Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Auch wenn keiner richtig Lust hatte, Tradition war Tradition. Der erste Advent war gekommen und damit der Tag des Gänsemarschs. An jedem ersten Adventssonntag versammelten sich die Freunde am Wanderparkplatz von Kirchehrenbach, um gemeinsam auf das Walberla zu steigen, den heiligen Berg der Franken, wo man oben einen Glühwein zu sich nahm und anschließend auf der anderen Seite hinabstieg und bei Kathie einkehrte. Die Nacht hatte den ersten Reif gebracht. Fröstelnd stand man auf dem Parkplatz beisammen. Auch die Frauen waren gekommen, Friederike van der Brink, die Bäckersgattin mit den wunderbaren Oberarmen, Babsi Trebbisch, rheinisch gut gelaunt, allen Ereignissen zum Trotz, und Hiltrud Thürauf, die Expertin für Deutsch und Geschichte, die sich an die Bäckersfrau hielt, um sich nicht mit Babsi unterhalten zu müssen. Wie immer etwas abseits und eher den Männern zugewandt, stand Susanne Hufschnabel, von den anderen Damen kurz und frostig begrüßt, was ihr mittlerweile egal zu sein schien, die Männer waren ihr ohnehin lieber, zumal diese niemals auf die Idee kommen würden, am Status einer Drittfrau Anstoß zu nehmen. Sie waren in dieser Beziehung deutlich toleranter.
Wer nicht gekommen war, das waren die Witwen. Der Präsident sah auf die Uhr. Zunehmend ungeduldig wartete man noch auf Freund Göllner, der natürlich wieder allein kommen würde. Seine Ehefrau Antoinette hatte noch niemand zu Gesicht bekommen, offiziell zumindest nicht. Warum sie die Treffen mied, blieb ihr Geheimnis und das ihres Ehemanns. Dass Freund Göllner sich verspätete, verwunderte keinen, seine Extra-Zehn-Minuten waren legendär. Als die zehn Minuten verstrichen waren und von Freund Göllner immer noch nichts zu sehen war, beschloss man aufzubrechen. Freund Göllner kannte den Weg ja, er würde schon noch kommen, sportlich, wie er war, hatte er sie bald eingeholt.
Hinter einem gefassten Brunnen führte ein schmaler Weg steil bergauf, ein Hohlweg von Hecken gesäumt, an deren Zweigen noch herbstliche Früchte hingen, Schlehen und Hagebutten, vom Reif verziert. Der Tag versprach, schön zu werden, die Sonne ließ schon den östlichen Teil des Gipfels erstrahlen. Man ging in kleinen Gruppen, aber selbst denjenigen, die sich vorgenommen hatten, nicht über die Todesfälle zu sprechen, gelang es nicht, das Thema zu meiden. Den Schluss bildete Freund van der Brink, dem sein Bandwurmleiden sichtlich zu schaffen machte, auch wenn er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Der Präsident ging vorweg, einen großen Wanderrucksack auf dem Rücken, aus dem rhythmisch schwappende Geräusche erklangen. Begleitet wurde Pirkheimer von Freund Guttenberg.
»Tragisch, die Sache mit Freund Deusel«, sagte der Doktor, »ein Pfeil, möchte man's glauben? Wer wohl dahintersteckt?«
»Was glaubst du, Friedel, wie ich mir den Kopf zermartere. Vielleicht war es nur ein Dummerjungenstreich.«
»Ja, vielleicht.«
Freund Guttenberg schien nicht überzeugt. Lange hatte er an Zufälle glauben wollen, an eine Häufung tragischer Begebenheiten. Nun aber war er seufzend zum Realisten geworden, der Präsident konnte es ihm nicht verdenken. Mittwoch für Mittwoch ein Todesfall, und einer seltsamer als der andere, da steckte eine perfide Logik dahinter.
»Ich meine, wer hat was gegen uns Rotarier?«, sagte der Doktor. »Wessen Zorn haben wir auf uns gezogen?«
»Es kann nur ein Verrückter sein, glaub mir, Friedel, ein verdrehtes Hirn.«
»Oder jemand, der sich zurückgewiesen fühlt, jemand, den wir nicht wollten. Es ist wie im richtigen Leben, kein größerer Hass als der aus verschmähter Liebe.«
Lag es an dem steilen Anstieg? Freund Pirkheimer spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Genau diese Vermutung hatte ihm gegenüber bereits der Kommissar ausgesprochen. Pirkheimer hatte ihm lebhaft widersprochen. Das wäre schon deshalb nicht möglich, weil man sich bei den Rotariern nicht bewerben könne. Das Aufnahmeverfahren sei kompliziert. Man würde nämlich von den Rotariern ausgeguckt. Habe man jemand Passenden im Auge, würde als Nächstes vorsichtig ausgelotet, ob bei dem Auserwählten überhaupt Interesse bestünde, sodann dieser zu einem Probevortrag eingeladen, bei dem sich alle ein Bild von dem potenziellen Kandidaten machen können. Habe man einen guten Eindruck gewonnen, wird der Kandidat gefragt, ob er dem Klub beitreten möchte. Allerdings nur, wenn kein anderer Freund widerspricht. Das Prinzip der Einstimmigkeit sei Grundlage des Freundschaftsbundes, hatte Pirkheimer Mütze versichert. Was er dem Kommissar trotz dessen Nachfrage aber nicht verraten hatte, war, dass die Ablehnung eines allgemein anerkannten Kandidaten zwar äußerst selten sei, dass eine solche aber schon vorgekommen sei.
»Du denkst jetzt nicht an Harry Bäuml«, sagte Guttenberg.
