Schweitzer Fachinformationen
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Wie ein glutroter Feuerball versank die Sonne langsam am Horizont des Mittelländischen Meeres und färbte den dunstigen Himmel zu einem Gemälde aus roten, orangenen und violetten Tönen. Für eine Weile tauchten die letzten Strahlen der Sonne die nordafrikanischen Küste in purpurnes Licht - die Oase mit ihren zahllosen Olivenbäumen und Palmen, deren Wipfel sich sanft im Winde wiegten, die Wüste, die gleich dahinter begann und die weiße Stadt Tripolis, mit ihren dicht gedrängten, flachen Häusern, den Kuppeln, schlanken Minaretten und die sie vollständig umschließenden, zinnenbewehrten Mauern.
Ein malerisches Bild. Zumindest aus der Ferne.
Wenn man genauer hinschaute, erkannte man allerdings zahlreiche Beschädigungen an Stadtmauer und Gebäuden - Kanonenkugeleinschläge aus Gefechten mit Flotten europäischer Seemächte, die auf Tripolis allesamt nicht gut zu sprechen waren und die Stadt ein Piratennest nannten. Tatsächlich trieben die Barbaresken-Korsaren von hier aus ihr Unwesen - kaperten Handelsschiffe aller Herren Länder und überfielen Ortschaften an den Küsten Italiens, Frankreichs, Spaniens und Portugals. Raub, Sklavenhandel und Lösegelderpressung waren die Haupteinnahmequellen der Korsaren.
So gesehen war Tripolis ein gefährlicher Ort - vor allem für Christenmenschen, die hier nur als Handelsware zählten. Und das Unheilvolle dieser Stätte wurde durch die unaufhörlich kreisenden und kreischenden Möwen, Raben und Geier verstärkt.
Im Hafen der Stadt hob sich ein Wald von Masten gegen den nun in allen Rottönen leuchtenden Himmel ab. Planken knarrten, Taue und Seilrollen stöhnten. In der Luft lag der Geruch von Salzwasser, Tang und Teer.
Eine Flotte schickte sich an auszulaufen - zwölf Schiffe mit hohen Rümpfen und bunten Segeln, die eine leichte Brise auf die Riffe zutrieb - aus dem natürlichen Schutz des Hafens, der den Feinden das Angreifen erschwerte und großen Sturmwellen die zerstörerische Kraft nahm.
Die Steuermänner der Flotte kannten den Weg durch die Klippen jedoch gut und fanden ihn sicher. Und je weiter die Galeonen, Feluken, Karacken und Schebecken aufs offene Meer hinausgelangten, umso mehr blähten sich die bunten Segel, flatterten die blutroten Piratenflaggen, schäumten die Bugwellen auf.
Die Nacht brach nun schnell herein. Eine Weile konnten die Korsaren noch das Leuchtfeuer von Al-Shat ausmachen, dann war es, wie die gesamte nordafrikanische Küste, in der Dunkelheit verschwunden.
Der Wind stand günstig und die Flotte kam gut voran. Wenn das so blieb, würden sie ihr Ziel in zwei Tagen erreicht haben. Und wenn ihr Plan funktionierte, konnten sie in weiteren drei Tagen zurück in Tripolis sein - mit einer ganz besonderen Beute.
*
Francesco Campitelli, Fürst von Strongoli und Graf von Melissa, verstand es zu feiern. Das hatte er bereits etliche Male unter Beweis gestellt. Und auch das diesjährige Ferragosto-Fest bildete keine Ausnahme. Der fünfzehnte August war ein großer Tag für das Königreich Neapel. In vorchristlicher Zeit feierte man zu diesem Datum den Wendepunkt des Sommers. Zur Hochzeit Roms wurde der Sieg des römischen Kaisers Augustus über Marcus Antonius und Kleopatra bejubelt. Und seit der Einführung des Christentums beging man nun zudem das Fest Mariä Himmelfahrt.
Auch im kalabrischen Strongoli war dieser Tag das gesellschaftliche Ereignis des Jahres 1648. Im trutzigen Schloss-Castello des Fürsten, auf dem höchsten Punkt der Stadt erbaut, waren daher auch alle anwesend, die in der Region Rang und Namen besaßen. Der Wein floss in Strömen, die Tische bogen sich unter den herrlichsten Speisen, elegant gekleidete Damen und stattliche Herren drängten durch die Säle - es wurde gelacht, geschwatzt und getanzt.
Auf der Empore im Ballsaal stimmte das Orchester gerade eine Tarantella an. Die Tamburinspieler begannen und schlugen den schnellen Sechsachteltakt. Zwei Akkordeons setzten ein, begleitet von Lauten, Leiern, Mandolinen und Hirtenflöten. Und dann ertönte der knarzende Ton der aus Holz und Ziegenleder gefertigten Sackpfeife, um in einen leidenschaftlichen Dialog mit dem Sänger zu treten, der Geschichten über Land, Liebe und Ehre zum Besten gab.
Die Musik war beschwingt, der Takt mitreißend. Schon fanden sich die ersten Tänzer auf den mit reichen Ornamenten geschmückten Carrara-Marmorfliesen. Sich an den Händen haltend und lange Reihen bildend, tanzten sie den ungestümen Tanz der Tarantella.
Donna Anneke Crisopulli Claen beobachtete die ausgelassenen Menschen. Sie sah bezaubernd aus, an diesem Tag, trug ein blassgelbes Seidenkleid, das wunderbar mit ihren dunklen, lockigen Haaren harmonierte. Das eckige Dekolleté war mit zarten Spitzen eingefasst und der Rock fiel, bedingt durch den mächtigen Hüftwulst, in reichen Falten fast gerade - wie die Mode es vorschrieb - zu Boden.
