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Homöostase, Gefühle und die Kunst, am Leben zu bleiben
«Hör zu, ich bin nur ein Planet, der sein Ding macht, verstanden? Wenn du auf mir leben willst, ist das ganz allein deine Sache.»
Dieses Zitat von der satirischen Website «The Daily Mash» wurde dem Planeten Erde zugeschrieben und ist tiefgründiger, als es scheint.[1] Wir mögen uns unseren Planeten vielleicht als eine fürsorgliche «Mutter Erde» vorstellen, aber in Wahrheit ist sie nicht die Art Mutter, die sich darüber Gedanken macht, ob es Ihnen warm genug ist oder ob Sie genug zu essen haben. Das Leben auf der Erde existiert nicht etwa, weil sich jemand darum gekümmert hätte, sondern weil es einen Weg gefunden hat, sich um sich selbst zu kümmern.
Wenn es das nicht getan hätte, gäbe es uns heute nicht. Nachdem die chemischen Basiszutaten für das Leben auf der Erde angekommen waren (mit verschiedenen Asteroiden, so die Annahme), ist das Leben vermutlich mehrfach entstanden - und nach unerwarteten Veränderungen der Umwelt wieder verschwunden. Doch eines Tages vor etwa vier Milliarden Jahren fand einer der Lebensversuche plötzlich eine Lösung und wurde zum gemeinsamen Vorfahren aller Lebensformen auf der Erde.
Wie diese Lösung aussah, wissen wir nicht genau, eine Idee ist, dass mehrere chemische Reaktionen, von denen jede in der Lage war, mit Kohlenstoff aus der Atmosphäre Energie zu erzeugen, auf irgendeine Weise in einer frühen Zelle eingeschlossen wurden. Weil jede dieser Reaktionen ein bisschen anders ablief, hatte die Zelle eine Rückversicherung. Wenn eine oder zwei dieser Reaktionen nicht funktionierten, sprang eine der anderen ein, und das Leben konnte weitergehen.[2]
Wie das bei Überlebensstrategien so ist, gab es auch Rückschläge, aber es funktionierte lange genug, dass die Evolution mit etwas Besserem um die Ecke kommen konnte - einem Satz spezialisierter Sensoren, die es der Zelle ermöglichen, Veränderungen in der Welt um sie herum zu bemerken, ihren inneren Zustand entsprechend anzupassen und mit der Anpassung aufzuhören, sobald sich die Lage geklärt hat. Diesen Prozess der zellulären Selbstfürsorge nennt man Homöostase, und er ist für das Überleben eines jeden Lebewesens absolut unverzichtbar. Ein paar Milliarden Jahre nach der Entstehung des Lebens hatte die Evolution verschiedene zelluläre Werkzeuge zur Perfektion gebracht, mit denen physikalische, chemische oder auch Temperaturveränderungen entdeckt werden können, hinzu kam eine Reihe von Möglichkeiten, um Feineinstellungen an der Chemie vorzunehmen und Dinge wieder in die richtige Spur zu bringen.
Noch einmal ein paar Milliarden Jahre später, und die Sache mit dem Aufrechterhalten der Homöostase in unserem Körper ist immer noch dieselbe und doch ganz anders. Unsere Körperzellen sind mit Abwandlungen derselben altmodischen, aber verlässlichen Sensoren zum Entdecken innerer Veränderungen ausgestattet. Manche, wie zum Beispiel die Chemorezeptoren, reagieren auf Veränderungen im Kohlendioxid-, Glucose- oder Salzgehalt. Andere, wie die Hormonrezeptoren, entdecken Veränderungen im Hormonspiegel, während Mechanorezeptoren darauf spezialisiert sind, Druck oder Dehnung festzustellen.
Auf dem langen Weg vom Einzeller zum Menschen sind manche Lebensformen allerdings so kompliziert geworden, dass sich im Inneren ihres Körpers fast so viele Variablen befinden wie in der Außenwelt. Unser interozeptives System ist das evolutionäre Ergebnis der Notwendigkeit, diese beiden sich ständig verändernden Welten gleichzeitig zu beobachten. Schiedsrichter ist das Gehirn, das sich in der Evolution entwickelt hat, um diese beiden Welten im Blick zu behalten und die Reaktionen zu koordinieren, damit wir am Leben bleiben.