Harald Bäuml, der Wirt des Grünen Baumes. Tatsächlich hatte er, schon vor Jahren, einige Freunde angesprochen, ob sie nicht einen Wirt in ihren Reihen gebrauchen könnten. Er sei doch eh immer im Haus, es würde ihm keinerlei Umstände bereiten, sich mittwochs mit dazuzusetzen. Man hatte es für einen Scherz gehalten. Nicht, dass man sich nicht vorstellen konnte, einen Wirt aufzunehmen, da hatte man nicht den geringsten Dünkel, wenn aber ein Wirt, dann den Betreiber einer gehobenen Gastronomie und keinen Dorfsimpel, der abends mit dem letzten Gast um die Wette soff.
»Er kennt uns alle, kennt alle unsere Gepflogenheiten«, sagte Pirkheimer.
In derselben Sekunde tat es ihm bereits leid, dass ihm der Satz herausgerutscht war. Guttenberg nickte unbestimmt, schweigend setzten sie den Weg fort.
Ganz anders das Gespräch zwischen den Damen des Klubs, die den beiden mit einem gewissen Abstand folgten. Friederike van der Brink ging in der Mitte, bewusst ein Bollwerk zwischen Babsi und Hiltrud bildend, was ihr dank ihrer imposanten Oberarme auch bestens gelang.
»Gut, dass wir für uns sind«, begann die Bäckersgattin das Gespräch, »ich brauche euren Rat in einer etwas heiklen Angelegenheit.«
Heikle Angelegenheit? Babsi und Hiltrud lauschten gespannt. Das versprach Abwechslung!
»Ich weiß, dass ich mich auf eure Diskretion verlassen kann«, fuhr Friederike fort. »Seit einigen Tagen quält mich eine Frage, bei der ihr mir vielleicht helfen könnt. Was würdet ihr tun, wenn ihr die Frau eines guten Freundes heimlich dabei beobachtet, wie sie mit einem anderen Kerl zusammen ist?«
»Das kommt drauf an«, sagte Babsi überrascht und schmunzelte.
»Worauf?«
»Auf ihren Mann natürlich. Eventuell nämlich müsste ich ihr dann meinen Glückwunsch aussprechen.«
»Wenn ihr Mann aber ein ganz feiner ist, ein echter Gentleman?«
»Ach, ein echter Gentleman«, seufzte Babsi und verdrehte künstlich die Augen, »es gibt eben Frauen, die ziehen einem echten Gentleman einen echten Hallodri vor.«
»Was willst du damit sagen, Babsi?«, wollte Hiltrud wissen und nahm eine steife Haltung ein.
»Nichts, nichts, war nur ein Spaß. Ich meine, ein echter Gentleman ist sicher das Beste, was einem passieren kann, ganz klar, und doch kann es vorkommen .«
»Kann was vorkommen?«
»Das man sich langweilt.«
»Ich hab mich mit meinem Mann noch nie gelangweilt«, sagte Hiltrud empört, »langweilen kann man sich mit einem gebildeten Mann nur, wenn man selbst keine höheren Interessen besitzt.«
»Gewiss«, entgegnete Babsi und konnte sich einen leisen Spott nicht verkneifen, »und wenn man sich dann über die höheren Interessen auch noch auf Lateinisch austauschen kann .«
Friederike hatte gewöhnlich nichts dagegen, wenn sich die beiden stritten, ganz im Gegenteil, nun aber schritt sie entschlossen ein. Das Eigentliche hatte sie doch noch gar nicht erzählt, und darüber war sie verstimmt. Warum erkundigte man sich nicht endlich nach den Hintergründen ihrer Frage?
»Aber nun spann uns nicht länger auf die Folter«, sagte Babsi, als könne sie Gedanken lesen, »kennen wir die Frau etwa und vielleicht auch ihren Mann und am besten noch den anderen, mit dem sie sich amüsiert.«
»Mit dem sie ihn betrügt, wolltest du sagen«, fügte Hiltrud hinzu, aber Babsi war viel zu neugierig, als dass sie darauf eingegangen wäre.
»Also gut«, räusperte sich Friederike, »wie gesagt, ich verlass mich ganz auf eure Diskretion. Es war Samstag vor einer Woche. Ich fahre nach Nürnberg, um ein paar Kleinigkeiten zu besorgen, als ich die Fußgängerzone entlang gehe und noch schnell beim Breuninger reinschlüpfe. Und wen, glaubt ihr, sehe ich oben an der lauschigen Bar sitzen? Didi Knüllwald! Mit Anne an seiner Seite, Anne Pirkheimer!«
Babsi und Hiltrud machten große Augen.
»Bist du dir sicher, Friederike?«
»Todsicher! Hören tue ich nicht mehr so gut, aber meinen Augen entgeht nichts. Dicht an dicht sitzen die beiden Turteltäubchen beisammen und stoßen mit einem Gläschen Schampus an. Und neben Annes Füßen - ihr kennt sie ja, sie wippt wie immer mit einem Beinchen - lauter gut gefüllte Breuninger-Tüten.«
»Unglaublich«, flüsterte Hiltrud, »haben sie dich gesehen?«
»Wie denn? Sie hatten doch nur Augen füreinander.«
Friederike sah den Weg hinauf, auf dem die Freunde Pirkheimer und Guttenberg, die immer noch vorweg gingen, gerade eine Streuobstwiese erreichten. Unwillkürlich verlangsamte die Bäckersfrau ihren Schritt, um dann mit gedämpfter Stimme weiterzusprechen: »Und nun frage ich euch und bitte um eine ehrliche Antwort: Habe ich die Pflicht, den lieben Paul zu informieren?...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.