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Irgendwann tauchten einige Meilen außerhalb von Ours die Leichen von ein paar weißen Männern auf, ergaben einen sonderbaren und unerklärlichen Bannkreis des Todes. Streifenpolizisten markierten die Fundorte mit roten Flaggen. Die mögliche Todesursache ließ kaum jemanden ungerührt, obwohl es nur um eine geringe Opferzahl ging. Von da an achteten die Weißen die Grenze der roten Flaggen, sie wollten es nicht darauf ankommen lassen. Wer sie auch nur eine Handbreit übertrat, verspürte eine starke Übelkeit. Manchen fiel auf, dass diese Übelkeit bei Negroes nicht auftrat, wohl aber bei Teilen der indigenen Bevölkerung, was erstmals bemerkt wurde, als ein Weißer, der in dem tödlichen Bannkreis auf Streife war, eine Leiche fand. Es handelte sich, wie er selbst berichtete, um einen »Indianer, aus dem alles Leben und alle Farbe gewichen war«.
Nachdem die Flaggen aufgestellt worden waren, bemerkte ein Lehrer aus St. Louis, dass nur eine einzige Siedlung innerhalb der rechteckigen Umrandung lag, die zudem erst vor kurzem »farbig« geworden war, wie er sich ausdrückte, und dass die Ursache dieses weißen Todes also sehr wahrscheinlich von dort, aus Ours kam. Flugblätter gingen um, die über die »Weißenplage« aufklärten, und in St. Louis wurden das ganze Jahr 1841 keine neuen Negroes aufgenommen, ob gekauft oder nicht. So lange dauerte es, bis Saint begriff, dass die Steine, die sie rund um Ours ausgelegt hatte, mit dem falschen Symbol markiert waren, denn eigentlich sollten sie nur jene abhalten, die den Bewohnern von Ours potenziell Probleme bereiten konnten, darunter Sheriffs, Politiker, Streifen und alle, die mit dem Gesetz und der Sklaverei zu tun hatten, außerdem sollten sie jene töten, die irgendwann einmal andere versklavt hatten. Stattdessen waren die Steine derart gepolt, dass sie jeden vernichteten, dem jemals der Gedanke gekommen war, Negroes wären geringere Menschen, nicht dass sie mit solchen Leuten besonders viel Mitleid gehabt hätte, sie war bloß beschämt, dass ihr ein Fehler unterlaufen war, obwohl sie schon so lange mit Steinen arbeitete. Schließlich fielen etwa einen Tag, bevor sie sich zum Austauschen der Steine entschloss, auch die ersten Negroes tot um, was zuvor nie passiert war.
»Ach so«, sagte sie bei sich, als einige ihrer Leute ihr berichteten, sie hätten auf einem Pfad wenige Meilen nördlich tote Negroes gefunden. Den Ouhmey fehlten die Mittel für ein Begräbnis, doch Saint meinte, dass es so schon in Ordnung sei. Die Erde hatte mehr Ressourcen als sie.
Nachdem ein Sheriff nur eine Meile vor Ours einen weißen entlaufenen Gefangenen aufgriff, nah genug, dass noch im Jahr zuvor der Tod die Folge gewesen wäre, begriffen die Menschen in St. Louis, dass die Plage von allein vorübergegangen war. Sie hoben das Negroverbot auf, doch die Ängstlichkeit ihnen gegenüber wie auch ihr Nichtvorhandensein in gewissen Gegenden von St. Louis blieb bestehen.
Irgendwann kam Saint zu dem Schluss, dass es einen besseren Schutz brauchte, der zudem weniger Aufmerksamkeit von außen auf sich zog. Sie erdachte ein neues Steinmuster, das Ours verbergen sollte. Sie zog los, die Steine im Osten und im Süden auszutauschen, während ihr Begleiter dasselbe mit den Steinen im Westen und Norden tat. Von nun an war Ours zwar auf den Karten verzeichnet, jedoch unmöglich zu finden. Wer sich dorthin aufmachte, um die Bewohner zur Plage zu befragen oder zu randalieren, fand dort, wo Ours sein sollte, nur ein offenes Feld vor.
Alle Ouhmey mussten irgendwo auf ihrem Körper eine kleine Narbe als Markierung tragen, damit sie nach Ours zurückkehren konnten, sollten sie es aus welchen Gründen auch immer verlassen.
»Aber sieht's dann auf dem Weg nach draußen nicht aus, als kämen wir aus dem Nichts?«, fragte jemand.
Saint schüttelte den Kopf und sagte: »Es wird immer so aussehen, als würdet ihr euch vom sichtbaren Horizont nähern. Keiner läuft über Ours hinweg oder gar mittendurch. Man geht außenrum und weiß nichts davon.«
Das verwirrte die meisten Bewohner, doch ein paar verstanden es, und das schien dem Rest zu genügen. Manche gaben das Verstehen auch vor, und auch das spendete Trost.
Im Sommer 1846 unternahm ein Reporter aus Delacroix den Versuch, einem Wagen der Ouhmey zu folgen, weil er herausfinden wollte, wo Ours verborgen lag. Er verfolgte ihn zu Pferd und merkte sich Auffälligkeiten in der Landschaft. Im Westen tauchte nach fünfzehn Minuten ein riesiger, von flammenden Taglilien übersäter Hügel auf. Nach dreißig Minuten zerschnitten mit einem Mal gezackte Platanenblätter den Himmel über einer Hügelschulter, und mehr und mehr Grün füllte den fahlblauen Horizont. Der Reporter, der sich dabei ertappt hatte, wie er selbstvergessen in den grellweißen Himmel starrte, bemerkte, dass er den Wagen aus den Augen verloren hatte. Da er glaubte, versehentlich langsamer geworden zu sein, trieb er sein Pferd zum Jagdgalopp an. Ihm entfuhr ein Fluch, als er nach dem Durchqueren einer Nebelbank ein klappriges Schild bemerkte. Es klärte ihn darüber auf, dass er nun in St. Louis und somit irgendwie an Ours vorbeigeritten war.
