Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Die Millionen winziger Kratzer auf meiner Windschutzscheibe, auf die soeben schräg die Abendsonne fiel, glitzerten wie Kristall, ich musste blinzeln. Ich saß seit einer Stunde hier. Wartete. Das tue ich oft. Ich hatte eine Adresse und ein vages Vorgefühl. Das war ungefähr alles. Mehr habe ich eigentlich meistens nicht.
Mein Name ist Keye Street. Ich bin Privatdetektivin, Kautionseintreiberin, Gerichtszustellerin und war früher mal kriminalpsychologische Gutachterin beim FBI. Und wenn ich sage früher, meine ich damit, dass ich gefeuert worden bin. Mit Pauken und Trompeten. Das FBI legt Wert darauf, dass seine Profiler nüchtern sind.
Ich ließ den Donut in meiner Hand in die grün-weiße Krispy-Kreme-Schachtel auf dem Beifahrersitz fallen und spähte durch die versmogte Dämmerung eines weiteren heißen Augustabends. Das Haus war, wie auch die anderen Häuser auf der Straße, irgendwann in den 1960er Jahren nach Schema F errichtet worden, Typ erstes Eigenheim - einstöckig, aus Backstein, zwei Schlafzimmer, ein Badezimmer, rechts von der Haustür ein kleines Fenster, neunzig mal neunzig Zentimeter, die Schlafzimmer auf der linken Seite, tausend Quadratmeter Gras im Vorgarten mit betonierter Auffahrt. Die Bäume, die zur Entstehungszeit der Siedlung als Schösslinge angepflanzt worden waren, schirmten mit ihrem Schatten die Straße und die Hausdächer vor der erbarmungslosen Sonne des Südens ab. Gegen die hohe Luftfeuchtigkeit allerdings konnten sie nichts ausrichten. Das gleichförmige Surren von Kondensatoren, die sich damit abmühten, kühle Luft durch die Klimaanlagen zu pressen, bildete die Hintergrundmusik, wie in den meisten Wohnvierteln um diese Jahreszeit.
Ich ließ die Sonne noch etwas tiefer sinken, stieg aus, schloss lautlos meine Wagentür und machte mich auf den Weg. Vier Türen weiter bog ich nach links ab und schlich über eine von schlappen, kraftlos wirkenden Hortensien gesäumte Auffahrt. Sie sahen aus, als könnten sie was zu trinken gebrauchen. Das Gefühl kenne ich.
In dem Haus ging ein Licht an, und ich sah ihn durch das Eingangsfenster. Er saß in seinem Wohnzimmer, mit einer Styroporschachtel in der linken und einer Fernbedienung in der rechten Hand, vor einem Fernseher, der für das Zimmer viel zu groß war. Ich pirschte mich an das Haus heran, sah, wie er sich in seinem Sessel zurücklehnte. Auf dem großen Bildschirm lief ein Baseballspiel, die Braves gegen die Dodgers, im Turner-Field-Stadion hier in Atlanta. In der Auffahrt stand ein Dodge Charger, Baujahr 69, orange und schwarz. Am Auspufftopf musste ein bisschen was gemacht werden. Er war diese Woche ein paarmal lärmend an mir vorbeigeröhrt. Heißer Schlitten allerdings, wenn man ein Auge für aufgemotzte Muscle-Cars hat. Und das habe ich. Ich war mit solchen Karren aufgewachsen und mit den Typen, die damit durch die Gegend heizten, freitagabends in Georgia.