Um besser nachvollziehen zu können, wo wir heute stehen, lohnt es sich, eine kleine Tour durch die evolutionären Entwicklungssprünge zu machen, die uns hierhergebracht haben. Diese zufälligen Geniestreiche fanden nur selten und in großen Zeitabständen statt, und der erste ließ lange auf sich warten. In den ersten zwei Milliarden Jahren gab es nur einzelliges Leben auf der Erde. Dann schaffte es eine Zelle, in eine andere hineinzukommen, und tauschte für Schutz und Nahrung fast ihre gesamte DNA sowie alle Energie, die sie erzeugen konnte, ein. Das war der Ursprung der Zellorganellen, die wir heute als Mitochondrien kennen (und die oft als «Kraftwerke» der Zelle bezeichnet werden). Ausgestattet mit einer zusätzlichen Energiequelle und einer Menge frischer DNA, konnte diese neue hybride Lebensform mit allerhand neuartigen Designs experimentieren.[3] Darunter waren einige vielzellige Lebensformen wie Grünalgen,[4] Schleimpilze, Pilze und Schwämme.
Etwa eine Milliarde Jahre lang tat sich dann nicht viel - weswegen diese Zeit manchmal als die boring billion bezeichnet wird. Das Leben ruckelte so vor sich hin, Wahrnehmung der und Anpassung an die Welt fanden auf eine Weise statt, die man als chemische Äquivalente zu im Klassenzimmer durchgereichten Zettelchen betrachten kann. Botschaften reisten langsam vom einen Ende des Lebewesens zum anderen, von Zelle zu Zelle, in der Luft oder im Wasser. Dann kam eine Eiszeit, und alles lief noch langsamer ab.
Als sich die Erde schließlich wieder erwärmte, setzte das Leben seine Experimente fort. Nach ein paar Millionen Jahren von Versuch und Irrtum kam ein neuer Zelltyp zur Welt - einer, der Botschaften schneller und genauer weitergeben konnte, wodurch sich die Wahrnehmungs- und Anpassungsprozesse deutlich beschleunigten. Das waren die ersten Neuronen, und jede Kreatur, die sie hatte, stellte fest, dass sie ihre Konkurrenten ausstechen konnte, weil sie ihnen an Nahrungsquellen zuvorkam oder weil sie einer Gefahr zu entrinnen vermochte, ehe andere sie bemerkten.
Diese tollen neuen Zellen sind in vielerlei Hinsicht eine verbesserte Version der derselben alten Idee. Sensorische Neuronen weisen viele der gleichen Sensoren auf, die sich in den frühen Tagen des Lebens entwickelt haben, doch in Neuronen befinden sich diese Sensoren konzentriert an den Enden der verzweigten Zellfortsätze (Dendriten), die sich durch die Gewebe erstrecken und Veränderungen der chemischen oder physikalischen Situation oder potenziell problematische Temperaturabweichungen erkennen. Wird eine Veränderung festgestellt, jagt die Information durch einen Kommunikationskanal (das Axon), um die jeweils notwendigen Aktionen auszulösen. Quallen beispielsweise besitzen sensorische Neuronen, die die Berührung eines potenziellen Beutetiers detektieren. Diese Neuronen leiten die Botschaft an einen anderen Neuronensatz weiter, die Motoneuronen, die den Muskeln der Qualle befehlen, sich zusammenzuziehen, damit das Beutetier in spe nicht entkommen kann. In einer Welt, in der Geschwindigkeit unter Umständen zwischen Leben und Tod entscheidet, versetzten Neuronen Tiere in die Lage, in weniger als einer Sekunde etwas wahrzunehmen und zu reagieren; das verhalf ihnen zu einem kleinen, aber entscheidenden Vorsprung gegenüber ihren Wettbewerbern.[5]
Im Spiel des (Über-)Lebens ist Geschwindigkeit gut - doch Geschwindigkeit mit Plan ist noch besser. Aus diesem Grund begannen einige Tiere - nur wenige Millionen Jahre nachdem die ersten Neuronen entstanden waren -, Gehirne zu entwickeln. Das geschah nicht in allen Zweigen des Tierstammbaums (Quallen und Seesterne kommen bis heute ohne sie aus), doch in dem Ast, der zu uns führt, zeigte sich, dass Gehirne Bewegung nicht nur schneller, sondern auch cleverer machen können. Die frühesten Versionen traten bei unseren entfernten Wurmverwandten auf, in kleinen Nervenzellhäufchen, den Ganglien. Diese bestanden aus den Zellkörpern der Neuronen, von denen die Axone ausgingen und sich durch den Körper erstreckten. Der größte Nervenzellklumpen befand sich am Kopfende, dort, wo der größte Teil ihrer sensorischen Ausstattung liegt.
Irgendwo weiter unten liefen die Verästelungen der Körperneuronen in einem zentralen Rückenmarkstrang zusammen: eine Art Kabelkanal mit fein säuberlich getrennten Wegen für einlaufende sensorische Informationen und ausgehende Anweisungen für Bewegungen. Eine bemerkenswerte Ausnahme in diesem System stellt seine jüngste Neuerwerbung dar, der Vagusnerv. Der entsprang vor rund 400 Millionen Jahren aus dem...
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