3 Der Weg zur Zufriedenheit
Hebt man das Unwissen über die wahre Natur des Glücks auf, so lautet die gute Nachricht, die am Ende des vorherigen Kapitels verkündet wurde, findet man dafür den Zugang zur Zufriedenheit. Doch allein mit der Verkündung dieser Botschaft ist es noch nicht getan, ja, sie zu empfangen scheint erst der Anfang zu sein. Zu viele Fragen stehen noch offen: Wie, zum Beispiel, lässt sich die Zufriedenheit nun, da der Zugang gefunden wurde, tatsächlich erreichen? Was wird dazu benötigt? Wie äußert sich das Zufriedensein überhaupt?
In den folgenden Kapiteln werden diese Fragen eine nach der anderen geklärt.
Als Erstes wird geschildert, wie sich die Zufriedenheit äußert und welche Eigenschaften sie hat.
Danach untersuchen wir, was konkret unternommen werden muss, um sie erreichen zu können - dabei wird die praktische Umsetzung Schritt für Schritt beschrieben.
Am Schluss des ersten Teils angekommen, sind Sie mit dem nötigen Rüstzeug ausgestattet, um sich selbst auf den Weg zu machen und fündig zu werden.
Die Zufriedenheit stellt sich vor
Das Leben ist bezaubernd,
man muss es nur durch die richtige Brille ansehen.
ALEXANDRE DUMAS
Ich will damit beginnen, die Zufriedenheit sozusagen »in action« vorzustellen. Zu sehen, wie sie sich äußert, kann nämlich die Frage klären, welche Eigenschaften sie hat. Doch genug der Erklärungen - Bühne frei für die Zufriedenheit!
Die Ferienreise der Freundinnen
Das Stück, in dem die Zufriedenheit in Aktion treten wird, habe ich aus dem Leben gegriffen und für »die Bühne« bearbeitet. Zwei Figuren kommen darin vor, die je eine andere Haltung verkörpern. Welche davon die Zufriedenheit darstellt, das werden Sie bestimmt ohne Weiteres erkennen können.
Konkret handelt es von Frau Irene F. und Frau Erika D., zwei langjährigen Freundinnen, die zusammen ohne Ehemänner und Kinder Urlaub machen wollen. Sie haben geplant, mit dem Wohnmobil durch Frankreich zu fahren. Wenn der Vorhang sich hebt, sieht die Szene folgendermaßen aus:
Frühmorgens waren die beiden Frauen von zu Hause abgereist und hatten abwechselnd den ganzen Vormittag hinter dem Steuer gesessen. Um mehr von der Landschaft zu sehen, waren sie am Nachmittag von der Autobahn abgebogen und auf kleineren Straßen weitergefahren. Dadurch hatte es länger als geplant gedauert, bis sie in die Stadt kamen, in der sie die erste Nacht verbringen wollten.
Beide waren nun müde und froh, es sich bald im Wohnmobil gemütlich machen zu können. Irene hatte den Reiseführer auf den Knien und gab Erika die nötigen Richtungsanweisungen, die sie schließlich zum gewünschten Campingplatz führten.
Die Zufahrt war eng, Erika musste ein schwieriges Manöver einlegen, um durch die offene Barriere zur Rezeption zu gelangen. Irene stieg aus und gab der Empfangsdame zu verstehen, dass sie für eine Nacht hierbleiben wollten.
»Sie sind im Club?«, fragte die Dame, und blickte auf eine Liste in ihrer Hand.
»Club?« Irene schüttelte den Kopf. »Wir sind in keinem Club.«
»Dann können Sie leider nicht bleiben«, sagte die Dame und lächelte entschuldigend.
Erika beobachtete, wie Irene aufgeregt mit den Armen fuchtelte, als die Dame den Kopf schüttelte.
»Was ist?«, fragte sie, als Irene die Türe des Wohnmobils aufriss.
»Wir sitzen in der Tinte! Der ganze Zeltplatz ist an einen Citroën-Club vermietet, und der lässt nur Mitglieder rein.«
»Pech gehabt«, seufzte Erika und rieb sich den steifen Nacken. »Schade.« Sie holte Atem und ließ ihn langsam wieder ausströmen. »So sei's halt. Müssen wir eben was anderes finden.« Sie griff nach dem Reiseführer und entfaltete die Straßenkarte.
Irene barg den Kopf in ihren Händen. »Ausgerechnet uns muss das passieren! Dabei bin ich so müde - ich mag keinen Meter mehr weiterfahren. Keinen einzigen Meter!«, stöhnte sie.
»Komm schon.« Erika streckte ihr einen Kaugummi hin und schob sich selbst auch einen in den Mund. »Sieh mal«, sagte sie nach einer Weile. »Der nächste Zeltplatz ist gar nicht so weit weg.« Sie tippte mit dem Finger auf die Straßenkarte. »Hier.«
»Trotzdem«, seufzte Irene. »So hab ich mir den Anfang nicht vorgestellt.« Sie nahm die Karte und legte sie auf die Knie. Erika schaltete den Motor ein.
