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"[N]icht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden - das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen -, sondern durch Eisen und Blut."1 So sagte der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck in seiner berühmten Rede vor der Budgetkommission des Abgeordnetenhauses, mit der er am 30. September 1862 seine Zuhörer dazu bewegen wollte, einer Erhöhung des Militärhaushalts zuzustimmen. Die abschließende Formulierung Bismarcks wurde schon damals bald umgekehrt und als Fehlzitat - "Blut und Eisen" - sprichwörtlich für den deutschen Militarismus, während Bismarck als der "Eiserne Kanzler" in die Geschichte einging, der den Krieg als einziges Mittel zur Einigung Deutschlands propagiert habe. Bei näherer Betrachtung stellt sich diese Sicht der Dinge jedoch als Karikatur einer wesentlich komplexeren und auch interessanteren Geschichte heraus.
Bismarck hatte seine Ansprache sorgfältig formuliert, um die Abgeordneten für sich zu gewinnen, zumeist Liberale, die sich für die Schaffung eines deutschen Nationalstaats unter parlamentarisch-demokratischer Regierung aussprachen. Der Ministerpräsident wollte ihnen die Realitäten der Machtpolitik in Erinnerung rufen und ihnen vor Augen führen, dass der Einfluss Preußens ganz von seiner militärischen Leistungsfähigkeit abhing - und nicht etwa auf einer ideologischen Führungsrolle beruhte. Bismarck hatte dabei ein Gedicht von Max von Schenkendorf im Sinn, der 1813 als Freiwilliger an den Befreiungskriegen gegen das napoleonische Frankreich teilgenommen hatte. Darin hieß es:
"Denn nur Eisen kann uns retten,
Und erlösen kann nur Blut,
Von der Sünde schweren Ketten,
Von des Bösen Übermut."2
Wie auch andere Dichtung aus dieser Zeit wurde Schenkendorfs Werk später von den Nationalsozialisten missbraucht, um ihre eigene Ideologie kulturell zu unterfüttern. Der Titel von Schenkendorfs Gedicht, "Das eiserne Kreuz", bezog sich auf den neuen Verdienstorden, den der damalige preußische König Friedrich Wilhelm III. im selben Jahr gestiftet hatte; liberal gesinnte Offiziere hatten den König dazu gedrängt, sein bisheriges Bündnis mit Frankreich aufzukündigen. Schenkendorf ist in seinem Gedicht zwar darauf bedacht, die Führungsrolle des Königs angemessen zu würdigen, doch verweist er auch auf das Vermächtnis des Deutschen Ordens in Preußen und dessen christliches Erbe. Andere Werke Schenkendorfs sind typische Beispiele für den jugendlich-romantischen Idealismus der damaligen Zeit und in ihrer Formulierung hinreichend vage gehalten, um Anknüpfungspunkte für christliche und sozialdemokratische Verwendungen zu bieten - und in jüngerer Zeit sogar in Werbekampagnen für Autos und Oberbekleidung aufzutauchen.
Bismarcks Karriere stand auf dem Spiel. Er bekleidete das Amt des preußischen Ministerpräsidenten erst seit einer Woche und sollte für den preußischen König die Blockade des Militärhaushalts beenden. Seine Anspielung auf die Revolution von 1848/49 war eine deutliche Spitze gegen die Liberalen, die damals bei der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche die Oberhand gehabt hatten, ohne freilich in ihren ausgiebigen Debatten den einigen deutschen Nationalstaat zustande zu bringen. Dennoch zeigten die Worte des Ministerpräsidenten nicht die gewünschte Wirkung: Die Abgeordneten wiesen Bismarcks Aufforderung, die Militärausgaben zu erhöhen, ab und stürzten Preußen damit in eine Verfassungskrise, aus der es sich erst nach dem Sieg in zwei Kriegen - 1864 gegen Dänemark und 1866 gegen Österreich - sollte befreien können. Als Auftakt der "deutschen Einigungskriege" führten diese Konflikte zum Zerfall des Deutschen Bundes, aus dem Österreich mit Gewalt verdrängt wurde. Das Vermächtnis dieser Kriege sollte Mitteleuropa noch hundert Jahre lang nicht zur Ruhe kommen lassen. Bismarcks Rede hatte den preußischen König Wilhelm I. zunächst beunruhigt, musste dieser doch befürchten, sein Ministerpräsident wolle die "deutsche Frage" mit Gewalt klären. Während der König an seinem späteren Status als nominell oberster Feldherr des Sieges über Frankreich 1870/71 aber durchaus Gefallen fand, hinterließ der Krieg bei vielen Deutschen zwiespältige Gefühle.3
Die "Blut-und-Eisen-Rede" Bismarcks sowie die vielfältigen Reaktionen hierauf versinnbildlichen das Hauptargument dieses Buches: dass nämlich der Militarismus durchaus ein integraler Bestandteil der deutschen Vergangenheit gewesen ist und auch die Art und Weise geprägt hat, in der Deutschland seine Kriege geführt hat; dass dieser Militarismus jedoch weder ein abschließender Endpunkt war noch das Ergebnis einer einzigen historischen Entwicklungslinie. Auf den folgenden Seiten möchte ich eine verständliche Darstellung der Militärgeschichte des deutschsprachigen Europas im Lauf der letzten fünf Jahrhunderte geben, die ich in den größeren Rahmen der Entwicklungsgeschichte von Krieg und Kriegführung - an Land, zur See und in der Luft - einbetten werde. Am Ende soll deutlich werden, was die deutsche Kriegserfahrung einzigartig macht oder auch verbindet mit der entsprechenden Erfahrung anderswo in Europa oder vielleicht sogar in der übrigen Welt. Durchweg werde ich die Militärgeschichte in ihren weiteren Kontext einbetten und die politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung jener Gebiete, die das heutige Deutschland, Österreich und die Schweiz bilden, nicht aus dem Blick verlieren.
