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Auf dem Weg zum Konservatorium kam ich an der Kathedrale vorbei, dem Sitz des Oberhaupts der russisch-orthodoxen Kirche. Kyrill, der Patriarch, was für ein Obergauner! Was mag er Putin alles eingeflüstert haben! Hatte ihm wohlmöglich den Platz zwischen Petrus und Paulus zugesichert, plus Privataudienz beim Chef zur heiligen Geisterstunde und zur Nacht das Queen-Size-Bett von Maria Magdalena. Mann, Mann, Mann! Dieser schäbige, ewig nach Weihrauch stinkender Oberzausel! Wäre die Vokabel vom heiligen Krieg nicht schon erfunden, Kyrill würde als ihr Schöpfer gelten. Noch so eine feige Ratte, die sich in Palästen verkriecht und die Jugend dem Teufel zum Fraß vorwirft. Wenn ich Putin erledigt hatte, mache ich weiter und erledige diesen Mistkerl, die Hölle wird sich freuen! Ich bin überzeugt, Anführer einer Kirche kann nur ein übler Atheist werden. Würde er nur einen Gramm Gottesfurcht besitzen, auf der Stelle würde er niederstürzen und sich im Staub wälzen.
Kaum jedoch hatte ich die Kathedrale hinter mir gelassen, verflogen diese Gedanken wieder und mein Herz klopfte schneller. Da war sie wieder, die Macht der Liebe! Egon, ein Kollege bei der Nürnberger N-Ergie, unserem Arbeitgeber, hatte mir mal ein Lied vorgesungen, das so hieß: »Ich bete an die Macht der Liebe.« Ein Kirchenlied nur, dennoch hat es mich ergriffen. Nicht Gott wird angebetet, sondern die Macht der Liebe. Oder waren das lediglich Synonyme? War Gott nichts anderes als die Macht der Liebe? Wenn das so war, oh, dann wollte auch ich ein Gläubiger sein! Katja, meine Katja! Hoffentlich treffe ich dich heute!
Wie oft hatte ich nach der Landung mein Smartphone gezückt, wie oft ihr Profilbild betrachtet. Es war zum Glück noch das vertraute Foto, das Winterbild, das sie beim Eislauf geschossen hatte und das ich so liebte. Die Wangen glühend, die gestrickte Mütze über dem kastanienbraunen Haar, die grünen Augen leuchtend wie zwei Saphire. Immer wieder hatte ich begonnen, ihr eine Nachricht zu schreiben, jedes Mal hab ich sie gleich wieder gelöscht. Ein geheimer Zauber hielt mich davon ab. Ich wusste, jeden Dienstag nahm sie Unterricht im Konservatorium, Meisterkurs bei Professor Petrenko, dem Star unter den Moskauer Flötisten, und heute war Dienstag. Gegen 20 Uhr würde sie die schwere Tür aufdrücken und die weite Freitreppe hinunterspringen und ich würde auf dem Platz stehen, würde einfach dort stehen, ganz wie selbstverständlich, so wie ein Mann auf seine Frau wartet. Und dann kam es drauf an, auf diesen Augenblick kam alles an. Wenn sie auf mich zulief, wenn sie mich umarmte und küsste, was für ein glücklicher Mensch würde ich sein! Wenn sie aber zögerte, wenn sie sich zu einem Lächeln zwang, wenn ihre Umarmung flüchtig und herzlos war, dann war ich dem Untergang geweiht, dann hatte das Leben keinen Sinn mehr für mich.
Vielleicht aber war das besser so, redete ich mir ein, vielleicht war das sogar die Lösung, dass sie mich kühl abwies. Dann könnte ich meinen Job kalten Blutes erledigen, dann würde mich nichts mehr daran hindern, den Abzug zu ziehen. Dann war egal, was danach kam, dann war mein Leben zu Ende, und keine Träne würde wegen mir fließen müssen, zumindest nicht aus dem Auge, an das ich mich sterbend noch erinnern würde, während die Kugeln der Leibwächter mich durchsiebten. Was für ein schöner Tod musste das sein! Zu sterben mit einem Lächeln auf den Lippen.
