Schweitzer Fachinformationen
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Detective Sergeant Hoke Moseley vom Miami Police Department öffnete die Tür seines Hauses in Green Lakes und sah nach links und nach rechts. Dann huschte er mit nacktem Oberkörper und nackten Füßen, bekleidet mit schlabbrigen weißen Boxershorts, hinaus und hob den Miami Herald vom Rasen auf. Um sechs Uhr morgens gab es eigentlich keinen Grund für diese Schamhaftigkeit. Seine Nachbarn waren noch nicht auf, und der Himmel im Osten nahm eben erst einen perlmuttgrauen Schimmer an.
Die Zeitung wurde gewöhnlich um halb sechs in der Frühe von einem wütenden Puertoricaner in einem weißen Toyota zugestellt, der sie, ohne zu zielen, aus dem fahrenden Auto warf und nie die gleiche Stelle auf dem Rasen traf. Der Fahrer war immer noch wütend, dachte Hoke morgens, wenn er hinter der Fliegentür stand und auf die Zeitung wartete, weil er die frankierte, an sich selbst adressierte Weihnachtskarte des Zeitungsboten zurückgeschickt hatte, ohne einen Fünfer oder einen Scheck als Trinkgeld beizulegen.
In der Küche zog Hoke die glatte durchsichtige Hülle von der Zeitung ab, knüllte sie zu einer Kugel zusammen und warf sie in die überquellende Einkaufstüte, die als Müllbehälter diente. Er las den ersten Absatz sämtlicher Meldungen auf der Titelseite. Ein schiitischer Flugzeugentführer hatte im Libanon eine weitere amerikanische Geisel getötet. Der neue Fahrpreis für die Metrorail würde (vielleicht) einen Vierteldollar, einen halben Dollar oder einen ganzen Dollar betragen, aber das neueste Fahrpreissystem würde wahrscheinlich davon abhängen, an welcher Station der Fahrgast einstieg. Einem achtzehnjährigen Haitianer, der kürzlich seinen Abschluß an der Miami Norland School gemacht hatte, war es auf wundersame Weise gelungen, einen Platz an der US Air Force Academy zu ergattern, und der Kongreßabgeordnete, der dafür verantwortlich war, hatte gerade herausgefunden, daß der Junge ein illegaler Einwanderer war, der im Internierungslager in Krome auf seine Abschiebung wartete. Diese Meldung erinnerte Hoke an den geschmacklosen Witz, den Commander Bill Henderson ihm gestern in der Cafeteria des Departments erzählt hatte.
»Woher weißt du, daß ein Haitianer in deinem Garten war?«
»Woher denn?«
»Dein Mangobaum ist kahlgefressen, und dein Hund hat Aids.«
Hoke hatte nicht gelacht. »Das haut nicht hin, Bill.«
»Wieso nicht? Ich find's komisch.«
»Nein, es haut nicht hin, weil nicht jeder einen Mangobaum im Garten hat und weil nicht jeder Haitianer Aids hat.«
»Aber die meisten.«
»Nein. Ich habe keinen Mangobaum und du auch nicht.«
»Ich meine Aids. Die meisten Haitianer haben Aids.«
»Auch nicht. Ich glaube, die Zahl liegt bei weniger als einem halben Prozent.«
»Leck mich am Arsch, Hoke.« Henderson war vom Tisch aufgestanden und hatte die Cafeteria verlassen, ohne seinen Kaffee auszutrinken.
Hokes Reaktion auf Hendersons lausigen Humor war ein weiteres Signal gewesen, aber Hoke hatte es nicht bemerkt, und Henderson auch nicht. Normalerweise grinste Hoke wenigstens, wenn Bill einen seiner Witze erzählte, und sagte: »Der ist gut«, selbst wenn es ein aus dem Zusammenhang gerissener Gag aus einem Johnny-Carson-Monolog war, den Bill sich notiert hatte.
Aber Hoke hatte seit über einer Woche nicht mehr gelächelt, und seit fast einem Monat hatte er über nichts mehr gelacht.
Hoke schüttete eine großzügige Portion Trauben-Nuß-Müsli in ein Plastiksieb und ließ heißes Wasser aus der Leitung darüberlaufen, um die Frühstücksflocken so aufzuweichen, daß er sie essen konnte, ohne sich sein Gebiß einzusetzen. Als das Müsli weich genug war, kippte er es in eine Schüssel und goß Magermilch darüber. Dann schnitt er eine Banane hinein und schüttete ein rosarotes Päckchen »Sweet 'n' Low«-Süßstoff über das Gemisch. Schüssel und Zeitung trug er hinaus in den Florida Room, die Glasveranda an der Rückseite des Hauses.
Die Veranda hatte nach drei Seiten mit Jalousien versehene Fenster, die offenstanden, und eine heiße, feuchte Brise wehte vom See herein. Der Florida Room blickte auf einen quadratischen, milchig grünen See hinaus, der früher eine Kiesgrube gewesen war. Alle Häuser in diesem Teil von Miami, in Green Lakes, lagen mit der Rückseite zum See, aber nicht alle Hausbesitzer oder Mieter hatten einen Florida Room wie Hoke. Manche hatten Rotholzveranden hinter dem Haus, andere hatten sich mit betonierten Terrassen und Grillplätzen begnügt; doch alle Häuser in Green Lakes waren ursprünglich nach ein und demselben Bauplan errichtet worden. Abgesehen davon, daß sie in verschiedenen Farben gestrichen und wieder gestrichen worden waren und daß hier und da ein Autostellplatz angefügt worden war, gab es wenig erkennbare Unterschiede zwischen ihnen.