Die Militärgeschichte Deutschlands ist ein äußerst populäres Thema, und an Büchern über die Kriege, Feldzüge, Generäle, Waffen und den Militarismus der Deutschen mangelt es nicht. Jedoch befassen die meisten dieser Werke sich bloß mit der Zeit von 1914 bis 1945, und die fast fünfzigjährige Geschichte des Deutschen Reiches vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs rangiert nur unter "ferner liefen". Und wenn die Zeit vor den 1860er-Jahren überhaupt Erwähnung findet, dann meist als knappe Hinleitung zum "Aufstieg Preußens", nicht als eigenständiger Teil einer viel längeren Geschichte. Bei den meisten dieser Bücher handelt es sich um (oftmals stark technisch ausgerichtete) Spezialstudien, insbesondere, wenn es um Waffen, Uniformen und Taktik geht. Etliche bewältigen ihren Gegenstand mit Bravour und frischen Einsichten, doch eine beträchtliche Anzahl käut lediglich abgedroschene Interpretationen und (oft ungenaue oder falsche) sachliche Details wieder.
Diese Verengung auf die Epoche der beiden Weltkriege hat die wissenschaftliche Debatte verkümmern lassen und die Militärgeschichte Deutschlands in einem anachronistischen, teleologischen Interpretationsrahmen gleichsam eingefroren, dessen Ursprünge im späten 19. Jahrhundert liegen und dessen endgültige Gestalt sich nach 1945 ausgebildet hat. Teil dieser Sichtweise ist der Mythos von einer spezifisch "deutschen" Art der Kriegführung, die angeblich durch die geopolitische Lage Deutschlands im Herzen Europas - und also umgeben von feindseligen Nachbarn - bedingt sein soll. Die Deutschen, so eine verbreitete These, hätten sozusagen eine angeborene Neigung zum Angriffskrieg entwickelt, weil sie stets eine Umzingelung durch ihre Nachbarn befürchten mussten und ihren "Lebensraum" erweitern wollten. Dies wiederum habe eine besonders autoritäre politische Ordnung erzeugt, weil nur ein Machtstaat die nötigen Ressourcen habe mobilisieren können, um die erforderliche Befähigung zum "Erstschlag" zu schaffen und dauerhaft zu erhalten. Auf operationeller Ebene hätten die Kriege der Deutschen daher auch "Blitzkriege" sein müssen, in denen schnelle und entscheidende Siege zu erringen waren, bevor die Feinde sich zusammentun und ihre zahlenmäßige Überlegenheit gegen Deutschland zum Tragen bringen konnten. Das deutsche Militär habe deshalb auch technische Perfektion und technologische Überlegenheit angestrebt, um so immerhin einen gewissen Vorteil gegenüber der Übermacht der Feinde zu erlangen. Zu diesem Zweck auch, hört man immer wieder, sei die Führung der deutschen Streitmacht in die Hände professioneller Militärs gelegt worden, die weitgehend unabhängig von politischer Kontrolle operierten, was letztlich fatale Konsequenzen für die deutsche Gesellschaft und den Frieden in Europa gezeitigt habe.4
Diese Interpretation der Geschichte hat sich zur nahezu unerschütterlichen Orthodoxie verfestigt - nicht zuletzt, weil charakteristische Institutionen des deutschen Militärs wie etwa der Generalstab ab den 1870er-Jahren zu weithin imitierten Vorbildern wurden. Immer wieder zog man den Entwicklungsstand in Deutschland als Maßstab heran, um die Leistungsfähigkeit und Effizienz der Armeen anderer Länder daran zu messen. Das Beispiel Deutschlands hat seit den 1970er-Jahren auch die Debatte darüber geprägt, ob es eine spezifisch amerikanische Art der Kriegführung gebe (oder geben...
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