Ich wischte mir über die Stirn und versuchte, die finsteren Gedanken zu verscheuchen. Der Platz, den das Konservatorium von drei Seiten umrahmte, zeugte noch von der Pracht des zaristischen Russlands. Alles, was Stalin hingeklotzt hatte, war nur eine furchtbare Karikatur dagegen. Auch der Zar ist ein Tyrann gewesen, gewiss, aber immerhin ein Tyrann mit Geschmack. Stalin hingegen ist ein Prolet gewesen: klotzen, klotzen, klotzen! Als käme es auf die Größe an! Erschlagend nur wirken seine Protzbauten, nicht erhebend. Schlimmer nur könnte es einst unter Zar Putin kommen. Wenn ich allein dran denke, was er sich mal hinstellen könnte, wird mir kotzübel. Gut möglich, dass er eine Aufmarschallee bauen lässt, von Abschussrampen gesäumt und als Abschluss ein Siegestor mit sieben Bögen und obendrauf ein römischer Kampfwagen, den fünf Pferden ziehen, darauf stehend ein Gladiator mit der Peitsche. Der Gladiator ist natürlich Putin. Peinlich nackt der Oberkörper, mit eintätowiertem Z auf der Hühnerbrust.
Mit solchen Gedanken versuchte ich, mich abzulenken und meine Nervosität zu dämpfen. Von einem Bein auf das andere tretend, sah ich immer wieder zur Uhr. Es war erst 19.30 Uhr. Ich war viel zu früh. Wenige Minuten nach 20 Uhr erst würde Katja die Tür öffnen. Bestimmt hatte sie wieder ihren hellen Trenchcoat an, wie in jedem Herbst. Der Trenchcoat stand ihr gut, den Gürtel trug sie stets straff geknotet, was ihre schlanke Taille betonte. Ich schaute zu den oberen Fenstern des linken Flügels hinauf. Dummerweise waren sie geschlossen. Im Sommer hörte man die Musik über den Platz erklingen. Ob Katja noch in ihrer WG wohnte, unten in Konkowo, dem südwestlichen Verwaltungsbezirk? Und ob Mascha und Polina noch dort wohnten? Wie viele lustige Abende hatten wir in ihrer kleinen Küche erlebt. Der Herd wurde tatsächlich noch mit Kohlen beheizt. Ich liebte es zuzuschauen, wie Katja das Feuer anschürte. Der rote Schein auf ihrer Haut, das Glänzen ihrer Augen, ihr wunderbarer Busen, der ihr beim Hantieren aus der Bluse blitzte. Musikerinnen haben oft wenig Brust, Katjas Brüste aber waren schön wie reife Äpfel. Meist hatte ich ein Fläschchen Wein mitgebracht. Auch ein alter Wodkatrinker musste gelegentlich Kompromisse machen, zumindest bei den Damen. Mascha und Polina studierten ebenfalls Musik. Nach der zweiten Flasche setzte sich Mascha ans Klavier, und Katja und Polina holten ihre Flöten raus. So bekam ich mein Privatkonzert, fläzte mich auf zwei Küchenstühle, trank Rotwein und summte versonnen vor mich hin. Mascha hätte mich gerne in ihr Zimmer geschleust. Sie hat's nie gesagt, aber so was spürt ein Mann. Auch sie war ein hübsches Kind mit dunklen Locken und leichtem Silberblick. Ich aber hatte nur Augen für Katja. Katja aber fand immer eine Ausrede, um in der Küche zu bleiben. Was für eine Folter! Gegenüber der Küche stand ihre Zimmertür offen. Beugte ich mich vor, wurde eine Ecke ihres Bettes sichtbar, ein weißes Laken, das bis auf den alten Parkettboden hing. Wenn sie wenigsten die Tür geschlossen hätte! Was für Qualen hatte ich ausgestanden! An einem Abend aber hatte sie mich eingelassen, ein einziges Mal, kurz vor meiner Abreise nach Deutschland, wenn auch nur für ein Viertelstündchen.
