Schweitzer Fachinformationen
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2 Emotionale DNA: Die verborgene Erbschaft
»Es ist geradeso, als wäre meine ganze Familie mit einem Fluch beladen.« Diese Aussage habe ich von mehreren meiner Klienten gehört. Eine extreme Sichtweise, bis wir uns Forschungsergebnisse vor Augen halten, die belegen, dass Gedanken-, Gefühls- und Handlungsmuster, aber auch einschneidende Erfahrungen in Bereichen wie Gesundheit, Beziehungen und Führung von einer Generation zur nächsten übertragen werden können. Sie tauchen immer wieder in Familien auf, die mit bestimmten Problemen zu kämpfen haben, wie mangelnde Bildung, dysfunktionale Beziehungen, Suchterkrankungen, berufliches Scheitern oder die Unfähigkeit, finanziell auf einen grünen Zweig zu kommen. Das ist kein Fluch, sondern ein Familienerbe.
Ich bezeichne dieses Erbe als emotionale DNA, die auf der persönlichen Deutung einschneidender Ereignisse und Begebenheiten basiert und Eingang in die emotionale Blaupause Ihres Familiensystems gefunden hat.
Ihre emotionale DNA kommt in hohem Maß in Ihren Gedanken und in Ihren Worten, in Ihrem Umgangston und in dem Deutungsrahmen zum Ausdruck, der bestimmt, wie wir einen Begriff oder eine Situation interpretieren. Ihre Sprachmuster prägen Ihre (subjektive) Wahrheit, den Weg, den Sie im Leben einschlagen, Ihre Zielsetzungen, Ihre Selbstwahrnehmung und Ihre Sicht auf andere. Sie prägen Ihre Zukunft, gleich ob sie sich in Ihren Augen als erfolgreich, mittelmäßig oder trostlos entpuppt. Die familieninterne emotionale DNA macht sich außerdem auf der körperlichen Ebene nachhaltig bemerkbar, auch wenn Sie sich dessen nicht bewusst sind. Die in der DNA des Systems festgelegten Gefühle und Empfindungen sind ein starker innerer Kompass, an dem wir uns orientieren können. Wir wissen, ob wir uns in Einklang mit unserem Familien- oder Organisationssystem befinden, weil wir es spüren können. Wir wissen, dass wir bei einem Verstoß gegen die Regeln des Systems ein schlechtes Gewissen haben, weil wir es spüren können. Wir wissen, ob wir eingebunden oder ausgeschlossen sind, weil wir es spüren können.
Wenn wir uns innerhalb eines Systems respektiert und wertgeschätzt fühlen, sind wir eher bereit, uns zu öffnen, zu teilen, wichtige Informationen und Erkenntnisse weiterzugeben und uns für das Wohl des Systems einzusetzen, weil wir das Gefühl haben, einen wertvollen Beitrag leisten zu können. Unsere frei verfügbare Energie und Leidenschaft werden geweckt, und wir bringen uns ein. Wenn wir dagegen glauben, dass wir nicht dazugehören, nicht klug oder amüsant genug sind, fühlen wir uns verletzlich, scheuen das Risiko und ziehen uns zurück.
Es kann vorkommen, dass ein kollektives Gefühls- oder Empfindungsmuster wie ein roter Faden durch das gesamte Familiensystem verläuft, zum Beispiel Schuldgefühle, die auf eine bestimmte Begebenheit oder eine Reihe von Ereignissen in der Vergangenheit zurückzuführen sind. Wenn wir auf frühere Generationen zurückblicken, erkennen wir oft, wie oder wo ein Muster, das bis heute in unseren Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen fortlebt, unser Privat- und Berufsleben einengt und möglicherweise in der emotionalen DNA des Systems erzeugt und eingeprägt wurde.
Dan, ein erfolgreicher Geschäftsmann, klagte über den Hang, sich bis zur völligen Erschöpfung zu verausgaben. »Mein Vater und mein Großvater hatten drei Jobs, um die Familie über Wasser zu halten und mir die Chance auf ein besseres Leben zu verschaffen«, erklärte er. »Ich habe eine eigene Firma, mir geht es blendend, aber ich habe immer noch das Gefühl, dass ich nicht hart genug arbeite. Ich spiele ständig mit dem Gedanken, sicherheitshalber noch einen zusätzlichen Job anzunehmen. Aber ich bin jetzt schon völlig erledigt am Ende des Tages.«
Als wir seinen derzeitigen Zustand und seine Biografie unter die Lupe nahmen, räumte er ein, dass er eigentlich finanziell gut aufgestellt war und ein zusätzlicher Job unter dem Strich keinen großen Unterschied in puncto Sicherheitsempfinden bewirken würde. Damit hätte er lediglich die tief verwurzelten Gewohnheiten seines Systems und die Angst und Entschlossenheit seines Vaters übernommen, um jeden Preis für den Unterhalt der Familie zu sorgen. Sein Körper sagte jedoch: »Nein! Bitte hör auf damit und ändere dein Leben!«
Ich erklärte ihm: »Wenn Sie weiterhin bis zum Umfallen arbeiten, auch wenn Sie dabei erfolgreich sind, bringen Sie Ihren Kindern bei, dass Freizeit, Spiel und Spaß keine Option sind. Sie führen ihnen vor Augen, dass harte Arbeit ein Zweck in sich selbst ist, der keiner Belohnung bedarf.« Als er lernte, die harte Arbeit seines Vaters und Großvaters in einen neuen Deutungsrahmen einzuordnen, erkannte er, dass sie den Weg für den Aufbau einer Familie geebnet hatten, in der sich das Ziel Erfolg und finanzielle Sicherheit am Ende verwirklicht hatte und Entspannung und Spiel als neue Elemente im System Anklang fanden. Ich fragte ihn, was er davon hielt, einen Teil seines schwer verdienten Geldes in einen Urlaub mit allem Drum und Dran zu investieren und seinen Vater und Großvater dazu einzuladen. Er folgte meiner Empfehlung und feierte die beiden im Rahmen eines Familienessens, zahlte die Hypothek auf das Haus seines Vaters zurück und stattete seinen Großvater mit einer neuen Einrichtung aus. Das Muster der Entschlossenheit und harten Arbeit, das ihn angetrieben hatte, war nicht mehr zweckdienlich und machte Entspannung und Großzügigkeit Platz, die sich frei entfalten konnten, sobald er erkannt hatte, wie wichtig ein grundlegender Veränderungsprozess war.