Hoke setzte sich auf einen geflochtenen Terrassenstuhl an den schmiedeeisernen Tisch mit der Glasplatte, und dann fiel ihm auf, daß er keinen Löffel hatte. Er ging noch einmal in die Küche, holte sich einen Löffel, setzte sich wieder an den Tisch und mümmelte langsam sein Trauben-Nuß-Müsli mit den geschnittenen Bananenscheiben, während er den Sportteil las. Ron Fraser, der Baseballcoach der Miami Hurricanes, der die Mannschaft zu ihrem zweiten Sieg in der College World Series in Omaha geführt hatte, erklärte, er werde sich erst in drei oder vier Jahren zur Ruhe setzen oder vielleicht sogar einen neuen Vertrag aushandeln. Es mußte schwierig für einen Sportjournalisten sein, dachte Hoke, täglich etwas Neues zu liefern, wenn es nichts Lohnenswertes zu berichten gab.
Hoke wandte sich dann Doonesbury zu; der Comic machte sich über Palm Beach lustig, weil man dort die Ausweispflicht für Arbeiter einführen wollte, die nicht auf der Insel wohnten. Augenblicklich fühlte Hoke sich von einer unbestimmten Nostalgie überwältigt. Palm Beach lag Singer Island genau gegenüber, und Singer Island war im Moment der Ort, wo Hoke gern sein würde. Nicht in dem riesigen Haus mit vier Schlafzimmern, das sein Vater am Lake-Worth-Küstenkanal besaß, sondern in einem Hotel- oder Motelzimmer mit Blick aufs Meer, wo niemand ihn finden und zwingen könnte, die fünfzehn Tatberichte zu lesen und auch nicht die angehefteten fünfzehn Supplementär-Berichte, die »Supps«, wie sie im Department hießen.
Hoke schüttelte den Kopf, um ihn klarzubekommen, warf einen Blick auf die Baseballergebnisse und stellte fest, daß die Cubs schon wieder ein Spiel gegen die Mets verloren hatten - bisher das dritte in einer Serie von drei Spielen. Angewidert warf er die Zeitung auf den Tisch. Die Cubs, dachte er, sollten in der Lage sein, die Mets in jedem Spiel zu schlagen. Was zum Teufel war nur los mit ihnen? In jeder Saison das gleiche. Die Cubs lagen mit drei oder vier Spielen vor allen anderen in Führung, und mitten in der Saison schlafften sie plötzlich ab, und dann ging es steil nach unten in die Supps, die Supps, die Supps .
Die Vorhänge im Hauptschlafzimmer wurden plötzlich zurückgezogen; dahinter stand Ellita Sanchez. Hoke drehte sich ein Stück weit zur Seite und winkte matt mit der rechten Hand. Ellita, noch in ihrem rosa Babydoll, die Schultern von einem Morgenrock aus purpurrotem Satin umhüllt, lächelte breit und winkte zurück. Dann wandte sie sich von der Glasschiebetür ab und watschelte zum Badezimmer, das sie mit Hokes Töchtern Sue Ellen und Aileen teilte - und mit Hoke, wenn er es einmal unbesetzt vorfand.
Der Morgen hatte begonnen, ein neuer, brütendheißer, typisch schwüler Junimorgen in Miami. Es war Donnerstag, aber ebensogut hätte es Dienstag oder Freitag sein können. Die Sommertage waren alle gleich, heiß und sengend, mit spätnachmittäglichen Gewittern, die nichts dazu beitrugen, die Hitze zu lindern, und nur die Schwüle verstärkten. Ellita Sanchez, mittlerweile im achten Monat schwanger und deshalb auf unbestimmte Zeit vom Department beurlaubt, kochte jeden Morgen eine Kanne kubanischen Kaffee und brachte ihn in einer Thermosflasche zu Hoke hinaus. Dann trank sie rasch eine Tasse mit Hoke, bevor sie in die Küche zurückging, zwei Spiegeleier briet und vier Scheiben kubanisches Brot toastete, die sie dann dick mit Margarine bestrich. Der Arzt hatte Ellita geraten, keinen Kaffee mehr zu trinken, bis das Baby auf der Welt sei, aber sie trank das dicke schwarze kubanische Gebräu trotzdem, mindestens eine Tasse und noch öfter zwei.
»Mein Baby«, erklärte sie Hoke, »wird halb kubanisch sein, und deshalb sehe ich nicht ein, wieso ein oder zwei winzige Täßchen Kaffee ihm schaden sollten, bevor es geboren ist.«
Den Nachnamen des Vaters kannte Ellita nicht. Sein Vorname war Bruce gewesen; sie hatte ihn für eine Nacht (ihr erstes Abenteuer dieser Art, hatte sie Hoke erzählt)...
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