Schweitzer Fachinformationen
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Es war ein sonniger Septembermorgen im Jahr des Herrn 1651 und von der Chiesa di Santa Maria della Sanità schlug es zur neunten Stunde. Die Hitze hatte die Stadt Strongoli noch nicht erreicht. Die Luft war klar und duftete würzig nach wilden Kräutern und Feigen.
Im Hof der Crisopulli-Villa in der Via Vallone wartete eine Kutsche, abfahrbereit, mit eingespannten Pferden. Unten, im Hafen von Strongoli, sollte heute die kleine Kapelle geweiht werden, die Anneke anlässlich des dritten Todestages ihres Gemahls gestiftet hatte. Anschließend würde darin ein Gedenkgottesdienst zu ehren Don Luigis abgehalten werden - ein Liebesdienst, den die Witwe ihrem verstorbenen Gemahl erwies.
Anneke und ihre Kinder verließen die Villa und bestiegen die Kalesche. Maarten van Aelst folgte ihnen, doch bevor auch er im Inneren des Gefährts verschwinden konnte, bemerkte er einen Mann am Tor des Anwesens, der ihn zu sich heranwinkte.
Verwundert ging er zu ihm hinüber. Was mochte der Bursche von ihm wollen? Er hatte ihn noch nie gesehen und kannte auch sonst, außer den Menschen, die zum Haushalt der Crisopulli gehörten, kaum jemanden in dieser Stadt.
»Ich habe gestern gesehen, dass auf der Poststation ein Brief liegt, der aus dem Reich kommt«, sagte der Fremde. »Er ist zwar an Donazella Catarina adressiert, aber es heißt, dass dieses Dokument auch von Euch dringend erwartet wird. Ich dachte, diese Nachricht wäre von Interesse für Euch. Zumal in wenigen Minuten der Postreiter eintrifft, der die Station öffnen und Euch den Brief aushändigen könnte.« Der Kerl lächelte, ließ dabei sein schadhaftes Gebiss sehen und hielt vorsorglich schon einmal die Hand auf.
Maarten wunderte sich nicht über die Auskunft. Er war viel zu froh und erleichtert, dass Jakob sich endlich gemeldet hatte, als zu hinterfragen, woher der Fremde sein Wissen hatte. Schließlich warteten sie seit zwei Wochen auf eine Nachricht des Freundes und hatten sich bereits Sorgen gemacht.
Der sonst so misstrauische Utrechter dankte dem Burschen herzlich, drückte ihm eine Münze in die ausgestreckte Hand und lief zurück zur Kutsche. Auf dem Weg rief er einem Diener zu, dass dieser Wotan satteln möge, einen der Friesen, die Anneke und er aus den Niederlanden mit nach Strongoli gebracht hatten. Zu den Wartenden sagte er hingegen: »Ich habe noch etwas zu erledigen. Fahrt schon zum Hafen hinunter. Ich komme gleich nach. Es wird gewiss schnell gehen und ich hole euch noch auf dem Weg ein.«
Auf die erstaunten Fragen antwortete er mit einem geheimnisvollen Lächeln.
»Lasst euch überraschen.«
Gleich darauf rollte die Kalesche vom Hof, während Maarten seinen Friesen bestieg und den Weg zur Poststation einschlug.
Ausgerechnet heute war der Postreiter, der normalerweise so rechtzeitig eintraf, dass man nach ihm die Uhr hätte stellen können, nicht pünktlich.
Unruhig ging Maarten auf dem Platz vor der Station auf und ab. Wenn der Mann noch lange auf sich warten ließ, würde er sich am Ende noch zur Einweihung der Hafenkapelle verspäten. Das würde Anneke ihm gewiss übel nehmen. Warum nur hatte er nicht mehr Geduld bewiesen und den Brief erst nach dem Gedenkgottesdienst abgeholt?
Nervös ging er zur Straße zurück, um Ausschau nach dem Säumigen zu halten. Die auf einem Felsplateau gelegene Stadt bot weite Ausblicke auf das Umland, und von seinem Standort aus konnte Maarten daher nicht nur das Nordtor sehen, sondern darüber hinaus auch die serpentinenreiche Straße, die sich zur Stadt hinauf schlängelte. Ein paar Eselfuhrwerke waren auszumachen, doch von dem Postreiter fehlte jede Spur.
Der Utrechter blickte ungeduldig auf die Straße hinab und bemerkte dabei nicht, dass der Mann, der ihm die Nachricht von Jakobs Brief überbracht hatte, auf den Platz vor der Poststation getreten war. So weit wie möglich den Sichtschutz einiger Pinien nutzend, näherte er sich dem Friesen. Noch einmal vergewisserte er sich, dass Maarten abgelenkt war, und machte sich dann an dem Sattel des Tieres zu schaffen. Anschließend verschwand er wieder. Genauso unauffällig, wie er gekommen war.
Wotan wieherte unwillig und scharrte nervös mit dem Vorderhuf. Sofort sah der Utrechter sich nach ihm um. Und obwohl er keinen Grund für das abwehrende Verhalten seines Pferdes entdecken konnte, kehrte er doch zu ihm zurück.
»Was ist mit dir, mein Freund?«, murmelte er leise und strich mit der Hand über Stirn und Nüstern des Hengstes. »Ist dir langweilig oder .?«
In diesem Augenblick ertönte das Posthornsignal. Endlich! Wenig später erreichte der Reiter die Poststation. Er war sichtlich schlechter Laune.
