Schweitzer Fachinformationen
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Tregaron House, Llyn Peninsula, Wales,
Gegenwart
Als sie nach dem langen Flug in Manchester aus dem Flughafengebäude getreten und von Nieselregen und grauen Wolken begrüßt worden war, hätte sie ihre Entscheidung fast bereut. Doch kaum war sie mit ihrem Mietwagen unterwegs - an den Linksverkehr hatte sie sich bald wieder gewöhnt -, stieg ihre Laune. Sie hatte sich für die schnellere Route über die A55 entschieden und im walisischen Hafenstädtchen Conwy eine Pause gemacht. Am Meer war der Himmel aufgerissen, und die Februarsonne tauchte die Bucht mit den hübschen, kleinen Häusern und der Burg in weiches Licht. Ein kalter Wind blies ihr salzige Seeluft ins Gesicht. Caron zog die Kapuze über ihre Haare und den Reißverschluss ihres Parkas bis unters Kinn. Wenn sie etwas nicht vermisst hatte, dann war es das englische Wetter.
Sie holte tief Luft und nahm das Glitzern des Meeres, die bunten Häuser und die Hügel mit ihren braunen und grünen Schattierungen wahr. In ihrem Innern verschmolzen Farben und Formen zu einem abstrakten Gebilde, das sie als Entwurf abspeicherte, um es später zu skizzieren. Schon lange hatte eine Landschaft nicht so viele Emotionen in ihr hervorgerufen und sie künstlerisch so gereizt wie diese walisische Küste. Sie nahm das als gutes Vorzeichen.
In Trefor bog sie nach Süden ab. Die schmale, kurvige Straße durch das Landesinnere der Halbinsel Llyn zeigte das ländliche Wales in seiner ganzen Kargheit. Doch auch das hatte seinen Reiz, dachte Caron und sortierte vor ihrem inneren Auge die Felsformationen, die einsamen, weißen Gehöfte und die Steinwälle zwischen den Feldern als verschiedenfarbige Glasstücke. Der nächstgrößere Küstenort auf ihrer Strecke war Pwllheli. Ein Hafen deutete auf den sommerlichen Segelbetrieb hin, doch Caron ließ die Buchten mit ihren malerischen Klippen und Sandstränden außer Acht und hielt nach einem Hinweisschild für das Herrenhaus Plas-Gelli-Wen Ausschau. Dort im Café wartete der Anwalt auf sie, um ihr Tregaron House zu zeigen.
An der Tankstelle vor Llanbedrog abbiegen, hatte der Anwalt auf seinem letzten Schreiben vermerkt. Für ihre Entscheidung, erst nach Semesterende zu kommen, hatte er Verständnis gezeigt. Überhaupt schien er ein freundlicher Mensch zu sein. Immerhin, dachte Caron, bei Anwälten konnte man nie wissen, was sie im Schilde führten. Ihre Eltern betrieben eine Wäscherei in London und hatten sich mehrfach mit säumigen Zahlern herumärgern müssen. Letzten Endes hatten die Anwälte viel Geld für ihre Briefe genommen und nichts bewirkt.
Das musste die Tankstelle sein. Caron trat auf die Bremse, was den hinter ihr fahrenden Pick-up zu heftigem Hupen veranlasste. Die Bäume streckten ihre Äste weit über die Straße und mochten im Sommer ein grünes Dach bilden. Nach einem halben Kilometer machte die Straße eine scharfe Rechtskurve, und mächtige, alte Fichten säumten die Seiten. Zur Landseite hin stieg der Boden an, und zur Meerseite wurde es abschüssig. Caron konnte das Meer in der Ferne sehen. Und dann tauchten plötzlich zwei steinerne Löwen zu beiden Seiten des Weges auf und markierten die Einfahrt zum Herrenhaus. Plas-Gelli-Wen stand auf einem beleuchteten Aluminiumschild, und darunter: Galerie und Café.
Es war mitten in der Woche, und auf dem Parkplatz standen nur wenige Autos. Caron stieg aus und fand sich einem beeindruckenden neugotischen Herrenhaus aus grauem Stein gegenüber. Das dreistöckige Gebäude erhob sich vor einem bewaldeten Hügel und wirkte mit den zahlreichen viktorianischen Schornsteinen und den spitzbogigen Fenstern düster und einschüchternd. Das Café befand sich in einem Wintergarten, dessen Terrasse in einem Rosengarten lag. Caron hörte das Rauschen der See und drehte sich um.
Der Ausblick war atemberaubend. Das Parkgelände fiel terrassenförmig zum Strand ab. Rasenflächen, Buchshecken und Baumgruppen wiesen spielerisch den Weg zur Bucht, die auf einer Seite von hohen Klippen gerahmt wurde.
»Caron Bevans?«, rief eine männliche Stimme, und Caron drehte sich wie ertappt um.
Ein elegant gekleideter älterer Herr kam vom Wintergarten auf sie zu. Er trug eine Tweedmütze und einen karierten Schal zu seiner Wachstuchjacke, ein weißer Bart zierte sein Kinn.
»Mr Edwards?« Sie ging mit ausgestreckter Hand auf ihn zu, die er freundlich schüttelte.
»Hatten Sie einen guten Flug? Aber kommen Sie erst einmal herein, Bri wird uns einen Kaffee machen.«
Sie tauschten Höflichkeiten aus, und Caron nahm die neue Umgebung in sich auf. Das Café war modern eingerichtet und mit Gemälden, Schwarzweißfotografien und Kunstobjekten dekoriert. Hinter einem Kuchentresen stand eine große, schlanke Frau mit flammend roten Haaren.
