seiner Amtsführung jedoch unzufrieden war, wurde noch im gleichen Jahr Clemens VII. zum Gegenpapst gewählt - und damit die Spaltung der Kirche ausgelöst. Auch der Tod Urbans VI. 1389 und das Dahinscheiden Clemens' VII. 1394 änderten nichts an der vertrackten Situation, da die Kardinäle, die die beiden Päpste umgaben, den jeweiligen Nachfolger aus ihren eigenen Reihen wählten. Und es sollte noch komplizierter werden: 1409 erklärte eine Gruppe von Kardinälen, die sich von den neu gewählten Päpsten Gregor XII. und Benedikt XIII. distanziert hatten, auf dem Konzil von Pisa die zwei Stellvertreter Christi für abgesetzt. An ihrer Stelle wählten sie nun einen dritten Papst: Alexander V. Das Problem lösten sie damit allerdings nicht. Weder Gregor XII. noch Benedikt XIII. dachten daran, diesen neuen Pontifex und ihre eigene Absetzung anzuerkennen. Als zwei Jahre später, im Jahr 1411, Sigismund von Luxemburg zum römisch-deutschen König gewählt wurde, stritten sich daher drei Päpste um die Herrschaft über die Kirche: Gregor XII.
in Rom, Benedikt XIII. in Avignon und Johannes XXIII. in Pisa, dieser der Nachfolger des inzwischen verstorbenen Alexander V.
Aus der »verruchten Zweiheit« hatte sich eine »trinitas non benedicta, sed maledicta«, eine nicht gesegnete, sondern verfluchte Dreifaltigkeit, entwickelt.
König Sigismund begriff sofort, dass die Einigkeit des Heiligen Römischen Reiches durch die Wirren dieses sogenannten »Abendländischen Schismas« massiv bedroht wurde, da die drei Päpste von verschiedenen...
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