»Eine Horde Witzbolde hatte die Straße versperrt und sich geweigert, mich durchzulassen«, beschwerte er sich lautstark, während er das Felleisen vom Sattel schnallte. »So eine Dreistigkeit. Als wenn ich zu meinem Vergnügen unterwegs wäre.« Mit dem ledernen Postsack unter dem Arm ging er zu dem Gebäude hinüber und schloss die Tür auf.
Hinter ihm drängte Maarten. »Schon gestern soll hier ein Brief an Donazella Catarina Crisopulli eingetroffen sein«, erklärte er ungeduldig. »Den würd ich gerne abholen.«
Indessen betraten weitere Strongolesen, durch das Hornsignal angelockt, die Station. Der Reiter ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen, sondern begann umständlich das Felleisen zu öffnen und die Sendungen zu sortieren.
»Hier geht alles der Reihe nach«, sagte er in vollem Bewusstsein seiner Wichtigkeit.
Auf einen Stapel legte er die Briefe, die von Strongoli aus weitergeleitet wurden - ein zweiter Reiter würde sie gleich abholen. Auf einen anderen Stapel kam die Post für Strongoli, die anschließend alphabetisch in Holzfächer eingeordnet wurde. Es kostete Maarten noch einige Minuten Wartezeit, bis er den Brief Jakobs entgegennehmen durfte.
Als er endlich wieder zu seinem Pferd trat, schnaubte Wotan entrüstet. Abwehrend schüttelte er den Kopf mit der langen, gewellten Mähne und scharrte mit den Hufen. Es war offensichtlich, dass der schwarze Friese sich nicht wohlfühlte. Doch Maarten reagierte nicht. Normalerweise achtete er stets auf die Befindlichkeiten seines Pferdes, aber gerade hatte er keine Zeit dafür. Eines stand schon jetzt fest. Er würde sich zur Weihe der Kapelle verspäten. Wenn er sich eilte, kam er noch rechtzeitig zu dem Gedenkgottesdienst. Immerhin galt es, sieben Kilometer über eine steile und serpentinenreiche Straße, die von der Stadt Strongoli zum Hafen am Meer hinabführte, zu überwinden.
Der Utrechter schwang sich in den Sattel.
Wotan wieherte erschrocken auf, beruhigte sich dann aber wieder und folgte gehorsam dem Zügel.
Die engen Gassen Strongolis mussten sie im Schritt zurücklegen. So wollte es das Gesetz, weil es mit galoppierenden Pferden bereits zu viele Unfälle gegeben hatte. Auch auf dem ersten Stück des Weges, gleich hinter dem Südtor, konnten sie nicht beschleunigen, weil die Straße hier sehr steil abfiel. Erst als sie eine etwas ebenere Passage erreichten, trieb Maarten seinen Hengst zur Eile an.
Wotan schnaubte, fiel aber gehorsam in Trab und dort, wo die Straße nicht ganz so steil abfiel, sogar in Galopp. Er war ein starkes Tier, dabei gutmütig und seinem Herrn treu ergeben.
Doch als Maarten ihn ein wenig harsch zügelte, weil der Weg wieder steiler wurde, wieherte er erschrocken und bäumte sich auf. Damit hatte der Utrechter nicht gerechnet. Er wurde aus dem Sattel geschleudert, schlug am Rande der Straße hart auf und rollte auf den steilen Abhang zu. Instinktiv klammerte er sich an eine Baumwurzel, war jedoch zu benommen, um sein Gewicht lange halten zu können. Er biss die Zähne zusammen und suchte mit seinen Füßen fieberhaft nach einem Halt und glitt dabei aber immer wieder ab. Seine Hände begannen zu zittern, er spürte noch den heißen Scirocco, der an seinen Haaren und seiner Brokatjacke zerrte. Dann gaben seine Finger entkräftet nach.
Unten im Hafen begannen feierlich die Glocken zu läuten. Zuerst die kleinere, mit glasklarem Ton. Dann setzte die zweite Glocke ein. Ihr Klang war tiefer, voller. Im Duett läutete sie mit der ersten, mal gleichzeitig, mal im Wechsel mit ihr. Die Töne zogen durch die Straßen.
Ein ungewohnter Laut.
Denn wenn es auch oben in der Stadt viele Kirchen gab und zahlreiche Glocken zu den unterschiedlichsten Anlässen läuteten, so war es doch hier unten, im Hafen, ein neuer Ton.
Die Menschen horchten auf. Gewiss, sie wussten, dass Donna Anneke Crisopulli einen Andachtsort gestiftet hatte, aber es war dennoch etwas Besonderes, die Glocken dieses neuen Gotteshauses das erste Mal zu hören.
Die kleine Hafenkapelle sollte Sankt Nikolaus von Myra, dem Schutzheiligen der Seefahrer, geweiht werden. Sie war voll besetzt, als Bischof Carlo Diotallevi seines Amtes waltete. Er besprengte die Außen- und Innenwände mit Weihwasser, salbte das Portal und den kleinen Altar.
Dann verstummten die Glocken und eine Orgel begann ihr Spiel. Eigentlich hatte Anneke auf ein derart kostspieliges Instrument verzichten wollen, bis ihr Bruder Philipp eine Kabinettorgel bei dem berühmten Orgelbauer Friedrich Stellwagen in Lübeck entdeckte und sie kurzerhand gekauft und nach Strongoli geschickt hatte.
»Zu Ehren meines guten Freundes Cryso«, hatte er dazugeschrieben und mit der Erwähnung von Luigis altem Spitznamen auf die Zeit angespielt, in der sie gemeinsam als Sklaven des Sultans in Konstantinopel gewesen waren.
Anneke hatte sich sehr über Philipps Geschenk gefreut. Und als die Orgeltöne nun durch die Kapelle brausten, war sie mit...
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