Schweitzer Fachinformationen
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B und B, ich weiß, dass ich euch erklären muss, warum ihr nichts davon wusstet. Aber das Ganze wird keinen Sinn ergeben, wenn ich nicht von vorn anfange. Es geht nicht nur um eure Schwester. Es waren noch andere Menschen involviert, also habt Geduld mit mir. Alles fängt auf der Insel an, mit Geschehnissen vor mehr als fünfzig Jahren. Als Erstes müsst ihr von einem Mädchen namens Covey erfahren.
Covey kam in einem Städtchen zur Welt, das ans Meer grenzte, einem tiefen, wogenden, blauen Ding, das zu Türkis verblasste, wo es sich dem Land näherte. Je größer Covey wurde, desto schwerer fiel es ihr, sich vom Wasser fernzuhalten. Als sie klein war, stellte ihr Vater sie im Schwimmbad auf seine Schultern und warf sie ins tiefe Wasser. Ihre Mutter aber brachte ihr das Wellenreiten bei, und das besiegelte ihr Schicksal.
Nun denkt ihr vielleicht an diese schönen karibischen Strände mit ruhigem Wasser, wo man beim Blick nach unten die Fische sehen kann, die einem um die Knöchel schwimmen. Ja, solche Strände gab es auch, aber Covey wuchs im Land des Surfens auf, und an den Stränden dort musste man sich zu helfen wissen, sonst zogen einen die Wellen in die Tiefe. So war es auch an der Lieblingsstelle ihrer Mutter. Kein Ort für ein Kind, sagte ihr Vater immer, aber ihre Mummy nahm sie trotzdem mit. Also wurde Covey stark. Und diese Stärke brauchte sie auch, als alles zu zerfallen begann.
Sogar gegen Ende hatte dieser Moment etwas an sich, das die Frauen zum Lachen brachte.
Twist, twist, twist.
Diese Tage mochte Covey am liebsten, wenn sie mit der Schule fertig war, die Sattelschuhe abstreifen und bei den Frauen in der Küche sitzen konnte, wenn das Radio auf Calypso und Rockabilly eingestellt war und ihnen beim Aufdrehen der Gläser das Aroma der in Rum und Portwein getränkten Früchte in den Kopf schoss. Dazu die grasige Brise, die sich mit der Salzluft vermischte und durch die Fensterschlitze schlüpfte, um ihnen den schwitzigen Nacken zu kühlen. Der geflüsterte Tratsch, das glucksende Lachen.
Coveys Mutter und Pearl, Perle der Familie, betrieben einen kleinen, aber gefragten Kuchenhandel. Die meisten Menschen, die sie kannten, heirateten ohne Zeremonie, genau wie Coveys Eltern, aber eine feierliche Verbindung war angesehener, und irgendwer mit Geld plante immer eine Hochzeit. Bei solchen Anlässen war ein Black Cake unverzichtbar. Und da kamen Mummy und Pearl ins Spiel.
Mummy lachte immer, wenn sie einen Black Cake machte. Und es kam immer der Punkt, an dem sie dem Sog der Radiomusik nicht länger widerstehen konnte.
»Komm schon, Pearl«, sagte sie dann, aber Pearl hatte es nicht so mit Tanzen. Sie reagierte mit ihrem üblichen Lächeln, die Lippen geschlossen, und wippte mit dem Kopf zur Musik, während Mummy im Takt einen Teig verschmierten Spatel schwenkte, auf Covey zutrat, wieder zurückhüpfte und ihre Hand nahm. Co-vie, Co-vie, Co-vie, sang sie zur Musik. Sie zog Covey in eine Art Shuffle und verströmte einen Duft nach Kristallzucker, Butter und Pomade, während sie zusammen ins Esszimmer und dann Richtung Wohnzimmer wirbelten.
Pearl gab sich gern streng mit Mummy. »Miss Mathilda«, sagte sie dann und klang eher, als würde sie mit Covey schimpfen und nicht mit ihrer Chefin. »Diese Kuchen machen sich nicht von selbst, wissen Sie?«
Als Covey noch klein war, hatte es eine Zeit gegeben, als Mummy mit Pa draußen im Garten tanzte. Immer an Abenden, wenn der Strom ausgefallen war; dann säumten sie die Veranda mit Kerzen in Einmachgläsern und nahmen das Transistorradio mit raus. Mummy trat ganz nah an Pa heran und streichelte seinen Rücken. Irgendwann fassten Mummy und Pa dann Covey an den Händen und tanzten mit ihr. Manchmal hob Pa Covey hoch und schwenkte sie nach links und rechts, und Mummy lachte.
In den letzten Monaten vor ihrem Verschwinden lachte Mummy kaum noch. Ihr Gesicht erstarrte, wenn Coveys Pa vorbeikam. Es war so eine Erwachsenensache, die Covey erst viel später verstehen würde. Genau wie die Bedeutung von Mummys Kuss mitten in der Nacht.
Covey spürte den Kuss im Schlaf. Dann noch einen. Dann eine Hand den Haaransatz entlang. Ein Hauch Rosenduft und der Geruch der salzigen Stirn ihrer Mutter. Dann war es hell, Sonntagmorgen. Ihre Mutter musste verschlafen haben. Sie wartete. Keine Mummy. Sie stand auf und ging in die Küche. Keine Mummy.
Zwölf Stunden später, keine Mummy. Pearl ließ Abendessen da, wie immer. Pa kam beschwipst nach Hause, wie immer.
Zwei Tage später, keine Mummy. Die Polizei kam vorbei, nickende Beamte, während ihr Pa redete. Ja, sagten sie, sie würden sehen, was sie tun könnten.