Er unternahm mehrere Versuche, und jedes Mal verlor er den Weg aus dem Blick, abgelenkt von einem Vogelschwarm oder dem Mäandern seiner eigenen Gedanken, das mit dem doppelten Rhythmus der Pferdeschritte und quietschenden Reifen einherging. Bis das Quietschen aufhörte. Und dann überwältigte die hypnotische Atmosphäre den Reporter und ließ ihn wegdösen. Die Lethargie überfiel ihn jedes Mal an derselben Stelle: Da war der Nebel, der beinahe unablässige Galopp, und am Ende der Hohn des klapprigen Schilds.
Schnaubend beschloss er, neben dem Wagen aus Ours herzureiten und die entsetzten Blicke der Passagiere zu ignorieren, während er versuchte, sich mit dem Kutscher zu unterhalten. Als ihm aufging, dass er mehr als ein gelangweiltes »Nein, Suh« oder »kann ich nicht sagen, Suh« nicht aus ihm herauskriegen würde, ritt er schweigend und machte sich ein paar knappe Notizen, ohne auf sein Büchlein hinabzusehen. Sie passierten den Hügel, auf dem die roten Zungen der Taglilien noch heller zu lodern schienen, und drangen in das zunehmend dichter werdende Gehölz vor, wo Schatten von Geäst auf sie fiel und im Halbdunkel die Pfeilspitzen der Platanenblätter dem Reporter zuwinkten. Er bemerkte, dass er eingeschlafen sein musste, als er von seinem eigenen Schnarchen geweckt hochfuhr, und fiel vor Schreck vom Pferd ins hohe, schneidende Gras. Der Wagen war längst verschwunden, und das klapprige Schild mit »Willkommen in St. Louis« verhöhnte ihn zum letzten Mal.
In Delacroix wollte niemand seiner Geistergeschichte Glauben schenken oder der Sache selbst auf den Grund gehen. Er holte seine Notizen hervor, um die Landschaftsbeschreibungen noch einmal durchzulesen. Ein Großteil seiner Aufzeichnungen bestand aus unleserlichen Linien, die längs über die Seite verliefen und festhielten, wann er eingedöst war. Einzelne Worte schwammen vage übers Papier. Es folgte seitenweise frenetisches Gekritzel, bis er auf ein kunstvoll mit dem Füllhalter gezeichnetes Porträt stieß. Es zeigte eine Frau, eine Negrofrau, und war unheimlich gekonnt gezeichnet, als wäre er zeitlebens ein professioneller Porträtkünstler gewesen. Er strich mit dem Finger über die Seite, um zu spüren, wie sich der Füllhalter mit jeder Linie ins Papier eingegraben hatte, weil sie so noch echter erschien. »Vielleicht war diese Frau auf dem Wagen«, dachte er und verwandte den Rest des Tages darauf, etwas über sie herauszufinden, wobei er keinen Gedanken daran verschwendete, dass ihm jede künstlerische Fähigkeit abging und er niemals eine solche Skizze hätte anfertigen können.
Barsch und unvermittelt fragte der Reporter jeden Negro, der ihm über den Weg lief, ob er die Frau auf der Zeichnung schon einmal gesehen habe. Alle verneinten.
»Wie lautet der Name dieser Frau?«, fragte er und hielt dem Passanten die Seite vors Gesicht. Doch auch bei höflicherem Nachfragen wurde Unwissenheit vorgeschützt. Er versuchte es mit Drohungen, doch obwohl er weiß war, zeigte seine Autorität hier weniger Wirkung als irgendwo sonst im Land, da es den Negroes in Delacroix nicht von Gesetzes wegen verboten war, die Ansuchen von Weißen auszuschlagen.
Er zog auch Einschüchterungsmaßnahmen in Betracht, doch sein zierlicher Wuchs und der blasse Teint, der sich selbst von dem anderer Leute mit derselben Hautfarbe noch deutlich abhob, ließen seine Phantasien in sich zusammenfallen, so dass er nicht den Mut aufbrachte, die Stimme zu erheben oder die Rippen herauszustrecken, wo eine geschwellte Brust hätte sein sollen.
Der Reporter suchte die belebten Straßen ab und rempelte vollgepackte Verkaufsstände sowie deren Kundschaft an. Am hinteren Ende der geschäftigen Straße, hinter der Fleischerei, in der er den Verkäufer bereits um Informationen angegangen war, fand er den Sohn des besagten Verkäufers, der sich als Schuhputzer verdingte. Der Junge war höchstens fünf, ein dem Anschein nach leicht zu ängstigendes Kind mit großen braunen Augen und dem tränenfeuchten Blick ewigen Unbehagens. Als der Reporter den Jungen aufforderte, ihm den Namen der Frau auf der Zeichnung zu nennen, sah der Junge sich hilfesuchend nach seinem Vater um, der jedoch gerade mit dem Vierteilen von Hähnchen beschäftigt war. Der Junge warf einen weiteren Blick auf die...
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