Annekes ernstes Gesicht passte jedoch weder zu der ausgelassenen Stimmung im Saal noch zu ihrem prächtigen Gewand. Sie wirkte besorgt. Dafür sprach auch die Tatsache, dass sie, die sonst so gerne tanzte, heute sogar eine Tarantella ausließ. Ja, mehr noch, um zu verhindern, dass einer der wilden Tänzer sie einfach auf die Tanzfläche zog, beschloss sie, sich zurückzuziehen.
Sie drängte sich durch die im Takt der Musik klatschenden Menschen zur Stirnseite des Saales, verließ ihn durch eine von weinroten Samtportieren eingerahmte Tür und betrat einen hölzernen, mit reichen Schnitzereien geschmückten Balkon.
Das nahezu quadratische Schloss-Castello, mit seinen vier mächtigen Ecktürmen, lag auf einer Spitze des hohen Felsens, auf dem die Stadt Strongoli erbaut worden war. Hier wurde das trutzige Gebäude von drei tiefen Abgründen umgeben und konnte nur durch die Vorderfront betreten werden. Der Balkon, auf der Rückseite liegend, bot daher einen wunderbar weiten Ausblick - über die Hügel der Campagne, bis hinunter zum azurblauen Mittelmeer.
Normalerweise gehörte der Balkon zu Annekes Lieblingsplätzen im Castello des Fürsten. Doch heute konnte sie die Aussicht nicht wie üblich genießen - dafür machte sie sich viel zu große Sorgen.
Vielleicht sehe ich ja Gefahren, wo gar keine sind, versuchte sie sich selbst zu beruhigen. Und vielleicht dramatisiere ich die Situation aufgrund meiner eigenen bösen Erfahrungen viel zu sehr. Dabei muss ich doch eigentlich dankbar für das glückliche Geschick sein, das mir nach all dem Unheil noch zuteilgeworden ist.
Dreiundzwanzig Jahre lebte Anneke inzwischen in der kalabrischen Stadt - erfüllte Jahre an der Seite ihres Gemahls Don Luigi.
Die Hamburgerin war in Kalabrien heimisch geworden, hatte drei gesunden Kindern das Leben geschenkt und sie in einer feudalen Umgebung aufgezogen. Sie lebte mit ihrer Familie in einem prächtigen Haus, musste auf nichts verzichten, bewegte sich in den ersten Kreisen der Stadt und konnte sogar den Fürsten von Strongoli zu ihren Freunden zählen.
An die schrecklichen Erlebnisse ihrer Vergangenheit erinnerte nichts mehr - außer dem Wiegezertifikat der Stadt Oudewater, mit dem sie einst ihre Unschuld bewiesen hatte, einigen verblassten Folternarben an Händen und Füßen und das liebevolle Andenken an ihre Jugendliebe Maarten van Aelst, der sie vor dem Tode erretten wollte und dabei selbst auf entsetzliche Weise ums Leben gekommen war.
Ach ja, und dann gehörte natürlich auch das goldene Amulett zu ihren Erinnerungsstücken, das aussah wie eine böse Teufelsfratze und in Wirklichkeit doch nur die südamerikanische Gottheit Itzamnà darstellte. Luigi hatte das satanisch anmutende Amulett, derentwegen sie der Hexerei bezichtigt worden war, zu einer Kette umarbeiten lassen, die ihr Glück bringen sollte. Doch bisher hatte Anneke sie noch niemals getragen. Eine seltsame Scheu hielt sie davon ab. Glück war ihr dennoch zuteilgeworden. Und im Vergleich zu ihrer abenteuerlichen Vergangenheit erschienen die Probleme heute eigentlich überschaubar:
So weigert sich ihre Älteste, die einundzwanzigjährige Tochter Elisabetta, zu heiraten. Stattdessen setzte sie Himmel und Hölle in Bewegung, um, als vom Gesetz her eigentlich weitgehend rechtlose Frau, Sondergenehmigungen zu erlangen, die es ihr ermöglichten, einmal die Leitung des italienischen Zweiges des Handelshauses Crisopulli & Claen zu übernehmen.
Der neunzehnjährige Sohn Giuseppe hingegen, der die Geschäfte tatsächlich einmal führen sollte, zeigte so gar kein Interesse an dem väterlichen Unternehmen. Er träumte von einer Laufbahn als Kommandant eines Kriegsschiffes, um gegen die Barbaresken, die muslimischen Piraten im Mittelmeer, kämpfen zu können, die seinem Vater und seinem Onkel Philipp einst so übel mitgespielt hatten.
Ja, und dann war da noch Annekes augenblickliches Problem, jenes, welches ihr heute gründlich die Feierstimmung verdorben hatte. Es hing mit ihrer Jüngsten zusammen, der fünfzehnjährigen Catarina, die eine Freundschaft geschlossen hatte, die ihr, der Mutter, großen Kummer bereitete. Donna Bianca war der Name der zweifelhaften Person und sie galt als weise Frau Strongolis.
In der alten Heimat, da war sich Anneke sicher, hätte man diesem Weib längst den Prozess wegen Hexenwerks gemacht. In Kalabrien hingegen waren den Menschen diese Ängste vor dem Unbekannten fremd. Hier wurde Donna Bianca, die sogar der Fürst regelmäßig konsultierte, um sich die Zukunft weissagen und allerlei Salben und Tinkturen anmischen zu lassen, hochgeachtet.
Anneke hingegen war die Frau unheimlich, und eigentlich hatte Catarina ihr...
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