McKenzies
magischer Buchladen
von Veronique Wille
Es gibt Buchläden, die duften nach altem Holz und neuen Büchern, und man wird freundlich empfangen. Nichts davon erwartet den Kunden in McKenzies magischem Buchladen. Der Geruch von Verwesung, schwarzer Magie und abgrundtiefer Bosheit schwebt über den uralten Folianten voller Geheimnisse.
Als eines Abends ein junger Student den Buchladen betritt, ahnt er nicht, dass es kaum mehr ein Entkommen für ihn gibt ...
Eton, 1923
Montague Miller spazierte leicht torkelnd durch die Straßen von Eton. Von der nahen Kirchturmuhr schlug es Mitternacht.
Er hatte den Abend auf der Geburtstagsparty eines Kommilitonen verbracht. Es war hoch hergegangen. Der Punsch war in Strömen geflossen, und Montague hatte auch den einen oder anderen Whisky genossen.
Normalerweise hielt sich der junge Student vom Alkohol fern. Daher spürte er dessen Wirkung nun umso heftiger, während er den Weg zu seiner Mansarde antrat. Er hatte das Glück, einem begüterten Elternhaus zu entstammen, und konnte sich daher zumindest eine möblierte Mansarden-Wohnung außerhalb des Colleges leisten. Nicht, dass er nicht gesellig gewesen wäre, aber auf der anderen Seite liebte er auch seine Ruhe.
Aufgrund des unfreundlichen Herbstwetters waren um diese späte Uhrzeit die Gassen der kleinen Universitätsstadt verwaist. Montagues Absätze waren die die einzigen Laute, die die Stille der Nacht durchbrachen.
Seine Gedanken wanderten wieder zu der Party. Es waren auch ein paar Mädchen dabei gewesen. Eines war ihm besonders aufgefallen. Ihr Name war Edith. Sie war die Tochter eines seiner Professoren.
Edith war zierlich, hatte aber Rundungen an den richtigen Stellen, wie man so sagte. Ihr rötlich schimmerndes Haar und die grünen Katzenaugen, mit denen sie ihn ansah, hatten es ihm besonders angetan. Später hatten sie miteinander getanzt, aber als er sie küssen wollte, hatte sie ihn sanft zurückgeschoben.
Montague war so in Gedanken vertieft, dass er kaum auf den Weg geachtet hatte. Normalerweise fand er nahezu im Schlaf zu dem Haus zurück, in dem seine Wohnung lag, mochte er noch so viel Porter oder Branntwein genossen haben.
Nebel war aufgekommen. Die Schwaden schwebten wie Nachtgespenster um ihn herum und trugen zusätzlich dazu bei, dass er nicht mehr wusste, wo er sich überhaupt befand.
Rechts und links war die Gasse von uralten Giebelhäusern eingefasst. Nirgendwo brannte zu so später Stunde noch ein Licht hinter den bleiverglasten Fenstern. Möglicherweise wohnte auch niemand mehr darin, denn die Häuser wirkten ziemlich heruntergekommen, manche gar so brüchig, als würden sie beim nächsten Herbststurm in sich zusammenbrechen.
Allein eine einzige Gaslaterne fast am Ende der Gasse kämpfte gegen den Nebel und die Dunkelheit an.
Montague fröstelte, als ein kalter Windstoß durch die enge Gasse fuhr und den Nebel in wirbelnden Spiralen tanzen ließ. Einen Moment lang blieb er stehen, lauschte in die Stille hinein, die nur von seinem eigenen Atem und dem fernen Ticken der Kirchturmuhr durchbrochen wurde. Irgendwo klapperte ein Fensterladen, ansonsten war die Welt weiterhin in kühlen Dunst gehüllt.
Er zog den Mantel enger um die Schultern und begann vorsichtig weiterzugehen. Die Pflastersteine unter seinen Schuhen waren feucht und spiegelten das schwache Licht der Laterne. Je näher er der Lichtquelle kam, desto mehr beschlich ihn ein Gefühl von Unbehagen. Es war, als ob sich die Schatten um ihn verdichteten.
Plötzlich meinte er, eine Bewegung am Rande seines Blickfelds wahrzunehmen. Er hielt inne, spähte in den Nebel, doch da war nichts - nur die Umrisse der alten Häuser und das matte Leuchten der Laterne.
Montague hob die Schultern und lächelte über seine eigene Nervosität. Vermutlich war es nur eine Katze auf nächtlichem Streifzug.
Er setzte den Weg fort. Doch jetzt hatte sich eine seltsame Erwartung in seinen Gedanken eingenistet, als würde ihn diese Nacht noch mit einer sonderbaren Begegnung überraschen. Die Gaslaterne war nun ganz nah; ihr Licht warf einen zittrigen Schein auf das Kopfsteinpflaster, und die Nebelschwaden zerflossen wie Phantome, sobald er sich ihnen näherte.
Plötzlich zuckte direkt hinter der Laterne ein weiteres Licht auf. Verblüfft schaute Montague auf eine schwach beleuchtete Schaufensterfront. Er ließ den Blick weiter wandern und las, dass es sich wohl um eine Buchhandlung handelte: McKenzies Bookstore.
