Schweitzer Fachinformationen
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Ich habe Truckee und die Interstate 80 vor gut einer halben Stunde hinter mir gelassen. Seitdem schüttelt mich die brüchige Fahrbahnoberfläche des Highway 267 durch. Ich rede mir ein, dass ich nur wegen des schlechten Untergrunds so sehr schleiche, dass die Tachonadel hysterisch an der Vierzig-Meilen-Marke kratzt. Dabei könnte der Pick-up, den ich mir am Flughafen von Sacramento geliehen habe, vermutlich sogar mit achtzig querfeldein ans Ufer des Lake Tahoe gelangen, ohne größeren Schaden zu nehmen.
Der Typ im Toyota hinter mir betätigt gerade zum gefühlt tausendsten Mal die Lichthupe, was ich mit einem Stinkefinger kommentiere, den ich ihm aus dem Fenster entgegenstrecke. Soll der Idiot doch vorbeifahren, wenn er es so verdammt eilig hat in sein Ferienhäuschen am See zu kommen.
Ich für meinen Teil würde lieber noch langsamer fahren, denn die Pinienwälder, die bis jetzt die Straße gesäumt haben, lichten sich bereits. Dabei bin ich alles andere als bereit für das, was mich dahinter erwartet - der See, Pinewood Meadows, meine Schwestern, mein Zuhause.
Liebevoll restaurierte Holzhäuschen säumen die Straße, als ich das Ortsschild von Kings Beach passiere. Ich halte den Wagen an der verwaisten Kreuzung, die den North Shore Boulevard mit dem North Lake Boulevard verbindet. Daneben liegt noch immer der alte Reifenhändler Sierra Tires.
Jake und ich haben nachts oft auf den aufgetürmten Reifenbergen gesessen, Marihuana geraucht und geredet. Ich glaube nicht, dass er Liz je etwas davon erzählt hat. Sie hätte uns beiden die Ohren langgezogen, und so gern Jake sie hat, so mochte er doch, dass dieser wenig anziehende Ort, der starke Geruch nach Gummi, Dreck und Gras allein uns gehörte.
Ich schließe für einen Moment die Augen, weil mich das Gefühlschaos in meinem Inneren fertigmacht. Jake ist nicht mehr hier. Meinetwegen. Ich sollte nicht hier sein. Fünf Jahre war ich fort, und der Grund dafür, dass ich nie vorhatte wiederzukommen, verknotet meine Eingeweide.
Meine Hände umklammern das Lenkrad, mein Herz rast, und mein Atem stolpert. Ich atme tief durch und fahre an, als die Ampel endlich auf Grün schaltet. Egal, wie sehr ich mir wünschte, mich den Erinnerungen an Mom und Dad und damit meiner Schuld nicht stellen zu müssen, ich kann nicht länger weglaufen. Meine Schwestern brauchen mich, sonst hätten sie mich niemals gebeten, meine Zelte in Frankreich abzubrechen und die Küche des Lakeshore Diners zu schmeißen, bis Hank, der alte Grummel, wieder auf dem Damm ist.
Er hat sich beim Segeln die Hüfte gebrochen, und die Prognose bei einem so alten Knochen liegt bei mindestens sechs Monaten Genesungszeit. Die wird er vermutlich damit verbringen, die hübschen Krankenschwestern des Rehazentrums in den Wahnsinn zu treiben, anstatt Burger zu braten.
Liz hat laut eigener Aussage rund eine Million Vorstellungsgespräche geführt, ohne auch nur einen einigermaßen vernünftigen Koch aufzutreiben, der im Budget des Diners liegt. Ich bin ihre letzte Hoffnung.
Ich lasse mich grundsätzlich nicht zu etwas breitschlagen, was ich partout nicht möchte. Wenn die Sehnsucht nach dem Lake Tahoe, meinen Schwestern, Pinewood Meadows und dem Diner nicht sowieso seit Monaten in meiner Brust gewütet hätte, hätte ich nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet, Liz' Bitte nachzukommen. Ich hätte einen meiner Kollegen empfohlen und mich weiter in Südfrankreich versteckt. Tatsache ist aber, dass neben all den schmerzhaften Gefühlen auch ein kitschiges Glücksgefühl in meiner Brust herumschwappt, als das erste Blau des Sees zwischen den Häusern hervorblitzt.
Ich spüre, wie mir die Tränen kommen. Mühsam schlucke ich sie hinunter. Wie von selbst biege ich direkt hinter der Transam-Tankstelle rechts ab, als wäre ich nur für einen Tag in Sacramento gewesen und nicht fünf Jahre auf einem anderen Kontinent.
Ich parke den Wagen auf dem ausladenden Parkplatz des Kings Beach. Der breite, goldgelbe Sandstrand, der dem Ort seinen Namen gegeben hat, liegt verlassen vor mir. Die Sommersaison ist fast vorüber, die Temperaturen bereits kühl, und der Wind tut sein Übriges, um die Sonnenanbeter vom Strand zu verjagen. Der Herbst ist schon immer meine liebste Jahreszeit gewesen. Ich mag den Wind, die Einsamkeit des Sees zwischen den beiden Hauptsaisons, wenn alle durchatmen. Sogar der Lake Tahoe selbst, mit seinen piniengesäumten Ufern und kleinen, verlassenen Buchten.
Ich öffne die Autotür. Sofort packt der Herbstwind meine dunklen Locken und verwirbelt sie vor meinem Gesicht. Ich lächle, weil sich alles so vertraut, so sehr nach Heimat anfühlt, die ich längst auf die Liste verlorener Dinge gesetzt hatte.
