Schweitzer Fachinformationen
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Freitag
»Lust auf eine Reise?«
»Wohin?«
»Nach Neustadt.«
»Welches Neustadt? Neustadt an der Aisch?«
»Neustadt in Italien!«
Um ein Haar hätte er die Bodenvase mit den frischen Ranunkeln umgestoßen, so stürmisch umarmte Karl-Dieter seinen Freund Mütze. Neapolis! Neapel! Zu deutsch: Neustadt. Ein jeder hat seine Traumstadt, für Karl-Dieter war es Neapel, immer schon gewesen. Eine Stadt wie eine Opernbühne, für ihn, den Kulissenbauer, der Inbegriff urbaner Schönheit. Wie viele Neapelbücher hatte er bereits verschlungen, wie viele Filme gesehen, die am Golf von Neapel spielten! Sophia Loren in Das Gold von Neapel, Jack Lemmon in Avanti, avanti! oder Matt Damon als Talentierter Mr. Ripley. Und dann Caruso! Die Heimatstadt Carusos! Karl-Dieter besaß zahlreiche Platten des begnadeten Tenors und war überzeugt, nur eine Stadt wie Neapel war in der Lage, eine solche Stimme hervorzubringen. Zu seinem Kummer aber ist er noch nie in seiner Traumstadt gewesen, und nun gab's die Reise sogar auf Staatskosten. Karl-Dieter konnte sein Glück kaum fassen. Zumal das Markgrafentheater wegen eines technischen Defekts an der Obermaschinerie für unbestimmte Zeit lahmgelegt war, er also nichts zu tun hatte.
Am selben Tag noch bestieg das Paar in Nürnberg den Flieger, und schon schwebten sie dem Süden entgegen.
»Wir sind Touristen!«, hatte Mütze ihm noch eingeschärft.
»Klar doch, was sonst?«
Dass Mütze beruflich nach Neapel musste, konnte Karl-Dieters Laune nicht trüben. Wie auch! Wäre er sonst in den Genuss dieser Reise gekommen? Und wie schnell jetzt alles ging. Kaum war der Flieger über die Alpen und den Stiefelschaft geglitten, setzte er bereits wieder zum Landeanflug an. Karl-Dieter lehnte sich so weit wie möglich nach vorne, um einen Blick aus dem Fenster zu erhaschen. Weiß blitzte es von den Bergen, auf den Höhen des Apennins gab's für die Frühlingssonne noch viel zu tun, an die Küste aber schmiegte sich das tiefblaue Meer. Karl-Dieter beugte sich noch ein Stück weiter vor, bis der Sicherheitsgurt protestierte. Eine weite Bucht schob sich in seinen Blick. Das musste er sein, der Golf von Neapel! Und da vorne, die Insel! Das war Capri. Oder war es Ischia?
»Und dort! Schau Mütze, der Vesuv!«
Majestätisch glänzte der berühmte Vulkankegel in der Sonne, von seinen tieferen Hängen ergoss sich ein wildes Dächermeer hinunter zur Stadt, zur Küste. Was für ein Anblick! Karl-Dieter hätte jubeln können. Bella Napoli!
»Puo parlare un po' più lentamente?«
Karl-Dieters Italienisch reichte nicht aus, um Pamela sofort zu verstehen. Die Wirtin des B&Bs war eine noch junge Frau mit dunklen, leicht unruhigen Augen. Ihr glänzendes Haar hatte sie zu einem kleinen Zopf gebunden. Durch seine langjährige Tätigkeit an der Dortmunder Oper, der »Apfelsinenschale«, hatte sich Karl-Dieter einen hübschen italienischen Wortschatz angeeignet, allerdings speiste sich sein Repertoire vorwiegend aus italienischen Libretti, das heißt aus Liebe, Tod und Leidenschaft. Donna mi la mano . Das hätte Karl-Dieter locker verstanden. Was aber hatte die junge Wirtin von ihm wissen wollen? Karl-Dieter war irritiert. Hatte sie ihn gefragt, ob sie einen Fön wünschten? Oder eine zweite Garnitur Bettwäsche? Es war einfach nur peinlich. Wegen seiner Italienischkenntnisse hatte er Mütze mit dem Einverständnis des Alten begleiten dürfen, des Leiters der Erlanger Polizeiinspektion, und nun beherrschte er nicht einmal die einfachste Konversation. Oder lag es am Dialekt? Er klang fast wie ein Gesang, Endungen wurden einfach weggelassen, melodisch leicht umschmeichelte er die Ohren. In Neapel schien man tatsächlich ein anderes Italienisch zu sprechen als im Norden.
»Scusi. Könnten Sie den Satz noch einmal wiederholen?«
»Hier ischd's bassierd!«
Commissario Bellini war ein untersetzter Schnauzbartträger, der in seiner stattlichen Uniform trotz seiner eher bescheidenen Körpergröße einen respektablen Eindruck machte. Drei goldene Sterne prangten auf seinen Schulterklappen, stolz seinen Rang ausweisend. Gab es elegantere Polizeiuniformen als in Italien? Zu Bellinis Autorität trug aber auch der scharfe Blick seiner schwarzen Knopfaugen bei, die Lebhaftigkeit seiner Gesten erinnerte an einen Dirigenten. Mütze musste schmunzeln. Bellinis energisches Auftreten stand im merkwürdigen Kontrast zu seinem weichen, italienisch gefärbten Schwäbisch.
