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Der heilige Sebald - Nürnbergs Schutzpatron
Ein Besuch bei ihm ist Pflicht und Kür zugleich, liegt er doch im schönsten Grab weit und breit. Es befindet sich - wie könnte es anders sein? - in der Kirche, die seinen Namen trägt, in Sankt Sebald. Setzen wir uns in eine Kirchenbank und hören wir, was wir von dem Nürnberger Stadtheiligen wissen. Oder besser, was wir zu wissen glauben, denn vieles reicht in das Reich der Legende zurück, bis hinein ins 8. oder 9. Jahrhundert.
Sebaldus, der Sohn eines dänischen Königs, sollte die Tochter eines französischen Grafen heiraten. Ob sie ihm nicht gefiel oder ob er der Ehe an sich nichts abgewinnen konnte? Er habe sich zum »vollkommenen Behüter und Beschirmer ihrer Jungfräulichkeit« entwickelt, heißt es, was die junge Frau davon gehalten hat, ist nicht überliefert. Irgendwann muss Sebald des Beschützens und Beschirmens überdrüssig geworden sein, und er pilgerte barfuß nach Rom. Auf dem Weg traf er Willibald und Wunibald, die alten Schotten, die das Frankenland missionieren sollten. Die beiden staunten nicht schlecht, welche Künste ihr neuer Reisegefährte verstand. Spottete jemand über seine sanften und eindringlichen Predigten und nannte seine Christusgeschichten Lügen, so öffnete sich auf Sebalds Wink eine Spalte und verschlang den Ketzer. Allerdings sorgte Sebald in seiner Güte stets dafür, dass der Kopf des Spötters noch aus der Erde herausschaute. Dann beugte sich der fromme Mann nieder, und wenn sich der Kopf schwitzend zu Christus bekannte, bekam er eine zweite Chance. Auch als Praktiker bewährte sich Sebald. Wann immer den Pilgerfreunden der Wein ausging, den sie zur Stärkung mit sich führten, zog Sebald seine Holzflasche hervor und goss nach. Wer erklärt das Geheimnis? Sein Lägel wurde niemals leer. Von einem solchen Freund trennt man sich nur ungern, vielleicht ist es Willibald und Wunibald zu verdanken, dass sich Sebald nach seiner Romreise ebenfalls entschied, künftig im schönen Franken zu leben. Er wählte sich einen Wald bei Nürnberg, wälzte sich in Dornen und Disteln und lebte künftig als einfacher Eremit.
Seine große Menschenfreundlichkeit kam auch seinen neuen Nachbarn zugute. Einmal entlief einem Knoblauchländer Bauern sein Ochse. Es war schon dunkle Nacht geworden, wie sollte er sein Lasttier wiederfinden? Sebald wusste Rat. Er ließ die Fingerspitzen des Bauern aufleuchten, worauf dieser mit gespreizten Händen den Wald auf wundersame Weise ausleuchtete und seinen Ochsen wiederfand. Solche Sachen vermochte der heilige Sebald. Ein anderes Mal vernahm er schreckliches Zähneklappern. Es kam aus einer einfachen Hütte, in der Frau und Kinder grausam frieren mussten, weil der Mann mit Brennholz geizte. Was machte Sebaldus? Er brach die Eiszapfen, die vom Dach herunterhingen, und heizte damit ein, bald strahlte die Hütte vor Hitze. Somit geht Sebald nicht nur als früher Beleuchtungsspezialist in die Geschichte ein, sondern auch als CO2-neutraler Heizungstechniker, die frühe Innovationskraft fränkischer Ingenieure auf das Schönste beweisend.