Tief atme ich den Geruch nach Zedernholz, Pinien und Wasser ein, während ich bis ans Ufer schlendere. Ich setze mich nah ans Wasser. Die Kühle des Sandes dringt durch den Stoff meiner Jeans, aber ich beachte sie gar nicht. Ich sehe über den See, lasse meine Augen über das weitentfernte Westufer gleiten, konzentriere mich auf die seichten Wellen, die am Strand lecken.
Erst als ich bereits am ganzen Körper zittere, stehe ich auf und kehre zum Wagen zurück. Die Sonne ist hinter den Bergen verschwunden, und die einsetzende Dämmerung legt Stille über den See und Ruhe in mein Gefühlschaos. Ich fühle mich so bereit, wie man eben sein kann, mich Pinewood Meadows zu stellen. Liz, die Mom so sehr ähnelt, dass ich sie liebe und gleichzeitig dafür hasse. Hazel und Grace, die mich mit ihrem verdammten siebten Zwillings-Sinn in den Wahnsinn treiben, und Amber, meine süße, kleine, widerborstige Schwester, die ich verloren habe, weil ich gegangen bin.
Ich starte den Motor, weil ich lieber nicht über Amber nachdenken will, die mir so ähnlich ist, dass ich mir verteufelt gut vorstellen kann, wie sie auf meine Rückkehr reagieren wird. Auf den Menschen, der ihr am nahesten stand, der sie einfach und ohne ein Wort verlassen hat und nie wiedergekehrt ist. Bis jetzt. Denn mich trennen nur noch etwas mehr als zwanzig Meilen von Pinewood Meadows, meiner verrückten, kleinen, starrköpfigen Schwester und dem Rest meiner Familie.
Es ist Dienstag. Während der Saison hat der Diner nur mittwochsvormittags geschlossen, aber zwischen der Sommer- und der Wintersaison machen wir den Diner an diesem Wochentag komplett zu. Das war schon immer so. Und meine vor Jahren neu eingeführte Tradition der Dienstags-Caipirinha-Abende scheint von meinen Schwestern sehr gewissenhaft fortgeführt und ausgeweitet worden zu sein.
Schon auf der Zufahrtsstraße nach Pinewood Meadows höre ich die typischen Partygeräusche - leises Stimmengewirr, das von der Terrasse den leicht ansteigenden Weg hinaufweht. Gelächter, das sich mit Countrymusik mischt. Und ich nehme den Geruch nach frisch Gegrilltem wahr.
Auf dem Parkplatz vor dem Haus steht nicht nur unser altersschwacher Buick, sondern auch ein bulliger Pick-up, ein unverschämt teuer aussehender Mercedes Sportwagen, einige andere Autos und Gretas knatschgelber Daihatsu Sirion. Ich kann nicht glauben, dass sie das hässliche Ding noch immer nicht verkauft hat. Dafür zieren noch mehr Blumenaufkleber als vor fünf Jahren den ausgeblichenen Lack der Reisschüssel. Ich bin allerdings nicht sicher, ob das eine Verbesserung darstellt.
Für einen Moment zögere ich. Ich bin normalerweise nicht der Typ, der eine so emotionale Sache wie das Wiedersehen mit meinen Schwestern vor Publikum durchzieht. Andererseits werde ich im Trubel der Party vielleicht um einen ausführlichen Bericht der letzten fünf Jahre herumkommen. Zumindest vorerst.
Ich straffe meine Schultern und folge dem Weg, der von Astern gesäumt ist und um das Haus bis auf die Terrasse führt. Bunte Lichterketten schwingen im Wind hin und her und tauchen die Holzbohlen des Terrassendecks in farbige Lichtpunkte. Ein betörender Duft nach Steaks und Maiskolben steigt von einem neuen Smokergrill auf.
Im Grunde weiß ich nicht, ob er wirklich neu ist. Er könnte bereits fünf Jahre alt sein, ohne dass ich das Ungetüm aus Chrom und Edelstahl kennen würde.
Davor steht ein Typ, den ich ebenfalls nicht kenne. Er kann nicht von hier sein. Da bin ich sicher.
Er ist groß, vielleicht ein Meter neunzig, und sieht verdammt gut aus. Markantes Gesicht, dunkle Haare, akkurat geschnitten, so dass nicht einmal der Wind, der vom See heraufweht, sie zerzausen kann. Er trägt eine dunkle Chinohose und ein enges Longsleeve, das seine Muskeln umspielt. Aber das alles ist nicht, was mich dazu bringt, einen Schritt auf ihn zuzumachen, obwohl ich mich bis eben noch gefragt habe, ob ich nicht einfach bis zum Ende der Party im Dunkeln des Gartens ausharren könnte. Es ist sein Lachen. Einnehmend. Warm. Und mitreißend. Ich spüre, wie es an meiner Anspannung und meinen Mundwinkeln zupft.
Aber dann kommt Grace aus dem völlig überfüllten Wohnzimmer und bugsiert einen Teller für das fertige Fleisch nach draußen. Dabei stolpert sie fast über ihre eigenen Füße, und mein Herz setzt aus. Ich habe meine Schwestern so sehr vermisst. Grace und Hazel, Liz und Amber. Ich versuche, tief durchzuatmen, aber ihre Nähe schnürt mir die Kehle zu. Mein Brustkorb fühlt sich an, als würde ein Riese darauf Polka tanzen. Ich schlinge die Arme um meine Mitte und sehe Gracie zu, wie sie zum Grill torkelt und dem Kerl unbeholfen den Teller aushändigt.
»Du hättest vielleicht etwas essen und erst dann mit der Vernichtung der Caipis anfangen sollen«, sagt er mit einem Grinsen und wendet sich wieder dem Fleisch zu. Grace setzt sich währenddessen stöhnend auf einen der...
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