Montague schüttelte den Kopf. Wer war so dumm, in dieser abgelegenen Gegend einen Buchladen zu eröffnen?
Dennoch trat er neugierig näher, denn Bücher waren nun mal seine Leidenschaft.
Das Schaufenster war geradezu überfüllt mit ihnen. Dicht an dicht standen sie in den Regalen oder auch einfach aufeinandergestapelt. Mit einem Blick erfasste Montague, dass es sich nicht nur um neue Bücher handelte. Vorwiegend waren es gebrauchte Bücher. Im Grunde handelte es sich also eher um ein Antiquariat.
Seine Neugier wuchs. Seit Jahren war er auf der Suche nach ganz speziellen Ausgaben. Es hatte nichts mit seinem Mathematik- und Physik-Studium zu tun. Im Gegenteil, es war die phantastische Literatur, die ihn in seiner Freizeit faszinierte.
Schon als Kind hatte er gebannt den Gespenstergeschichten seiner Großmutter gelauscht. Später dann hatte er die Bücher der klassischen Autoren verschlungen, vor allem die makabren Fantasien Edgar Allen Poes.
Doch seit einigen Jahren galt sein Interesse den englischen Geisterautoren. Es war purer Zufall, dass er auf ein Buch von Montague Rhodes James gestoßen war, einem Namensvetter! Und noch verblüffter war er gewesen, als er herausgefunden hatte, dass James an demselben College studiert hatte wie er. War es wirklich nur Zufall oder doch eine jener merkwürdigen Fügungen des Lebens, die sich als besonders bedeutungsvoll herausstellten?
Gleich die erste Geschichte, die er in einem Literatur-Journal gelesen hatte, hatte ihm eine derartig wohlige Gänsehaut beschert, dass ihn fast fieberhaft nach weiterer Lektüre verlangte. Doch das erwies sich als nicht so einfach. James' Geschichten waren zumeist in College-Magazinen wie The Eton Rambler und anderen kleinauflagigen Magazinen erschienen und kaum mehr auffindbar.
Immerhin hatte James bislang drei Bände mit seinen gesammelten Erzählungen herausgebracht. Doch die beiden ersten waren lange schon vergriffen und nirgendwo mehr auffindbar. Allein die bislang letzte Sammlung - A Thin Ghost and Others - war seit letztem Jahr in seinen Besitz gelangt. Sogar mit einer Signatur des Autors, was das Buch für Montague zu einem ganz besonderen Schatz machte.
Eher beiläufig studierte Montague die Auslage. Trotz seines geweckten Interesses glaubte er nicht, auf irgendwelche Raritäten zu stoßen. Die allermeisten Antiquariate, die er bisher durchstöbert hatte, boten wenig an phantastischer Literatur. Wenn doch, dann ein paar Klassiker oder Hefte mit grellbunten Umschlägen.
Doch plötzlich machte Montagues Herz geradezu einen Sprung. Zwischen all den anderen für ihn uninteressanten Titel entdeckte er ein Buch, das seinen Blick geradezu magisch anzog: Ghost Stories of an Antiquary! Es handelte sich um die allererste Sammlung, war 1904 erschienen und quasi unauffindbar.
Er musste das Buch haben!
Allerdings dürfte es ein Vermögen kosten, und Montague war fast blank. Der nächste Scheck seines Vaters würde erst in einer Woche eintreffen. Aber vielleicht konnte er sich das Geld ja leihen. Wenn er die Summe überhaupt aufbringen konnte.
Ein Preisschild prangte natürlich nicht an dem Buch.
Kurzentschlossen ging Montague zur Ladentür, rechnete aber trotz des beleuchteten Schaufensters nicht wirklich damit, dass das Geschäft mitten in der Nacht geöffnet hatte.
Doch das Wunder geschah. Als er die schwere, schmiedeeiserne Klinke nach unten drückte, erwies sich die Tür als keineswegs verschlossen, sondern ließ sich nach innen aufdrücken. Allerdings hatte Montague das Gefühl, dass von innen irgendein Widerstand dafür sorgte, dass er sich regelrecht anstrengen musste, sie weiter zu öffnen. So, als würde sich jemand von innen mit aller Kraft dagegenstemmen.
Doch schließlich hatte er sie wenigstens so weit aufbekommen, dass er sich durch den Spalt zwängen konnte.
Drinnen herrschte ein seltsam gespenstisches Zwielicht, und fast kam es Montague so vor, als hätte sich auch hier der Nebel breitgemacht. Eine feuchte, klamme Kälte ließ ihn frösteln.
»Hallo? Ist jemand da?«, rief er.
Es kam ihm vor, als würden seine Worte von der Umgebung verschluckt, sodass sie ihm leiser vorkamen als beabsichtigt.
Eine Weile geschah nichts, sodass er schon mit dem Gedanken spielte, wieder zu gehen. Die Atmosphäre hier drinnen kam ihm immer merkwürdiger vor. Je länger er hier stand, desto unbehaglicher fühlte er sich. Zudem mochte es sein, dass die Tür nur zufällig nicht abgeschlossen gewesen war. Wenn nun jemand käme, würde er ihn womöglich für einen Einbrecher halten.
Noch einmal machte er sich rufend bemerkbar. Wiederum wurden seine Worte verschluckt von der Umgebung. Und...