Sei es, dass es dem Eremiten in seiner Waldhütte zu unbequem wurde, sei es, dass er die Annehmlichkeiten der fränkischen Gastronomie zu schätzen gelernt hatte, jedenfalls kehrte Sebald in einem Haus ein, wo man guten Fisch zu servieren verstand. Weil die Herrschaft, die oben auf der Burg wohnte, aber streng verboten hatte, vor ihr die Fischsaison zu eröffnen, wurde der Wirt ergriffen und geblendet. Da war das Entsetzen groß, denn ein blinder Fischkoch verlor schnell sein Renommee. Sebald aber blieb ganz ruhig, sprach ein frommes Gebet, und schon konnte sein Wirt wieder sehen.
Als Sebald spürte, dass sein Ende nahte, legte er sich zum Sterben auf einen Ochsenkarren. »Begrabt mich dort, wo die Ochsen stehen bleiben!«, befahl er und schloss die Augen. Die Ochsen zogen ihn die Pegnitz entlang und blieben unterhalb des Nürnberger Felsens stehen. Aus lauter Dankbarkeit errichteten ihm die Menschen eine Grabkapelle aus Holz, das Peterskirchlein. Kurz darauf aber schlug der Blitz ein, und so brachte man den Leichnam ins nahe Kloster Sankt Egidien. Ein junger, frecher Mönch aber machte sich den Spaß, den ehrwürdigen Leichnam am Bart zu zupfen und »Ei, du alter Lügenvater! Wie viele Menschen hast du dein Lebtag wohl betrogen?« zu rufen. Oh, oh, das hätte das Mönchlein besser sein lassen! Wütend erwachte der Heilige, holte mit seiner kalten Hand aus und gab dem Frechdachs eine solch krachende Ohrfeige, dass ihm sein rechtes Auge aus dem Kopf sprang und über den Kirchenboden hüpfte. Da waren Geschrei und Reue groß. Die anderen Mönche liefen herbei und baten den Leichnam um Vergebung. Sebald zuckte die steifen Schultern, ließ sich erweichen und pflanzte das Auge wieder ein.
Nun war auch dem letzten Nürnberger klar, was für einen Heiligen man mit Sebald hatte. Zumal man mit einem prominenten Heiligen die Pilger anlocken und die Hotellerie besser auslasten konnte. Das Peterskirchlein schien für einen solchen Zweck nicht länger angemessen. Auf seinen Fundamenten begann man ab 1225 eine neue, prächtige Kirche zu bauen, Sankt Sebald, eine doppelchörige Pfeilerbasilika. Auch rief man Fritz Habeltzheimer den Älteren, den geschicktesten Goldschmied der Stadt, und ließ ihn Sankt Sebalds Sarg aufwendig mit Silber beschlagen, so geschehen im Jahr 1396.
Abschließender Höhepunkt der baulichen Verehrung aber war die Errichtung des Prunkschreins. Am 14. Mai 1507 kam das Patriziat überein, »daß geheuß zu des Heiligen himellfursten Sand Sebolten Sarch von messing machen zu lassen«. Der Nürnberger Rotschmied Peter Vischer der Ältere und seine Söhne gingen sogleich an die Arbeit und schufen ein Werk, das auf der Welt seinesgleichen sucht. Es ist nicht nur in seinen Ausmaßen gewaltig - 4,71 Meter ragt es in den gotischen Chor hinauf -, auch seine Bildersprache lässt uns heute noch erstaunen.
Den Silberschrein in der Mitte umfassend, erhebt es sich wie eine mehrstöckige Kathedrale mit dem himmlischen Jerusalem als Dach, auf dem als Abschluss das Christuskind mit der Erdenkugel triumphiert. Nicht nur biblische Themen sind dargestellt, nicht nur die Wunder des heiligen Sebalds. Faune und Fabelwesen tummeln sich im Untergeschoss, ein Schwarm von 80 Engelchen macht nichts als Blödsinn, zwei öffnen ein Weinfass, eines zerbricht seine Trompete, ein anderes wirft mit einem Stein auf die Gaffer. Sogar die griechische Götterwelt wird lebendig, Herakles schwingt seine Keule, Theseus hebt seinen Schild, ja Zeus höchstpersönlich gibt sich die Ehre.