Eine Woche später nahm Pa Coveys Hand in seine und wischte ihr die Tränen vom Gesicht. Er sagte, ihre Ma komme bald zurück, sie werde schon sehen. Pa war beschwipster als sonst. Pearl umarmte Covey besonders fest.
Einen Monat später, keine Mummy.
Ein Jahr später.
Fünf Jahre später.
Pa verbrachte mehr Zeit denn je bei den Hahnenkämpfen. Er parkte eine Flasche hinter einem Karton in einem seiner Läden; Covey hatte sie gesehen. Pearl nahm Covey immer noch in den Arm, bevor sie nach Hause ging. Covey wachte immer noch nachts auf, schnupperte nach dem Duft von Rosen und Salz.
Es dauerte sechs Jahre, bis Johnny Lin Lyncook sich eingestehen konnte, dass seine Frau nicht wieder nach Hause kommen würde, nicht mal der gemeinsamen Tochter zuliebe. Er saß mit einer Flasche Bier im Garten, sah einer Eidechse zu, wie sie nach winzig kleinen Insekten schnapp-schnappte, dachte darüber nach, welch ein Kampf es gewesen war, die Dinge am Laufen zu halten, mit oder ohne Mathilda. Es war immer ein Kampf gewesen für Lin, genau wie für seine Eltern vor ihm, und für all die Landsleute, die vor Generationen die Meere überquert hatten.
Sein Ba erzählte seinen Söhnen gern, wie einige ihrer Leute den erniedrigenden Start auf dem amerikanischen Kontinent ins Gegenteil verkehrt hatten. 1854, erzählte er, seien manche der Männer, die an der Eisenbahnlinie durch Panama arbeiteten, so krank geworden, dass sie schwarze Galle spuckten und gelbe Augen bekamen. Viele der chinesischen Arbeiter, die für das Eisenbahnprojekt geholt worden waren, verlangten, an einen sichereren Ort gebracht zu werden. Einige landeten auf der Insel. Von harter Arbeit und Krankheit gezeichnet, blieben nur wenige länger am Leben. Einer, der es schaffte, eröffnete ein Großhandelsgeschäft und ermutigte damit andere chinesische Einwanderer, Ähnliches zu versuchen.
Und dann kam die Familie Lin. Ein neues Jahrhundert, eine einmalige Gelegenheit. So jedenfalls die Hoffnung. Lins Vater kam als Koch aus Guangzhou und wurde in den Dokumenten irgendwann als Lyncook geführt. Er erfüllte seinen Vertrag, ließ seine Frau und den kleinen Sohn, Jian, bald Johnny gerufen, nachkommen und wurde einer der örtlichen Ladenbesitzer. Zur Eröffnung des ersten Ladens brachte er ein Schild mit Lins Gemischt- und Kurzwaren an, und bald nannten ihn die Leute Mister Lin und den ältesten Sohn einfach Lin. Später würde es noch einen Laden geben und weitere Söhne mit englischen Namen. Aber der Weg dahin sollte sich als schwer erweisen.
Fischsuppe. Was anderes hatten sie meist nicht zu essen, als Lin noch ein kleiner Knirps war. Lins Mutter kochte die Brühe mit einem Fischkopf und servierte sie mit Frühlingszwiebeln und einer Scotch-Bonnet-Chili über möglichst viele Tage gestreckt. Erst Jahre später bemerkte Lin, dass andere Familien auf der Insel die Brühe mit richtigem Fischfleisch, mit grünen Bananen und manchmal sogar Shrimps kochten. Zu diesem Zeitpunkt konnten sich seine Eltern dann schon andere Dinge leisten. Die Läden machten endlich Profit. Sein Vater pökelte Schweinefleisch und hängte rund um die Veranda große Stücke an Haken auf, und die Jungs saßen im Garten und sahen zu, wie die Stücke in der Brise trudelten.
Aber das war später.
In den Anfangsjahren konnten nur die Mathestunden Lin von seinem Magen ablenken. Die Lehrer sagten, der Junge habe eine echte Begabung. Aber Lin spürte schon, dass es nicht reichte, gut mit Zahlen umgehen zu können, man musste auch bereit sein, sich ihrer Logik zu widersetzen, wenn man es in dieser Welt zu etwas bringen wollte. Man musste bereit sein, etwas zu riskieren. Schon als Junge konnte er den Männern beim sue fah zusehen und die Chancen berechnen. In der Highschool fing er an, auf Pferde zu wetten. Dann entdeckte er Hahnenkämpfe und hatte bald zum ersten Mal die Hand voll Geld. Saugte den Duft von Banknoten, Staub und Blut auf. Saugte die erste echte Chance auf eine Zukunft auf.
Lin lernte, dass man seine Gewinnchancen erhöhen konnte, wenn man verfolgte, wie ein Mann seine Vögel aufzog, welche Nahrungsergänzungsmittel er ihnen gab. Mit dem zusätzlichen Geld wurden die Läden seines Vaters modernisiert, kauften seine Eltern ein Haus mit Tamarinden- und Brotfruchtbäumen. Und das war gut so. Mamma Lin hatte insgesamt vier Söhne geboren, aber aufgrund der Tuberkulose waren nur noch zwei übrig, und Lin war als Einziger in der Stadt geblieben.
Lin war seiner Familie gegenüber immer loyal gewesen. So war er erzogen worden. Wenn er beim Wetten gut verdiente, gab er den Witwen und Kindern seiner Brüder immer etwas ab. Und als Covey zur Welt kam, engagierte er eine Haushaltshilfe, Pearl, die beste Köchin der Gemeinde, denn Coveys Mutter wollte es so. Aber dann hörte das Geld...
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