Mit Verve deutete der Commissario auf die verbrannte Stelle auf dem Pflaster. Mütze nickte. Die Kraft der Explosion muss enorm gewesen sein. Auf der Piazza waren die Aufräumarbeiten noch in vollem Gange. Unter den Augen zahlreicher Zaungäste hievte ein Kran eine Glasscheibe zu einem der beschädigten Paläste hinauf, viele Fenster waren noch provisorisch mit Sperrholzplatten gesichert, zerrissene Markisen hingen im Wind, das »T« des kleinen Tabacchi hatte es zersiebt, und selbst den massiven Eingang zur U-Bahnstation, die sich ebenerdig in den Berg schob, hatte es erwischt: Viele der blauen Buchstaben fehlten, sodass man den Namen der Station nur erraten konnte. Wie bei einem Kreuzworträtsel, schoss es Mütze durch den Kopf.
»Die Mafia?«
Der Commissario zuckte mit den Achseln und rollte dramatisch die Augen. Er gab sich Mühe, höflich zu bleiben, unverkennbar aber war, wie wenig er von Mützes Anwesenheit hielt. Zum Teufel, warum hatte man ihm diesen Kollegen geschickt? Nur, weil das Opfer ein Deutscher war? War sein Deutsch etwa nicht gut genug, um die Frau des Opfers zu vernehmen? Mamma mia! Bellini hatte in seiner Jugend vier Jahre in Sindelfingen geschafft, an den Werksbändern von Mercedes, bevor er in Rom die Ausbildung zum Polizisten begonnen hatte. Konnte er auch kein Deutsch, so doch zumindest ein passables Schwäbisch. Oder hatte die Anwesenheit dieses Deutschen andere Gründe? Traute man ihm und seinen Kollegen etwa nicht zu, den Fall alleine aufzuklären, hielt man ihn am Ende für korrupt? Ein deutscher Staatsbürger war ums Leben gekommen, gut, oder vielmehr schlecht, aber in Neapel war nun mal die italienische Polizei zuständig und kein Commissario aus dem kalten Norden. Was verstand dieser Mütze schon von Neapel? - Die Mafia! Heilig's Blechle! Wenn, dann ging der Anschlag aufs Konto der Camorra. Ein BMW wurde doch auch nicht in Stuttgart gebaut. Und außerdem gab es in Neapel auch ganz gewöhnliche Verbrechen, also unorganisierte. Der Commissario rollte erneut die Augen und sandte einen Blick zu einer kleinen Marienfigur hinauf, die wie durch ein Wunder unversehrt geblieben war. Madonna mia! Wen hatte man ihm da nur geschickt?
»Da vorne, der ausgestreute Sand, was hat der zu bedeuten?«, fragte Mütze und deutete auf den Bürgersteig nahe der U-Bahnstation.
»Hundeblut«, sagte der Commissario, »das einzige Opfer außer dem Fahrer. Die - wie sagt man? - die Welle des Drucks hat den Köter gegen den Zeitungskiosk geschleudert, dabei hat er sein rechtes hinteres Bein verloren. Der Fahrer ist völlig verbrannt.« Bellini zückte sein Handy und hielt Mütze ein Foto hin. Mütze verzog das Gesicht. Kein schöner Anblick. Selbst wenn man kein Hundebesitzer war. So ein abgerissener Hundelauf war einfach nur tieftraurig.
»Hat sich sein Besitzer schon gemeldet?«
»Besitzer?« Der Commissario lachte auf. »Lieber Herr Kollege, Neapel ist die Hauptstadt der Straßenhunde.«
»Hat man das Tier gefunden?«
»Bislang nicht. Es muss noch davongehumpelt sein, hat sich vermutlich zum Sterben in irgendeinem Loch versteckt. Aber wollen Sie nun das Wägele sehen, Signor collega?«
Mütze nickte und verkniff sich ein Grinsen.
Von einem Auto konnte man nicht mehr sprechen. Ein ähnliches Gebilde hatte Mütze einmal auf einer Ausstellung für moderne Kunst gesehen, zu der ihn Karl-Dieter ins Neue Museum nach Nürnberg geschleppt hatte. Das verkohlte, von grausamen Kräften verbogene Stahlgerippe stand einsam auf dem Hof der Polizeiinspektion. Sie hatten es nicht weit gehabt, das zuständige Commissariato befand sich in der Via Tarsia, nicht weit vom Palazzo Carafa di Maddaloni. Mütze ging langsam um das Wrack herum. An Stellen, die nicht mit Ruß bedeckt waren, etwa an Teilen des Daches oder an der Motorhaube, war der Stahl bläulich-grün verfärbt, manchmal schimmerte er sogar in Regenbogenfarben.
»Wir schätzen, eine 20-Kilo-Bombe. Almeno. Könnten auch bis zu 50 Kilogramm Sprengstoff gewesen sein.«
Mütze pfiff zwischen den Zähnen. Langsam schritt er um das Wrack herum. Eigenartigerweise hatte einer der Autoreifen die Explosion unbeschadet überlebt. Wie war das möglich, bei der Hitze? So seltsam das klang, der Reifen war das Makaberste an dem Haufen Schrott. Der Reifen erst machte klar, dass dies einmal ein Auto gewesen war und dass in diesem Auto ein Mensch sein Leben ausgehaucht hatte.
»Die Metapher, lieber Kollege, ist schief«, sagte der Commissario mit überlegenem Lächeln, »zum Hauchen dürfte der Ärmste nicht mehr gekommen sein.«
»Was ist mit seiner Leiche?«
»Die wollet Sie ned sehe, aber wirklich nicht, caro amico!«
Karl-Dieter war von ihrem Zimmer auf Anhieb begeistert. Ein freundlicher, überraschend großzügiger Raum, dessen Fenster teils zum Hof, teils zur Straße hinausgingen. Sogar einen kleinen Balkon gab es. Die Küche war für alle Gäste da. Das wichtigste Gerät dort war natürlich die Espressomaschine. Karl-Dieter hasste zwar Alukapseln, die nur unnötigen Müll...
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