Was war nur in den Künstler gefahren? Nun, es war die Zeit des Humanismus und der Renaissance, und Nürnberg war auch auf diesem Gebiet führend. So verwundert es nicht, dass zudem vier hübsche Damen zu sehen sind, die vier Kardinaltugenden Klugheit, Mäßigkeit, Tapferkeit und Gerechtigkeit. Welche Tugend den Nürnbergern die wichtigste war? Der Messingglanz verrät es. Unzählige Male hat man der Gerechtigkeit das Gesicht gestreichelt, so strahlt sie, wie das ganze Kunstwerk einmal gestrahlt hat. Ein Schild bittet darum, es nicht zu berühren. Fast schade, möchte man sagen. Wie würde das schwarz oxidierte Grabmal leuchten! Gibt es keine Möglichkeit, es denkmalgerecht zu polieren? Haben Sie nicht genügend Zeit, die ganze Figurenvielfalt zu bewundern, so sollten Sie sich zumindest die Gerechtigkeit näher besehen. Jedes Detail verrät, mit welch hintergründigem Humor sich die Vischers an die Arbeit gemacht haben. Das Schwert der Justitia ist verbogen, mit kecker Geste aber präsentiert sie uns ihr nacktes Knie, indem sie ihr Kleid anzüglich rafft. Die Gerechtigkeit als Dirne? War die Rechtssprechung im alten Nürnberg käuflich? Fast wirkt es so.
In den oberen Bereichen geht es wieder ernsthafter zu. Natürlich dürfen die zwölf Apostel nicht fehlen, die Sebald auf Augenhöhe begegnen, zu seinem Haupte warnen zwölf Propheten vor zu viel Nachlässigkeit. Nur Kindern aber fällt oft auf, worauf das Grab ruht. An den Ecken stemmen es vier Delfine mit ihren Schwanzflossen in die Höhe, an den Seiten aber kriechen zwölf Gehäuseschnecken entlang und geben dem Kunstwerk Halt. Warum Schnecken? Die Antike sagt: Kein anderes Tier ist so weise wie die Schnecke. Sie erkundet die Welt behutsam und in gemessenem Tempo. Das Christentum sagt: Die Schnecke ist ein Symbol für die Auferstehung. Das Leben zieht sich in sein Gehäusegrab zurück, um sich am Jüngsten Tage wieder hervorzuwagen.
Nun hatten die Nürnberger ihrem Sebald das passende Gehäuse geschaffen, was aber noch fehlte, war seine Heiligsprechung. Mit einem ordentlich kanonisierten Heiligen ließ sich doch ganz anders punkten. Für eine Heiligsprechung aber brauchte es die richtigen Voraussetzungen. Der Ehe hatte Sebald entsagt, das erhöhte seine Chancen, denn Ehemännern wird es mit der Heiligsprechung gewöhnlich schwer gemacht. Womit Sebald allerdings nicht dienen konnte, das war ein Märtyrertod. Er war einfach nur friedlich eingeschlafen, wohl weil sich die Nürnberger nicht zum Totschlagen eignen. Was also her musste, das waren postmortale Wunder, am besten medizinisch bezeugte Wunderheilungen. Man sammelte alles, was sich auf die Fürbitte Sebalds hin ereignet hatte. Bald hatte man eine ganze Mappe zusammen und sandte diese nach Rom. Der Vatikan war schwer beeindruckt. Papst Martin V. nahm den Schutzpatron der Nürnberger am 26. März 1425 in den Kanon der Heiligen auf.
Zu seinem Namenstag wurde der 19. August bestimmt. Was für ein Festtag muss der Sebaldustag in Nürnberg einmal gewesen sein! Alle Arbeit ruhte an diesem hohen Tag, man holte den silbernen Sarg aus dem Gehäuse und trug ihn feierlich durch Nürnbergs Straßen. Geschultert wurde Sebaldus von den vornehmsten...
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