Als die Uhr 18.50 Uhr zeigte, bemerkte ich einen Mann, der zu mir auf den Platz getreten war, schlank, elegante Erscheinung, die Schläfen schon leicht ergraut. Die Hände in den Mantel gesteckt, sah auch er zu den Fenstern des Konservatoriums empor. Ich spürte, wie ich misstrauisch wurde. Auf wen wartete er? Hatte sich Katja etwa einen alten Geldsack geschnappt? Glaubte sie nicht mehr an mich und unsere Liebe? Ach, ich durfte ihr nicht böse sein. Was war denn das auch für ein Liebhaber, der nach Deutschland abgedampft war, ohne klare Absichtserklärung, wie es weitergehen sollte. Was aber hätte ich auch tun sollen? Ich bin doch noch so jung gewesen, ein Niemand, der nicht daran denken durfte, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Erst musste ich mich bewähren, musste Geld verdienen. Die zwei Jahre in Deutschland hatten mich verändert. Ich hatte eine andere Perspektive auf das Leben gewonnen. Jetzt war ich so weit. Jetzt konnte Katja auf mich zählen. Genau in dem Moment, in dem mir das klar geworden war, war der Krieg ausgebrochen.
Ob sie noch das gleiche Parfum benutzte? Es war keines dieser teuren Sorten aus Paris, es war ein ganz gewöhnliches, preiswertes aus irgendeiner unserer Allerweltsdrogerien. Und doch liebte ich es mehr als jeden anderen Duft. Kann es sein, dass die Wirkung eines Parfums von der Haut der Frau abhing? Dass ein Parfum auf einer anderen Haut anders duftete? Katjas Haut und jenes Parfum jedenfalls harmonierten auf eine einzigartige Weise. Es war die Mischung von ländlicher Frische mit einem zarten Hauch von Sandelholz, unwiderstehlich. Nie zuvor und niemals danach hatte ich einen solch sinnlichen Duft genossen. Auch Steffi hatte gut gerochen, eine Spur zu süß vielleicht, aber doch auch sehr gut. Katjas Duft aber ging mir über alles. Allein die Vorstellung von ihrem Duft erregte mich. Hoffentlich duftete sie immer noch so. Manche Frauen machen den Fehler, ihr Parfum zu wechseln. Was sollte das? Ein gutes Parfum musste sein wie eine zweite Haut, unverwechselbar, einzigartig. Von arabischen Frauen hatte ich gehört, sie würden auf ihrem Arm Duftstraßen anlegen, von leichten Düften am Handgelenk angefangen bis zu immer intensiveren Düften in Richtung der Brüste. Etwas too much für eine russische Nase, vermutlich. Fest steht, der Geruchsnerv hat die direkteste Verbindung ins limbische System, unser Gefühlszentrum. Da kommt man nicht gegen an.
Der Herr im schwarzen Mantel wippte elastisch mit seinen schwarzen Lackschuhen, ohne seinen Blick vom linken Flügel des Konservatoriums zu lassen. Vielleicht war er ja lediglich ein Kollege von Katjas Professor und wollte Petrenko zu einem Restaurantbesuch abholen. Was sollte Katja auch mit solch einem alten Knacker? Ich meine - hallo! - wer hält seinen jungen Freund auf Abstand, um sich dann mit solch einem Opa einzulassen? Schon richtig, andere würde das Geld reizen. Katja aber war anders. Geld interessierte sie nicht oder doch nur so weit, als dass es ohne Geld nun mal nicht ging.
Es gab einen weiteren Grund, warum ich meinen Besuch nicht...
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