Ich schlich um die Ecke zu einem der Schlafzimmerfenster. Das Haus schien leer zu sein, bis auf Jeremy Coleman. Eigentlich hatte ich gehofft, seinen kautionsflüchtigen Bruder hier anzutreffen. Ronald Coleman wurde beschuldigt, einen Mann niedergeschossen zu haben, der ihn auf dem Parkplatz eines Krystal-Hamburger-Restaurants vom Diebstahl seines Autos abhalten wollte. Danach hatte er am Drive-in-Schalter mit vorgehaltener Waffe fünf Krystal-Cheeseburger und eine Portion Pommes frites verlangt, während der Wagenbesitzer blutüberströmt und um Hilfe bettelnd über den Parkplatz taumelte. Reizender Mensch, dieser Ronald Coleman. Sein Gerichtstermin war ihm offensichtlich ganz entfallen. Kann schon mal passieren, bei einer Kleinigkeit wie schwerer Körperverletzung mit Tötungsvorsatz, bewaffnetem Raubüberfall und Autodiebstahl. Ich hatte Jeremy die letzte Woche über observiert, in der Hoffnung, dass Ronald bei ihm auftauchen würde. Die Familiengeschichte verriet mir, dass die Brüder sich nahestanden. Es war Jeremy Coleman, der zehn Prozent der 140000 Dollar aufgebracht hatte, die der Staat als Kaution verlangte. Keine Kleinigkeit für einen einfachen Handwerker mit einer kleinen Kfz-Werkstatt, in der er von Montag bis Freitag Autos, moderne Klassiker vor allem, restaurierte. Ich war mir sicher, wenn jemand wusste, wo Ronald Coleman steckte, dann sein kleiner Bruder Jeremy. Etwa eine Woche zuvor ging ich allerdings auch noch davon aus, dass der burgerfutternde Fiesling bis heute längst aus der Versenkung aufgetaucht wäre. Tja. So viel zu vagen Vorgefühlen.
Ich schlich an verwilderten Sträuchern vorbei in einen verwahrlosten Hinterhof voller Unkraut und wild wucherndem, bereits abgeblühtem Gras, ein idealer Tummelplatz für Mücken. Schön dunkel und feucht. Ich hielt mich an einem Ziegelsims fest und stellte mich auf die Zehenspitzen, um einen Blick in das hintere Schlafzimmer zu werfen. Jeremy schlief nach vorne raus, so viel wusste ich. Hätte er einen Gast, würde er ihn hier unterbringen. Die Zimmertür stand offen, es drang schwaches Licht herein. Der Raum war leer, eindeutig, das Bett gemacht. Alles sah genauso aus wie die fünf Male zuvor, als ich hineingespäht hatte. Ich spürte, wie es an meinen Händen und hinten im Nacken pikste. Mücken mögen dunkle Kleidung und auch dunkles Haar. Ich hatte beides zu bieten.
Ich trat den Rückzug an, seitlich am Haus vorbei. Als ich gerade um die vordere Ecke bog, ging die Haustür auf. Ich hielt sofort inne. Bewegung ist etwas, das einem bei Nacht immer ins Auge springt, auch wenn man in der Dunkelheit sonst nichts erkennt. Ich verharrte stocksteif im Schatten, während Jeremy auf der vorderen Veranda stand und mit einem klimpernden Schlüsselbund die Tür abschloss. Er trug noch seine Arbeitsmontur, eine dunkelblaue Hose und ein Hemd in derselben Farbe mit einem gestickten Namensschild über der linken Brusttasche, wie bei Automechanikern üblich. Ich beobachtete, wie er in sein Auto stieg. Sobald er den Motor anließ und losfuhr, flitzte ich durch den Vorgarten und über den Bürgersteig zu meiner Karre, einem schäbigen Plymouth Neon mit einer Delle in der Kühlerhaube - einen Typen, der berufsmäßig Autos restaurierte, bespitzelte man besser nicht in einem zu auffälligen Modell. Deshalb stand mein weißer Impala Cabrio, Baujahr 1969, zu Hause in der Tiefgarage. Und hatte gewiss Sehnsucht nach mir, dachte ich liebevoll. Ich besaß den Wagen seit der Highschool. Und da behauptet meine Mutter, ich hätte Bindungsangst.