»Bri, darf ich dir unseren Gast aus Amerika vorstellen? Caron Bevans.«
Die Augen der Rothaarigen leuchteten auf. »Freut mich sehr, Caron. Dieser alte Kasten ist nicht nach jedermanns Geschmack, aber wir haben ihm wieder Leben eingehaucht, nicht wahr, Stan?«
Der Anwalt nickte. »Briony und ihr Bruder Logan leiten die Galerie, den Shop und das Café. Aber das zeige ich Ihnen alles später, Caron. Möchten Sie etwas essen? Die Kuchen sind hausgemacht.«
»Das Angebot ist momentan eher überschaubar, aber das ist auch die Zahl der Gäste.« Briony lachte und zeigte perlweiße Zähne. Sie war attraktiv und strahlte ein Selbstbewusstsein aus, um das Caron sie beneidete. »Lemoncake oder ein Scone? Der Himbeerkuchen ist vegan.«
»Ein Scone, bitte. Die vermisse ich in Amerika. Und einen doppelten Espresso.« Caron folgte Edwards an einen Tisch am Fenster und schaute auf einen gusseisernen Ofen, in dem ein Feuer brannte. »Es ist sehr schön hier, Mr Edwards, Sie haben nicht zu viel versprochen.«
»Sagen Sie ruhig Stan, bitte.« Er zog eine Ledermappe aus seiner Aktentasche, die unter dem Tisch gestanden hatte, und schlug sie auf. »Es gibt noch einiges, das ich Ihnen erklären muss .«
In diesem Augenblick kam Briony mit dem Kaffeetablett. Als sie es abstellte, klappte der Anwalt die Mappe zu.
Briony seufzte. »Ach, komm schon, Stan, wir wissen doch alle, dass mein Onkel ihr das Haus vermacht hat. Der alte Geheimniskrämer hat immer gern viel Wind um alles gemacht.«
Als Stan sie strafend ansah, zuckte sie mit den Schultern und stellte die Tassen und Teller hin. »Bin schon weg.«
»Ihr Onkel?« Caron gab einen vollen Löffel Zucker in ihren Espresso.
»Ach, was soll's, Sie werden es ohnehin bald erfahren. Ja, Brynmore Bowen war ihr Onkel. Briony und Logan sind die Kinder seines Bruders Cecil, der ebenfalls schon verstorben ist.« Er schien eine Reaktion von ihr zu erwarten.
»Ich kannte den Mann nicht und bin neugierig, warum er ausgerechnet mir ein Haus vermacht. Ist es wegen der Familie meiner Mutter? Die stammt aus Wales.«
Stanley klappte die Mappe wieder auf. »Nein, es verhält sich etwas anders, aber ich bin froh, dass Sie ohne Vorurteile hergekommen sind. Das erleichtert alles.«
»Hm, ohne Vorurteile, aber mit vielen Fragen.« Caron bestrich ihr Scone mit Butter und biss in den weichen Teig.
Vor dem Haus ging Edwards mit ihr zu einer riesigen Zeder. Der große, weit ausladende Baum stand auf einer Rasenfläche, die terrassenförmig zum Strand hinunterführte. Stanley Edwards schlug mit der flachen Hand gegen die Rinde. »Dieser Baum kommt aus Kalifornien und wurde vor über hundert Jahren von Brynmore Bowens Großvater Lawrence gepflanzt.«
»Ein weiter Weg für einen Baum«, meinte Caron. »Bei uns in Pilchuck stehen auch so alte Bäume. Ich mag das, wenn Dinge eine Geschichte haben.« Und ich möchte meine endlich herausfinden, dachte sie.
»Pilchuck, die Glasschule, ja? Da sind Sie zu Hause?«
Er hörte genau hin, und sie nahm sich vor, ihre Worte zukünftig besser abzuwägen. »Da fühle ich mich wohl. Das ist entscheidend, oder nicht?«
Stanley warf ihr einen raschen Seitenblick zu. »In gewisser Weise. Wohl fühle ich mich auch in meinem Ferienhaus in Cornwall, aber mein Zuhause ist es nicht.«
»Wie Sie meinen.« Nervös verlagerte sie das Gewicht von einem Bein aufs andere. Sie fühlte sich ein wenig unwohl unter seinem prüfenden Blick. Sie wusste, was er sah - ein gerades Profil, hellblaue Augen und einen breiten Mund, der nicht genug lächelte. Das behauptete zumindest Doug. Ihr Körper war kantig, muskulös, das brachte die Arbeit am Glasofen mit sich. Und ihre Unterarme und Handgelenke waren von Brandwunden übersät, ein Tribut, den jeder Glaskünstler seiner Arbeit zollte.
»Das alles hier, die ganze Bucht, der Wald hier unten, der Park bis hinauf zu den Klippen und das Land bis Pwllheli hat einmal den Bowens gehört.« Stan breitete die Arme aus.
»Ich wette, das hat den Herrschaften damals gefallen. Heute gehört der Strand allen, nehme ich an.« Sie schaute auf die hufeisenförmige Bucht und entdeckte eine Linie bunter Strandhäuschen.
»Natürlich. Auch das Land ist jedem zugänglich. Das war Brynmore wichtig. Kommen Sie, wir müssen dort hinauf.« Ein steiler Pfad verlor sich den Hang hinauf in den Wald.
»Ernsthaft? Es gibt nur diesen Zugang zum Haus?«
»Früher war das tatsächlich so, aber es gibt noch eine Zuwegung. Die könnte befestigt werden, falls Sie Interesse haben.«
Ein einsames Haus auf einer Klippe, zum Arbeiten wäre das genau richtig, dachte Caron. Nach einem zehnminütigen Fußmarsch öffnete sich der...
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