Schweitzer Fachinformationen
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Tiranas Entwicklung von der kommunistischen Stadt zur Kulturmetropole mit Radwegen und Parks verlief schnell. Die Stadt ist bekannt für ihre bunten Häuser, Street-Art und elegant gekleideten Menschen. An Traditionen wird festgehalten: Beinahe jede Familie stellt ihr eigenes Feigenkompott her - und verrät das Rezept gern.
In Mittelalbanien, zwischen hügeliger grüner Landschaft und dem 1613 Meter hohen Hausberg Dajti, liegt Albaniens Hauptstadt Tirana. Das südosteuropäische Land ist Teil der Balkaninsel und grenzt im Norden an Montenegro und den Kosovo, im Osten an Nordmazedonien, im Süden an Griechenland und im Westen liegt es gegenüber von Italien an den Küsten des Adriatischen und Ionischen Meeres. Albanien ist somit Anrainer des Mittelmeers. Das Land ist mit beinahe 29.000 Quadratkilometern kleiner als Brandenburg und mit 2,8 Millionen leben in Albanien weniger Menschen als in Berlin. Davon entfallen auf die Stadt Tirana rund 600.000 und auf das Ballungsgebiet beinahe 900.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Die Umgebung von Tirana ist seit der Altsteinzeit bewohnt, die ältesten Funde stammen bereits aus der Römerzeit. Seit dem Sturz des kommunistischen Regimes hat sich die Einwohnerzahl aufgrund von Landflucht in etwa verdoppelt.
Es würde zu weit führen, die zahlreichen verschiedenen Stadtviertel Tiranas einzeln vorzustellen. Daher möchte ich Ihnen die Orte zeigen, die Tirana ausmachen. Dieses Kapitel wird eine Reise durch Kunst, Kultur und Politik, die in Tirana vielleicht wie in keiner anderen Hauptstadt zusammenhängen.
Albanische und ausländische Künstlerinnen und Künstler haben an Tiranas Hauswänden mit ihren Wandmalereien schöne Spuren hinterlassen.
Wir beginnen den Spaziergang bei den Häusern, deren bunte Fassadengestaltung der jetzige Ministerpräsident und Künstler Edi Rama initiierte. Er war zuvor zehn Jahre Bürgermeister von Tirana und bekam für dieses Projekt weltweit Beachtung.
Damals gab es in Tirana wenige balkanisch traditionelle Häuser, viele Plattenbauten und illegale Siedlungen. Edi Rama wollte der Tristesse dieser kommunistischen Plattenbauten und unverputzten Häuser entgegenwirken. Sein Projekt: Die Häuser Tiranas bunt streichen, um den Menschen wieder Hoffnung zu geben. Jetzt leuchten die Häuser orange, rot, grün, blau, gelb, oft bunt durcheinander, manchmal mit Mustern oder einzelnen Strichen. Die bunten Häuser stehen als sichtbares Symbol für Veränderung, im Gegensatz zu den Herausforderungen, die nur schrittweise angegangen werden, wie Geldmangel, Überlastung der Infrastruktur oder des Stromnetzes. Aus Architektur- und Stadtplanerkreisen wurde Edi Rama dafür gefeiert, andere warfen ihm einen selbstverliebten autoritären Führungsstil vor.
Auf Albanisch heißt »Straße« abhängig vom Kontext »rruga« oder »rrugë«. Auch, wenn Albanerinnen und Albaner den Straßennamen und die Hausnummer einer bestimmten Adresse wissen, beschreiben sie einem den Weg gern. Dann heißt es »Bei der Apotheke rechts abbiegen, dann bei der Schule vorbei, weiter geradeaus .«
Wer schon von den bunten Häusern Tiranas gehört hat, stellt sich eventuell eine ganze bunte Stadt vor. So ist es aber nicht. Doch wer die Augen offenhält, wird einige bunte Häuser entdecken. Am Markt Pazari I Ri sind die Häuserfassaden rot, gelb, weiß und schwarz mit Dreiecksmustern. Der Marktverkäufer Kadeif, der gegenüber von ihnen seinen Stand hat, erklärt: »Die Häuser charakterisieren die Albaner und haben die gleichen Motive und Farben wie ihre Teppiche.« Eines der bekanntesten Häuser steht in der Rruga E Kavajës stadtauswärts kurz nach dem Fluss Lana. Es ist von Weitem erkennbar und dient auch zur Orientierung. »Wo treffen wir uns für den giro?« - »Am Haus mit den Pfeilen.«
Kadeif bietet sein frisches Obst auf dem Markt Pazari I Ri an.
Edi Rama ließ nicht nur Häuser bemalen, sondern auch viele illegale Bauten abreißen. Durch die Stadt führt der Fluss Lana. Früher waren die Ufer verschmutzt und der Fluss mit illegalen Kiosks verbaut, die nach dem Ende des Kommunismus entstanden sind. Jetzt säumen Bäume rechts und links den Fluss und die angrenzende Straße. »So leicht war es nicht für die Menschen, die sich von heute auf morgen etwas anderes suchen mussten«, erinnert sich unser Fahrer David, als wir die Lana entlangfahren. David wird uns während dieser Recherche öfter begleiten. Früher arbeitete er für das Militär. Für uns ist er ausnahmsweise »Fahrer«, denn eigentlich ist er in Rente. David hat einen warmen Blick, weißes Haar und erzählt poetische Witze.