War es schon schwierig gewesen, das Wohnmobil in die Einfahrt zu manövrieren, so war es ganz und gar unmöglich, es zu wenden. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als den Schotterweg entlangzufahren, der rund um den ganzen Zeltplatz führte, um so im richtigen Winkel in die Ausfahrt einschwenken zu können. Langsam kurvten sie an den freundlich und sauber aussehenden Campinganlagen vorbei, vorbei am großzügigen Swimmingpool, vorbei an lauschigen Plätzen unter sich wiegenden Pappeln.
»Dieser Zeltplatz wäre soo schön«, entfuhr es Irene. »Und er ist ja nicht mal voll. Wieder mal typisch französische Bürokratie, sie hätten .«
»Es hat keinen Sinn«, unterbrach Erika, »sich über etwas aufzuregen, das nicht zu ändern ist.«
»Aber ich bin todmüde«, widersprach Irene. »Und jetzt noch wer weiß wie viele Kilometer fahren zu müssen, wo es hier doch so schön wäre - das regt mich auf.«
»Du bist nicht die Einzige, die müde ist«, erwiderte Erika scharf. »Und dein Gejammer hilft niemandem.« Sie kurbelte das Fenster hinunter, nahm ein paar tiefe Atemzüge. »Mmm«, sagte sie. »Riechst du das? Ein richtiger Frankreichduft.« Sie lächelte Irene versöhnlich an: »Komm schon. Wir haben Urlaub - alle Zeit der Welt.«
Unterdessen hatte es zu dämmern begonnen, und es war schwierig geworden, die Ortsschilder rechtzeitig zu entdecken. Auf der Suche nach dem Campingplatz mussten sie zweimal umkehren und einmal anhalten, um eine Einheimische um Rat zu fragen.
Endlich kamen sie in die richtige Ortschaft und entdeckten das ersehnte Schild: »Camping le repos«. Darunter stand: »Fermé« - geschlossen.
»Das darf doch nicht wahr sein!«, rief Irene und brach in Tränen aus.
Erika ignorierte sie, schnallte sich den Sicherheitsgurt ab. »Ich seh' ein Licht, ich geh' mal fragen«, sagte sie, »vielleicht .«
Nach ein paar Minuten kam sie wieder zurück. »Wir können hierbleiben, auf dem Parkplatz vor der Einfahrt aber nur.«
»Hier?«, sagte Irene ungläubig, und zeigte auf die Ansammlung von Kehrichteimern und den Altglascontainer.
Irene nickte. »Die Leute waren ganz nett, eigentlich öffnen sie erst nächste Woche.« Sie stellte den Motor ab, streckte die Arme, rollte die Schultern. »Wir haben's geschafft!«, sagte sie und strahlte Irene an. »Und jetzt ein Kaffee, welche Wonne!«
»Ich brauch' einen Schnaps«, brummte Irene. »Auf einem Parkplatz neben dem Kehricht gelandet .«
Eine Weile später saßen die beiden am Tisch im Wohnabteil, tranken Kaffee und löffelten eine Suppe.
Dann stellte Irene das Geschirr in das Spülbecken. Erika lehnte sich zurück. »Das hat gutgetan«, sagte sie gähnend. »Jetzt noch kurz etwas die Beine vertreten, dann ab ins Bett. Kommst du mit?«
Zusammen schlenderten sie die Straße hinunter, die vom Parkplatz wegführte. Links und rechts standen neue Einfamilienhäuser, eben erst fertiggestellt. Hinter ein paar Fenstern sah man Licht, die meisten blieben dunkel. Rundum türmten sich aufgebaggerte Erdmassen, klumpig und kahl.
»Das hat irgendwie was Romantisches an sich, findest du nicht auch?«, bemerkte Erika. »Alles ist frisch und neu und kann noch werden - ist bereit, sich mit Leben zu füllen.«
»Ich finde es trostlos«, sagte Irene. »Wenn ich daran denke, was wir stattdessen genießen könnten! Ins Grüne blicken könnten wir, dem Rascheln der Pappeln lauschen, vielleicht im Pool noch etwas schwimmen! Nein, ich darf gar nicht daran denken - lass uns umkehren.«
Die beiden kehren zum Wohnmobil zurück, und der Vorhang fällt. Das Stück ist zu Ende. Lassen Sie es sich noch einmal durch den Kopf gehen. Überlegen Sie sich, welche der beiden Frauen Ihrer Meinung nach die Schwierigkeiten besser gemeistert hat und zufriedener war an diesem Abend in Frankreich.
Ihre Wahl, da bin ich beinahe sicher, wird auf Erika fallen. Denn sie war es, die sich vom Pech nicht beeindrucken ließ, es einfach zur Kenntnis nahm und versuchte, das Beste aus der Lage zu machen. Sie war es, die immer auch das Schöne, das es im Moment zu sehen gab, erkannte. Sie war es, die gelassen und heiter blieb, während Irene unglücklich wurde, wütend und verzweifelt darüber, dass die Umstände anders waren, als sie es sich vorgestellt und gewünscht hatte.
Erika wäre somit diejenige, die Sie, liebe Leserinnen und Leser, nach dem Fallen des Vorhanges mit Ihrem Klatschen belohnen würden. Ihr, der genügte, was war, und die dieses genoss, würde Ihr Applaus gelten. Irene hingegen, die ausschlug, was sie hätte haben können, würden Sie...