Nur wenigen Leuten fällt die Vorstellung schwer, dass emotionale Muster innerhalb einer Familie von oben nach unten durchgereicht werden. Doch manchmal sind wiederholt auftretende Muster in einschneidenden Erfahrungen verankert, die mit emotionalen Turbulenzen verbunden sind. Und manche sind beinahe zu bizarr, um wahr zu sein.
Ich hatte einmal einen Patienten, der mir panisch berichtete, er sei sicher, dass ihm die Amputation seines Beins bevorstünde. Eine völlig irrationale Angst - eine Phobie, scheinbar aus dem Nichts entstanden. Doch beim Eintauchen in die Familiengeschichte erfuhr ich, dass seit sieben Generationen jedes männliche Familienmitglied auf die eine oder andere Weise das rechte Bein eingebüßt hatte. Es hatte mit einem seiner Urgroßväter begonnen. Durch die Aktivierung aller Sinnesorgane im Rahmen einer multigenerationalen Familienaufstellung (dieser Prozess der dreidimensionalen Darstellung einer komplexen Situation und der Erarbeitung eines Lösungswegs wird an späterer Stelle im Kapitel beschrieben) war er imstande, sich ein umfassenderes Bild von der Dynamik innerhalb seines Familiensystems zu verschaffen; das führte zu neuen Einsichten und einem Wandel der Überzeugung, dass der Verlust seines Beins unvermeidlich sei. Durch die Neuverdrahtung von Gehirn und Körper hob er den vermeintlichen »Fluch« auf, der auf seiner Familie lastete. Er geht noch heute auf beiden Beinen.
Ein Mandat der Evolution
Wie im letzten Kapitel erwähnt, hat das Überleben für alle Systeme allerhöchste Priorität; erst danach strebt es Wachstum und Entwicklung an. Die emotionale Blaupause für diesen Evolutionsprozess ist von Anbeginn an da; was sich tatsächlich manifestiert, ist Ihre emotionale DNA mit all den verborgenen Ursachen und deren Auswirkungen zusammen mit Ihrem tief verwurzelten Bedürfnis, Ihre Bestimmung im Leben zu finden und an seinen Herausforderungen zu wachsen. Sobald Sie entschlüsselt haben, wie dieses Erbe Sie einschränkt, steht es Ihnen frei, bewusst neue Muster mit ganz neuen Ergebnissen anzulegen. Voraussetzung ist jedoch, dass Sie die vorhandene Blaupause verstehen, die als Bauplan für jede neue emotionale DNA-Variation dient. Sie muss, genau wie unsere physische DNA, einen schrittweisen Reifeprozess durchlaufen. Dieser Prozess folgt dem imperativen Mandat der Evolution, die Bewegungen in einem fest vorgegebenen Rahmen verlangt. Systeme verfügen über ihre eigene kollektive Intelligenz und sind darauf angelegt, durch ihre einzelnen Mitglieder Verbesserungen zu erzielen und somit das Überleben und Wohlbefinden künftiger Generationen zu sichern.
Ich erinnere mich an eine junge Frau, die zu mir kam, weil sie sich verzweifelt wünschte, glücklich zu sein. Als ich von ihr wissen wollte, was sie unter »Glück« verstand, erwiderte sie: frei von der ständigen Angst zu sein, jemanden zu verlieren.
»Wen haben Sie verloren?«, hakte ich nach.
»Niemanden«, erwiderte sie. »Aber das ist nur eine Sache der Zeit!«
Weitere Nachforschungen ergaben, dass sowohl ihre Urgroßmutter als auch ihre Mutter mehrere Fehlgeburten hatten. Meine Klientin war so besorgt, dass sie eingedenk dessen, was unausweichlich folgen würde, nicht einmal mehr in Erwägung zog, mit einem Mann auszugehen, der sich für sie interessierte. Ich wollte wissen, was die Fehlgeburten verursacht haben könnte, und sie erklärte, in ihrer Familie sei ein bestimmter genetischer Defekt verbreitet, der die Anfälligkeit für einen Abort erhöhe. Sie hatte nie mit einem Arzt darüber gesprochen, aber nach unserer Sitzung war sie einverstanden, eine professionelle Beratung in Anspruch zu nehmen.
Später erhielt ich die Rückmeldung von ihr, dass es inzwischen eine wirksame Behandlungsmethode gab, die früheren Generationen nicht zur Verfügung gestanden hatte. Ihre Verlustangst schwand, und sie begann, weitere Sozialkontakte zu knüpfen. Der Wunsch, mehr Erfüllung im Leben zu finden, hatte sie zur Suche nach einer Lösung bewogen, die es...
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