In Tirana gibt es beeindruckende Graffiti. Zum Beispiel das an der Kreuzung der Rruga E Barrikadave und Rruga Urani Pano. Ein Bücherregal zieht sich an einem Häuserblock hoch. Darauf sind Bilder der albanischen Schriftsteller Ismail Kadare und Dritëro Agolli, der mir besonders gefällt. Obwohl die beiden Konkurrenten sind, liegt ein Buch des jeweils anderen in ihren Fächern. Soweit ich es erkennen kann, sind alle abgebildeten Schriftsteller aus Albanien, nur oben Franz Kafka aus Tschechien. Wenige Meter weiter auf der anderen Seite der Kreuzung in der Rruga Luigj Gurakuqi ist ein Graffito mit einer blauen Wäscheklammer, die Haut zusammendrückt, darunter steht auf Albanisch »Die Welt ändert sich sehr schnell, aber einige Sachen werden sich nie ändern.«
Auf Albanisch heißt »Spaziergang« »giro«, genau wie im Italienischen. Spazieren ist typisch albanisch (auch schon vor der Corona-Pandemie) und wichtig in der Kultur, Menschen treffen sich beispielsweise zum Verdauungsspaziergang.
Achten Sie bei Ihrem Spaziergang auf ältere Herren, die Domino spielen. Typisch albanisch heißt auch, im Moment leben und gelassen sein. Viele von den Herren sind in Rente und treffen sich täglich.
Neben Graffiti und bunten Häusern gibt es in Tirana viele Kunstläden, Galerien und Personen, die Kunsthandwerk auf der Straße verkaufen. Manche sind an viel befahrenen Straßen zwischen Schuh- und Börek-Läden. Oder beispielsweise auch im Stadtviertel Kalaja Toptani innerhalb der ehemaligen Festungsmauern der Burg von Tirana. Hier entdecken Luisa und ich die Ausstellung von Adnand Deda. Seine Bilder wirken lebendig und zeigen Momente aus dem albanischen Leben: Brautpaar, Gitarrenspieler, eine ältere Dame vor einem Brunnen. »Warum wirken deine Bilder so lebendig?«, fragen wir ihn. »Es ist Kunst«, sagt er und erzählt kurz von seinem Kunststudium und dann: »Viele haben es vernachlässigt, die Zivilisation ist abgestumpft und hat kein Interesse an Kunst. Es gibt keine größere Beleidigung, als wenn jemand nur vorbeigeht, fotografiert und nichts sieht. Denn das Auge nimmt auf und nicht das Telefon.«
Innerhalb der ehemaligen Burgmauern von Tirana stellt der Künstler Adnand Deda seine Werke aus.
Wenige Gehminuten entfernt sehen wir am Straßenrand eine alte Dame angelehnt an einer Backsteinmauer sitzen. Vor ihr steht ein Karton mit selbst gestrickten Haussocken. Sie trägt ein weißes Kopftuch, sonst ist sie schwarz gekleidet. In ihren Händen hält sie Wolle und Stricknadeln. Ihr Blick ist warm. Seit zwei Tagen sitze sie schon hier, ihr Rücken schmerze, fünf Euro bekäme sie pro Haussocke, für die sie zwei Tage brauche. Zum Schluss verrät sie uns ihren Namen: Vera.
In den letzten Jahren hat sich das Stadtbild von Tirana weiter verändert. Es entstanden Neubauten, Alleen, Schulen, Radwege, Parks und auch Kontraste: Neben Plattenbauten stehen moderne Hochhäuser, italienische Türme neben neuen Moscheen.
Wir wollen wissen, wie die weitere Entwicklung Tiranas aussehen soll. Dafür besuchen wir Bürgermeister Erion Veliaj in seinem Büro im Rathaus am Skanderbeg-Platz, das völlig anders ist, als man es von einem Bürgermeister erwarten würde. Erion Veliaj ist Mitglied der sozialistischen Partei Albaniens und seit Sommer 2015 Bürgermeister von Tirana. Zuvor war er im Kabinett Rama Minister für Jugend und Soziales. Erion Veliaj erwarb seinen Master im Fachbereich Europäische Integration im Vereinigten Königreich. Er wuchs in einer atheistischen Familie auf, wurde später Protestant und veröffentlichte weltweit umstrittene Mohammed-Karikaturen.
An der Tür zu seinem Büro steht: »You look great today.« Das Büro wirkt prächtig. Es hat die Form eines Halbkreises, auf dem dunklen Holzboden ist ein albanischer Teppich, darauf Samt- und Ledersofas, Bücherregale und Tische. An Wänden und Säulen befinden sich Landkarten von Tirana, in einer Zimmerecke sind Spielsachen: ein Bus, weitere Fahrzeuge aus Holz, ein grüner Bär, Miniaturen von einer Villa, einem Turm, einem Fahrrad und ein Schild von Monopoly Albania.
Herr Veliaj, was sind Ihre Ziele für Tirana?
Mein Ziel ist es, dass Tirana das Tel Aviv des Balkans wird. Nicht Wien, nicht München. Es wird nie eine neue alte Stadt sein. Allerdings ein kreativer Ort mit ein bisschen Drama.
Sie sind bekannt für Ihre Fahrradstraßen. Warum ist Ihnen das Projekt so wichtig?
Als wir mit dem Bau der Radwege begannen, fragten die Leute, wer Radwege brauche. Keiner fährt Fahrrad. Jetzt gibt es Proteste, weil die Fahrradspuren zu schmal sind. Das größte Verkehrsproblem in der Stadt sind allerdings nicht die Radwege, die Boulevards oder die Plätze, sondern die Kilometer von einem Ort zum anderen, die mit dem Auto...
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