Jeremy bremste gerade an dem Stoppschild am Ende des Blocks, als ich losfuhr. Ich ließ die Scheinwerfer aus, bis er abgebogen war. Und dann folgte ich ihm, schön brav mit Abstand. Ist bei einem alten, orange-schwarzen Charger kein Problem. Die Rücklichter sind unverwechselbar: zwei lange rote Streifen. Jeremy Coleman führte ein recht eintöniges Leben. Meistens sah er abends in seinem Sessel fern, mit einer Imbissschachtel auf dem Schoß, die er auf dem Heimweg von der Arbeit besorgt hatte. Heute aber sah es so aus, als würde sich meine Beharrlichkeit auszahlen. Er fuhr an dem Schnapsladen an der Ecke vorbei, an der Kneipe ein Stück die Straße hoch und an dem Supermarkt - die einzigen Orte, die er, von der Arbeit und seinem Wohnzimmer abgesehen, während der Woche aufgesucht hatte.
An einem Nachtkiosk kaufte er eine Stange Zigaretten. Jeremy war Nichtraucher. Meine Hoffnung stieg. Ich folgte ihm die Ponce de Leon Avenue hinunter bis zu einem Wendy's am Scott Boulevard und beobachtete, wie er den Drive-in passierte. Nächster Halt: ein Motel in einer Nebenstraße der Church Street, wo es ansonsten nur Autohäuser gab. Es war genau die Sorte Motel, in der das FBI seine Beamten auf Außeneinsätzen unterbrachte - Stuckfassade, zweigeschossig mit scheußlichem Teppichboden und einer umwerfenden Aussicht auf den Parkplatz. Er stieg mit den Zigaretten und einer Tüte Fastfood unter dem Arm aus und stieg eine Betontreppe an der Gebäudeecke hinauf. An der vierten Tür blieb er stehen. Ich warf einen Blick durchs Fernglas auf die Zimmernummer. 228. Vielleicht würde ich die Zahlen heute Abend im Lotto spielen.
Ich konnte nicht sehen, wer hinter der Tür stand, als sie geöffnet wurde, aber ich war ziemlich zuversichtlich, dass es Ronald war, Jeremys fastfoodfutternder Bruder. Ich legte eine kugelsichere Weste an, streifte eine schwarze Nylonjacke über, die mich in großen gelben Lettern als Kautionseintreiberin kenntlich machte, und stiefelte ins Büro des Motel-Managers.
«Mein Name ist Keye Street. Kautionseintreibung.» Ich klatschte meinen Ausweis auf den Tresen. «Verraten Sie mir, wer in Zimmer 228 wohnt?»
«Ich möchte keinen Ärger.»
Ich lächelte, steckte den Ausweis wieder ein. «Dann sind wir schon zu zweit.»
«Wir haben gerade renoviert», erklärte mir der Angestellte.
«Verstehe», sagte ich. Wir wechselten einen Blick. Ich wartete geduldig. Schließlich gab er sich einen Ruck und die Nummer in seine Computertastatur ein.
«Coleman», sagte er. «Jeremy.»
Ganz, wie ich vermutet hatte. Jeremy hatte das Zimmer für seinen Bruder angemietet, und jetzt lieferte er Essen und Zigaretten an. Viele Zigaretten. Entweder war Ronald Kettenraucher oder kurz davor, abzuhauen. «Wann checkt er aus?»
«Morgen», erwiderte der Angestellte. «Sie veranstalten hier aber keine Schießerei, ja?»
«Nein, nein», beruhigte ich ihn. Ich verließ das Büro, stieg die Betontreppe hinauf und ging den Korridor entlang bis Zimmer 228. Ich drückte mein Ohr an die Tür. Da hörte ich ein Geräusch, ganz in der Nähe. Die Tür von Zimmer 232 ging auf, und ein langer, dürrer Typ mit einem schmuddeligen Kinnbart kam heraus. Ich hoffte, er würde in die andere Richtung...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.